TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/16 Ra 2019/17/0123

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Veröffentlicht am 16.03.2022
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E1E
E1P
10/07 Verwaltungsgerichtshof
34 Monopole
40/01 Verwaltungsverfahren
59/04 EU - EWR

Norm

EURallg
GSpG 1989 §52 Abs1 Z1
GSpG 1989 §52 Abs2
GSpG 1989 §52 Abs2 idF 2014/I/013
VStG §13
VStG §16
VStG §19
VStG §20
VStG §64
VStG §64 Abs2 idF 2013/I/033
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
12010E056 AEUV Art56
12010P/TXT Grundrechte Charta Art49 Abs3
62020CJ0231 M.T. VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Berger, die Hofrätin Dr. Koprivnikar sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesministers für Finanzen gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 17. Oktober 2019, LVwG-413537/8/Gf/RoK, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Oberösterreich; mitbeteiligte Partei: Z B, vertreten durch Dr. Fabian A. Maschke, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dominikanerbastei 17/Top 11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seines Ausspruches über die verhängten Strafen und die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis vom 13. August 2019 erkannte die belangte Behörde den Mitbeteiligten der zwölffachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild Glücksspielgesetzt - GSpG schuldig und verhängte über ihn zwölf Geldstrafen in der Höhe von 20.000,-- Euro pro Glücksspielgerät (samt Ersatzfreiheitsstrafen). Weiters setzte sie einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens fest.

2        Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) der Beschwerde des Mitbeteiligten insofern statt, als es die Geldstrafen auf jeweils 2.000,-- Euro pro Glücksspielgerät (und die Ersatzfreiheitsstrafen) herabsetzte.

3        Das LVwG setzte mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses den Beitrag für das Verwaltungsstrafverfahren neu fest und sprach aus, dass die mitbeteiligte Partei keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe.

4        Das LVwG erklärte in Spruchpunkt III. des angefochtenen Erkenntnisses eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

5        Der Bundesminister für Finanzen erhob dagegen die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Nach deren ausdrücklichen Anfechtungserklärung richtet sie sich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses, soweit die verhängten Geldstrafen mit 2.000,-- Euro pro Glücksspielgerät und die Ersatzfreiheitsstrafen mit 11 Stunden pro Glücksspielgerät festgesetzt wurden. Spruchpunkt II. wird seinem gesamten Umfang nach angefochten.

6        Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

7        Mit Beschluss vom 26. März 2021 setzte der Verwaltungsgerichtshof das Revisionsverfahren bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-231/20 über die mit Vorlageentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, EU 2020/0002 (Ra 2020/17/0013), vorgelegten Fragen aus.

8        Der EuGH hat über diesen Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichtshofes mit Urteil vom 14. Oktober 2021, MT, C-231/20, Folgendes erkannt:

„1. Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht, das mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer wegen Verstoßes gegen das Glücksspielmonopol verhängten Sanktion befasst ist, in einem Verfahren über die Verhängung von Sanktionen wegen eines solchen Verstoßes speziell prüfen muss, ob die in der anwendbaren Regelung vorgesehenen Sanktionen unter Berücksichtigung der konkreten Methoden für deren Bestimmung mit Art. 56 AEUV vereinbar sind.

2. Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die im Fall der unternehmerischen Zugänglichmachung verbotener Ausspielungen Folgendes zwingend vorsieht:

-     die Festsetzung einer Mindestgeldstrafe für jeden nicht bewilligten Glücksspielautomaten ohne Höchstgrenze der Gesamtsumme der verhängten Geldstrafen, sofern der Gesamtbetrag der verhängten Geldstrafen nicht außer Verhältnis zu dem durch die geahndeten Taten erzielbaren wirtschaftlichen Vorteil steht;

-     die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe für jeden nicht bewilligten Glücksspielautomaten ohne Höchstgrenze der Gesamtdauer der verhängten Ersatzfreiheitsstrafen, sofern die Dauer der tatsächlich verhängten Ersatzfreiheitsstrafe im Hinblick auf die Schwere der festgestellten Taten nicht übermäßig lang ist, und

-     einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafen, sofern dieser Beitrag im Hinblick auf die tatsächlichen Kosten eines solchen Verfahrens weder überhöht ist noch das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf Zugang zu den Gerichten verletzt.“

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9        Die Amtsrevision erweist sich mit ihrem Vorbringen, das Unterschreiten der Mindeststrafdrohung des § 52 Abs. 2 GSpG durch das LVwG sei rechtswidrig, als zulässig und auch als begründet.

