TE Lvwg Beschluss 2022/1/21 LVwG-AV-1168/001-2021

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.01.2022
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

21.01.2022

Norm

GewO 1994 §87 Abs1 Z3
AVG 1991 §38
VwGVG 2014 §17

Text

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch MMag. Dr. Michaela Lütte-Mersch als Einzelrichterin über die Beschwerde des A, vertreten durch B, Rechtsanwältin in ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 27. April 2021, Zl. ***, betreffend Entziehung der Gewerbeberechtigung, den

BESCHLUSS:

1.   Das Verfahren wird gemäß §§ 17 VwGVG iVm 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung der beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich anhängigen Verfahren 1. zur Zahl LVwG-S-1606/001-2021 (zu ***) und 2. zur Zahl LVwG-S-1847/001-2021 (zu ***), beide betreffend angelastete Übertretungen insbesondere des COVID-19-Maßnahmengesetzes, ausgesetzt.

2.   Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.

Begründung:

1.   Feststellungen:

1.1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die Gewerbeberechtigung für das „Handelsgewerbe mit Ausnahme der reglementierten Handelsgewerbe und Handelsagent“ im Standort ***, ***, ***, GISA-Zahl ***, wegen fehlender gewerberechtlicher Zuverlässigkeit gemäß § 87 Abs. 1 Z 3 der Gewerbeordnung 1994 (GewO) entzogen.

Diesem Bescheid legte die belangte Behörde die folgenden zehn Sachverhalte betreffend Übertretungen des Beschwerdeführers insbesondere des Covid-19-Maßnahmengesetzes an sechs Tagen, nämlich am 09.11.2020, 04.12.2020, 12.12.2020, 28.01.2021, 03.02.2021 und 12.02.2021, zugrunde:

1.)

„[Es wird] festgestellt, dass Sie als Inhaber einer Betriebsstätte des Handelsgewerbes im Standort ***, ***, *** am 12.12.2020 gegen 11:25 Uhr nicht dafür Sorge getragen haben, dass diese Betriebsstätte des Handelsgewerbes in der Betriebsart Lebensmittelhandel im Standort ***, ***, *** („***“), nicht entgegen den in § 3 Abs. 1 Zi. 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 5 Abs. 1 Zi. 3 2. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung festgelegten Voraussetzungen betreten wird, da durch Ihren Mitarbeiter C an dessen Arbeitsort bei Kundenkontakt (Kunden: D, E) keine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung getragen wurde und auch zwischen den Personen keine sonstige geeignete Schutzvorrichtungen zur räumlichen Trennung vorhanden waren, die das gleiche Schutzniveau gewährleisten, obwohl der Betreiber gemäß § 5 Abs. 1 Zi. 3 2. COVID-19-chutzmaßnahmenverordnung sicherzustellen hat, dass er und seine Mitarbeiter bei Kundenkontakt eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung tragen, sofern zwischen den Personen keine sonstige geeignete Schutzvorrichtung zur räumlichen Trennung vorhanden ist, die das gleiche Schutzniveau gewährleistet.“

2.)

„Sie haben als Inhaber einer Betriebsstätte des Handelsgewerbes im Standort ***, ***, *** am 12.12.2020 gegen 11:25 Uhr nicht dafür Sorge getragen, dass diese Betriebsstätte des Handelsgewerbes in der Betriebsart Lebensmittelhandel im Standort ***, ***, *** („***“), nicht entgegen den in § 3 Abs. 1 Zi. 1 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 5 Abs. 1 Zi. 2 2. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung festgelegten Voraussetzungen betreten wird, da die Kunden D, E sowie F (gegen 11:40 Uhr) beim Betreten des Kundenbereichs der Betriebsstätte keine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung getragen haben, obwohl gemäß § 5 Abs. 1 Zi. 2 2. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung Kunden eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen haben und der Inhaber einer Betriebsstätte dafür Sorge zu tragen hat, dass die Betriebsstätte nicht entgegen den in einer Verordnung gemäß §§ 3 und 4 COVID-19-Maßnahmengesetz festgelegten Personenzahlen, Zeiten, Voraussetzungen oder Auflagen betreten wird.“

3.)

„Sie haben als Inhaber einer Betriebsstätte des Handelsgewerbes im Standort ***, ***, *** am 09.11.2020 gegen 10:20 Uhr nicht dafür Sorge getragen, dass diese Betriebsstätte des Handelsgewerbes in der Betriebsart Lebensmittelhandel im Standort ***, ***, *** („***“), nicht entgegen den in § 3 Abs. 1 Zi. 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 5 Abs. 1 Zi. 3 COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung festgelegten Voraussetzungen betreten wird, da die Mitarbeiter G und C bei Kundekontakt (Kundin H) keine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung getragen haben und auch zwischen den Personen keine sonstige geeignete Schutzvorrichtungen zur räumlichen Trennung vorhanden waren, die das gleiche Schutzniveau gewährleisten, obwohl der Betreiber gemäß § 5 Abs. 1 Zi. 3 COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung sicherzustellen hat, dass er und seine Mitarbeiter bei Kundenkontakt eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung tragen, sofern zwischen den Personen keine sonstige geeignete Schutzvorrichtung zur räumlichen Trennung vorhanden ist, die das gleiche Schutzniveau gewährleistet.“

4.)

„Sie haben als Inhaber einer Betriebsstätte des Handelsgewerbes im Standort ***, ***, *** am 09.11.2020 gegen 10:20 Uhr nicht dafür Sorge getragen, dass diese Betriebsstätte des Handelsgewerbes in der Betriebsart Lebensmittelhandel im Standort ***, ***, *** („***“), nicht entgegen den in § 3 Abs. 1 Zi. 1 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 5 Abs. 1 Zi. 2 COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung festgelegten Voraussetzungen betreten wird, da die Kundin H beim Betreten des Kundenbereichs der Betriebsstätte keine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung getragen hat, obwohl gemäß § 5 Abs. 1 Zi. 2 COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung Kunden eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen haben und der Inhaber einer Betriebsstätte dafür Sorge zu tragen hat, dass die Betriebsstätte nicht entgegen den in einer Verordnung gemäß §§ 3 und 4 COVID-19-Maßnahmengesetz festgelegten Personenzahlen, Zeiten, Voraussetzungen oder Auflagen betreten wird.“

5.)

„Sie haben als Inhaber einer Betriebsstätte des Handelsgewerbes im Standort ***, ***, *** am 04.12.2020 gegen 12:40 Uhr nicht dafür Sorge getragen, dass diese Betriebsstätte des Handelsgewerbes in der Betriebsart Lebensmittelhandel im Standort ***, ***, *** („***“), nicht entgegen den in § 3 Abs. 1 Zi. 1 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 5 Abs. 4 Zi. 2 iVm § 5 Abs. 5 Zi. 4 COVID-19-Notmaßnahmenverordnung festgelegten Voraussetzungen betreten wird, da die Kundin I beim Betreten des Kundenbereichs der Betriebsstätte keine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung getragen hat, obwohl gemäß § 5 Abs. 5 Zi. 4 COVID-19-Notmaßnahmenverordnung Kunden eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen haben und der und der Inhaber einer Betriebsstätte dafür Sorge zu tragen hat, dass die Betriebsstätte nicht entgegen den in einer Verordnung gemäß §§ 3 und 4 COVID-19-Maßnahmengesetz festgelegten Personenzahlen, Zeiten, Voraussetzungen oder Auflagen betreten wird.“

6.)

„Sie haben als Inhaber einer Betriebsstätte des Handelsgewerbes im Standort ***, ***, *** am 04.12.2020 gegen 12:40 Uhr nicht dafür Sorge getragen, dass diese Betriebsstätte des Handelsgewerbes in der Betriebsart Lebensmittelhandel im Standort ***, ***, *** („***“), nicht entgegen den in § 3 Abs. 1 Zi. 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 5 Abs. 4 Zi. 2 iVm § 5 Abs. 5 Zi. 5 COVID-19-Notmaßnahmenverordnung festgelegten Voraussetzungen betreten wird, da Sie als Betreiber und Ihre Mitarbeiter G und C bei Kundekontakt mit der Kundin I keine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung getragen haben und auch zwischen den Personen keine sonstige geeignete Schutzvorrichtungen zur räumlichen Trennung vorhanden waren, die das gleiche Schutzniveau gewährleisten, obwohl gemäß § 5 Abs. 5 Zi. 5 COVID-19-Notmaßnahmenverordnung der Betreiber sicherzustellen hat, dass er und seine Mitarbeiter bei Kundenkontakt eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung tragen, sofern zwischen den Personen keine sonstige geeignete Schutzvorrichtung zur räumlichen Trennung vorhanden ist, die das gleiche Schutzniveau gewährleistet.“

7.)

„Sie haben als Inhaber einer Betriebsstätte des Handelsgewerbes im Standort ***, ***, *** am 28.01.2021 gegen 14:15 Uhr nicht dafür Sorge getragen, dass diese Betriebsstätte des Handelsgewerbes in der Betriebsart Lebensmittelhandel im Standort ***, ***, *** („***“), nicht entgegen den in § 3 Abs. 1 Zi. 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 5 Abs. 5 Zi. 2 iVm § 5 Abs. 6 Zi. 5 iVm § 6 Abs. 2 Zi. 2 3.COVID-19-Notmaßnahmenverordnung festgelegten Voraussetzungen betreten wird, da von Ihnen und Ihrem Mitarbeiter G beim Betreten dieses Arbeitsortes in geschlossenen Räumen keine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung getragen wurde und ein physischer Kontakt zu Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, nicht ausgeschlossen werden konnte oder das Infektionsrisiko durch sonstige geeignete Schutzmaßnahmen minimiert werden konnte. Sonstige geeignete Schutzmaßnahmen sind insbesondere technische Schutzmaßnahmen wie die Anbringung von Trennwänden oder Plexiglaswänden und, sofern technische Schutzmaßnahmen die Arbeitsverrichtung verunmöglichen würden, organisatorische Schutzmaßnahmen wie das Bilden von festen Teams, solche waren nicht vorhanden.“

8.)

„Sie haben als Inhaber einer Betriebsstätte des Handelsgewerbes im Standort ***, ***, *** am 28.01.2021 gegen 14:15 Uhr nicht dafür Sorge getragen, dass diese Betriebsstätte des Handelsgewerbes in der Betriebsart Lebensmittelhandel im Standort ***, ***, *** („***“), nicht entgegen den in § 3 Abs. 1 Zi. 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 5 Abs. 5 Zi. 2 iVm § 6 Abs. 2 Zi. 1 3. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung festgelegten Voraussetzungen betreten wird, da Sie und Ihr Mitarbeiter G beim Betreten von Arbeitsorten zwischen Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, keinen Abstand von mindestens zwei Metern gegenüber zueinander und Kunden eingehalten haben.“

9.)

„Sie haben als Inhaber einer Betriebsstätte des Handelsgewerbes im Standort ***, ***, *** am 03.02.2021 gegen 09:30 Uhr nicht dafür Sorge getragen, dass diese Betriebsstätte des Handelsgewerbes in der Betriebsart Lebensmittelhandel im Standort ***, ***, *** („***“), nicht entgegen den in § 3 Abs. 1 Zi. 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 5 Abs. 5 Zi. 2 iVm § 5 Abs. 6 Zi. 5 iVm § 6 Abs. 2 Zi. 2 3.COVID-19-Notmaßnahmenverordnung festgelegten Voraussetzungen betreten wird, da Sie und Ihr Mitarbeiter G beim Betreten des Arbeitsortes in geschlossenen Räumen keine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung getragen haben, obwohl ein physischer Kontakt zu Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, nicht ausgeschlossen werden konnte oder das Infektionsrisiko durch sonstige geeignete Schutzmaßnahmen minimiert werden konnte. Sonstige geeignete Schutzmaßnahmen sind insbesondere technische Schutzmaßnahmen wie die Anbringung von Trennwänden oder Plexiglaswänden und, sofern technische Schutzmaßnahmen die Arbeitsverrichtung verunmöglichen würden, organisatorische Schutzmaßnahmen wie das Bilden von festen Teams, solche waren nicht vorhanden.“

10.)

„Sie haben als Inhaber einer Betriebsstätte des Handelsgewerbes im Standort ***, ***, *** am 12.02.2021 gegen 14:50 Uhr nicht dafür Sorge getragen, dass diese Betriebsstätte des Handelsgewerbes in der Betriebsart Lebensmittelhandel im Standort ***, ***, *** („***“), nicht entgegen den in § 3 Abs. 1 Zi. 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 5 Abs. 5 Zi. 2 iVm § 5 Abs. 6 Zi. 5 iVm § 6 Abs. 2 Zi. 2 4.COVID-19-Notmaßnahmenverordnung festgelegten Voraussetzungen betreten wird, da von Ihnen und Ihrem Mitarbeiter C beim Betreten des Arbeitsortes in geschlossenen Räumen keine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung getragen wurde und ein physischer Kontakt zu Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, nicht ausgeschlossen werden konnte oder das Infektionsrisiko durch sonstige geeignete Schutzmaßnahmen minimiert werden konnte. Sonstige geeignete Schutzmaßnahmen sind insbesondere technische Schutzmaßnahmen wie die Anbringung von Trennwänden oder Plexiglaswänden und, sofern technische Schutzmaßnahmen die Arbeitsverrichtung verunmöglichen würden, organisatorische Schutzmaßnahmen wie das Bilden von festen Teams, solche waren nicht vorhanden.“

Darüber hinaus wurde das Vorliegen von folgenden drei rechtskräftigen und nicht getilgten Verwaltungsübertretungen festgestellt:

-    Strafverfügung vom 19.12.2018, Zahl ***, betreffend Bereithalten und Verwenden eines eichpflichtigen Messgeräts im rechtsgeschäftlichen Verkehr zum Abwägen von Obst nach Masse, obwohl dieses nicht geeicht war, gemäß § 63 Abs.1 iVm § 7 Abs. 1 und Abs. 2 iVm § 8 Abs. 1 Zi. 2 Maß- und Eichgesetz; Geldstrafe iHv von 500,00 Euro;

-    Strafverfügung vom 04.09.2020, Zahl ***, betreffend Anbieten von pflanzlichen Raucherzeugnissen in Form von Hanfblüten unter der Internetadresse *** gemäß § 14 Abs. 1 Z 2 iVm § 2a Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetz; Geldstrafe in Höhe von 300,00 Euro;

-    Strafverfügung vom 03.10.2020, Zahl ***, betreffend Verkauf von verwandten Erzeugnissen im Sinne des Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetz in Form von 3 Gramm CBD im Geschäftslokal „J" in ***, *** an eine 14-Jährige Jugendliche gemäß § 24 Abs. 3 iVm § 18 Abs. 3 NÖ Jugendgesetz; Geldstrafe in Höhe von 250,00.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass das Tatbestandsmerkmal der schwerwiegenden Verstöße gemäß § 87 Abs. 1 Z 3 GewO nicht nur durch an sich schwerwiegende Verstöße erfüllt werden könne, sondern auch durch eine Vielzahl geringfügiger Verletzungen der im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften. Dabei sei entscheidend, dass sich aus dieser Vielzahl unter Berücksichtigung der Art der verletzten Schutzinteressen und der Schwere ihrer Verletzung die Prognose stellen lässt, der Gewerbetreibende sei nicht mehr als zuverlässig anzusehen. Mögen auch die vorliegenden rechtskräftigen Verwaltungsstrafen für sich allein noch keine schwerwiegenden Verstöße im Sinne des § 87 Abs. 1 Z 3 GewO darstellen, so könne in Zusammenschau mit den wiederholten und der über einen Zeitraum von mehreren Monaten bestehenden Nichtbeachtung der COVID-Vorschriften, vom Vorliegen schwerwiegender Verstöße gegen die im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften gesprochen werden. Aufgrund der wiederholten und weiterhin andauernden Begehung von Verstößen gegen gewerberechtlich maßgebliche Vorschriften sei die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen, dass der Beschwerdeführer die für die Ausübung dieses Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitze.

1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

1.3. Acht der zehn von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalte (betreffend zur Last gelegte Verstöße des Beschwerdeführers gegen das Covid-19-Maßnahmengesetz) sind Gegenstand von drei Straferkenntnissen der belangten Behörde. Das Straferkenntnis vom 25. Mai 2021, Zl. ***, betrifft den unter den Punkten 1.) und 2.) dargestellten Sachverhalt, das Straferkenntnis vom 08. Juni 2021, ***, den unter den Punkten 3.) und 4.) dargestellten Sachverhalt und das Straferkenntnis vom 24. Juni 2021, Zl. ***, den unter den Punkten 5.), 7.), 9.) und 10.) dargestellten Sachverhalt.

Nicht Gegenstand eines Verfahrensstrafverfahrens sind die unter den Punkten 6.) (Nichttragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden, eng anliegenden mechanischen Schutzvorrichtung „bei Kundenkontakt“ durch den Beschwerdeführer und einen seiner Mitarbeiter) und 8.) (Nichteinhaltung des Mindestabstands von 2 Meter durch den Beschwerdeführer und einen seiner Mitarbeiter zueinander und „gegenüber Kunden“).

Der Beschwerdeführer hat gegen alle drei bezeichneten Straferkenntnisse Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erhoben. Die Beschwerden gegen Straferkenntnis vom 25. Mai 2021, Zl. *** (protokolliert zur Zahl LVwG-S-1606/001-2021) und gegen das Straferkenntnis vom 24. Juni 2021, Zl. *** (protokolliert zur Zahl LVwG-S-1847/001-2021) sind bis dato beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich anhängig. Über die Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 08. Juni 2021, ***, (protokolliert zur Zahl LVwG-S-1620/001-2021) wurde mit hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2022, Zl. LVwG-S-1620/001-2021, entschieden (Abweisung der Beschwerde).

1.4. Mit Schriftsatz vom 18. Jänner 2022 begehrte der Beschwerdeführer die Aussetzung des gegenständlichen Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in den beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich anhängigen Strafverfahren.

1.5. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich brachte der belangten Behörde dieses Schreiben am 18. Jänner 2022 mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zu einer Aussetzung des Verfahrens zur Kenntnis (Frist: bis 20. Jänner 2022; diese Fristsetzung erfolgte im Hinblick auf die für den 26. Jänner 2022 anberaumte öffentliche mündliche Verhandlung). Die belangte Behörde gab hierzu bis dato keine Stellungnahme ab.

2.   Rechtliche Erwägungen:

2.1. Gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG ist das Verwaltungsgericht berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgeblichen Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Das Verwaltungsgericht kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird (zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer förmlichen Aussetzung durch das Verwaltungsgericht vgl. VwGH 18.03.2016, Ra 2016/11/0040).

2.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Gewerbebehörde – wie auch das Verwaltungsgericht – bei der Entziehung der Gewerbeberechtigung gemäß § 87 Abs. 1 Z 3 GewO an rechtskräftige Straferkenntnisse gebunden (vgl. etwa VwGH 14.03.2012, 2011/04/0209, mwN). Hinsichtlich in Verwaltungsstrafverfahren als erwiesen angenommene Tatsachen ist eine neuerliche Sachverhaltsfeststellung nicht nur entbehrlich, sondern – und zwar mit Rücksicht auf die eingetretene Rechtskraft der Straferkenntnisse – auch nicht mehr zulässig (vgl. VwSlg. 7827 A/1970). Steht aufgrund von rechtskräftigen und nicht getilgten Bestrafungen fest, dass der Gewerbeinhaber schwerwiegende und noch nicht lange zurückliegende Verstöße rechtswidrig und schuldhaft begangen hat, ergibt sich die mangelnde Zuverlässigkeit als zwingende Rechtsvermutung aus den Bestrafungen wegen der schwerwiegenden Verstöße (vgl. VwGH 08.08.2018, Ra 2018/04/0135, mwN).

Der Tatbestand des § 87 Abs. 1 Z 3 GewO kann aber auch ohne Vorliegen von rechtskräftigen Bestrafungen verwirklicht sein. In einem Fall, in dem (überhaupt) keine Bestrafung erfolgt ist und sich die „schwerwiegenden Verstöße" auf sonstige Fakten gründen, hat die Behörde anhand des sich aus den Verstößen ergebenden Persönlichkeitsbildes des Gewerbetreibenden zu beurteilen, ob dieser die Zuverlässigkeit im Sinn von § 87 Abs. 1 Z. 3 GewO besitzt (vgl. VwGH 17.09.2014, Ro 2014/04/0060). Dazu ist allerdings erforderlich, dass die Behörde nach Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens unter Wahrung des Parteiengehörs Feststellungen über die konkreten Tathandlungen trifft (vgl. VwGH 25.03.2014, 2013/04/0077).

2.3. Die mit der Entziehung der Gewerbeberechtigung befasste Behörde (wie auch das Verwaltungsgericht) hat sohin, wenn im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung noch keine bindenden rechtskräftigen Straferkenntnisse über die Begehung der als Grundlage der Entziehung angenommenen, „schwerwiegende Verstöße“ iSd § 87 Abs. 1 Z 3 GewO darstellenden Übertretungen vorliegen, die Frage, ob diese Übertretungen vom Beschwerdeführer begangen wurden, als Vorfrage nach § 38 AVG selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen. Wenn Verwaltungsstrafverfahren bereits anhängig sind, besteht gemäß § 38 AVG aber auch die Möglichkeit, das Verfahren betreffend die Entziehung der Gewerbeberechtigung auszusetzen, bis die in diesem Verfahren eine Vorfrage darstellenden Tatvorwürfe in den bereits anhängigen Verwaltungsstrafverfahren geklärt sind (zu einer insoweit vergleichbaren Rechtslage vgl. VwGH 26.07.2018, Ra 2018/11/0085, mwN; zur vorfragenweisen Beurteilung von „schwerwiegenden Verstößen“ iSd § 87 Abs.1 Z 3 GewO sowie zur Wiederaufnahme eines Gewerbeanmeldeverfahrens im Falle einer nachträglichen, in wesentlichen Punkten anderen Entscheidung über die Vorfrage durch die zuständige Strafbehörde vgl. auch VwGH 05.03.2021, Ra 2018/04/0117).

Für die Ermessensübung einer Aussetzung des Verfahrens spielt der Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie eine entscheidende Rolle. Es ist unzweckmäßig, wenn die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht ein weiteres Ermittlungsverfahren parallel zu einem Verfahren einer Verwaltungsstrafbehörde (bzw. einem Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht) führt, zumal durch die Aussetzung des Verfahrens Bindungskonflikte und die Wiederaufnahme von Verfahren vermieden werden können (siehe etwa auch VwGH 27.09. 2007, 2007/11/0074; zur Wiederaufnahme vgl. erneut VwGH 05.03.2021, Ra 2018/04/011).

2.4. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde ihrer rechtlichen Beurteilung der fehlenden gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Beschwerdeführers die festgestellten zehn Sachverhalte (betreffend Verstöße gegen das Covid-19-Maßnahmengesetz) zugrunde gelegt und das Vorliegen „schwerwiegender Verstöße“ gegen Rechtsvorschriften und Schutzinteressen iSd § 87 Abs. 1 Z 3 GewO im Hinblick auf diese „wiederholte und über einen Zeitraum von mehreren Monaten bestehenden Nichtbeachtung der COVID-Vorschriften“ bejaht.

2.5. Ob der Beschwerdeführer die im angefochtenen Bescheid angenommenen Sachverhalte verwirklicht hat, stellt sohin betreffend die unter den Punkten 1.), 2.), 5.), 7.), 9.) und 10.) dargestellten Sachverhalte jeweils eine Vorfrage für das gegenständliche Entziehungsverfahren dar, welche zugleich die Hauptfragen in den beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich anhängigen Beschwerdeverfahren protokolliert zu den Zahlen LVwG-S-1606/001-2021 und LVwG-S-1847/001-2021 sind.

Die Beurteilung dieser Vorfragen erweist sich – trotz fehlender Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens betreffend die Sachverhalte gemäß Punkt 6.) und 8.) und trotz der hg. Entscheidung vom 18. Jänner 2022, zZl. LVwG-1620/001-2021, betreffend die Sachverhalte gemäß Punkt 3.) und 4.) – aus Sicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich als notwendige Grundlage für die Entscheidung im gegenständlichen Beschwerdeverfahren, nämlich ob hinsichtlich des Beschwerdeführers insgesamt von „schwerwiegenden Verstößen“ gegen die im Zusammenhang mit dem Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen im Sinne des § 87 Abs. 1 Z 3 GewO auszugehen ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die belangte Behörde das Vorliegen schwerwiegender Verstöße gegen Rechtsvorschriften und Schutzinteressen iSd § 87 Abs. 1 Z 3 GewO gerade in der wiederholten und über einen Zeitraum von mehreren Monaten bestehenden Nichtbeachtung der COVID-Vorschriften erblickt hat, die der hg. Entscheidung vom 18. Jänner 2022, Zl. LVwG-1620/001-2021, zugrunde liegenden Sachverhalte nur den 09.11.2020 betreffen und die verwaltungsstrafrechtliche Beurteilung der von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalte am 04.12.2020, 12.12.2020, 28.01.2021, 03.02.2021 und 12.02.2021 noch Gegenstand der anhängigen Beschwerdeverfahren ist. Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Schwere von Verstöße etwa darauf an, dass diese wiederholt begangen werden (vgl. etwa VwGH 23.05.2014, Ro 2014/04/0009, mwN).

2.6. Es war daher – unter Bedachtnahme auf verfahrensökonomische Überlegungen – spruchgemäß zu entscheiden.

2.7. Die Revision ist nicht zulässig, da sich die Entscheidung auf die zitierte und einheitliche Rechtsprechung bzw. die klare und eindeutige Rechtslage stützt (zur Unzulässigkeit der Revision bei klarer Rechtslage zB VwGH 15.05.2019, Ro 2019/01/0006).

Schlagworte

Gewerbliches Berufsrecht; Handelsgewerbe; Verfahrensrecht; Aussetzung; Vorfrage;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.AV.1168.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.04.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten