TE Vwgh Beschluss 2022/3/11 Ra 2021/08/0071

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Veröffentlicht am 11.03.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §111 Abs1 Z1
ASVG §33 Abs1
ASVG §33 Abs1a
VStG §31 Abs1
VStG §32 Abs2
VStG §44a Z1
VStG §44a Z2
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §38
VwGVG 2014 §50
VwRallg

Beachte


Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2021/08/0072 B 11.03.2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin und die Hofräte Mag. Stickler und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des A C P in L, bei Einbringung der Revision vertreten durch Dr. Georg Lehner, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Südtirolerstraße 12a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 23. Dezember 2020, LVwG-302729/19/KHa, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Linz-Land), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 12. März 2020 wurde über den Revisionswerber eine Geldstrafe von € 3.000,- verhängt, weil er es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der P GmbH und damit als deren gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener zu verantworten habe, dass die P GmbH es unterlassen habe, den bei ihr zumindest von 1. August 2019 bis 12. November 2019 als Dienstnehmer beschäftigten BS vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger zur Pflichtversicherung anzumelden.

2        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Beschwerde des Revisionswerbers hinsichtlich der Schuld mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass es sich bei den vom Revisionswerber verletzten Rechtsvorschriften um § 111 Abs. 1 Z 1 iVm. § 33 Abs. 1 ASVG handle und seine Bestrafung nach dem zweiten Strafsatz des § 111 Abs. 2 ASVG erfolge. Hinsichtlich der Strafe gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde dahingehend statt, dass es die verhängte Geldstrafe auf € 2.500,- herabsetzte. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3        Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, BS sei für die P GmbH von 1. August 2019 bis 12. November 2019 - jeden Tag der Woche von 11.30 Uhr bis 24.00 Uhr - als Pizzazusteller tätig gewesen. Eine Anmeldung zur Krankenversicherung sei nicht erfolgt. Bei dieser (näher festgestellten) einfachen manipulativen Tätigkeit sei BS persönlichen Weisungen und Kontrollen unterworfen und in die betriebliche Organisation des Dienstgebers integriert gewesen. Seine Arbeitsleistung habe BS - während der gesamten Zeit seiner Tätigkeit für die P GmbH - persönlich erbracht. Eine Möglichkeit, sich von einer von ihm gewählten Person vertreten zu lassen oder eine Arbeitsleistung nicht zu erbringen, habe für BS nicht bestanden. Es sei somit im Sinn von § 4 Abs. 2 ASVG ein (vollversichertes) Beschäftigungsverhältnis vorgelegen. Im Hinblick auf eine vorangegangene Bestrafung des Revisionswerbers komme der zweite Strafsatz des § 111 Abs. 2 ASVG zur Anwendung.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Zur Zulässigkeit der Revision wird zunächst geltend gemacht, es sei Verfolgungsverjährung nach § 31 Abs. 1 VStG eingetreten. Zwar habe die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land dem Revisionswerber am 4. Februar 2020 eine Aufforderung zur Rechtfertigung übermittelt. Darin bzw. im Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 12. März 2020 sei dem Revisionswerber vorgeworfen worden, eine „nach dem ASVG in der Krankenversicherung (vollversicherte) pflichtversicherte Person“ ohne die dafür nötige Anmeldung beschäftigt zu haben. Diese Tatbeschreibung sei inhaltlich unbestimmt gewesen. Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts sei eine neue Umschreibung der Tat vorgenommen und die „angeblich verletzten Rechtsvorschriften mehrfach und entscheidungswesentlich“ geändert worden.

8        Eine die Verfolgungsverjährung nach § 31 Abs. 1 VStG unterbrechende Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG ist zwar nur dann im Sinn einer Unterbrechung der Verjährungsfrist ausreichend, wenn dem Beschuldigten das vorgeworfene Verhalten hinsichtlich aller maßgeblichen Tatbestandselemente vorgehalten wird, es kommt aber in diesem Stadium des Verfahrens auf eine (zutreffende) rechtliche Qualifikation des Verhaltens im Zusammenhang mit der Verfolgungshandlung (noch) nicht an; die Verfolgungshandlung bezieht sich nur auf die Tat selbst, nicht auf deren rechtliche Wertung (vgl. VwGH 16.9.2020, Ra 2020/09/0036, mwN).

9        Tatbestandsmäßig gemäß § 111 Abs. 1 Z 1 iVm § 33 Abs. 1 (und Abs. 1a) ASVG ist die fehlende, falsche oder nicht rechtzeitige Anmeldung von pflichtversicherten Personen beim zuständigen Krankenversicherungsträger. Wird in diesem Sinn die Nichtvornahme der Anmeldung einer in einem bestimmten Zeitraum aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses pflichtversicherten Person in der Aufforderung zur Rechtfertigung und im Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses angelastet, handelt es sich um eine ausreichende Tatumschreibung, die geeignet ist, die Verfolgungsverjährung zu unterbrechen. Die Sache des Verfahrens, die durch den genannten Tatvorwurf abgesteckt wird, wird in der Folge auch dann nicht überschritten, wenn (erst) das Verwaltungsgericht die zur Bejahung der Pflichtversicherung erforderlichen ergänzenden Feststellungen trifft (vgl. VwGH 16.2.2016, Ra 2016/08/0025, mwN).

10       Davon ausgehend stellten im vorliegenden Fall die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 4. Februar 2020 bzw. das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 12. März 2020 die Verfolgungsverjährungen nach § 31 Abs. 1 VStG unterbrechende Verfolgungshandlungen nach § 32 Abs. 2 VStG dar. Daran vermag der Umstand, dass das Verwaltungsgericht die festgestellte Tat nunmehr (zutreffend) - wie auch schon die Strafbehörde in der Aufforderung zur Rechtfertigung - rechtlich als Verletzung von § 111 Abs. 1 Z 1 iVm. § 33 Abs. 1 ASVG qualifiziert hat, nichts zu ändern (bei der Zitierung von § 34 Abs. 2 ASVG im Spruch des Straferkenntnisses handelt es sich offenbar um ein Schreibversehen, zumal in der Bescheidbegründung nur von § 33 ASVG die Rede ist).

11       Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wendet sich die Revision weiters gegen das Vorliegen einer Pflichtversicherung des BS nach § 4 Abs. 2 ASVG. Pizzazusteller seien als neue Selbstständige anzusehen. BS habe auch keine persönliche Arbeitspflicht getroffen. Er sei generell befugt gewesen, die übernommene Arbeitspflicht Dritten zu überbinden und sich somit vertreten zu lassen bzw. erteilte Aufträge abzulehnen.

12       Die Entscheidung über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Gesamtabwägung der maßgeblich für bzw. gegen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sprechenden Umstände und Merkmale. Wurde diese auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen, so ist eine solche einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen nicht revisibel. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht diese Gesamtabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 19.3.2021, Ra 2021/08/0031, mwN). Es entspricht weiters der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei einfachen manuellen Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten, die in Bezug auf die Art der Arbeitsausführung und auf die Verwertbarkeit keinen ins Gewicht fallenden Gestaltungsspielraum des Dienstnehmers erlauben, bei einer Integration des Beschäftigten in den Betrieb des Beschäftigers - in Ermangelung gegenläufiger Anhaltspunkte - das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses in persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG ohne weitwendige Untersuchungen vorausgesetzt werden kann. Spricht die Vermutung in diesem Sinn für ein Dienstverhältnis, dann muss die bestreitende Partei ein ausreichend substanziiertes Vorbringen erstatten, aus dem man anderes ableiten könnte (vgl. VwGH 9.12.2020, Ra 2020/08/0158, mwN).

13       Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall umfassende Feststellungen zur von BS für die P GmbH erbrachten Tätigkeit getroffen. Seine darauf gegründete rechtliche Beurteilung, bei dieser einfachen manuellen Tätigkeit, die in Bezug auf die Art der Arbeitsausführung und auf die Verwertbarkeit keinen ins Gewicht fallenden Gestaltungsspielraum erlaubt habe, sei vom Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit und damit von einem (echten) Dienstverhältnis im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG auszugehen, ist nicht zu beanstanden (vgl. zu „Pizzazustellern“ etwa VwGH 23.5.2019, Ra 2019/08/0088; 4.4.2016, Ra 2015/08/0195, mwN).

14       Soweit in der Revision geltend gemacht wird, die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses sei verfehlt, weil BS im Hinblick darauf, dass er sich bei seiner Tätigkeit habe vertreten lassen bzw. eine Tätigkeit auch habe ablehnen können, keine persönliche Arbeitspflicht getroffen habe, geht die Revision, ohne insoweit eine unrichtige Beweiswürdigung darzustellen, nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Eine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wird daher auch insoweit nicht aufgezeigt (vgl. VwGH 11.11.2019, Ra 2018/08/0195, mwN). Ausgehend von den getroffenen Feststellungen lag ein „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ bzw. „ein generelles Vertretungsrecht“, wodurch die persönliche Arbeitspflicht ausgeschlossen werden könnte (vgl. zur Maßgeblichkeit für das Vorliegen einer Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 ASVG etwa VwGH 11.4.2018, Ra 2017/08/0099 bis 0106), nicht vor.

15       Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit schließlich geltend, es sei keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden und die Einvernahme des Revisionswerbers unterblieben. Insgesamt habe es das Verwaltungsgericht unterlassen, die „in der Sache erforderlichen Beweise“ aufzunehmen, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu führen sowie sich mit den Beweisergebnissen ausreichend und ausgewogen auseinanderzusetzen.

16       Mit diesem Vorbringen übergeht die Revision zunächst, dass das Verwaltungsgericht am 16. November 2020 eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat, zu der der Revisionswerber und sein Vertreter - was in der Revision nicht bestritten wird - geladen wurden, jedoch unentschuldigt nicht erschienen sind. Der Vorwurf einer Mangelhaftigkeit des Verfahrens mangels Durchführung einer Verhandlung geht daher ins Leere.

17       Hinsichtlich der weiteren Rüge von Verfahrensmängeln wird auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach bei einer behaupteten Mangelhaftigkeit des Verfahrens die Zulässigkeit der Revision - neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel - voraussetzt, dass auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang - im Sinn seiner Eignung, bei einem mängelfreien Verfahren zu einer anderen für den Revisionswerber günstigeren Sachverhaltsgrundlage zu führen - konkret dargetan wird (vgl. etwa VwGH 1.7.2020, Ra 2020/08/0073, mwN). Diesen Anforderungen wird die Revision mit ihrer bloß unbestimmten Behauptung von Verfahrensmängeln nicht gerecht.

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 11. März 2022

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021080071.L00

Im RIS seit

11.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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