TE Vfgh Erkenntnis 2022/3/1 E4213/2021

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Veröffentlicht am 01.03.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinandersetzung mit der Tätigkeit als Polizist insbesondere vor dem Hintergrund der in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Länderberichte des EASO

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein am 1. Juli 1987 geborener irakischer Staatsangehöriger, bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Araber an. Er stellte nach Einreise ins Bundesgebiet am 27. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgrund gab er an, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit als Polizist im Irak mitbekommen habe, dass ein Polizeioffizier seiner Einheit Geschäfte mit der Terrormiliz Islamischer Staat (im Folgenden: IS) mache. Der Offizier habe Vertretern des IS angeboten, Geldzahlungen zu leisten, wenn der IS dafür von Angriffen auf ihn absehe. Da er das Gespräch mitgehört habe, sei er in Gefahr gewesen. Um sich in Sicherheit zu bringen, sei der Beschwerdeführer im Oktober 2015 desertiert und aus dem Irak ausgereist. Es gebe in seinem Herkunftsstaat einen Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer und die Polizei suche nach ihm.

2. Mit Bescheid vom 3. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten und eines subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3. In der gegen den Bescheid vom 3. April 2018 erhobenen Beschwerde bringt der Beschwerdeführer unter anderem vor, eine Verfolgung durch den IS zu befürchten, weil er als ehemaliger Polizist als Anhänger der irakischen Regierung eingestuft werde und somit eine potentielle Gefahrenquelle für den IS darstelle.

4. Die Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21. September 2021 – mit Erkenntnis vom 14. Oktober 2021 als unbegründet ab. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei zum einen nicht glaubhaft, zum anderen mangle es den wegen Desertion im Herkunftsstaat drohenden Sanktionen an Asylrelevanz. Im Übrigen sei dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in den Irak als gesunder und arbeitsfähiger Mann, der in Ar Rifai, im Gouvernement Dhi Qar aufgewachsen sei und zuletzt in Bagdad gelebt habe, zumutbar. Darüber hinaus lägen – insbesondere auf Grund des Ausscheidens des Beschwerdeführers aus dem Polizeidienst vor bereits 6 Jahren – keine Gründe vor, die ihn aus aktueller Sicht als besonders vulnerabel ausweisen würden.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) sowie darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht vorzuwerfen:

3.1. Aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes geht hervor, dass der Beschwerdeführer von 2007 bis zu seiner Ausreise aus dem Irak als Polizist tätig war (angefochtenes Erkenntnis, S 3). Zur Beurteilung der Sicherheitslage vor Ort und der Zumutbarkeit einer Rückkehr in den Irak zieht das Bundesverwaltungsgericht auszugsweise das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 14. Mai 2020 heran und hält auf Grundlage dessen fest, dass "Übergriffe auf Regierungsziele durch den Islamischen Staat (IS) […] trotz eines generellen Rückgangs an Vorfallzahlen gestiegen [sind] (CSIS 30.11.2018). Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte sowie Mitglieder des Sicherheitsapparats sind besonders gefährdet".

3.2. Auch in der zum Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses bereits verfügbaren Country Guidance: Iraq – Common analysis and guidance note des EASO vom Jänner 2021 wird zur Lage der (ehemaligen) Polizisten im Irak (S 76 f.) ausgeführt:

"Members of the ISF, PMU, Peshmerga and local police continue to be primary targets for ISIL. […] Accordingly, not all individuals under this profile would face the level of risk required to establish a well-founded fear of persecution. The individual assessment of whether or not there is a reasonable degree of likelihood for the applicant to face persecution should take into account risk-impacting circumstances, such as: area of work and origin (proximity to areas where ISIL continues to operate), visibility of the applicant, position within the organisation, period since leaving the forces, personal enmities, etc."

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht stellte in seiner Entscheidung zwar fest, dass der Beschwerdeführer jahrelang im Irak Polizist gewesen und dass bei Polizisten, Soldaten und Mitgliedern des Sicherheitsapparates von einem erhöhten Risikoprofil auszugehen sei (angefochtenes Erkenntnis, S 3, 51). Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Beschwerdeführer angesichts seines Vorbringens, als Polizist gearbeitet zu haben, unter das Risikoprofil fällt und ihm auf Grund dessen bei einer Rückkehr eine Verfolgung durch den IS droht, unterblieb jedoch (zur Bedeutung der Berichte des UNHCR und des EASO bei der Beurteilung von Anträgen auf internationalen Schutz siehe statt vieler VfGH 12.12.2019, E2692/2019; 12.12.2019, E3369/2019; 4.3.2020, E4399/2019; 23.6.2021, E865/2021). Das Bundesverwaltungsgericht hat sohin das Parteivorbingen ignoriert und die Ermittlung des Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt unterlassen, womit das Erkenntnis mit Willkür belastet ist (vgl VfGH 9.6.2020, E460/2020; 7.6.2021, E850/2021).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E4213.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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