RS Vfgh 2022/3/16 G228/2021 (G228/2021-8)

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 16.03.2022
beobachten
merken

Index

32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
EStG 1988 §20 Abs1 Z8, §67, §124b
KStG 1988 §12
ArbVG §109
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch das teilweise Abzugsverbot betreffend die auf Grund eines Sozialplanes geleisteten Abfertigungszahlungen des Arbeitgebers nach dem EStG 1988; beabsichtigte Lenkungseffekte – wie Kündigungen älterer Arbeitnehmer hintanzuhalten oder Vereinbarungen hoher individualvereinbarter Abfertigungen entgegenzuwirken – rechtfertigen Abzugsverbot für Sozialplanabfertigungen nicht; Funktion und Zwecksetzung von – vor der Schlichtungsstelle erzwingbaren – Sozialplänen zum Schutz der von Betriebsänderungen nachteilig betroffenen Arbeitnehmer sollen die wesentlichen materiellen und immateriellen Nachteile sowie die wirtschaftlichen und sozialen Folgen abfedern und sozial verträglich gestalten; Sozialplanabfertigungen nicht geeignet, Gerechtigkeits- und Solidaritätsaspekte im Steuerrecht zu stärken; Abzugsverbot ist nicht geeignet, Anreiz für Weiterbeschäftigung zu bewirken und ist mit dem Ziel des Sozialplans, die Interessen älterer Arbeitnehmer zu schützen, unvereinbar

Rechtssatz

Aufhebung des §20 Abs1 Z8 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) idF BGBl I 13/2014 mit Ablauf des 31.12.2022.

Die Bundesregierung räumt zunächst selbst ein, dass sich Abfertigungen in Sozialplänen in ihrer rechtlichen Gestaltung, Funktion und Zwecksetzung von individual vereinbarten freiwilligen Abfertigungen unterscheiden und damit potentiell eine Gleichbehandlung von unterschiedlichen Sachverhalten im Rahmen des Abzugsverbotes erfolgt. Sie vermeint jedoch, dass ein Abzugsverbot für Sozialplanzahlungen sachlich gerechtfertigten Lenkungszwecken diene und das Abzugsverbot für Abfertigungen, die im Rahmen eines Sozialplanes vereinbart werden, geeignet wäre, Personalfreisetzungen einer größeren Zahl von Mitarbeitern und insbesondere auch älterer Arbeitnehmer hintanzuhalten. Es kann zwar der Bundesregierung in diesem Zusammenhang zunächst nicht entgegengetreten werden, wenn sie im Rahmen ihrer Äußerung auf die negativen Auswirkungen hinweist, die durch Kündigungen älterer Arbeitnehmer für diese und die Allgemeinheit eintreten. Auch ist der Bundesregierung zuzustimmen, dass die Vereinbarung von Abfertigungen im Rahmen von Sozialplänen der Verhinderung von Kündigungsanfechtungen dient und eine Anfechtung umso eher unterbleibt, je höher die Abfertigung ist.

Die Bundesregierung verkennt aber mit ihrer Behauptung, dass ein Abzugsverbot geeignet wäre, der Vereinbarung von Abfertigungen im Rahmen einer Sozialplanvereinbarung entgegenzuwirken, die besondere Funktion und Zwecksetzung von Sozialplänen.

Sozialpläne können nur in den Fällen einer Betriebsänderung iSd §109 Abs1 Z1 bis 6 ArbVG rechtswirksam abgeschlossen werden und setzen neben einer Mindestbetriebsgröße die Betroffenheit aller oder zumindest erheblicher Teile der Arbeitnehmerschaft und wesentliche Nachteile für die betroffenen Arbeitnehmer voraus. Ein Sozialplan kann daher nicht in allen denkbaren Formen einer Reorganisation oder Umstrukturierung eines Betriebes abgeschlossen werden, sondern ist an das Vorliegen der in §109 Abs1 Z1 bis 6 leg cit aufgezählten Fälle streng gebunden. Als Betriebsänderung gelten danach nur massive Änderungen wie die Einschränkung oder Stillegung des ganzen Betriebes oder von Betriebsteilen, die Verlegung des ganzen Betriebes oder von Betriebsteilen oder auch die Einführung von Rationalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen von erheblicher Bedeutung. Dabei ist jeweils vorausgesetzt, dass zumindest ein erheblicher Teil der Arbeitnehmer, worunter die Praxis jedenfalls mehr als ein Drittel der Belegschaft versteht, von einer solchen Betriebsänderung betroffen ist und die Betriebsänderung für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft wesentliche Nachteile mit sich bringt.

