TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/18 Ro 2020/04/0008

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Veröffentlicht am 18.03.2022
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VStG §44a
VStG §44a Z1
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §50

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der Datenschutzbehörde in 1030 Wien, Barichgasse 40-42, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. Oktober 2019, Zl. W256 2222862-1/4E, betreffend Übertretung der Datenschutz-Grundverordnung (mitbeteiligte Partei: W K in W, vertreten durch Mag. Johannes Kröppel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 9), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1        1. Der Mitbeteiligte legte im Zuge einer Anzeige gegen einen Dritten bei der Landespolizeidirektion Wien zwei ausgedruckte Lichtbilder von einem Unfallgeschehen vor, die aus einer Aufzeichnung durch eine in seinem Kraftfahrzeug installierte „Dash-Cam-Anlage“ stammten.

2        Daraufhin erstattete die Landespolizeidirektion bei der Datenschutzbehörde (DSB, Amtsrevisionswerberin) Anzeige gegen den Mitbeteiligten wegen „Missachtung des Datenschutzgesetzes“.

3        2.1. Die DSB erließ in der Folge am 21. Februar 2019 eine Strafverfügung gegen den Mitbeteiligten.

4        Im dagegen erhobenen Einspruch brachte der Mitbeteiligte ua. vor, es würden allenfalls Aufnahmen von Fahrzeugen gemacht, wobei die lenkenden Personen nicht erkennbar und allfällige Passanten aufgrund der minimierten Qualität der Bilder nicht identifizierbar seien. Die aufgezeichneten Bilder würden sich selbst überschreiben, außer der Mitbeteiligte ziehe (wie am 29. November 2018 geschehen) im Fall eines Unfalls die Speicherkarte heraus.

5        2.2. In der Folge verhängte die DSB am 28. Juni 2019 gegen den Mitbeteiligten ein Straferkenntnis mit folgendem Inhalt:

„Sie haben als Verantwortlicher im Sinne des Art. 4 Z 7 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) jedenfalls am 29.11.2018 um 10.48 Uhr ausgehend vom unten genannten Kraftfahrzeug und damit verbunden auf öffentlichen Verkehrsflächen, jedenfalls in [...] eine in dem von Ihnen gelenkten Fahrzeug [...] installierte Dash-Cam-Anlage (Videoüberwachung) betrieben und verwendet. Dadurch wurden Bildaufnahmen von anderen Straßenverkehrsteilnehmern angefertigt. Die beiden Dash-Cams haben sowohl den vor als auch den hinter Ihrem Fahrzeug befindlichen öffentlichen Straßenverkehr erfasst und damit unzulässigerweise öffentlichen Raum gefilmt und unzulässigerweise in die Rechte Dritter eingegriffen. Die gegenständlichen Bildaufnahmen wurden vorsätzlich zum Zweck der Dokumentation eines potentiellen Unfallgeschehens angefertigt und im konkreten Anlassfall [...] ausgewertet.

Die Videoüberwachung war somit nicht auf Bereiche beschränkt, welche in der ausschließlichen Verfügungsbefugnis des Verantwortlichen stehen, sie war somit nicht dem Zweck angemessen und nicht auf das notwendige Maß beschränkt.“

Dadurch habe der Mitbeteiligte Art. 5 Abs. 1 lit. a und c sowie Art. 6 Abs. 1 DSGVO verletzt und über ihn wurde gemäß Art. 83 Abs. 5 lit. a DSGVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 500,- (bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von 35 Stunden) verhängt.

