TE Vwgh Erkenntnis 1996/6/13 95/18/0270

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Veröffentlicht am 13.06.1996
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §1;
AufG 1992 §15 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs4;
AufG 1992 §6;
AVG §6 Abs1;
AVG §73;
B-VG Art7 Abs1;
FrG 1993 §7 Abs7;
PaßG 1969 §25;
VwRallg;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 94/18/0633 E 15. Oktober 1998

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. M. Fellner, über die Beschwerde des J, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in N, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Juli 1994, Zl. 652.837/2-III/16/94, betreffend Übergang der Entscheidungspflicht hinsichtlich eines Antrages auf Erteilung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und den Angaben des angefochtenen Bescheides sowie der Beschwerde stellte der Beschwerdeführer, ein ungarischer Staatsangehöriger, am 22. Dezember 1992 bei der Bezirkshauptmannschaft Tulln einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes. Mit Schreiben vom 10. November 1993, eingelangt am 16. November 1993, stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde und begehrte, daß diese dem Devolutionsantrag Folge geben und den erteilten Sichtvermerk erteilen wolle. Dieser Antrag wurde von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich mit Bescheid vom 22. März 1994 gemäß § 73 AVG i.V.m. § 7 Abs. 7 des Fremdengesetzes (FrG) zurückgewiesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (belangte Behörde) vom 27. Juli 1994 wurde die gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. März 1994 erhobene Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen. Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid im wesentlichen damit, daß nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes (AufG) am 1. Juli 1993 gemäß § 7 Abs. 7 FrG der Antrag des Beschwerdeführers nicht mehr als solcher auf Erteilung eines Sichtvermerkes, sondern als ein Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz zu behandeln sei. Aus der Aktenlage ergebe sich, daß der Beschwerdeführer im Bundesgebiet offenbar eine Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausübe. Das Aufenthaltsgesetz sei daher auf den Beschwerdeführer anwendbar. Mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Juli 1993 sei die Entscheidungspflicht auf die nach dem AufG zuständige Behörde übergegangen, und zwar vorliegend auf den Landeshauptmann von Niederösterreich, der gemäß § 1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Niederösterreich über die Vollziehung des Aufenthaltsgesetzes, Nö LGBL. Nr. 4020/1-0, vorliegend die Bezirkshauptmannschaft Tulln ermächtigt habe, über alle Fälle nach dem Aufenthaltsgesetz in der ersten Instanz in seinem Namen zu entscheiden. Aufgrund der geänderten Behördenzuständigkeit seit dem 1. Juli 1993 könne für die Fremdenpolizeibehörde keine Entscheidungspflicht mehr bestehen, weshalb der Devolutionsantrag des Beschwerdeführers von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich richtigerweise zurückgewiesen worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhoben, und von diesem mit Beschluß vom 16. Dezember 1994, Zl. B 1898/94-5, abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof - samt der von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten - zur Entscheidung abgetreten wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 7 FrG darf einem Fremden kein Sichtvermerk nach dem Fremdengesetz erteilt werden, wenn sich aus den Umständen des Falles ergibt, daß der Antragsteller für seinen Aufenthalt eine Bewilligung gemäß den §§ 1 und 6 des Aufenthaltsgesetzes benötigt. In einem solchen Fall ist das Anbringen als Antrag gemäß § 6 AufG unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten; der Antragsteller ist davon in Kenntnis zu setzen.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil nach seiner Auffassung die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich ihre Zuständigkeit zur meritorischen Erledigung seines auf Erteilung eines Sichtvermerkes gerichteten Antrages nicht hätte verneinen dürfen. Entgegen § 7 Abs. 7 FrG sei der Beschwerdeführer von der Weiterleitung seines Antrages nicht verständigt worden. Ein derartiges "in Kenntnis Setzen" sei ein konstitutiver Akt; erst dadurch gehe die Entscheidungspflicht der Fremdenbehörde über den Sichtvermerksantrag unter; solange eine derartige Verständigung nicht erfolgt sei, bleibe die angerufene Fremdenbehörde verpflichtet, über den Sichtvermerksantrag zu entscheiden. Im übrigen sei in seinem Fall die Bezirkshauptmannschaft Tulln bereits am 22. Juni 1993, somit vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes, säumig gewesen. Es sei aber undenkbar, eine gesetzliche Bestimmung so auszulegen, daß sie bewirken könne, daß eine einmal eingetretene Säumnis der Behörde beseitigt werden könnte, ohne daß die Behörde den versäumten Bescheid nachholte. Der Beschwerdeführer habe sowohl im Verfahren vor der Fremdenbehörde erster Instanz, als auch im nachfolgenden Verfahren vor der Sicherheitsdirektion Niederösterreich "auf einer Zuständigkeitsentscheidung beharrt". Jedenfalls die Behörde erster Instanz habe eine förmliche Entscheidung über die Zuständigkeitsfrage unterlassen, weshalb die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich dem Devolutionsantrag Folge geben und den von der Fremdenbehörde erster Instanz versäumten Bescheid nachholen hätte müssen. Letztlich gebiete auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 7 Abs. 7 FrG, daß nur nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes mit 1. Juli 1993 eingebrachte Anträge auf Erteilung von Sichtvermerken als Anträge gemäß § 6 AufG anzusehen und an die für solche Anträge zuständigen Behörden weiterzuleiten seien, zumal eine andere Auslegung dem Sachlichkeitsgebot widersprechen und auch gegen Art. 13 MRK verstoßen würde. Es wäre mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, wollte man bereits auf im Jahre 1992 eingebrachte Anträge, die bloß aufgrund der schuldhaften Säumnis einer Behörde durch Monate unerledigt geblieben sind, die erst mit dem Aufenthaltsgesetz verbundenen Beschränkungen hinsichtlich der gemäß § 2 AufG festgesetzten Höchstzahl anwenden.

Mit diesen Ausführungen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Zufolge der in § 7 Abs. 7 FrG gesetzlich normierten Umdeutung eines Antrages auf Erteilung eines Sichtvermerkes in einen Antrag gemäß §§ 1 und 6 AufG liegt nämlich ab dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes eine Verletzung der Entscheidungspflicht der gemäß § 6 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes zur Entscheidung über Anträge auf Erteilung einer Bewilligung nach diesem Gesetz nicht zuständigen Fremdenbehörden hinsichtlich des Antrages des Beschwerdeführers vom 22. Dezember 1992 nicht vor. Aus diesem Grunde wurde auch der Devolutionsantrag des Beschwerdeführers von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich mit Bescheid vom 22. März 1994 zu Recht zurückgewiesen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. September 1993, Zl. 93/18/0388) und die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid zu Recht abgewiesen. Entgegen der Beschwerdemeinung bewirkt auch nicht erst die in § 7 Abs. 7 zweiter Satz FrG vorgesehene Inkenntnissetzung des Antragstellers von der Weiterleitung seines Antrages den in dieser Gesetzesstelle vorgesehenen Zuständigkeitsübergang, weil es sich hiebei bloß um eine gesetzlich vorgesehende Informationsverpflichtung der Behörde handelt. Im übrigen kann auch ein "Beharren" des Antragstellers auf "eine Zuständigkeitsentscheidung" den in § 7 Abs. 7 FrG normierten Zuständigkeitsübergang nicht verhindern. Derartiges ist im Gesetz nicht vorgesehen. Schließlich gebietet auch der vom Beschwerdeführer offensichtlich angesprochene Rechtsgedanke, daß ein belastender Eingriff und sohin eine Verschlechterung der Rechtslage, auf deren Bestand der Normadressat vertrauen konnte, zur Gleichheitswidrigkeit führen kann, sofern nicht besondere Umstände den Eingriff sachlich rechtfertigen (vgl. etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. März 1990, G 283/89), vorliegend nicht eine Auslegung des § 7 Abs. 7 FrG dahingehend, daß bloß nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes gestellte Anträge auf Erteilung eines Sichtvermerkes nach dieser Gesetzesstelle als Anträge auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz umzudeuten seien. Auch nach der vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes geltenden Rechtslage bestand nämlich kein Rechtsanspruch auf Erteilung eines Sichtvermerkes (vgl. § 25 des Paßgesetzes 1969).

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hatte sich die belangte Behörde ausschließlich auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Devolutionsantrages des Beschwerdeführers vom 10. November 1993 durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich zu beschränken (vgl. etwa Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, 1990, S 540).

Die behauptete Rechtsverletzung liegt somit nicht vor. Dies ließ bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen, weshalb sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen war.

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Weiterleitung an die zuständige Behörde auf Gefahr des Einschreiters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995180270.X00

Im RIS seit

06.08.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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