Sozialpläne werden somit vom Gesetzgeber für taxativ aufgezählte betriebliche Maßnahmen vorgesehen, wenn mit diesen für große Teile der Belegschaft wesentliche Nachteile verbunden sind. Sie verfolgen dabei das Ziel, die von der Betriebsänderung nachteilig betroffenen Arbeitnehmer zu schützen, der Arbeitnehmerschaft die bisher zugestandene Rechtsposition so lange wie möglich zu erhalten und deren Verlust auszugleichen. Sozialpläne zielen somit darauf ab, die wesentlichen materiellen und immateriellen Nachteile, die auf Grund der mit den Maßnahmen der Betriebsänderung verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Arbeitnehmerschaft eintreten, sozial verträglich abzufedern.

Der in einem Sozialplan vereinbarte Inhalt ist Ergebnis der Abwägung der betrieblichen Interessen unter Bedachtnahme auf die wirtschaftlichen Notwendigkeiten des Betriebes und der Interessen der durch die Betriebsänderung nachteilig betroffenen Arbeitnehmer. Im Ergebnis zielt der Sozialplan somit darauf ab, in einer streitvermeidenden oder gar streitbeilegenden Weise einen Interessenausgleich für die negativen Folgen einer geplanten Betriebsänderung auf die Belegschaft herbeizuführen.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Sozialpläne im Arbeitsverfassungsrecht für den Fall einer Betriebsänderung vorgesehene, vor der Schlichtungsstelle erzwingbare Betriebsvereinbarungen sind. Kommt es daher zu keiner Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, entscheidet - soweit eine Regelung durch Kollektivvertrag oder Satzung nicht vorliegt - auf Antrag eines der Streitteile die Schlichtungsstelle. Scheitern die Bemühungen um eine Einigung, hat die Schlichtungsstelle eine Entscheidung zu treffen, die die (nicht zustande gekommene) Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber ersetzt und somit auf diese Weise den Inhalt des Sozialplanes rechtsverbindlich herbeiführt.

Für ältere Arbeitnehmer ordnet §109 Abs3 ArbVG die besondere Bedachtnahme auf deren Interessen an. Dies bedeutet zum einen, dass eine Auflösung des Dienstverhältnisses erst dann in Erwägung zu ziehen ist, wenn im Rahmen des vorzunehmenden Interessenausgleiches eine Weiterbeschäftigung im Betrieb nicht in Betracht kommt. Zum anderen werden bei der Bemessung der Sozialplanabfertigung gerade das fortgeschrittene Lebensalter und die erhöhten Schwierigkeiten, eine neue Beschäftigung zu finden, besonders zu berücksichtigen sein. Dabei kann vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgebotes davon ausgegangen werden, dass in einer Durchschnittsbetrachtung die mit der Auflösung von Dienstverhältnissen verbundenen nachteiligen sozialen und wirtschaftlichen Folgen für ältere Arbeitnehmer schwerer wiegen als für jüngere Arbeitnehmer.

Auszugehen ist davon, dass der mit der Regelung des §20 Abs1 Z8 EStG 1988 intendierte Lenkungseffekt nicht völlig ungeeignet erscheint, eine Verhaltenslenkung für freiwillige individualvereinbarte Abfertigungen zu bewirken. In Anbetracht der unterschiedlichen Funktion und Zwecksetzung von Sozialplanabfertigungen läuft dieser Lenkungseffekt für Sozialplanabfertigungen jedoch insofern ins Leere, als diese doch Ergebnis eines Interessenausgleiches zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind, bei dem die Höhe der zu leistenden Sozialplanabfertigung nicht durch von unternehmerischen Zweckmäßigkeitsüberlegungen geleitete Dispositionen des Arbeitgebers, sondern durch die Notwendigkeit eines sozial verträglichen Ausgleiches der für die Arbeitnehmerschaft aus Anlass der Betriebsänderung entstandenen Nachteile bestimmt wird. Die Vereinbarung der Höhe einer Sozialplanabfertigung ist vor diesem Hintergrund einer Lenkung in aller Regel nicht zugänglich, da dieser für den Ausgleich der Nachteile erforderliche Betrag - so eine Einigung nicht erzielt werden kann - vor der Schlichtungsstelle erzwingbar ist, ohne dass der Arbeitgeber auf diese Entscheidung Einfluss nehmen könnte.

