TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/14 Ra 2021/12/0056

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Veröffentlicht am 14.03.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz

Norm

BDG 1979 §48b
VwGG §42 Abs2 Z3 lita
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und Hofrat Mag. Feiel als Richterin und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des N S in G, vertreten durch die Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in 8020 Graz, Neubaugasse 24, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juli 2021, W257 2238119-1/9E, betreffend Abgeltung von Mehrdienstleistungen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Personalamt Graz der Österreichischen Post AG, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er ist der Österreichischen Post Aktiengesellschaft zur Dienstleistung zugewiesen.

2        Mit dem, mit Eingaben vom 17. Jänner 2018 und 6. Juli 2020 erweiterten und verbesserten, Antrag vom 24. Juli 2017 begehrte der Revisionswerber zuletzt die Feststellung, dass er - im Zeitraum 1. Februar 2015 bis 31. Dezember 2017 näher aufgeschlüsselte - zu bezahlende Ruhepausen bzw. daraus resultierende insgesamt 257 Überstunden geleistet habe.

3        Mit dem im dritten Rechtsgang ergangenen Bescheid vom 16. September 2020 wies die belangte Behörde den Antrag als unbegründet ab.

4        Mit Dienstanweisung vom 28. April 2014 sei nämlich verfügt worden, so führte die belangte Behörde begründend im Wesentlichen aus, dass ab 1. September 2014 ein neues Zeiterfassungssystem („BV-Positivzeitwirtschaft“ bzw. „Time-Client“) eingesetzt werde. Danach gelte eine länger als zehn Minuten dauernde Unterbrechung, an der keine Arbeitsbereitschaft gegeben sei, als Dienstzeitunterbrechung. Zudem bestehe ein Arbeitstag aus ein oder zwei Dienstabschnitten, die grundsätzlich jeweils maximal fünf Stunden und 45 Minuten dauerten. Die Unterbrechung zwischen den einzelnen Dienstabschnitten betrage mindestens 60 und höchstens 120 Minuten, könne mit Zustimmung des Mitarbeiters jedoch auf 45 Minuten verkürzt werden. Die nach § 48b Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) während der Dienstzeit zu gewährende Ruhepause müsse auf durchgehende Dienste beschränkt sein und könne auf die hier vorliegenden geteilten Dienste nicht zur Anwendung kommen.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers keine Folge. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

6        Das Bundesverwaltungsgericht traf dazu folgende Feststellungen (Schreibweise im Original):

„Der [Revisionswerber] steht als Beamter in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ist der Österreichischen Post AG zur Dienstleistung zugewiesen.

Der [Revisionswerber] verrichtete an den antragsgegenständlichen Tagen jeweils zwei Dienstabschnitte gemäß ‚BV-Dienstplangestaltung - Vertrieb Filialen‘ (siehe dazu unten in den rechtlichen Beurteilungen).

Die Diensteinteilung erfolgte wöchentlich vom Dienststellenteilter auf der Grundlage der ‚Betriebsvereinbarung-Positivzeitwirtschaft‘ und der Betriebsvereinbarung ‚Dienstplangestaltung - Vertrieb Filialen‘.

Zwischen diesen Dienstzeitblöcken stand ihm gemäß Punkt 4.3. und Punkt 4.4. der Betriebsvereinbarung ‚Dienstplangestaltung - Vertrieb Filialen‘, eine Unterbrechung (‚Freizeitphase‘) von zumindest 60 Minuten und max. 120 Minuten zu, welche mit Zustimmung des Beamten auf 45 Minuten reduziert werden konnte. Ein Dienstzeitblock ist gemäß dieser Betriebsvereinbarung mit 5,45 Minuten [gemeint: Stunden] zeitlich beschränkt.

Der Beamte stand in dieser von der Behörde oftmals das ‚Dienstzeitunterbrechung‘ genannten Pause (‚Freizeitphase‘) dem Dienstgeber nicht zur Verfügung oder musste sich für einen allfälligen spontanen Arbeitseinsatz in Bereitschaft halten. Er war in dieser Zeit für den Dienstgeber nicht erreichbar und nutzte die Zeit zur Erholung.

Die Gesamtdauer der Tagesdienstzeit an jenen Tagen die [Revisionswerber] beantragte betrug mehr als sechs Stunden pro Arbeitstag.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der [Revisionswerber] an diesen von ihm beantragten Tagen keine Ruhepausen, welche in Summe geringer als 30 Minuten gewesen wären, konsumiert hat.“

7        Diese Feststellungen gründete das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst darauf, dass die von der Behörde vorgelegten Daten des OPAL-Systems, das kein Zeiterfassungssystem darstelle, sondern lediglich Häufigkeit und Dauer von Transaktionen erfasse, keinen ausreichenden Beweis dafür darstellten, ob der Revisionswerber Pausen konsumiert habe oder nicht. Es liege daher letztlich an der Einschätzung des Beamten selbst, ob er Pausen konsumiert habe. Der Revisionswerber habe diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er abgesehen von der Dienstzeitunterbrechung, zumindest eine Pause von einer halben Stunde konsumiert habe. Davon abgesehen habe er auch keine weiteren Beweise dafür vorgebracht, aus denen sich erschlossen hätte, dass er innerhalb der Dienstzeitblöcke keine Pausen konsumiert habe. Das Bundesverwaltungsgericht habe daher mangels gegenteiliger Beweise die negative Feststellung treffen müssen, dass es nicht nachgewiesen sei, ob der Revisionswerber nun ausreichend Pausen innerhalb der Dienstzeitblöcke konsumiert habe oder nicht.

8        Rechtlich ging das Verwaltungsgericht zusammengefasst davon aus, dass nach § 48b BDG 1979 dem Beamten eine Ruhepause von zumindest einer halben Stunde einzuräumen sei, wenn die Tagesdienstzeit mehr als sechs Stunden betrage. Ausgehend von der Annahme, dass der Revisionswerber selbst vorgebracht habe, seiner Erinnerung nach jeden Tag eine halbe Stunde Freizeitphase unabhängig von der Dienstzeitunterbrechung konsumiert zu haben, sah das Bundesverwaltungsgericht diese Anforderung durch den Dienstgeber hier eingehalten.

9        Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen einer grundsätzlichen Rechtsfrage.

10       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11       Der Revisionswerber sieht die Zulässigkeit seiner Revision vor allem darin gelegen, dass im angefochtenen Erkenntnis aktenwidrig und entgegen seinem Vorbringen und seiner Aussage bei seiner Einvernahme davon ausgegangen worden sei, dass er seinen eigenen Angaben zufolge täglich eine Ruhepause von 30 Minuten im Sinn des § 48b BDG 1979 innerhalb der Dienstzeitblöcke konsumiert habe.

12       Bereits aus diesem Grund erweist sich die Revision als zulässig; sie ist auch begründet.

13       Zwar ist der als Rechtsinstanz tätige Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat.

14       Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu dem gemäß § 17 VwGVG auch von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG ausgesprochen hat, bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung der (nunmehr: verwaltungsgerichtlichen) Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Beweisregeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in die Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der grundsätzlich zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. zum Ganzen VwGH 15.12.2021, Ra 2021/12/0039, mwN).

15       Eine Aktenwidrigkeit liegt dann vor, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben wurde oder wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat (siehe etwa VwGH 20.5.2020, Ra 2019/09/0126).

16       Die vom Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis mehrfach festgehaltene Annahme, dass der Revisionswerber selbst vorgebracht und in der mündlichen Verhandlung ausgesagt habe, er habe abgesehen von der Dienstzeitunterbrechung zumindest eine Pause von einer halben Stunde innerhalb der Dienstzeitblöcke konsumiert, lässt sich mit dem Inhalt der vorgelegten verwaltungsgerichtlichen Akten, insbesondere der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2021, nicht in Einklang bringen. In diesem Verhandlungsprotokoll wird die Aussage des Revisionswerbers zur hier wesentlichen Frage nämlich wie folgt wiedergegeben: „Innerhalb des Blockes habe ich keine [P]ausen gemacht. [...] Während der Dienstzeit habe ich keine Pausen genommen, nach meiner Erinnerung nach.“

17       Auf die vom Bundesverwaltungsgericht tragend zur Beweiswürdigung herangezogene behauptete Aussage des Revisionswerbers, er habe unabhängig von der Dienstzeitunterbrechung jeden Tag eine halbe Stunde Pause konsumiert, kann das angefochtene Erkenntnis daher nicht gestützt werden. Die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, das ausdrücklich auf die Einschätzung des Beamten selbst abstellen wollte, erweisen sich daher in diesem Punkt als mit dem Akteninhalt nicht in Einklang zu bringen und die Beweiswürdigung stellt sich insoweit als unschlüssig dar.

18       Soweit das Bundesverwaltungsgericht jedoch auch festhielt, dass nicht mehr festgestellt werden könne, dass der Revisionswerber an den verhandlungsgegenständlichen Tagen keine Ruhepausen, welche in Summe geringer als 30 Minuten gewesen wären, konsumiert habe, lassen sich diese Ausführungen zunächst mit der dargestellten Beweiswürdigung des Akteninhalts nicht in Einklang bringen.

19       Zudem ist dem Beamten bei einer Tagesdienstzeit mit einer Gesamtdauer von mehr als sechs Stunden nach dem klaren Wortlaut des § 48b BDG 1979 eine Ruhepause von einer halben Stunde (oder wenn dies im Interesse der Bediensteten der Dienststelle liegt: zwei Ruhepausen von je einer Viertelstunde oder drei Ruhepausen von je zehn Minuten) einzuräumen (vgl. ausführlich VwGH 21.1.2016, Ra 2015/12/0051; 8.3.2018, Ra 2017/12/0133). Ausschlaggebend ist daher in erster Linie, ob dem Beamten die vorgeschriebene Ruhepause im Rahmen seines Dienstplans eingeräumt wurde; nicht aber, ob er sie - wenn sie ihm eingeräumt wurde - auch konsumierte. Die Konsumation der Ruhepause kann jedoch als Indiz dafür herangezogen werden, dass dem Beamten eine Pause eingeräumt wurde. Sollte sich hingegen tatsächlich nicht mehr feststellen lassen, ob dem Beamten die vorgeschriebenen Ruhepausen eingeräumt wurden, ginge diese Unklarheit jedenfalls nicht zu Lasten des Beamten, trifft doch die Verpflichtung zur Einräumung der Ruhepausen den Dienstgeber.

20       Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus den dargestellten Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a und c VwGG aufzuheben.

21       Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

22       Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 14. März 2022

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Begründung Begründungsmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021120056.L00

Im RIS seit

20.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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