TE Vwgh Erkenntnis 2022/4/1 Ra 2020/07/0119

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Veröffentlicht am 01.04.2022
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Index

L69304 Wasserversorgung Oberösterreich
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
81/01 Wasserrechtsgesetz

Norm

AVG §37
AVG §52
AVG §56
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwRallg
WasserversorgungsG OÖ 2015 §5
WasserversorgungsG OÖ 2015 §5 Abs1
WasserversorgungsG OÖ 2015 §6 Abs1 Z2
WRG 1959 §74 Abs1 lita

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des R G in H, vertreten durch die K M R Rechtsanwaltssocietät Dr. Longin Josef Kempf, Dr. Josef Maier in 4722 Peuerbach, Steegenstraße 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 28. September 2020, LVwG-152581/13/WP/MH, betreffend Verpflichtung zum Anschluss an eine Gemeinde-Wasserversorgungsanlage (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde H, vertreten durch Dr. Franz Dorninger, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Ringstraße 4/I), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde H vom 16. Jänner 2020 wurde dem Revisionswerber gemäß § 5 Abs. 5 Oberösterreichisches Wasserversorgungsgesetz 2015 (Oö. WVG 2015) aufgetragen, binnen sechs Monaten ab Rechtskraft des Bescheides sein näher bezeichnetes Objekt an die öffentliche Wasserversorgungsanlage der Gemeinde H anzuschließen und die dazu erforderlichen Einrichtungen unter näher genannten Bedingungen und Auflagen herzustellen.

2        Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber eine Beschwerde. Er brachte vor, es bestehe im Sinn des § 5 Abs. 1 Z 2 Oö. WVG 2015 keine Anschlusspflicht, weil im Anschlussbereich von 50 m vom Objekt des Revisionswerbers keine Versorgungsleitung der Gemeinde-Wasserversorgungsanlage vorhanden sei. Bei der am Objekt des Revisionswerbers vorbeilaufenden Leitung handle es sich um eine Transportleitung. Zum Beweis dafür werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Auch sei der betreffende Strang der Wasserversorgung niemals behördlich genehmigt worden. Darüber hinaus werde das auf dem Grundstück des Revisionswerbers befindliche Objekt durch eine Wassergenossenschaft tatsächlich versorgt, sodass gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 Oö. WVG 2015 eine Ausnahme von der Anschlusspflicht bestehe.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

4        Das Verwaltungsgericht stellte fest, der zu erwartende Wasserbedarf des Objektes des Revisionswerbers könne von der gemeindeeigenen Wasserversorgungsanlage voll befriedigt werden. Die kürzeste, in Luftlinie gemessene Entfernung zwischen dem auf den Erdboden projizierten, am weitesten Richtung Versorgungsleitung vorspringenden Teil des auf der Liegenschaft des Revisionswerbers errichteten Objektes und dem für den Anschluss in Betracht kommenden Strang der Versorgungsleitung der Gemeinde-Wasserversorgungsanlage betrage weniger als 50 m.

5        Die Satzung der Wassergenossenschaft G, auf deren Versorgung sich der Revisionswerber berufe, sei (erst) mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eferding vom 21. Juli 2017 genehmigt worden.

6        Im Zuge der Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht aus, der Einwand des Revisionswerbers hinsichtlich der Art der an seiner Liegenschaft vorbeilaufenden Leitung beruhe auf bloßen Mutmaßungen. Dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens sei daher nicht zu entsprechen gewesen.

7        In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht, es bestehe nach § 5 Abs. 1 Oö. WVG 2015 eine Pflicht zum Anschluss des Objektes des Revisionswerbers an die öffentliche Wasserversorgungsanlage der Gemeinde H. Die Anschlusspflicht habe seit dem Inkrafttreten des Oö. WVG 2015 am 1. April 2015 bestanden. Da die Satzung der Wassergenossenschaft G erst später genehmigt worden sei und davor keine Wassergenossenschaft nach dem WRG 1959 vorgelegen sei, sei der Ausnahmetatbestand nach § 6 Abs. 1 Z 2 Oö. WVG 2015 nicht erfüllt. Dem Revisionswerber sei auch nicht der Nachweis gelungen, dass es sich bei dem bei seinem Objekt vorbeiführenden (wasserrechtlich bewilligten) Strang der Gemeinde-Wasserleitung nicht um eine Versorgungsleitung handle. Hinweise auf eine Transportleitung lägen nicht vor.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof brachten der Bürgermeister der Gemeinde H und die Oberösterreichische Landesregierung Revisionsbeantwortungen ein, in denen sie jeweils beantragten, die Revision als unbegründet abzuweisen.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10       Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit und Begründung seiner Revision zunächst geltend, die Auslegung des Ausnahmetatbestandes nach § 6 Abs. 1 Z 2 Oö. WVG 2015 durch das Verwaltungsgericht entspreche nicht der Intention des Gesetzes. Es müsse als ausreichend angesehen werden, dass nunmehr eine Versorgung des Objektes des Revisionswerbers durch eine Wassergenossenschaft erfolge.

11       Nach § 6 Abs. 1 Z 2 Oö. WVG 2015 besteht eine Anschlusspflicht nicht, „wenn Objekte (bereits) durch eine Wassergenossenschaft tatsächlich versorgt werden“. Mit der Auslegung dieser Bestimmung hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 21. Oktober 2021, Ra 2019/07/0125 und 0126, auseinandergesetzt und mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausgeführt, dass eine Anschlusspflicht durch eine erst nach ihrem Entstehen errichtete Versorgung durch eine Wassergenossenschaft nicht mehr beseitigt wird. Auch im vorliegenden Fall, in dem die Wassergenossenschaft G, auf deren Versorgung sich der Revisionswerber beruft, unstrittig erst nach Entstehen der Anschlusspflicht durch Anerkennung nach § 74 Abs. 1 lit. a WRG 1959 gebildet wurde, ist des Ausnahmetatbestand nach § 6 Abs. 1 Z 2 Oö. WVG 2015 somit nicht erfüllt.

12       Der Revisionswerber macht weiters zur Zulässigkeit seiner Revision geltend, das Verwaltungsgericht habe sich zu Unrecht über sein Vorbringen bzw. seinen Antrag auf Einholung eines Gutachtens eines wasserbautechnischen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass keine (bewilligte) Versorgungsleitung, sondern bloß eine Transportleitung vorliege, an die keine Anschlusspflicht bestehe, hinweggesetzt.

13       Dieses Vorbringen führt zur Zulässigkeit der Revision. Die Revision ist auch berechtigt.

14       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs haben die Verwaltungsgerichte die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa VwGH 27.7.2017, Ro 2017/07/0016, mwN). Beweisanträge dürfen prinzipiell nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich bzw. an sich nicht geeignet ist, über den beweiserheblichen Gegenstand einen Beweis zu liefern (vgl. etwa VwGH 14.7.2021, Ra 2021/03/0027, mwN).

15       Gemäß § 5 Abs. 1 Z 2 Oö. WVG 2015 besteht eine Anschlusspflicht an eine Gemeinde-Wasserversorgungsanlage, wenn die kürzeste, in Luftlinie gemessene Entfernung zwischen dem auf den Erdboden projizierten am weitesten Richtung Versorgungsleitung vorspringenden Teil des Objektes (Messpunkt) und dem für den Anschluss in Betracht kommenden Strang der Versorgungsleitung der Gemeinde-Wasserversorgungsanlage nicht mehr als 50 m beträgt.

16       § 5 Abs. 1 Z 2 Oö. WVG 2015 knüpft die Anschlusspflicht somit an das Vorhandensein einer Versorgungsleitung innerhalb eines bestimmten Anschlussbereichs. Eine Anschlusspflicht an eine Transportleitung besteht dagegen nicht, und zwar selbst dann nicht, wenn ausnahmsweise bereits einzelne Verbraucherinnen und Verbraucher direkt an eine solche angeschlossen sind. Das Oö. WVG 2015 definiert die Begriffe „Versorgungsleitung“ und „Transportleitung“ nicht. Die Materialien des Gesetzes verweisen jedoch zur Abgrenzung der verschiedenen Kategorien von Wasserleitungen auf die Begriffsdefinitionen der durch die ÖNORM B 2538 ergänzten ÖNORM EN 805 (vgl. VwGH 23.1.2020, Ra 2019/07/0093). Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters bereits festgehalten, dass die für das Bestehen einer Anschlusspflicht relevante Frage der Qualifikation einer Leitung als Versorgungs- oder Transportleitung durch das Verwaltungsgericht im Streitfall in der Regel unter Heranziehung der Beurteilung durch Sachverständige zu klären ist (vgl. VwGH 3.12.2021, Ra 2019/07/0069, mwN).

17       Im vorliegenden Fall war strittig, ob es sich bei der im Anschlussbereich vorhandenen Leitung um eine Versorgungsleitung oder eine Transportleitung handelt. Das vom Revisionswerber zu dieser Frage beantragte Sachverständigengutachten wurde nicht eingeholt. Die Begründung des Verwaltungsgerichts für seine Annahme, bei der am Objekt des Revisionswerbers vorbeiführenden Leitung handle es sich um eine Versorgungsleitung der Gemeinde-Wasserversorgungsanlage, bleibt inhaltslos. Soweit insoweit im Zuge der rechtlichen Beurteilung ausgeführt wird, es bestünden keine Hinweise auf das Vorliegen (bloß) einer Transportleitung bzw. habe der Revisionswerber dies nicht nachweisen können, wird übersehen, dass diese strittige Frage vom Verwaltungsgericht - insbesondere durch Einholung des beantragten Gutachtens - zu klären gewesen wäre.

18       Das Verfahren des Verwaltungsgerichts ist daher mangelhaft geblieben. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, sodass dem Verfahrensmangel auch nicht von vornherein die Relevanz abgesprochen werden kann.

19       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

20       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 1. April 2022

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes Fachgebiet "zu einem anderen Bescheid"

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020070119.L00

Im RIS seit

02.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

17.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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