Vielmehr bestimmt der - erzwingbare - Inhalt des Sozialplanes die Höhe der nichtabzugsfähigen Aufwendungen. So wie daher ein Abzugsverbot für gesetzliche Abfertigungen nicht mit einem Lenkungseffekt sachlich begründet werden könnte, ist für die im Rahmen erzwingbarer Betriebsvereinbarungen festgelegten Sozialplanabfertigungen nach ihrer Funktion und ihrem Zweck ein Abzugsverbot von vornherein nicht geeignet, der Auflösung von Dienstverhältnissen oder der Vereinbarung besonders hoher Abfertigungen entgegenzuwirken.

Das Abzugsverbot ist in aller Regel auch nicht geeignet, dem unerwünschten Effekt entgegenzuwirken, ältere Arbeitnehmer durch hohe Abfertigungsangebote vielfach zur Annahme eines Sozialplanes zu veranlassen, obwohl ihre Weiterbeschäftigung möglich wäre. Vielmehr erfordert die Konstellation einer Betriebsänderung in Sozialplänen eine sozial verträgliche Regelung für ältere und auch besonders geschützte Arbeitnehmer gerade in jenen Fällen zu finden, in denen eine Weiterbeschäftigung im Betrieb auch unter Bedachtnahme auf die soziale Gestaltungspflicht des Betriebsinhabers im Rahmen des gebotenen Interessenausgleiches - etwa wegen einer Betriebs(teil)schließung - nicht in Betracht kommt. Da eine Auflösung des Dienstverhältnisses in solchen Fällen durch den objektiven Umstand einer auf die wirtschaftlichen Notwendigkeiten Bedacht nehmenden Betriebsänderung erforderlich ist, ist nicht zu erkennen, inwiefern ein Abzugsverbot und eine mit diesem verbundene Kostenbelastung geeignet ist, einen Anreiz für eine Weiterbeschäftigung zu bewirken.

Für den VfGH ergibt sich aus der arbeitsverfassungsrechtlichen Ausgangslage vielmehr, dass das Abzugsverbot in solchen Fällen mit dem Ziel eines Sozialplanes, die Interessen älterer Arbeitnehmer zu schützen, unvereinbar ist: Anders als im Fall freiwilliger individualvereinbarter Abfertigungen erfordert die Auflösung von Dienstverhältnissen im Fall einer Betriebsänderung den Ausgleich sozialer und wirtschaftlicher Nachteile für ältere Arbeitnehmer (aber auch für besonders geschützte Arbeitnehmer). Dies kann die Festlegung einer Geldleistung erfordern, die über die Funktion einer bloßen - nach Art einer freiwilligen Abfertigung nach §67 Abs6 EStG 1988 gestalteten - Versorgungs- und Überbrückungsleistung hinausgeht.

Dass die Vereinbarung einer Sozialplanabfertigung bei älteren Arbeitnehmern auf den Verzicht einer Kündigungsanfechtung abzielt, vermag entgegen der Auffassung der Bundesregierung daher nicht aufzuzeigen, dass das Abzugsverbot geeignet wäre, der Vereinbarung hoher Abfertigungen entgegenzuwirken. Im Übrigen würde eine Zahlung nicht unter das Abzugsverbot fallen, wenn sie als Gegenleistung für den Verzicht auf ein - wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen für einen rechtswirksamen Sozialplan - tatsächlich aussichtsreiches Kündigungsanfechtungsrecht erfolgen würde.