10       § 52 Abs. 2 GSpG, BGBl. Nr. 620/1989, idF BGBl. I Nr. 13/2014, lautet:

„(2) Bei Übertretung des Abs. 1 Z 1 mit bis zu drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen ist für jeden Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstand eine Geldstrafe in der Höhe von 1 000 Euro bis zu 10 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 3 000 Euro bis zu 30 000 Euro, bei Übertretung mit mehr als drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen für jeden Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstand eine Geldstrafe von 3 000 Euro bis zu 30 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 6 000 Euro bis zu 60 000 Euro zu verhängen.“

11       Im Revisionsfall ist das LVwG von einem Wiederholungsfall mit mehr als drei Eingriffsgegenständen ausgegangen, weswegen es den vierten Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG (6.000,-- Euro bis 60.000,-- Euro) herangezogen hat. Das LVwG hat jedoch unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 12. September 2019, C-64/18 u.a., Maksimovic u.a., die sich bei der Verhängung der Mindeststrafe pro Übertretung ergebende Gesamtstrafe von 72.000,-- Euro (12 x 6.000,-- Euro) als unverhältnismäßig erachtet. Es hat dies damit begründet, dass es sich nur um die Übertretung einer Ordnungsvorschrift handle und die Tat bloß durch Unterlassen (nämlich die Duldung von konzessionslosen Ausspielungen) begangen worden sei. Weiters liege keine unmittelbare Täterschaft, sondern bloß eine Mitbeteiligung vor. Es sei das rechtswidrige Verhalten auch nur „punktuell“ (am Tattag) verwirklicht worden. Ein unionsrechtskonformes Ergebnis lasse sich nur „im Wege einer Eliminierung der in § 52 Abs. 2 GSpG festgelegten Strafuntergrenzen erzielen“.

12       Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 10. Dezember 2021, Ra 2020/17/0013, ausgesprochen hat, sind die Rechtsgrundlagen

i) für die Verhängung von Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz Glücksspielgesetz - GSpG, BGBl. Nr. 620/1989 idF BGBl. I Nr. 13/2014,

ii) für die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 16 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52/1991, im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG und

iii) für die Vorschreibung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens gemäß § 64 Abs. 2 VStG, BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 33/2013,

grundsätzlich mit dem Unionsrecht (insbesondere Art. 56 AEUV und Art. 49 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) vereinbar. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

13       Diese im Zusammenhang mit der Verhängung u.a. von Geldstrafen nach dem dritten Strafsatz getroffenen Aussagen lassen sich im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Bestimmungen auch auf jene Fälle, in denen Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 vierter Strafsatz GSpG verhängt werden, übertragen:

14       Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis vom 10. Dezember 2021, Ra 2020/17/0013, zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des dritten Strafsatzes des § 52 Abs. 2 GSpG unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH vom 14. Oktober 2021, MT, C-231/20, darauf hingewiesen, dass von illegalem Automatenglücksspiel, das sich der behördlichen Kontrolle naturgemäß entzieht und in dem die zum Spielerschutz getroffenen gesetzlichen Vorkehrungen nicht überprüft werden können, eine besondere Sozialschädlichkeit ausgeht. Die gesetzlichen Mindestgeldstrafen in § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG sind daher selbst in jenen Fällen, in denen - mangels Höchstgrenze im Fall der Kumulation - vor den Übertretungen zunächst nicht gesagt werden kann, wie hoch die Summe der Geldstrafen insgesamt ausfallen wird, vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Gewinns aus den begangenen Taten, der umso höher ausfällt, je mehr Geräte aufgestellt werden, sowie der gebotenen Abschreckung grundsätzlich nicht unverhältnismäßig.

15       Nichts anderes gilt im Fall des vierten Strafsatzes leg. cit., der bei Vorliegen eines Wiederholungsfalles mit mehr als drei Eingriffsgegenständen im Vergleich zum dritten Strafsatz eine doppelt so hohe Mindeststrafdrohung pro Eingriffsgegenstand vorsieht. Gerade durch die wiederholte Begehung mehrerer Delikte mit mehr als drei Eingriffsgegenständen zeigt sich, dass mit der bereits zuvor erfolgten Bestrafung nach der Mindeststrafdrohung des dritten Strafsatzes leg. cit. keine abschreckende Wirkung erzielt werden konnte, um den Täter von einer neuerlichen Begehung solcher Delikte mit mehr als drei Eingriffsgegenständen abzuhalten. Angesichts der besonderen Schwere der Übertretungen des GSpG und des üblicherweise daraus erzielbaren finanziellen Vorteils erweist sich die im vierten Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG vorgesehene Mindeststrafe in jenen Fällen, in denen zuvor bereits Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz verhängt worden sind und die daher auf Täter beschränkt sind, die bereits einschlägige rechtskräftige Vormerkungen aufweisen, aus spezial- und generalpräventiven Gründen zur effizienten Bekämpfung und Hintanhaltung verbotener Ausspielungen, von denen - wie bereits ausgeführt - eine besonders hohe Sozialschädlichkeit ausgeht, als nicht jedenfalls unverhältnismäßig. Im Übrigen könnte die im GSpG vorgesehene Mindeststrafe von 6.000,-- Euro bei der Strafbemessung im Einzelfall gemäß § 20 VStG bis zur Hälfte (d.h. auf 3.000,-- Euro pro Gerät oder Eingriffsgegenstand) unterschritten werden, sofern die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen oder der Beschuldigte ein Jugendlicher ist. Die Anwendung des § 20 VStG ist nämlich nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil eine strafsatzbegründende Vormerkung vorliegt (vgl. VwGH 14.9.2020, Ro 2020/17/0015, zur Verhältnismäßigkeit des zweiten Strafsatzes des § 52 Abs. 2 GSpG).

16       Das GSpG ermöglicht daher in Verbindung mit dem VStG eine sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Ausmessung der für geboten erachteten Strafe bzw. Strafen (vgl. wiederum VwGH 14.9.2020, Ro 2020/17/0015, mwN).

17       Die Verhängung von Mindestgeldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 vierter Strafsatz GSpG iVm dem VStG ist daher bei Übertretungen des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar. Nach der Judikatur des EuGH ist jedoch bei der Anwendung im Einzelfall sicherzustellen, dass bei jeder Bemessung der festzusetzenden Geldstrafen vor dem Hintergrund der jeweiligen Strafzumessungsgründe nach den Vorgaben des VStG die Geldstrafen nicht außer Verhältnis zu dem durch die geahndeten Taten erzielbaren wirtschaftlichen Vorteil stehen.

18       Im vorliegenden Fall ist angesichts der Ausführungen des LVwG, wonach die Taten zu nicht unerheblichen Beeinträchtigungen vor allem des Spielerschutzes geführt haben, nicht ersichtlich, warum die Bemessung einer Mindestgeldstrafe von 6.000,-- Euro pro Eingriffsgegenstand angesichts des mit zwölf Eingriffsgegenständen erzielbaren wirtschaftlichen Vorteils außer Verhältnis stünde.

19       Indem das Verwaltungsgericht das Unterschreiten der Mindeststrafe des § 52 Abs. 2 vierter Strafsatz GSpG zu Unrecht mit der unionsrechtlich gebotenen Unanwendbarkeit der darin normierten Strafuntergrenze von 6.000,-- Euro begründete, belastete es sein Erkenntnis daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

20       Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang - und damit hinsichtlich des Ausspruchs über die verhängten Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen und hinsichtlich des davon abhängigen Ausspruchs über die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens und des Beschwerdeverfahrens - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 16. März 2022

Gerichtsentscheidung

EuGH 62020CJ0231 M.T. VORAB

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019170123.L00

Im RIS seit

22.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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