TE Vwgh Erkenntnis 1996/6/18 94/04/0194

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.06.1996
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §13 Abs1;
AVG §39 Abs2;
AVG §56;
GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1994 §77 Abs1;
GewO 1994 §79 Abs2;
GewO 1994 §79;
GewO 1994 §81 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der X-Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 3. August 1994, Zl. 317.307/1-III/A/2a/94, betreffend Vorschreibung von Auflagen gemäß § 79 GewO 1994, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 13.280,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 9. Mai 1994 wurden der Beschwerdeführerin "als Konsensinhaberin für den Betrieb der Tankstelle in V auf Parz. Nr. 811/2 der KG. V nachstehende zusätzliche Auflagen vorgeschrieben:

"1. Der regelmäßige Betrieb der Servicebox durch lärmintensive Geräte bzw. Arbeiten (z.B. Schlagschrauber, Hochdruckreinigungsgerät, etc.) ist an Samstagen ab 13.00 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen nicht zulässig. Ausgenommen hievon sind ausnahmsweise Arbeiten im Zusammenhang mit unaufschiebbaren Arbeiten, wie z.B. Pannenhilfe, etc.

2. Zu den übrigen Betriebszeiten dürfen derartige lärmintensive Geräte nur in der Servicebox bei geschlossenem Tor betrieben werden.

3. Soweit das ölbefeuerte Hochdruckreinigungsgerät (Aggregat) in der Servicebox zur Aufstellung gelangt, ist eine Abgasführung ins Freie über Dach vorzusehen.

4. Die Befüllung der Lagertanks durch Tankkraftfahrzeuge ist nur zur Tagzeit (6.00 - 22.00 Uhr) zulässig.

5. Das elektrisch betriebene Sektionaltor der Waschanlage ist so zu steuern, daß dieses zumindest beim Betrieb des Trockengebläses automatisch geschlossen wird.

Rechtsgrundlage: §§ 79 und 81 GewO 1994.""

Zur Begründung führte der Landeshauptmann aus, für die genannte Tankstelle der Beschwerdeführerin sei mit Bescheid vom 23. Februar 1967 die gewerbebehördliche Genehmigung erteilt worden. Der Betrieb der Tankstelle sei mit Bescheid vom 5. Dezember 1968 bewilligt worden. In der Folge seien mehrfach Änderungen der Tankstellenbetriebsanlage durchgeführt und gewerbebehördlich genehmigt worden. Die letzte Änderungsgenehmigung sei mit Bescheid vom 1. September 1992 erfolgt und habe die Umstellung der Tankstelle auf Selbstbedienung betroffen. Das gegenständliche Verfahren (gemäß § 79 GewO 1994) sei aufgrund wiederholt vorgebrachter Beschwerden der Nachbarn Franz und Erika B durchgeführt worden. Die Beurteilung der Sachlage habe ergeben, daß von der Tankstellenbetriebsanlage ausgehende Immission "bei der Nachbarliegenschaft B belästigend auftreten". Aufgrund der ohne die Tankstelle bestehenden Lärmsituation habe jedoch eine gesundheitsgefährdende Einwirkung nicht festgestellt werden können. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung habe die Behörde versucht, "belästigende Auswirkungen zu minimieren". Diesem Bemühen würden die vorgeschriebenen Auflagen "entspringen". Schließlich sei die Vorschreibung aufgrund der ausdrücklichen Zustimmung des Vertreters der Konsensinhaberin vorgenommen worden.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin im Umfang der Auflagenvorschreibung des Bescheidpunktes 4. Berufung. Sie machte darin geltend, der Betrieb ihrer Tankstelle in V sei bereits im Jahre 1968 bewilligt worden. Die Nachbarn B seien erst 1974 - demnach sechs Jahre nach Inbetriebnahme der Tankstelle - zugezogen. Dem Bescheid des Landeshauptmannes sei eindeutig zu entnehmen, daß die Voraussetzungen gemäß § 79 Abs. 3 GewO 1994 (gemeint: § 79 Abs. 2 leg. cit.) nicht vorlägen. Die bekämpfte Auflage sei zudem unverhältnismäßig, weil der mit der Erfüllung dieser Auflage verbundene Aufwand außer Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehe. Die Tankstellenbelieferung beruhe auf einem aufwendigen logistischen System. Änderungen oder Eingriffe in dieses System würden enorme finanzielle Aufwendungen für sie bedeuten, denen - im Hinblick auf die festgestellte Belastung mit Straßenverkehrslärm - kein Nutzen auf Seiten der Nachbarn gegenüberstehe.

