TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/24 Ra 2020/18/0336

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Veröffentlicht am 24.03.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Y A, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2020, W122 2176926-2/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist afghanischer Staatsangehöriger aus der Region Parwan und stellte am 31. Mai 2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 28. Dezember 2017 erkannte ihm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - angesichts seiner damaligen Minderjährigkeit - den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28. Dezember 2018.

3        Mit Bescheid vom 7. April 2019 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen ab und entzog ihm die befristet erteilte Aufenthaltsberechtigung. Unter einem wies es den Antrag des Revisionswerbers vom 7. November 2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine Frist für seine freiwillige Ausreise fest.

4        Die dagegen gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

5        Das BVwG stellte insbesondere fest, der Revisionswerber befinde sich - nicht nur auf Grund seines nunmehrigen Lebensalters - aktuell persönlich nicht mehr in der gleichen (gleich vulnerablen) Lage wie zum Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Dezember 2017. Er sei seit Jänner 2019 volljährig. Der Revisionswerber sei inzwischen älter, erfahrener, selbständiger, habe ergänzende (Aus-)Bildungsschritte unternommen, erste Berufserfahrung gesammelt und Kontakte geknüpft. Er leide an der psychische Erkrankung F43.8, die medikamentös behandelt werde. Mangels aktueller Anhaltspunkte gehe das BVwG davon aus, dass er gesund sei und keine maßgebliche Beeinträchtigung vorliege. Beim Revisionswerber handle es sich daher um einen gesunden jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne.

6        Das BVwG ging weiters in Übereinstimmung mit dem BFA davon aus, dass eine Rückkehr des Revisionswerbers in seine Herkunftsregion Parwan aufgrund der dortigen Verhältnisse und mangels sicherer Erreichbarkeit nicht ohne drohende Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte möglich sei.

7        Der Revisionswerber sei aber insofern in einer - im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides das BFA im Dezember 2017 - anderen Situation, als er nicht mehr als Jugendlicher bzw. Heranwachsender anzusehen, sondern im Lichte der (sich auf Afghanistan beziehenden) UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 im Fall seiner Rückkehr nach heutigem Stand in die Kategorie der „alleinstehenden Männer im arbeitsfähigen Alter“ einzuordnen sei. Dem Revisionswerber stehe eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat zur Verfügung. Im Fall seiner Verbringung in seinen Herkunftsstaat drohe ihm daher kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention. Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der Entzug der Aufenthaltsberechtigung sowie die Abweisung des Antrages auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung könnten somit nicht als rechtswidrig erkannt werden.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit insbesondere vorgebracht wird, das BVwG habe die „physische“ (erkennbar gemeint: psychische) Gesundheitsbeeinträchtigung des Revisionswerbers und damit seine andauernde Vulnerabilität nicht entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gewürdigt.

9        Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11       Die Revision ist zulässig und begründet.

12       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 29.11.2019, Ra 2019/14/0449, mwN) kommt es in Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen und Ereignisse sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation darstellen. In diesem Sinn kann bei einem Fremden, dem als Minderjähriger Schutz zuerkannt wurde, das Erreichen der Volljährigkeit eine Rolle spielen, etwa dadurch, dass im Lauf des fortschreitenden Lebensalters in maßgeblicher Weise Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen werden.

13       Im vorliegenden Fall hat das BVwG zwar festgestellt, der Revisionswerber sei nicht mehr gleich vulnerabel wie bei Zuerkennung von subsidiärem Schutz. In Anbetracht der Tatsache, dass zwischen dem Zeitpunkt der Zuerkennung dieses Schutzstatus und der Aberkennung nur relativ wenig Zeit verstrichen ist, bedürfte diese Einschätzung einer nachvollziehbaren Begründung am Maßstab der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

14       Diesem Erfordernis entspricht das angefochtene Erkenntnis nicht. Es lässt nicht erkennen, welche Ausbildung und Berufserfahrung der Revisionswerber in der Zwischenzeit erlangt hat, die sein Fortkommen in Afghanistan nach Erreichen der Volljährigkeit erleichtern sollten. Woran das BVwG die erlangte größere Selbständigkeit festmacht und inwieweit dem Revisionswerber geknüpfte Kontakte helfen sollten, wird im angefochtenen Erkenntnis nicht näher ausgeführt.

15       Wenig Beachtung findet in der Entscheidung auch der zugestandene Umstand, dass der Revisionswerber nachweislich an einer psychischen Erkrankung leidet und medikamentöse Behandlung benötigt. Wenn das BVwG ihn in seiner Begründung trotzdem einem „gesunden jungen Mann“ gleichstellt, wird der besonderen Vulnerabilität des Revisionswerbers nicht hinreichend Genüge getan.

16       Indem das BVwG die psychische Erkrankung des Revisionswerbers bei der Beurteilung der (weiteren) Vulnerabilität nicht in gebührender Weise berücksichtigt hat - und angesichts der kurzen Zeitspanne zwischen der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und dessen Aberkennung - hat das BVwG somit die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten letztlich entgegen der oben referierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses, nämlich das Erreichen der Volljährigkeit, gestützt.

17       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 24. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020180336.L00

Im RIS seit

18.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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