RS Vfgh 2022/3/15 V317/2021 (V317/2021-12)

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Veröffentlicht am 15.03.2022
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Index

L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z2
Flächenwidmungsteil Nr 3 des Gemeinderats der Gemeinde Jeging vom 12.02.2016
Örtlicher Entwicklungskonzeptteil Nr 1 Änderung Nr 1.05 des Gemeinderats der Gemeinde Jeging vom 12.02.2016
Bebauungsplan Nr 05 "Mühlholz" des Gemeinderats der Gemeinde Jeging vom 14.12.2018
Oö RaumOG1994 §18, §33, §34, §36
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Aufhebung des Flächenwidmungsteils, des Örtlichen Entwicklungskonzepts und eines Bebauungsplans einer Oberösterreichischen Gemeinde mangels ordnungsgemäßer Kundmachung wegen Fehlens des – nach dem Oö RaumOG 1994 erforderlichen – Hinweises, Anregungen oder Einwendungen während der Auflagefrist einzubringen; erheblicher Verstoß gegen Formvorschriften mangels Hinweises auf die Möglichkeit der Bürgerbeteiligung im Verordnungserlassungsverfahren

Rechtssatz

Gesetzwidrigkeit des Flächenwidmungsteils Nr 3 Änderung Nr 3.13 und des Örtlichen Entwicklungskonzeptteils Nr 1 Änderung Nr 1.05 des Gemeindesrates der Gemeinde Jeging vom 12.02.2016 sowie des Bebauungsplans Nr 05 "Mühlholz" des Gemeindesrates der Gemeinde Jeging vom 14.12.2018.

Die Kundmachung über die beabsichtigte Planänderung enthielt entgegen dem klaren Wortlaut von §36 Abs4 erster Satz iVm §33 Abs3 letzter Satz Oö ROG 1994 keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Einbringung von Anregungen oder Einwendungen während der Auflagefrist. Wenn sowohl die Oberösterreichische Landesregierung als auch der Bürgermeister der Gemeinde Jeging vorbringen, dass sich dies bereits aus der Überschrift "Aufforderung zur Stellungnahme" sowie durch die Zitierung des §33 Abs3 Oö ROG 1994 ergebe, ist dem entgegenzuhalten, dass sich nach dem Wortlaut der Kundmachung die besagte Aufforderung zur Stellungnahme nur an die in "§33 Abs1 Oö. ROG 1994" genannten öffentlichen Stellen und Körperschaften richtet, während iSd §33 Abs 3 Oö ROG 1994 lediglich allgemein auf die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Planunterlagen beim Gemeindeamt während der Amtsstunden hingewiesen wurde.

Nach der Aktenlage erfolgte vor der Beschlussfassung der Änderungen des Flächenwidmungsteiles Nr 3.13 und des Örtlichen Entwicklungskonzeptteiles Nr 1.05 auch keine nachweisliche Verständigung oder Anhörung der von der Planänderung betroffenen Grundstücksnachbarn, weswegen §36 Abs4 letzter Satz Oö ROG 1994 nicht zum Tragen kommt.

Durch das Fehlen eines Hinweises auf die Möglichkeit der Einbringung von Anregungen oder Einwendungen während der Auflagefrist wurde somit die Verfahrensvorschrift nach §36 Abs4 erster Satz iVm §33 Abs3 letzter Satz Oö ROG 1994 verletzt, die dazu dient, den Bürgern die Möglichkeit ihrer Beteiligung am Verordnungserlassungsverfahren deutlich vor Augen zu führen. Eine Verletzung dieser Vorschrift ist kein bloß "kleinerer Verstoß gegen Formvorschriften" iSd Rsp des VfGH, sondern ein erheblicher Verfahrensmangel.

Daran vermag auch die nach der Beschlussfassung erfolgte Verständigung der betroffenen Grundstücksnachbarn von den Änderungen des Flächenwidmungsteiles Nr 3.13 und des Örtlichen Entwicklungskonzeptteiles Nr 1.05 vom 11.04.2016 nichts zu ändern; dies ganz abgesehen davon, dass diese Verständigung den falschen Hinweis enthält, dass die Gemeinde erst vor der Beschlussfassung stehe.

Die angefochtenen Änderungen des Flächenwidmungsteiles Nr 3.13 und des Örtlichen Entwicklungskonzeptteiles Nr 1.05 sind daher in einem gesetzwidrigen Verfahren zustande gekommen. Diese Gesetzwidrigkeit beschränkt sich nicht auf die in Prüfung genommenen präjudiziellen Verordnungsstellen, sondern erfasst jeweils die gesamte Verordnung. Der VfGH sieht sich daher veranlasst, die Änderungen des Flächenwidmungsteiles Nr 3.13 und des Örtlichen Entwicklungskonzeptteiles Nr 1.05 zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben.

Gemäß §31 Abs1 Oö ROG 1994 dürfen Bebauungspläne dem Flächenwidmungsplan, also dem Flächenwidmungsteil und dem örtlichen Entwicklungskonzeptteil (örtliches Entwicklungskonzept), nicht widersprechen. Der auf der Änderung des Flächenwidmungsplanteiles Nr 3.13 und des Örtlichen Entwicklungskonzeptteiles Nr 1.05 aufbauende Bebauungsplan Nr 05 "Mühlholz" ist sohin ebenfalls gesetzwidrig.

Der VfGH hat gemäß Art139 Abs3 Z1 B-VG die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, wenn er zu der Auffassung gelangt, dass diese der gesetzlichen Grundlage entbehrt und die Aufhebung der ganzen Verordnung offensichtlich den rechtlichen Interessen der Partei nicht zuwiderläuft (vgl VfSlg 18.331/2007). Da die Änderungen des Flächenwidmungsteiles Nr 3.13 und des Örtlichen Entwicklungskonzeptteiles Nr 1.05 zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben sind und sohin der Bebauungsplan Nr 05 "Mühlholz" in seiner Gesamtheit der gesetzlichen Grundlage entbehrt, ist dieser ebenfalls zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben.

(Anlassfall E4240/2020, E v 17.03.2022, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Raumordnung, Verordnung Kundmachung, Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan, Formgebrechen, Verordnungserlassung, VfGH / Verwerfungsumfang, Anhörungsrecht, Rechtsschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V317.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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