6        Begründend führte die DSB aus, es liege unbestritten eine Bildaufnahme im Sinn des § 12 Datenschutzgesetz (DSG) vor. Die aufgezeichneten Bilddaten stellten jedenfalls personenbezogene Daten im Sinn des Art. 4 Z 1 DSGVO dar; aufgrund des Erhebens und Speicherns sei eine Verarbeitung gemäß Art. 4 Z 2 DSGVO gegeben. Weiters verwies die DSB auf den Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO (Erforderlichkeit zur Wahrung berechtigter Interessen) sowie auf Erwägungsgrund 47 zur DSGVO, dem zufolge die vernünftigen Erwartungen der von der Datenverarbeitung betroffenen Personen zu berücksichtigen seien. Nach Ansicht der DSB müssten am Straßenverkehr teilnehmende Personen - insbesondere dann, wenn kein Unfallgeschehen vorliege - vernünftigerweise nicht damit rechnen, dass ihre personenbezogenen Daten auf die hier erfolgte Weise verarbeitet würden. Eine Speicherung von Bilddaten mithilfe von Dash-Cams entspreche keinesfalls der gängigen Praxis im Straßenverkehr. Die vom Mitbeteiligten vorgebrachte - das Identifizieren von Personen nicht ermöglichende - mindere Qualität der Bilder erachtete die DSB als Schutzbehauptung, zumal die Kfz-Kennzeichen erkenntlich seien. Der Betrieb der Bildaufnahme verstoße somit gegen die in Art. 5 DSGVO normierten Grundsätze. Eine die Rechtmäßigkeit dieser Datenverarbeitung tragende Rechtsgrundlage in Art. 6 DSGVO sei nicht ersichtlich und ein berechtigtes Interesse des Mitbeteiligten sei nicht zu erkennen.

7        2.3. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Mitbeteiligte Beschwerde und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der Mitbeteiligte erachtete die Aufnahmen zur Wahrung eines berechtigten Interesses (infolge des Verkehrsunfalls) als gemäß Art. 6 DSGVO gerechtfertigt. Zudem würden allein durch die Aufnahme von Kennzeichen keine personenbezogenen Daten erhoben.

8        3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 16. Oktober 2019 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, behob das Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt.

9        3.1. Das BVwG hielt zu den vom Mitbeteiligten (im Zuge der Anzeige) vorgelegten Lichtbildern fest, auf einem Lichtbild fänden sich keine Bilddaten von Personen, aber es sei das Kennzeichen eines Fahrzeuges erkennbar; auf dem anderen Lichtbild sei das Kennzeichen nur schwer und die fahrende Person gar nicht erkennbar.

10       3.2. In seiner rechtlichen Beurteilung ging das BVwG davon aus, dass dem Mitbeteiligten zwei Übertretungen der DSGVO vorgeworfen worden seien, nämlich die unrechtmäßige Datenverarbeitung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO sowie die unverhältnismäßige Datenverarbeitung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO. Weiters hielt das BVwG fest, dass in den Anwendungsbereich der DSGVO fallende, identifizierbare personenbezogene Daten im Sinn des Art. 4 Z 1 DSGVO vorlägen, zumal zumindest die Kfz-Kennzeichen Dritter erkennbar verarbeitet worden seien.

11       3.2.1. Zum Vorwurf der unrechtmäßigen Datenverarbeitung prüfte das BVwG den Tatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO, der zwei Voraussetzungen vorsehe, nämlich die Erforderlichkeit zur Verwirklichung eines berechtigten Interesses sowie das fehlende Überwiegen der Interessen und Grundrechte der betroffenen Personen. Ein (von der DSB begründend ins Treffen geführtes) allfälliges fehlendes Bewusstsein der Straßenverkehrsteilnehmer betreffend eine sie erfassende Datenverarbeitung habe - so das BVwG - nicht zur Folge, dass jegliche Interessenabwägung überflüssig werde. Zudem sei zu berücksichtigen, dass nach § 12 DSG eine (verhältnismäßige) Bildverarbeitung zu privaten Zwecken im öffentlichen Raum bei überwiegenden berechtigten Interessen des Verantwortlichen zulässig sei.

