TE Vwgh Beschluss 2022/3/29 Ra 2022/02/0048

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Veröffentlicht am 29.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

B-VG Art133 Abs4
StVO 1960 §1
StVO 1960 §1 Abs1
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des K in I, vertreten durch die Dr. Holzmann Rechtsanwalts GmbH in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 17, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 25. Jänner 2022, LVwG-2021/20/3066-4, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 25. Oktober 2021 wurde dem Revisionswerber vorgeworfen, er habe sich nach Aufforderung durch ein besonders geschultes Organ der Bundespolizei geweigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, wobei vermutet habe werden können, dass er zur Tatzeit am Tatort ein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes Kraftfahrzeug in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe. Der Revisionswerber habe dadurch § 99 Abs. 1 lit. b StVO verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.600,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Tage) verhängt wurde.

2        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Konkretisierung der Fassungen der verletzten Norm sowie der Strafsanktionsnorm als unbegründet ab, verpflichtete den Revisionswerber zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens und erklärte die Revision für nicht zulässig.

3        Das Verwaltungsgericht traf nähere Feststellungen zum Tatort und den Vorkommnissen am Tattag, es erläuterte seine Beweiswürdigung (u.a., dass es Lichtbilder des Tatortes verwendet habe) und führte aus, dass es keiner weiteren Beweise bedurft habe, weil der Sachverhalt aufgrund der Lichtbilder ausreichend geklärt sei. Zeugen seien nicht zu relevanten Beweisthemen angeboten worden. Rechtlich führte das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - jeweils unter Zitierung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes u.a. aus, dass eine Straße dann von jedermann im Sinne der StVO unter den gleichen Bedingungen benützt werden könne, wenn sie nach dem äußeren Anschein zur allgemeinen Benützung freistehe. Auf die Eigentumsverhältnisse am Straßengrund komme es nicht an. Es könne davon ausgegangen werden, dass es sich bei einer Straße dann um eine solche mit öffentlichem Verkehr handle, wenn sie weder abgeschrankt bzw./oder als Privatstraße gekennzeichnet sei noch auf dieser auf die Beschränkung des öffentlichen Verkehrs hinweisende Tafeln aufgestellt seien. Auch ein Parkplatz könne unter näheren Voraussetzungen eine Straße mit öffentlichem Verkehr sein. Aus dem Umstand, dass eine Straße nur von einer bestimmten Gruppe von Verkehrsteilnehmern benutzt werde, könne nicht geschlossen werden, dass es sich um eine Straße ohne öffentlichen Verkehr handle. Auch Fußgängerverkehr reiche für die Frage der Benützbarkeit. Die Zufahrt zum Haus, die nach dem Öffnen des Eingangstores des Hauses u.a. auch eine Durchfahrt durch das Haus zu Stellplätzen hinter dem Haus ermögliche, sei im vorliegenden Fall weder abgeschrankt noch als Privatstraße gekennzeichnet. Es seien dort auch keine auf die Beschränkung des öffentlichen Verkehrs hinweisenden Tafeln aufgestellt. Eine bauliche Abgrenzung liege nicht vor; die optische Abgrenzung durch eine nähere Ziegelverlegung stelle keine bauliche Abgrenzung dar, weil auch Kundenparkplätze eine öffentliche Verkehrsfläche darstellten. Dass das Haustor am Ende der Zufahrt nur einem eingeschränkten Benutzerkreis offenstehe, ändere nichts daran, dass die Benutzung der Zufahrt grundsätzlich jedem offenstehe. Nicht entscheidend sei, ob in der Vergangenheit tatsächlich „Nichtberechtigte“ die Zufahrt mit einem Kraftfahrzeug benutzt hätten. Aus näheren Gründen sei der Revisionswerber zur Ablegung eines Alkoholtests verpflichtet gewesen, der Revisionswerber sei der Aufforderung hiezu jedoch nicht nachgekommen. Weiters begründete das Verwaltungsgericht das Verschulden des Revisionswerbers und die Strafbemessung.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision - gesondert - vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, das Gericht erkenne, dass die Einfahrt durch zwei Säulen eingefriedet, über eine klar ersichtliche Grenzziehung mittels Pflastersteinen verfüge sowie an ihrem Ende weder über einen Wendeplatz noch einen Parkplatz jedoch über einen Niveauunterschied verfüge, und verstoße gegen näher genannte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach es auf die Bedeutung des äußeren Anscheines im Zusammenhang mit der Beurteilung des Öffentlichkeitscharakters einer Verkehrsfläche ankomme (Hinweis auf VwGH 15.4.2016, Ra 2014/02/0058). Es komme vorranging auf den äußeren Anschein an, diesen habe das Verwaltungsgericht nicht ausreichend gewürdigt. Indem es von der Benutzungsmöglichkeit von Fußgängern bzw. Radfahrern ausging, sei es von VwGH 28.11.1995, 95/02/0378 abgewichen: Es gehe in diesem Judikat darum, dass die Benutzung jedermann freistehe, was hier jedoch nicht der Fall sei. Eine Einfahrt durch Radfahrer oder ein Betreten durch Fußgänger stehe nicht offen, weil es eine Sackgasse sei, Fahrzeuge hätten keine Park- bzw. Wendemöglichkeit. Durch die Einfriedung liege kein „Offenstehen“ vor. Weiters liege ein Abweichen von VwGH 30.4.2007, 2006/02/0305 vor, weil das Verwaltungsgericht zunächst festgestellt habe, dass er das Kraftfahrzeug gelenkt habe, auf einer anderen Seite aber von der Inbetriebnahme des Kraftfahrzeuges die Rede sei. Darüber hinaus fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage des „äußeren Anscheins“, weil bisher nicht konstatiert worden sei, welche konkreten Anscheinselemente von Gewicht und Bedeutung seien. In der Entscheidung VwGH 13.4.2017, Ro 2017/02/0015, sei etwa von etwas hellerem Asphalt die Rede, es bleibe aber offen, in welchem Verhältnis derartige Sachverhaltselemente etwa zur Beschilderung stünden. Im vorliegenden Fall müsse der Verwaltungsgerichtshof eine Aussage zu den äußeren Anscheinselementen treffen (natürliche Einfriedung durch Einfahrtssäulen, im Asphalt eingelassene Abgrenzung durch Pflastersteine, Sackgasse ohne Park- und Wendeplatz, Niveauunterschied etc.). Überdies führten Fragen des Verfahrensrechtes zur Zulässigkeit der Revision, weil das Verwaltungsgericht keinen Lokalaugenschein durchgeführt und die Einvernahme der angebotenen Zeugen abgewiesen habe. Beim Lokalaugenschein hätte das Verwaltungsgericht sich die Örtlichkeit vor Augen führen können, sodass der Ort der Übernahme des KFZ feststellbar gewesen wäre; dies sei relevant, weil die hinter dem versperrten Tor liegende Verkehrsfläche unstrittig keinen Öffentlichkeitscharakter habe. Die Zeugen wären dazu einzuvernehmen gewesen, dass Unberechtigte die Verkehrsfläche niemals betreten würden. Gäste der Hausbewohner seien keine Kunden, die dinglich Berechtigten seien nur ein kleiner Kreis. Der Verwaltungsgerichtshof müsse die Revision aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zulassen.

9        Mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision als unzulässig:

10       Zunächst ist auszuführen, dass das Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe dem Revisionswerber sowohl das „Lenken“ als auch die „Inbetriebnahme“ eines KFZ angelastet, nicht zutrifft: Im Erkenntnis ist - der Zulässigkeitsbegründung folgend - auf Seite 9 weder vom „Lenken“ noch von der „Inbetriebnahme“ die Rede; dort finden sich Ausführungen zum Verschulden und zur Strafbemessung; auf Seite 8 wiederum ist konsistent nur vom „Lenken“ die Rede; angelastet war im Übrigen die Weigerung sich einer Atemluftuntersuchung zu unterziehen, wobei es habe vermutet werden können, dass er ein KFZ „gelenkt“ habe. Ausführungen zum FSG - wie in der Zulässigkeitsbegründung näher ausgeführt -, finden sich in diesem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes jedoch gerade nicht. Ein Abweichen des Verwaltungsgerichtes von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist daher nicht ersichtlich.

11       Zur Frage der Qualifikation einer Fläche als „Straße mit öffentlichem Verkehr“ und der Aufforderung zur Atemluftuntersuchung ist auf folgende Rechtsprechung hinzuweisen:

12       Einer Aufforderung im Sinn des § 5 Abs. 2 StVO ist auch auf „Privatgrund“ Folge zu leisten, zumal in der StVO nicht angeordnet ist, dass die Aufforderung selbst auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr erfolgen muss (vgl. VwGH 16.2.2021, Ra 2020/02/0145, mwN).

13       Straßen mit öffentlichem Verkehr sind gemäß § 1 Abs. 1 zweiter Satz StVO solche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden, wenn sie nach dem äußeren Anschein zur allgemeinen Benützung freistehen. Maßgeblich sind somit nicht die Besitz- und Eigentumsverhältnisse am Straßengrund, sondern die tatsächliche Benutzbarkeit der Verkehrsfläche (vgl. VwGH 22.2.2013, 2009/02/0054, mwN).

14       Es kann daher grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass es sich bei einer Straße dann um eine solche mit öffentlichem Verkehr handelt, wenn sie weder abgeschrankt noch als Privatstraße gekennzeichnet ist noch auf dieser auf die Beschränkung des öffentlichen Verkehrs hinweisende Tafeln aufgestellt sind. Auch kann aus dem Umstand, dass eine Straße nur von einer bestimmten Gruppe von Verkehrsteilnehmern benutzt wird, nicht geschlossen werden, dass es sich um eine Straße ohne öffentlichen Verkehr handelt (vgl. VwGH 27.6.2014, 2013/02/0193, mwN). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Wertung „Straße mit öffentlichem Verkehr“ lediglich das Merkmal des Fußgänger- oder Fahrzeugverkehrs entscheidend (vgl. VwGH 28.11.2008, 2008/02/0228, mwN).

15       Unter Benützung für jedermann unter den gleichen Bedingungen ist zu verstehen, dass irgendeine denkbare Benützung im Rahmen des Fußgänger- und Fahrzeugverkehrs jedermann offenstehen muss. Der Begriff der Benützung unter den gleichen Bedingungen kann nicht so ausgelegt werden, dass die Einschränkung einer Benützungsart auf einen bestimmten Personenkreis allein der Straße den Charakter einer öffentlichen Verkehrsfläche entzöge (vgl. VwGH 31.1.2014, 2013/02/0239, mwN).

16       Ob eine Fläche als „Straße mit öffentlichem Verkehr“ zu qualifizieren ist, unterliegt nach Maßgabe dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der sachverhaltsbezogenen Beurteilung im Einzelfall. Dass das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall eine die Rechtssicherheit gefährdende Fehlbeurteilung vorgenommen hätte, ist ebensowenig zu erkennen wie ein Abweichen von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

17       Hinsichtlich der in der Zulässigkeitsbegründung behaupteten Verfahrensmängel wegen der unterlassenen Beweisaufnahme ist darauf hinzuweisen, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes obliegt, ob eine Beweisaufnahme notwendig ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt ist und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hat (vgl. VwGH 16.2.2022, Ra 2021/02/0244, mwN).

18       Im vorliegenden Fall hatte das Verwaltungsgericht zur Beurteilung der Verkehrsfläche Fotos zur Verfügung. Die Tatsache, dass die hinter dem Tor gelegene Fläche vom Revisionswerber nicht als „Straße mit öffentlichem Verkehr“ qualifiziert wird, ist jedoch für die Qualifikation der vor dem Tor gelegenen Verkehrsfläche nicht von Relevanz. Vor dem Hintergrund der oben wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist auch die Relevanz der (möglichen) Zeugenaussagen, dass niemals Unberechtigte diese Verkehrsfläche betreten, nicht ersichtlich. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung wird daher mit diesem Vorbringen insgesamt nicht dargetan.

19       Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

20       Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 29. März 2022

Schlagworte

Straße mit öffentlichem Verkehr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022020048.L00

Im RIS seit

28.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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