TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/28 Ra 2021/01/0163

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Veröffentlicht am 28.03.2022
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des M Y in I, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Dr. Thomas Lechner und Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das am 15. Februar 2021 mündlich verkündete und am 23. März 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. L518 1437909-2/35E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 richtet.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheiden der belangten Behörde je vom 21. April 2017 wurden jeweils - im Familienverfahren gemäß § 34 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) - sowohl der (Folge-)Antrag des Revisionswerbers als auch die (erstmaligen) Anträge seiner Familienangehörigen (Ehefrau, drei Kinder) auf internationalen Schutz abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Armenien zulässig sei, und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

2        Dagegen erhoben sowohl der Revisionswerber als auch die genannten Familienangehörigen in einem (von den nunmehrigen Revisionsvertretern verfassten) gemeinsamen Schriftsatz Beschwerde.

3        Beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wurden das Verfahren des Revisionswerbers in der Gerichtsabteilung L518 und die Verfahren der übrigen Familienmitglieder in der Gerichtsabteilung W215 geführt.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet abgewiesen (I.) und ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig sei (II).

5        Begründend ging das BVwG von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens aus.

6        Die genannten Familienangehörigen des Revisionswerbers zogen in weiterer Folge ihre Beschwerde, soweit sie gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gerichtet war, zurück. Mit Erkenntnis vom 13. September 2021 stellte das BVwG die Verfahren in diesem Umfang ein; im Übrigen gab das BVwG den Beschwerden statt, erklärte die Rückkehrentscheidungen auf Dauer für unzulässig und erteilte den Familienangehörigen jeweils gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 iVm §§ 55 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG 2005 den Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten.

7        Gegen das am 15. Februar 2021 mündlich verkündete Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der das BFA keine Revisionsbeantwortung erstattete.

8        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9        Die Revision ist teilweise zulässig und insoweit auch begründet.

Zu I.:

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, mit Beschluss zurückzuweisen.

12       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13       Das in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 normierte Gebot, die Verfahren von Familienmitgliedern „unter einem“ zu führen, richtet sich nach dem Gesetzeswortlaut an die Behörde, während § 34 Abs. 5 AsylG 2005 festlegt, dass die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß auch für das Verfahren beim BVwG gelten, wodurch sichergestellt wird, dass die Verfahren von jenen Familienmitgliedern, die beim BVwG anhängig sind, auch gemeinsam entschieden werden. Dabei handelt es sich um eine für die Verfahrensführung maßgebliche Bestimmung des Familienverfahrens und somit um eine Verfahrensvorschrift (vgl. VwGH 19.6.2019, Ra 2018/01/0204, mwN).

14       Mit dem Zulässigkeitsvorbringen, das BVwG habe die Verpflichtung zur gemeinsamen Führung sämtlicher beim BVwG anhängiger Beschwerdeverfahren der Revisionswerber als Familienangehörige (iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005) verletzt, weil die Verfahren von unterschiedlichen Richtern entschieden worden seien, macht der Revisionswerber somit einen Verfahrensmangel geltend (vgl. abermals VwGH Ra 2018/01/0204).

15       Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 25.3.2021, Ra 2021/20/0062 bis 0064, mwN).

16       Diese geforderte Relevanzdarlegung gelingt dem Revisionswerber fallbezogen mit dem bloßen Hinweis, dass „das BVwG die Ehegattin und die Kinder zum Fluchtvorbringen befragen [hätte] können, da diese selbst Teil der Verfolgung wurden“, ebenso wenig wie mit dem Hinweis, dass die Ehegattin des Revisionswerbers die „Ermittlungen der Staatendokumentation wirksam [hätte] entkräften können.“

17       Soweit sich die Revision in den weiteren Zulässigkeitsausführungen gegen die Beweiswürdigung wendet, genügt der Hinweis, dass sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren soll (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 21.7.2021, Ra 2021/01/0223-0224, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung des BVwG im Rahmen der Beweiswürdigung wird in der Revision nicht dargetan.

18       In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher im erwähnten Umfang zurückzuweisen.

Zu II.:

19       Berechtigung kommt der Revision jedoch insoweit zu, als sie sich gegen die Rückkehrentscheidung richtet.

20       Soweit die Revision dazu vorbringt, dass bei gemeinsamer Führung als Familienverfahren auch dem Revisionswerber ein „humanitärer Aufenthaltstitel“ zu erteilen gewesen wäre, macht sie fallbezogen - schon unter dem Aspekt der Gefährdung der Aufrechterhaltung des Familienverbandes (vgl. auch dazu VwGH Ra 2018/01/0204) - einen relevanten Verfahrensmangel geltend.

21       Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang der Rückkehrentscheidung und der darauf aufbauenden Spruchpunkte, die ihre Grundlage verlieren (vgl. etwa VwGH 19.10.2021, Ra 2021/18/0259, 0260), wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

22       Der Kostenersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010163.L00

Im RIS seit

22.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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