12       Bei der gebotenen Interessenabwägung sei - so das BVwG weiter - auf die Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens Bedacht zu nehmen. Sache eines Verwaltungsstrafverfahrens sei die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat mit ihren wesentlichen Sachverhaltselementen. Im vorliegenden Fall sei dem Mitbeteiligten allein die Anfertigung und Auswertung von Bilddaten zum Zeitpunkt eines bestimmten Unfallgeschehens angelastet worden. Angesichts der Tatumschreibung sei eine über diesen Anlassfall hinausgehende Verarbeitung von Bilddaten vom Tatvorwurf und damit von der Prüfbefugnis des BVwG nicht umfasst. An der Dokumentation eines konkreten Unfallgeschehens zum Zweck der Geltendmachung von Rechtsansprüchen bestehe nach Ansicht des BVwG ein erhebliches Interesse. Da sich Personen im Straßenverkehr bewusst einer Öffentlichkeit und einer Wahrnehmung durch Dritte aussetzten, müssten sie spätestens im Fall eines Unfallgeschehens mit einer Dokumentation ihres Unfallgeschehens rechnen. Ein generelles überwiegendes Interesse von Straßenverkehrsteilnehmern, im Fall eines konkreten Unfallgeschehens nicht gefilmt zu werden, sei nicht anzunehmen. Der von der DSB angelastete Verstoß gegen den Grundsatz der rechtmäßigen Datenverarbeitung könne daher nicht aufrechterhalten werden. Dabei verwies das BVwG erneut auf seinen auf den konkreten Anlassfall bezogenen Prüfumfang und auf den Umstand, dass im vorliegenden Fall somit keine Aussage über die Zulässigkeit einer anlasslosen Bildverarbeitung im Straßenverkehr zu treffen gewesen sei.

13       3.2.2. In der Folge prüfte das BVwG den Vorwurf der unverhältnismäßigen Datenverarbeitung. Ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO setze - so das BVwG - eine für den eigentlichen Zweck der Verarbeitung nicht erforderliche Datenverarbeitung voraus. Die alleinige Verarbeitung von Bilddaten zum Zweck der Dokumentation eines konkreten Unfalls könne nicht per se als unverhältnismäßig erachtet werden. Sonstige Sachverhaltselemente fänden sich im zugrundeliegenden Tatvorwurf nicht. Mit der (vom Mitbeteiligten angesprochenen) Aufzeichnung von Bildmaterial von drei Minuten vor dem Unfall (mittels Herausziehen einer Karte) sei der Mitbeteiligte zu keinem Zeitpunkt konfrontiert worden.

14       Gerade der Vorwurf der unverhältnismäßigen Datenverarbeitung setze nach Ansicht des BVwG aber eine ausreichende Darstellung der betroffenen Daten und des Ausmaßes ihrer Verarbeitung voraus. Eine Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Datenverarbeitung könne ohne Kenntnis der Daten und des Ausmaßes ihrer Verarbeitung nicht erfolgen. Die Aufnahme weiterer Sachverhaltselemente in Bezug auf das Ausmaß der Datenverarbeitung wäre als Austausch der Tathandlung zu qualifizieren. Dem BVwG sei es allerdings verwehrt, über den von der DSB gegenständlich erhobenen Tatvorwurf hinaus eine Entscheidung zu treffen.

15       3.3. Das Straferkenntnis sei daher aufzuheben und das Strafverfahren - da die dem Mitbeteiligten zur Last gelegte Tat keine Verwaltungsübertretung bilde - einzustellen gewesen. Diese Entscheidung könne gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststehe, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben sei.

16       3.4. Die ordentliche Revision erklärte das BVwG für zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob die konkrete Bezeichnung der Daten und des Ausmaßes ihrer Verarbeitung notwendiges und damit nicht auswechselbares Tatbestandsmerkmal des Vorwurfs einer Verwaltungsübertretung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO sei.

17       4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Amtsrevision.

18       Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Abweisung der Revision beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

19       1. Die Amtsrevisionswerberin verweist zur Zulässigkeit zum einen auf die vom BVwG aufgezeigte Rechtsfrage. Zum anderen bringt sie vor, es existiere keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Datenverarbeitung durch eine Dash-Cam in der DSGVO Deckung finde. Zudem wird ein Abweichen vom hg. Erkenntnis VwGH 12.9.2016, Ro 2015/04/0011, zur Bildverarbeitung durch eine Dash-Cam sowie von näher zitierter hg. Rechtsprechung betreffend die Durchführung einer mündlichen Verhandlung geltend gemacht.

20       Die Revision erweist sich im Hinblick auf die angesprochene Konkretisierung des Ausmaßes der Datenverarbeitung im Tatvorwurf als zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch als berechtigt.

21       2. Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1, lauten auszugsweise:

Artikel 4

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

1.   ‚personenbezogene Daten‘ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden ‚betroffene Person‘) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann;

2.   ‚Verarbeitung‘ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung;

[...]

7.   ‚Verantwortlicher‘ die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet; sind die Zwecke und Mittel dieser Verarbeitung durch das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten vorgegeben, so kann der Verantwortliche beziehungsweise können die bestimmten Kriterien seiner Benennung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen werden;

[...]

Artikel 5

Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten

(1) Personenbezogene Daten müssen

a)   auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden (‚Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz‘);

[...]

c)   dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein (‚Datenminimierung‘);

[...]

Artikel 6

Rechtmäßigkeit der Verarbeitung

(1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:

[...]

f)   die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

[...]

Artikel 83

Allgemeine Bedingungen für die Verhängung von Geldbußen

[...]

(5) Bei Verstößen gegen die folgenden Bestimmungen werden im Einklang mit Absatz 2 Geldbußen von bis zu 20 000 000 EUR oder im Fall eines Unternehmens von bis zu 4 % seines gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs verhängt, je nachdem, welcher der Beträge höher ist:

a)   die Grundsätze für die Verarbeitung, einschließlich der Bedingungen für die Einwilligung, gemäß den Artikeln 5, 6, 7 und 9;

[...]“

22       3. Das BVwG legte seiner Entscheidung zugrunde, dem Mitbeteiligten sei nur angelastet worden, dass er zum Zeitpunkt eines konkreten Unfallgeschehens Bilddaten zum Zweck der Dokumentation dieses Vorfalles angefertigt und ausgewertet habe. Diese inhaltlich begrenzte Datenverarbeitung erachtete das BVwG mit näherer Begründung als rechtmäßig und verhältnismäßig. Ein darüberhinausgehender Tatvorwurf (etwa hinsichtlich der in Rede stehenden Aufzeichnung von Bildmaterial vor dem Unfallgeschehen) sei nicht erfolgt. Im Hinblick auf die Beschränkung des Prüfumfangs des BVwG durch die Sache des Verwaltungsstrafverfahrens sei auch keine generelle Aussage über die Zulässigkeit einer anlasslosen Bildverarbeitung im Straßenverkehr zu treffen gewesen.

23       Zu prüfen ist somit, ob das BVwG die Sache des Beschwerdeverfahrens zutreffend abgegrenzt hat. Dazu ist Folgendes festzuhalten:

24       4.1. Gemäß § 44a Z 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Das erfordert in aller Regel die Angabe von Tatort, Tatzeit sowie des wesentlichen Inhaltes des Tatgeschehens. Die Umschreibung der Tat hat so präzise zu sein, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wahren kann und er nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt ist; sie darf keinen Zweifel daran bestehen lassen, wofür der Täter bestraft worden ist. Ungenauigkeiten bei der Konkretisierung der Tat haben nur dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Strafbescheides, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt werden. Die Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat hat sich am jeweils in Betracht kommenden Tatbild zu orientieren (vgl. VwGH 2.10.2020, Ra 2020/02/0173, Rn. 9, mwN).

25       Die an die Tatumschreibung zu stellenden Erfordernisse sind nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall unterschiedlich zu beurteilen (vgl. etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2017/11/0301, Rn. 33, mwN).

26       Ein nicht ausreichend konkreter Spruch eines Straferkenntnisses kann aber nicht zu dessen Aufhebung führen. Das Verwaltungsgericht ist verpflichtet, den Spruch innerhalb der rechtzeitig angelasteten Tatumschreibung selbst zu korrigieren und damit gemäß § 50 VwGVG in der Sache zu entscheiden (vgl. etwa VwGH 13.7.2020, Ra 2018/11/0167, 0168, Rn. 16, mwN). Umgekehrt besteht allerdings keine Befugnis des Verwaltungsgerichtes zur Ausdehnung des Gegenstandes des Verfahrens über die Sache des Verwaltungsstrafverfahrens im Sinn des § 50 VwGVG hinaus (vgl. VwGH 14.9.2020, Ra 2020/02/0103, Rn. 29, mwN).

27       4.2. Die Amtsrevisionswerberin bringt vor, aus dem Spruch des Straferkenntnisses, wonach der Mitbeteiligte „jedenfalls am 29.11.2018 um 10.48 Uhr“ eine Verwaltungsübertretung begangen habe, gehe hervor, dass die Verwaltungsübertretung nicht nur um 10.48 Uhr begangen worden sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass aus der bloßen Beifügung des Wortes „jedenfalls“ kein Erfassen eines längeren Tatzeitraums hervorgeht. Dem BVwG kann daher nicht vorgehalten werden, dass es als Tatzeitpunkt einzig den im Spruch des Straferkenntnisses angeführten Zeitpunkt herangezogen hat. Eine Ausdehnung des Tatzeitraumes erst im Beschwerdeverfahren in Verwaltungsstrafsachen vor dem Verwaltungsgericht würde eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs und der Sache des Verfahrens im Sinn des § 50 VwGVG darstellen (vgl. VwGH 5.11.2014, Ra 2014/09/0018).

28       4.3. Demgegenüber vermag sich der Verwaltungsgerichtshof den weiteren Ausführungen des BVwG betreffend den - nur eine eingeschränkte Prüfung der hier in Rede stehenden Datenanwendung ermöglichenden - Tatvorwurf nicht anzuschließen. Zwar wird im Spruch des Straferkenntnisses an einer Stelle auf die gegenständlichen, im konkreten Anlassfall ausgewerteten Bildaufnahmen verwiesen (was auf die beiden vorgelegten Lichtbilder hindeutet). Allerdings wird allgemein vom Betrieb und der Verwendung der vom Mitbeteiligten in seinem Kraftfahrzeug installierten „Dash-Cam-Anlage“, vom unzulässigen Filmen des öffentlichen Raums und dem Eingriff in die Rechte Dritter sowie vom vorsätzlichen Anfertigen von Bildaufnahmen gesprochen. Der Tatvorwurf umfasste daher sowohl den Betrieb der vom Mitbeteiligten installierten und verwendeten Videoüberwachung an sich als auch die Anfertigung von Bildaufnahmen von anderen Straßenteilnehmern in bestimmter Dauer (konkret durch Herausziehen der Speicherkarte um 10.48 Uhr).

29       Soweit das BVwG in diesem Zusammenhang die fehlende Kenntnis bestimmter Umstände anspricht, wäre es gehalten gewesen, notwendige Ermittlungen - etwa im Wege der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung - nachzuholen. Hinzuweisen ist etwa darauf, dass das angefochtene Erkenntnis keine eigenen ausdrücklichen Feststellungen des BVwG zur generellen Ausgestaltung der gegenständlichen Dash-Cam-Anlage enthält (es findet sich lediglich bei der Darstellung des Verfahrensganges eine Wiedergabe der Ausführungen des Mitbeteiligten in seinem Einspruch gegen die Strafverfügung). Auf Basis derartiger Feststellungen hätte das BVwG dann (sowohl im Zusammenhang mit der Abwägung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO als auch im Hinblick auf den in Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO normierten Grundsatz der Datenminimierung) beurteilen müssen, ob die dem Mitbeteiligten (wie oben dargestellt) angelastete Datenverarbeitung insgesamt im Hinblick auf das davon erfasste Ausmaß als rechtmäßig und auf das notwendige Maß beschränkt angesehen werden kann. Sollte das BVwG den Spruch insoweit als zu unpräzise ansehen, hätte es diesen innerhalb der angelasteten Tatumschreibung präzisieren müssen.

30       Dass der Mitbeteiligte bei einem derart angenommenen Tatvorwurf an der Wahrung seiner Verteidigungsrechte gehindert gewesen oder der Gefahr der Doppelbestrafung ausgesetzt wäre, ist nicht ersichtlich, zumal sich seinem Einspruch gegen die Strafverfügung entnehmen lässt, dass er sich detailliert und umfassend gegen den Tatvorwurf zur Wehr gesetzt hat.

31       4.4. Dem Verwaltungsgericht ist daher anzulasten, die Sache des Verfahrens falsch abgegrenzt zu haben.

32       5. Zum darüberhinausgehenden Vorbringen der Amtsrevisionswerberin wird vor diesem Hintergrund der Vollständigkeit halber noch Folgendes angemerkt:

33       5.1. In der Amtsrevision wird vorgebracht, eine Dash-Cam-Anlage wie die hier gegenständliche, die durch einfaches Herausziehen der Speicherkarte eine jederzeit aktivierbare und somit auch anlasslose Speicherung von Aufzeichnungen in der Dauer von drei Minuten ermögliche, sei unverhältnismäßig; das angefochtene Erkenntnis verstoße daher gegen das hg. Erkenntnis VwGH Ro 2015/04/0011, zumal die gegenständliche Dash-Cam-Anlage eingriffsintensiver sei als die im zitierten Erkenntnis beurteilte Datenverarbeitung.

34       Damit verkennt die Amtsrevisionswerberin aber, dass das BVwG eine anlasslose Speichermöglichkeit in der Dauer von drei Minuten nicht als Gegenstand des Beschwerdeverfahrens angesehen hat, weil dies dem Mitbeteiligten nicht vorgehalten worden sei. Ausgehend davon ging das BVwG - worauf es auch ausdrücklich hinwies - davon aus, dass es zu einer derartigen Bildverarbeitung keine Aussage treffen könne. Den Ausführungen der Amtsrevision zur Unzulässigkeit einer dauerhaft aufzeichnenden Dash-Cam kommt somit im vorliegenden Fall (bezüglich der Überprüfung des angefochtenen Erkenntnisses) keine Relevanz zu, weil das BVwG eine derartige Bildverarbeitung nicht beurteilt hat. Für die Lösung bloß abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof aber nicht zuständig (vgl. VwGH 22.12.2020, Ra 2018/04/0169 bis 0172, Rn. 14, mwN).

35       Gleiches gilt für das behauptete Abweichen der angefochtenen Entscheidung vom hg. Erkenntnis Ro 2015/04/0011. Ausgehend von der seitens des BVwG seiner Entscheidung zugrunde gelegten Prämisse hinsichtlich des begrenzten Prüfumfangs kommt es nämlich nicht darauf an, ob das vom Mitbeteiligten installierte System dem Grunde nach eingriffsintensiver ist als die im hg. Erkenntnis Ro 2015/04/0011 beurteilte Datenanwendung, weil das BVwG seiner Beurteilung nicht die Datenanwendung insgesamt zugrunde gelegt hat.

36       5.2. Soweit die Amtsrevision eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses „auf Grund der nicht erfolgten Entscheidung in der Sache“ durch das BVwG annimmt, ist anzumerken, dass es sich beim angefochtenen Erkenntnis des BVwG um eine Entscheidung in der Sache handelt, wenn auch in Form einer ersatzlosen Behebung des bei ihm angefochtenen Bescheides (vgl. - dort zur ersatzlosen Behebung auf Grund von Unzuständigkeit - VwGH 20.7.2016, Ra 2015/22/0055, Rn. 19; vgl. zur Einstellung des Strafverfahrens als Sachentscheidung VwGH 2.5.2019, Ra 2019/05/0006, Rn. 9, mwN). Der Umstand, dass das BVwG die Einbeziehung bestimmter Sachverhaltselemente als eine unzulässige Ausweitung der Sache angesehen und daher abgelehnt hat, ist nicht gleichbedeutend mit einer Verweigerung der „Entscheidung in der Sache“.

37       6. Aus den in Pkt. 4 dargelegten Gründen hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis aber mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 18. März 2022

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2020040008.J00

Im RIS seit

13.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

16.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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