Es ist vielmehr zu bedenken, dass Sozialpläne nicht darauf gerichtet sind, ältere Arbeitnehmer durch Vereinbarung von "Golden Handshakes" zu kündigen. Sozialpläne erfassen vielmehr alle von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer, wobei der Ausgleich von sozialen und wirtschaftlichen Nachteilen nach den Grundsätzen des Gleichbehandlungsgebotes zu erfolgen hat. Dabei können Sozialplanleistungen nicht für leitende Angestellte oder Mitglieder gesetzlicher Vertretungsorgane rechtswirksam vereinbart werden. Eine Abfertigung, die im Rahmen eines Sozialplanes nach diesen Grundsätzen durch Abwägung sozialer Kriterien für ältere Arbeitnehmer vereinbart wird und die höhere soziale Betroffenheit durch einen vergleichsweise höheren - über die Dienstzeitstaffel des §67 Abs6 EStG 1988 hinausgehenden - Abfertigungsbetrag berücksichtigt, ist aber schon im Ansatz mit einer klassischen "Golden Handshake" Abfertigung nicht vergleichbar. Dem trägt die Besteuerung auf Ebene des Arbeitnehmers Rechnung, indem §67 Abs8 litf EStG 1988 Sozialplanabfertigungen über die die Versorgungs- und Überbrückungsleistung zum Ausdruck bringende Dienstzeitstaffelung des Abs6 leg cit hinausgehend bis zu einem Betrag von € 22.000,- begünstigt.

Am vorstehenden Ergebnis vermag auch der von der Bundesregierung ins Treffen geführte Umstand nichts zu ändern, dass eine Anrufung der Schlichtungsstelle offenbar nur in "absoluten Ausnahmefällen" erfolgt. Vielmehr geht der VfGH davon aus, dass bereits die Möglichkeit der Anrufung die Vereinbarung eines den arbeitsverfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden Sozialplanes gewährleistet.

Auch verkennt die Bundesregierung die Funktion von Sozialplänen, wenn sie ausführt, dass für die Auszahlung einer hohen freiwilligen Abfertigung die wirtschaftliche Potenz des Arbeitgebers und nicht das Vorliegen von Härtefällen entscheidend sei. Zwar ist im Rahmen des Abschlusses eines Sozialplanes die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betriebsinhabers zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Bundesregierung sind Sozialplanabfertigungen aber nicht bloße Funktion der Leistungsfähigkeit, sondern Ergebnis eines Gerechtigkeits- und Solidaritätsaspekte berücksichtigenden Interessenausgleiches.

Schließlich versucht die Bundesregierung die Regelung damit zu rechtfertigen, dass das Abzugsverbot dann, wenn von Kündigungen nicht Abstand genommen würde, diese zumindest verteuern würde und damit ein Beitrag zu den Kosten geleistet würde, die durch diese Maßnahmen zukünftig am Arbeitsmarkt entstehen. Für den VfGH ist kein sachlicher Grund erkennbar, der eine solche "Freisetzungsabgabe" bei der Auflösung von Dienstverhältnissen im Rahmen eines Sozialplanes rechtfertigen könnte. Da die finanziellen Leistungen im Rahmen eines Sozialplanes Ergebnis eines Interessenausgleiches sind, wäre im Übrigen auch nicht gewährleistet, dass solche Kosten tatsächlich vom Arbeitgeber wirtschaftlich getragen werden und nicht zu Lasten der Arbeitnehmer gehen.

Der VfGH vermag vor diesem Hintergrund nicht erkennen, dass ein Abzugsverbot für Abfertigungen im Rahmen von Sozialplänen geeignet wäre, Gerechtigkeits- und Solidaritätsaspekte im Steuerrecht zu stärken. Vielmehr bedingt dieses Abzugsverbot, dass die wesentlich ungleichen Sachverhalte einer individuell vereinbarten Abfertigung im Zuge einer Arbeitgeberkündigung einerseits und einer Sozialplanabfertigung im Zuge einer Betriebsänderung andererseits ohne sachlichen Grund gleich behandelt werden.

§20 Abs1 Z8 EStG 1988 verstößt somit gegen den Gleichheitssatz, da diese Regelung zu sachlich nicht begründbaren Differenzierungen führt. Dieses Ergebnis lässt sich auch nicht im Rahmen einer verfassungskonformen Interpretation vermeiden, indem der Anwendungsbereich der Vorschrift im Auslegungswege auf individuell vereinbarte Abfertigungen eingeschränkt wird, ist doch nach der Rsp des VwGH klargestellt, dass dieser Vorschrift auch Sozialplanabfertigungen unterfallen.

(Anlassfall E3068/2020, E v 16.03.2022; Aufhebung der angefochtenen Entscheidung).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Einkommensteuer, Betriebsrat, Ausgaben nichtabzugsfähige, Wirtschaftslenkung, VfGH / Fristsetzung, Rechtspolitik

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:G228.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten