TE Lvwg Erkenntnis 2022/3/25 LVwG-2022/14/0499-1

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Veröffentlicht am 25.03.2022
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Entscheidungsdatum

25.03.2022

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VStG §49
VwGVG 2014 §50

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Priv.-Doz. Dr. Heißl, E.MA, über die Beschwerde von AA, geb am XX.XX.XXXX, Adresse 1, **** Z, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y (belangte Behörde) vom 8.2.2022, Zl ***, betreffend eine Übertretung nach dem Epidemiegesetz (EpiG),

zu Recht:

1.   Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben.

2.   Die ordentliche Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang und wesentlicher Sachverhalt

Aufgrund einer Anzeige vom 30.4.2020, erließ die belangte Behörde eine Strafverfügung vom 1.4.2022, Zl ***, und warf darin der Beschwerdeführerin vor, sie habe am 24.3.2020 um 15.35 Uhr in der Gemeinde X, Gemeindestraße „Adresse 2“ zwischen dem Haus Adresse 2/1 und der B *** im Zuge der Überwachung von Anordnungen nach dem EpiG angetroffen und somit ihre Wohnung in **** X, Adresse 2/1, verlassen, obwohl ihr mit Bescheid vom 18.3.2020, Zl ***, die Absonderung in ihrem Wohnhaus an der oben angegebenen Adresse für den Zeitraum vom 18.3.2020 bis 29.3.2020 zur Verhütung der Weiterverbreitung von COVID-19 angeordnet wurde. Aufgrund dieser Verwaltungsübertretung verhängt die belangte Behörde eine Strafe von € 600 (Ersatzfreiheitstrafe 278 Stunden).

Dagegen brachte die Beschwerdeführerin wörtlich folgendes vor:

Einspruch: In diese schwierige Zeit wo man nicht weiß ob mann überlebt oder nicht wollen Sie mir nicht helfen sondern so hohe Strafe verhängen. Sie haben mir zwar haussperre verordnet aber nicht die möglichkeit erklärt wie ich zum Lebensmittel oder Medikamenten komme. Sollen meine Kinder verhungern weil Sie mir das Verhängt haben. Warum Haben Sie mir nicht einen Arzt vorbeigeschick da mich Untersucht wegen Corona. Was soll ich jetzt tun!!?!!

 

In weiterer Folge erließ die belangte Behörde das angefochtene Straferkenntnis mit folgendem Spruch:

„Ihren Einspruch gegen die Strafhöhe wird insoweit Folge gegeben, als die Geldstrafe auf € 300,00 (Ersatzfreistrafe 72 Stunden) herabgesetzt wird. Gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) werden die gesetzlichen Verfahrenskosten mit € 30,00 (10 % der Geldstrafe, mindestens jedoch € 10,00) festgesetzt. Der zu zahlende Gesamtbeitrag (Strafe/Kosten) beträgt daher EUR 330,00.“

In der Begründung wird auszugsweise der Spruch der Strafverfügung vom 9.3.2020 wiedergegeben.

In der gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin wörtlich Folgendes vor:

Ich möchte Sie nochmal bitten meinen Fall nochmal zu überdenken.

Deswegen erhebe ich Einspruch… Staat Österreich hat die Menschen nicht aufgeklärt, wer soll . Lebensmittel holen für K2 Gefaehrteten Menschen Ich bin Alleinstehend mit 2 Kindern die in die Sonderschule W gehen Und der Bub braucht Lebenswichtige Medikamente

In X gibt es keine Apotheke

Bitte um Verständnis

II.      Beweiswürdigung

Diese Sachverhaltsfeststellungen betreffen von der belangten Behörde vorgelegte Dokumente und sind unstrittig.

III.     Erwägungen

A.       Mangelhaftigkeit des Spruchs des angefochtenen Straferkenntnisses

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde richtet sich der Einspruch nicht nur gegen die Strafhöhe. So rügt die Beschwerdeführerin zwar eine „so hohe Strafe“. Aus dem Gesamtzusammenhang des Einspruchs wird jedoch deutlich, es wird eine Unmöglichkeit der Einhaltung der Absonderung und somit ein mangelndes Verschulden vorgebracht. Da sich somit der Einspruch nicht nur gegen die Strafhöhe richtet, tritt durch den Einspruch gemäß die gesamte Strafverfügung § 49 Abs 2 S 4 VStG außer Kraft.

Der in weiterer Folge erlassene Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses ist mangelhaft. Er enthält keine der verpflichtenden Bestandteile. Gemäß § 44a VStG hat der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung lautet, unter anderem (1.) die als erwiesen angenommene Tat, (2.) die Verwaltungsvorschrift die durch die Tat verletzt worden ist, sowie (3.) die verhängte Strafe an die angewendete Gesetzesbestimmung, zu enthalten. Auf Grund dieser Bestimmung sollen Beschuldigte zum ersten wissen, was ihnen vorgeworfen wird, um Beweise zur Widerlegung des Tatvorwurfs anbieten zu können. Zum zweiten soll auch eine Doppelbestrafung verhindert werden. Ebenso soll drittens der Verwaltungsgerichtshof in die Lage versetzt werden, eine rechtliche Prüfung vornehmen zu können. Zu diesen verpflichtenden Spruchmerkmalen (Tatvorwurf, verletzte Verwaltungsvorschrift sowie Sanktionsnorm) liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor (dazu Fister, § 44a VStG, in Lewisch/Fister/Weilguni [Hrsg], Verwaltungsstrafgesetz2 [2017]). Unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes des § 44a Z 1 VStG reicht die bloße Verweisung auf einen anderen, wenn auch dem Beschuldigten bekannten Text zur Umschreibung des vorgeworfenen Verhaltens in einem Strafverfahren nicht aus, das Verhalten muss vielmehr im Spruch selbst umschrieben sein (VwGH 24.6.2015, Ra 2015/09/0012; 19.3.2014, 2013/09/0044; 16.6.2000, 96/21/0737). Der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses enthält keinen dieser zwingend vorgeschriebenen Spruchbestandteile.

B.       Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses

§ 50 VwGVG verpflichtet zur grundsätzlichen Entscheidung über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in Verwaltungsstrafverfahren „in der Sache selbst“. Zur Definition der „Sache“ ist zwischen jene des Verwaltungsstrafverfahrens und jener des Beschwerdeverfahrens zu unterscheiden: „Sache“ des Verwaltungsstrafverfahrens ist die dem Beschuldigten innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist zur Last gelegte Tat (zB VwGH 20.5.2019, Ra 2018/02/0043 mwN; 25.9.2018, Ra 2018/05/0019; 8.3.2017, Ra 2016/02/0226). Demgegenüber ist Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht die Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides (zB VwGH 28.4.2016, Ra 2015/07/0057; 9.9.2015, Ro 2015/03/0032; 22.1.2015, Ra 2014/06/0055; 17.12.2014, Ro 2014/03/0066; Köhler/Wessely, § 50 VwGVG, in Raschauer/Wessely [Hrsg], Kommentar zum VwGVG [2018] Rz 3; Honeder/Praschl-Bichler, Sache und Sachentscheidung bei unkorrektem Spruch in Verwaltungsstrafverfahren, ZVG 2018, 292 [293]). Dies leitet sich zum einen aus dem systematischen Zusammenhang mit Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG ab. Demnach erkennen Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden wegen Rechtswidrigkeit. Zum anderen sieht auch § 27 VwGVG eine Prüfung des „angefochtenen Bescheides“ vor, im Zusammenhang mit dem dort erhobenen Tatvorwurf. Sache des Beschwerdeverfahrens ist somit nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Angelegenheit, die von der belangten Behörde zu entscheiden war (VwGH 27.1.2016, Ra 2014/10/0038; 19.1.2016, Ra 2015/01/0070; 20.10.2015, Ra 2015/09/0036; 30.9.2015, Ra 2015/06/0068; 9.9.2015, Ro 2015/03/0032; 21.10.2014, Ro 2014/03/0076; 27.8.2014, Ro 2014/05/0062; 26.6.2014, 2014/03/0063) bzw entschieden wurde (VwGH 16.3.2016, Ra 2015/04/0042; 30.6.2015, Ra 2015/03/0022; 24.6.2015, Ra 2015/04/0045; 23.6.2015, Ra 2014/22/0199).

Es lässt sich zwar aus dem Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses in Zusammenhang mit dem in der Begründung angeführten Spruch der Strafverfügung ein normativer Gehalt ableiten. Trotzdem bleiben sämtliche der Voraussetzungen des § 44a VStG unbeachtet.

Grundsätzlich besteht für das Verwaltungsgericht „nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht“ den Spruch der belangten Behörde richtig zu stellen, zu ergänzen und zu präzisieren (VwGH 20.5.2015, Ra 2014/09/0033; weiters 13.9.2018, Ra 2018/16/0062; 5.11.2014, Ra 2014/09/0018; 28.5.2014, 2012/07/0033; 15.10.2013, 2010/02/0161; 23.5.2012, 2011/17/0298; 19.4.2012, 2010/01/0010). Dabei darf es – so die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes – jedoch nicht zu einem „Austausch der Tat und Heranziehung eines anderen als des ursprünglich der Bestrafung zu Grunde gelegten Sachverhalts“ kommen (VwGH 25.9.2018, Ra 2018/05/0019; 21.9.2018, Ra 2017/17/0557; 7.8.2018, Ra 2018/02/0139; 8.3.2017, Ra 2016/02/0226; 17.2.2016, Ra 2016/04/0068).

Sache vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol im gegenständlichen Fall ist die Herabsetzung der Strafe. Dem angefochtenen Straferkenntnis ist kein Tatvorwurf zu entnehmen, weshalb jegliche substanzielle Änderung des Spruches einer Erweiterung des Tatvorwurfes gleichkommen würde. Vor dem Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes würde eine Spruchkorrektur durch das Landesverwaltungsgericht Tirol und die damit verbundene Einfügung des in der Strafverfügung enthaltenen Tatvorwurfes einem unzulässigen Austausch des Tatvorwurfes gleichkommen (dazu LVwG Tirol 22.7.2020, LVwG-2020/14/1342; VwGH 17.9.2021, Ra 2021/02/0175; aA nunmehr 24./25.1.2022, Ra 2021/09/0221).

C.       Keine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens

Im Zusammenhang mit einer fehlerhaften örtlichen Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörde geht der Verwaltungsgerichtshof von einer Verpflichtung des Verwaltungsgerichts aus, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben, das Veraltungsstrafverfahren jedoch nicht einzustellen (VwGH 28.1.2016, Ra 2015/07/0140; 10.6.2015, Ra 2015/11/0005).

Ähnlich ist im gegenständlichen Verfahren das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben, das dahinterliegende Verwaltungsstrafverfahren jedoch nicht einzustellen. In weiterer Folge hat nun die belangte Behörde – unter Beachtung der oben angeführten Voraussetzungen gemäß § 44a VStG – erneut darüber zu entscheiden.

D.       Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 44 Abs 2 VwGVG konnte die Verhandlung entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

IV.      Zulässigkeit der ordentlichen Revision

Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der iSd Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Zur Frage, ob – in dem gegenständlichen Fall zugrundliegenden Konstellationen – das Verwaltungsgericht berechtigt ist, das angefochtene Straferkenntnis lediglich zu beheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, liegt eine uneinheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vor. In der Entscheidung 17.9.2021, Ra 2021/02/0175, führte dieser aus, bei einer Entscheidung über die Schuld des Beschwerdeführers hätte das Verwaltungsgericht den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschritten (Rz 32). In seiner Entscheidung vier Monate später 24./25.1.2022, Ra 2021/09/0221, widerspricht dieser und argumentiert, das Verwaltungsgericht hätte in der Verwaltungsstrafsache selbst zu entscheiden, sowohl über die Schuld wie auch über die Strafe abzusprechen und in seiner Entscheidung einen unvollständigen Spruch des behördlichen Strafbescheides zu ergänzen gehabt (Rz 17).

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von € 240 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Priv.-Doz. Dr. Gregor Heißl, E.MA

(Richter)

Schlagworte

Prüfungsumfang,
Sache des Verfahrens

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2022:LVwG.2022.14.0499.1

Zuletzt aktualisiert am

13.04.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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