TE Vwgh Erkenntnis 1996/6/5 96/20/0308

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Veröffentlicht am 05.06.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des C in R, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. März 1996, Zl. 4.308.923/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheides reiste der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, am 15. November 1988 in das Bundesgebiet ein. Er beantragte am 3. Jänner 1991 Asyl und wurde dazu am 4. Februar 1991 niederschriftlich befragt. Mit Bescheid vom 29. April 1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling. Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. März 1996 wies die belangte Behörde diese Berufung ab.

Sie führte begründend aus, das Verfahren sei nach dem Asylgesetz 1991 zu Ende zu führen, und traf im Anschluß an eine Darstellung der Voraussetzungen für eine Asylgewährung nach § 3 Asylgesetz 1991 folgende Feststellung:

"Der Aktenlage (inliegend die Ablichtungen des von Ihnen vorgelegten Reisepasses) ist zu entnehmen, daß am 28. 10. 1992 seitens des türkischen Generalkonsulates in Bregenz die Gültigkeitsdauer Ihres Reisepasses verlängert wurde."

Dazu führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, die Verlängerung der Gültigkeitsdauer eines Reisepasses sei eine der Formen, in denen ein Staat seinen Bürgern im Ausland Schutz gewähre. Der Beschwerdeführer habe durch die Antragstellung "seit" seiner Einreise in das Bundesgebiet diesen Schutz begehrt und ihn durch die Verlängerung der Gültigkeitsdauer seines Reisepasses auch tatsächlich erhalten. Dafür, daß seine "damaligen Antragstellungen etwa nicht freiwillig erfolgt sein" könnten, fehle "jeglicher Hinweis". Der Beschwerdeführer habe daher den Tatbestand des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention verwirklicht, sodaß ihm gemäß § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 kein Asyl zu gewähren sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Das von ihm als "rätselhaft" bezeichnete Verfahren beschreibt der Beschwerdeführer selbst nur mit den Worten, nach den Feststellungen der belangten Behörde solle er "irgendwann im Mai 1992 gegen einen abschlägigen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg berufen haben", und die belangte Behörde habe fünf Jahre später ohne Gewährung von Parteiengehör den angefochtenen Bescheid erlassen. In der Darstellung der Beschwerdegründe wird noch erwähnt, die belangte Behörde habe die anhängige Berufung fünf Jahre unbearbeitet gelassen. Der einleitend wiedergegebenen Darstellung des Verfahrensablaufes im angefochtenen Bescheid tritt der Beschwerdeführer damit nicht entgegen.

Geht man davon aus, daß die belangte Behörde über eine im Mai 1992 erhobene Berufung entschieden hat, so folgt daraus einerseits, daß zu Recht das Asylgesetz 1991 angewandt wurde (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz 1991), und andererseits, daß die belangte Behörde die Entscheidung auf eine Änderung des Sachverhalts stützte, die erst während des Berufungsverfahrens eintrat. Nach § 20 Abs. 2, dritter Fall Asylgesetz 1991 war sie dazu auch berechtigt.

Der Beschwerdeführer rügt jedoch, die Behörde habe ihm zum entscheidungswesentlichen Sachverhalt kein Gehör gewährt. Trifft es zu, daß der Entscheidung, die sich auf einen erst im Berufungsverfahren eingetretenen Sachverhalt stützte, kein Vorhalt desselben vorausging, so ist diese Rüge nicht grundsätzlich unberechtigt. Nach § 11 Asylgesetz 1991 in Verbindung mit § 45 Abs. 3 AVG war dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, zu den von der belangten Behörde angenommenen neuen Sachverhaltselementen, auf die die Abweisung seiner Berufung gestützt werden sollte, Stellung zu nehmen. In einer solchen Stellungnahme hätte der Beschwerdeführer im besonderen auch darlegen können, inwiefern seinem Verhalten die von Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention ausdrücklich geforderte Freiwilligkeit gefehlt habe. Wurde dem Beschwerdeführer zu einem solchen Vorbringen keine Gelegenheit gegeben, so verstieße dessen Nachholung in der Beschwerde nicht gegen das Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG.

Die Beschwerde holt aber kein derartiges Vorbringen nach. Sie rügt die Gehörverletzung, ohne darzutun, was bei Einräumung einer Möglichkeit zur Stellungnahme vorgebracht worden wäre. Damit zeigt sie die Wesentlichkeit des behaupteten Verfahrensmangels nicht auf (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S. 610, wiedergegebene Rechtsprechung; im besonderen für den Fall der Abweisung einer Berufung in einem Asylverfahren wegen der nachträglichen Ausstellung eines Reisepasses durch den Heimatstaat das hg. Erkenntnis vom 2. März 1995, Zl. 94/19/0432).

Unter dem Gesichtspunkt der unzulänglichen Bescheidbegründung und (neuerlich) der Verweigerung des Parteiengehörs macht der Beschwerdeführer in allgemein gehaltener Form geltend, "scheinbar offenkundige" Tatsachen erwiesen sich "oft als nicht so offenkundig, wenn sie ihres Scheins entkleidet sind". Dem Hinweis der belangten Behörde auf die "Aktenlage" sei nicht nur keine Erörterung mit dem Beschwerdeführer vorausgegangen, sondern der Bescheid lasse auch offen, "von welcher Quelle die belangte Behörde ihre diesbezügliche Information bekommen haben will, ob diese Quelle verläßlich ist etc.". Aus dem Bescheid gehe nicht hervor, "von wo die belangte Behörde die angeblichen Ablichtungen des Reisepasses bekommen haben will".

Diese Ausführungen geben die Bescheidbegründung nicht richtig wieder. Die belangte Behörde präzisiert darin ihre Erwähnung der "Aktenlage", auf die sich ihre Feststellungen stützen, mit dem Hinweis auf im Akt befindliche "Ablichtungen des von Ihnen vorgelegten Reisepasses". Die Kritik, sie habe die Quelle ihrer Information nicht offengelegt, geht daher ins Leere. Daß die Behauptung der Behörde, der Beschwerdeführer selbst habe den Reisepaß vorgelegt, nicht zutreffe, wird in der Beschwerde nicht dargelegt. Bloß dadurch, daß der Beschwerdeführer die Paßverlängerung als eine "behauptete" (Seite 4 der Beschwerde) und "nicht erwiesene" (Seite 5 der Beschwerde) bezeichnet, vermag er die in der dargestellten Weise begründete Feststellung darüber daher keinesfalls zu erschüttern. Auch dem naheliegenden Vorhalt, er selbst habe diese Paßverlängerung beantragt, tritt der Beschwerdeführer nicht entgegen (vgl. dazu trotz der dort bloß "unterstellten"

Annahme einer Paßverlängerung auch Seite 5 der Beschwerde:

".... bedeutet es asylrechtlich gar nichts, daß der Beschwerdeführer sich .... eine Verlängerung seines Reisepasses

beschafft hat, um wenigstens im Besitz eines gültigen Papiers zu sein"). Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 VwGG ist der Entscheidung daher der von der belangten Behörde angenommene Sachverhalt zugrunde zu legen.

Dessen rechtlicher Würdigung im angefochtenen Bescheid hält der Beschwerdeführer entgegen, die belangte Behörde vermöge "keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellig zu machen". Trotz des Fehlens von Entscheidungszitaten im Bescheid der belangten Behörde steht letztere mit ihren Rechtsausführungen aber auf dem Boden der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses in der Regel - sofern nicht im konkreten Einzelfall ein dieser rechtlichen Beurteilung entgegenstehender Sachverhalt aufgezeigt wird - als eine der Formen anzusehen ist, in denen ein Staat seinen Angehörigen Schutz gewährt (vgl. dazu aus jüngerer Zeit die Erkenntnisse vom 20. Dezember 1995, Zl. 95/01/0441, vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0838, vom 2. März 1995, Zl. 94/19/0432, vom 21. Februar 1995, Zl. 94/20/0060, und vom 24. Jänner 1995, Zl. 94/20/0881, jeweils mit weiteren Nachweisen; ähnlich Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law, Band 1, Seite 381-385; UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Randzahl 120-124).

Daß ein Sachverhalt vorliege, der eine vom Regelfall abweichende Beurteilung gebiete, legt der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht dar, obwohl er daran - unter der Voraussetzung, daß ihm im Verwaltungsverfahren dazu kein Gehör gewährt wurde - durch § 41 Abs. 1 VwGG nicht gehindert wäre. In Verkennung der dargestellten Grundsätze macht er stattdessen nur allgemein geltend, eine Paßverlängerung würde "noch lange nicht bedeuten, daß der Beschwerdeführer sich damit wieder unter den Schutz seines geliebten Heimatlandes begeben wollte", ein solcher Schluß wäre nur allenfalls möglich, wenn der Beschwerdeführer sich dazu in sein Heimatland begeben hätte, und es bedeute "asylrechtlich gar nichts, daß der Beschwerdeführer sich bei einer ausländischen Behörde eine Verlängerung seines Reisepasses beschafft hat, um wenigstens im Besitz eines gültigen Papiers zu sein". Letzteres reicht nicht aus, um äußere Zwänge darzutun, die an der Freiwilligkeit der Antragstellung zweifeln ließen.

Zur Untermauerung seiner Rechtsansicht, die Paßverlängerung bedeute "asylrechtlich gar nichts", bedient sich der Beschwerdeführer des Arguments, aus der Paßverlängerung könne nicht geschlossen werden, daß der Beschwerdeführer in seinem Heimatland vor Verfolgung sicher wäre. Nach einer Aufzählung anhängiger Verfahren gegen die Türkei wegen behaupteter Menschenrechtsverletzungen führt der Beschwerdeführer dies dahingehend aus, daß zwischen einer ausländischen Vertretungsbehörde und dem im Heimatstaat des Beschwerdeführers wirkenden Militär unterschieden werden müsse. Dieser Gedankengang verfehlt sein Ziel, weil er auf ein anderes als dasjenige Merkmal des Flüchtlingsbegriffes abstellt, um dessen Wegfall es in Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention geht. Flüchtling ist nur, wer wegen wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (§ 1 Z. 1 Asylgesetz 1991, insoweit gleichlautend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention). Nicht (notwendigerweise) der Wegfall der Furcht vor einer Verfolgung im Falle der Rückkehr, sondern (schon) der Wegfall der mangelnden Fähigkeit oder Bereitschaft, wegen der im Heimatland drohenden Verfolgung auch bloß außerhalb dieses Landes dessen Schutz in Anspruch zu nehmen, läßt in der in der erwähnten Bestimmung geregelten Weise die Flüchtlingseigenschaft erlöschen. Daß von den Vertretungsbehörden im Ausland für den Flüchtling nur selten eine Gefahr ausgeht, spielt dabei keine Rolle (vgl. Grahl-Madsen, aaO. Seite 379 f).

Die Entscheidung hängt - entgegen der nicht näher begründeten Rechtsbehauptung in der Beschwerde - nach den dargestellten Kriterien und ohne weiteres Vorbringen des Beschwerdeführers auch nicht davon ab, für wielange sein Paß verlängert wurde.

Nach dem Inhalt der Beschwerde ist die behauptete Rechtsverletzung daher nicht gegeben. Die Beschwerde war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.

Damit erübrigt sich auch eine Entscheidung des Berichters über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996200308.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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