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 3. August 1994 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin "im Grunde des § 79 GewO 1994 abgewiesen". Zur Begründung führte der Bundesminister aus, die Beschwerdeführerin habe mit Schreiben vom 25. März 1993 mitgeteilt, daß die Belieferung der Tankstelle mit Treibstoff nur zu den Betriebszeiten erfolge. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 1. September 1992 seien die Betriebszeiten (im Sinne der ergänzenden Projektabsicht der Konsenswerberin) mit 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr festgelegt worden. Die Beschwerdeführerin habe in ihrem Schreiben vom 25. März 1993 die Belieferung der Tankstelle zu den Betriebszeiten "zugesichert". Eine in der Zwischenzeit vorgenommen Änderung des Projekts sei nicht aktenkundig. Die Beschwerdeführerin habe nicht ausgeführt, warum in der Zwischenzeit ein unverhältnismäßiger Aufwand eingetreten wäre und worin dieser bestehe. Auch in der mündlichen Verhandlung vom 17. Februar 1994 seien keine derartigen Ausführungen gemacht worden. Der Vertreter der Beschwerdeführerin habe "das Verhandlungsergebnis zur Kenntnis genommen". Der Betriebsanlageninhaber habe im Verfahren gemäß § 79 GewO 1994 an der Klarstellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken. Dieser Mitwirkungspflicht habe die Beschwerdeführerin durch die Erklärung entsprochen, daß die Belieferung ihrer Tankstelle mit Treibstoff nur zu den Betriebszeiten erfolge. Die Erstbehörde habe davon ausgehen können, daß die schriftliche Äußerung dem logistischen System der Beschwerdeführerin entspreche und die Auflagenvorschreibung daher nicht unverhältnismäßig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin nach ihrem gesamten Vorbringen in dem Recht auf Unterbleiben der Vorschreibung der in Rede stehenden Auflage (Bescheidpunkt 4. des erstinstanzlichen Bescheides) verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes bringt sie zusammenfassend vor, die Auflage hätte nur bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 79 Abs. 3 GewO 1994 (gemeint: § 79 Abs. 2 leg. cit.) vorgeschrieben werden dürfen. Eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Ehegatten B (durch die nächtliche Belieferung des Lagertanks) sei nicht festgestellt worden. Es sei nicht einmal eine nächtliche Befundaufnahme über die behauptete Lärmeinwirkung erfolgt. Der Tatbestand des § 79 GewO 1994 sei daher nicht erfüllt. Die Behörde habe die Zumutbarkeit bzw. Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Auflage nicht geprüft. Ein die Beschwerdeführerin auch für die Zukunft bindendes "Zugeständnis" oder eine "Zustimmung zur bekämpften Auflage" sei dem herangezogenen Schreiben vom 25. März 1993 nicht zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin habe in ihrer Berufung ausdrücklich vorgebracht, daß das Verbot der Nachtbelieferung nicht ihrem logistischen System entspreche. Die bekämpfte Auflage sei "nicht Konsensthema" gewesen. Eine Feststellung dahin, worin eine Belastung oder Gefährdung der Nachbarn durch die Nachtbelieferung bestehe, sei gar nicht getroffen worden. Die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe hinsichtlich der bekämpften Auflage einen Konsens angeboten, sei rechtswidrig.

Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Recht.

Gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1994 hat die Behörde, wenn sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, daß die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emmissionen und die von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen.

Nach Abs. 2 leg. cit. sind zugunsten von Personen, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 geworden sind, Auflagen im Sinne des Abs. 1 nur soweit vorzuschreiben, als diese zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen notwendig sind. Auflagen im Sinne des Abs. 1 zur Vermeidung einer über die unmittelbare Nachbarschaft hinausreichenden beträchtlichen Belastung durch Luftschadstoffe, Lärm oder gefährlicher Abfälle sind, sofern sie nicht unter den ersten Satz fallen, zugunsten solcher Personen nur dann vorzuschreiben, wenn diese Auflagen im Sinne des Abs. 1 verhältnismäßig sind.

In dem aufgrund des § 79 GewO 1994 durchzuführenden Verfahren hat demnach die Behörde von Amts wegen zu prüfen, welche anderen oder zusätzlichen Auflagen zum Schutz der im § 74 Abs. 2 leg. cit. umschriebenen Interessen vorzuschreiben sind. Sie kann hiebei Vorschläge, die dazu vom Inhaber der Betriebsanlage selbst gemacht werden, also ein von ihm in diesem Sinn vorgelegtes Projekt, ihrer Entscheidung zugrundelegen, wenn dessen Verwirklichung den angestrebten Schutz gewährleistet; sie ist aber an diese Vorschläge nicht gebunden (vgl. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Jänner 1995, Zl. 94/04/0244, und vom 24. April 1990, Zl. 89/04/0180).

Für den Beschwerdefall bedeutet dies, daß die Behörde im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht festzustellen gehabt hätte, ob die Nachtbelieferung der Tankstellenbetriebsanlage mit Treibstoff trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid (hier: sowohl Genehmigungen nach § 77 als auch solche nach § 81 leg. cit.) vorgeschriebenen Auflagen Immissionen verursacht, die geeignet sind, die Nachbarn zu gefährden oder zu belästigen. Den vorgelegten Verwaltungsakten ist in dieser Hinsicht jedoch kein Ermittlungsergebnis zu entnehmen. In dem von der Erstbehörde herangezogenen Lärmmeßbericht vom 29. Juli 1993 wurde ausdrücklich folgendes festgehalten:

"In der Servicebox bzw. Pflegehalle wurden an beiden Meßtagen keine Arbeien durchgeführt. Dadurch konnten keine Meßwerte ermittelt werden. Dies ist auch bezüglich des Anlieferverkehrs festzustellen."

Der Beschwerdeführerin ist darin Recht zu geben, daß nach der Aktenlage eine (auf Ermittlungsergebnissen beruhende) nachvollziehbare Begründung dahingehend fehlt, warum die in Rede stehende Auflage zum Schutz der Nachbarn erforderlich sein soll und welches Ziel mit dieser Auflagenvorschreibung verfolgt wird. Die belangte Behörde belastete daher schon dadurch, daß sie die Tatbestandsvoraussetzungen des § 79 GewO 1994 im dargelegten Sinne nicht geprüft und festgestellt hat, den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Daran vermag ein allfälliger Vorschlag des Inhabers der Betriebsanlage nichts zu ändern. Denn auch ein allfälliger derartiger Vorschlag ist von der Behörde nicht jedenfalls ungeprüft sondern nur insoweit zu berücksichtigen, als er den im Verfahren gemäß § 79 GewO 1994 von der Behörde von Amts wegen wahrzunehmenden Interessenschutz zu gewährleisten vermag (vgl. insoweit sinngemäß das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 1982, Zl. 81/04/0056).

Dazu kommt, daß die Beschwerdeführerin in dem von der belangten Behörde herangezogenen Schreiben vom 25. März 1993 die in Rede stehende Auflage weder vorgeschlagen noch dieser zugestimmt hat. Dieses Schreiben - welches zur Beschwerde der Nachbarn B Stellung nimmt - kann bei verständiger Würdigung der darin enthaltenen Erklärung "auch eine Belieferung der Tankstelle mit Treibstoff erfolgt nur zu Betriebszeiten" nur als Bestreitung bzw. Gegendarstellung hinsichtlich des von den Nachbarn B in dieser Hinsicht behaupteten Sachverhaltes und nicht als Zustimmung zu einer konkreten Auflagenvorschreibung gewertet werden. Die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe nach dem Inhalt dieses Schreibens die Belieferung der Tankstelle zu den Betriebszeiten zugesichert, ist nicht nachvollziehbar.

Die belangte Behörde hat aber auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, daß die Nachbarn B in Kenntnis des Bestehens der genehmigten Tankstellenbetriebsanlage erst 1974 zugezogen seien, zu Unrecht unberücksichtigt gelassen. Zur Beurteilung der Frage, ob und allenfalls welche Auflagen in einem Verfahren gemäß § 79 GewO 1994 vorzuschreiben sind, hätte es nämlich neben der Feststellung der von der Betriebsanlage ausgehenden Immissionen auch der Prüfung und Feststellung bedurft, welchen Schutz die zugezogenen Nachbarn überhaupt genießen. Dem angefochtenen Bescheid kann jedoch nicht entnommen werden, inwieweit die allenfalls von der Nachtbelieferung ausgehenden Immissionen mit den seit dem Zuzug der Nachbarn genehmigten Änderungen der Betriebsanlage bzw. von Anlagenteilen in Zusammenhang stehen (vgl. insoweit auch das hg. Erkenntnis vom 27. November 1991, Zl. 90/04/0197). Ergibt sich solcherart aber im fortgesetzten Verfahren, daß die zugezogenen Nachbarn (B) nur eingeschränkten Schutz im Sinne des § 79 Abs. 2 GewO 1994 genießen, dann würde der von der Erstbehörde wahrgenommene Belästigungsschutz jedenfalls noch keine rechtlich tragfähige Grundlage für die bekämpfte Auflagenvorschreibung darstellen.

Da die belangte Behörde die Rechtslage aus den dargelegten Gründen verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994040194.X00

Im RIS seit

25.01.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten