TE Vwgh Beschluss 2022/3/11 Ra 2020/08/0151

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Veröffentlicht am 11.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §4 Abs1 Z1
ASVG §4 Abs2
ASVG §4 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der A GmbH in G, vertreten durch die Bichler Zrzavy Rechtsanwälte GmbH in 1030 Wien, Weyrgasse 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juli 2020, W126 2202330-1/6E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse; mitbeteiligte Parteien: 1. A L, 2. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 3. Pensionsversicherungsanstalt), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 25. Juni 2018 stellte die (damalige) Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse) fest, dass die Erstmitbeteiligte auf Grund ihrer Beschäftigung bei der Revisionswerberin vom 1. März 2017 bis 31. März 2017 und vom 1. Mai 2017 bis laufend der Voll-(Kranken-, Unfall- und Pensions-)versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 4 ASVG sowie in der Zeit von 1. Februar 2017 bis 28. Februar 2017 und von 1. April 2017 bis 30. April 2017 der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 4 und § 5 Abs. 1 Z 2 iVm. § 7 Z 3 lit. a ASVG unterlegen sei.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3        Das Bundesverwaltungsgericht stellte - auf das Wesentliche zusammengefasst - fest, die Erstmitbeteiligte sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester auf Grundlage einer schriftlichen, als „Werkvertrag“ bezeichneten, Vereinbarung für die Revisionswerberin - einer Organisation (GmbH) im Bereich der Vermittlung von Pflegepersonal - tätig gewesen. Sie sei für Betreuungs- und Qualitätsvisiten in einem definierten geographischen Bereich zuständig gewesen. Ihre Tätigkeit habe darin bestanden, innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums von der Revisionswerberin zugewiesene Patienten aufzusuchen, deren Betreuungsnotwendigkeit zu dokumentieren, deren Pflegezustand zu kontrollieren und den Betreuungspersonen Vorschläge zu unterbreiten. Zudem habe sie bei Fragen der Pflege und Personenbetreuung unterstützend mitgewirkt. Die Erstmitbeteiligte habe ihre Arbeit persönlich verrichtet, die Möglichkeit einer Vertretung durch Dritte sei weder vertraglich eingeräumt gewesen, noch sei es zu einer solchen gekommen. Im Fall der Verhinderung - etwa wegen Krankheit oder Urlaub - habe die Gebietsleitung der Revisionswerberin informiert werden müssen, und es sei sodann eine Vertretung innerhalb der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Revisionswerberin organisiert worden. Die - durch die Revisionswerberin nicht gesondert vergütete - Anfahrt zu den Patienten sei entweder mit dem eigenen PKW oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit habe die Erstmitbeteiligte auch ihr privates Handy und ihren privaten Laptop verwendet, fallweise - sofern diese nicht vor Ort vorhanden gewesen seien - auch Hygieneartikel (Handschuhe und Desinfektionsmittel). Sie habe jede durchgeführte Visite auf einer speziell eingerichteten Onlineplattform erfassen müssen, wobei diese Eintragungen durch die Revisionswerberin kontrolliert worden seien. Eine stichprobenartige Kontrolle habe auch anlässlich der Honorarnotenlegung durch die Erstmitbeteiligte stattgefunden.

4        In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, der von der Erstmitbeteiligten mit der Revisionswerberin abgeschlossene Vertrag sei nicht als Werkvertrag einzustufen, weil es an einer Konkretisierung des Werkes mangle. Bei der durchgeführten Tätigkeit handle es sich vielmehr um laufend zu erbringende Dienstleistungen einer Erwerbstätigen. In einer Gesamtbetrachtung sei davon auszugehen, dass es der Revisionswerberin auf die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft der Erstmitbeteiligten angekommen sei, somit sei kein Werk, sondern die Erbringung von Dienstleistungen geschuldet gewesen. Dass es sich um kein echtes Dienstverhältnis in persönlicher Abhängigkeit gehandelt habe, sei zwischen den Parteien unstrittig. Für die Erstmitbeteiligte habe aufgrund der Ausgestaltung der Tätigkeit im wesentlichen persönliche Arbeitspflicht bestanden (Fehlen eines generellen Vertretungsrechts), womit aufgrund fehlender wesentlicher Betriebsmittel im Ergebnis das Vorliegen eines freien Dienstvertrages gemäß § 4 Abs. 4 ASVG angenommen werde.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes weiche von der - näher angeführten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen eines Werkvertrages ab. Die Erstmitbeteiligte habe „im Sinne eines Gutachtens“ Qualitätskontrollen durchgeführt, der geschuldete Erfolg sei „in der Überprüfung der Pflege-/Betreuungsleistung sowie der Überwachung der Beseitigung von (allfällig) festgestellten Mängel“ gelegen. Diese Tätigkeit sei ein „Rahmenwerkvertrag“.

10       Mit diesen Ausführungen wird keine Rechtsfrage dargetan, der grundsätzliche Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukäme.

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Abgrenzung des Werkvertrages von Dienstverträgen im Sinn des § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG bzw. § 4 Abs. 4 ASVG entscheidend darauf an, ob sich jemand auf gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen anderen (den Dienstgeber) verpflichtet (diesfalls liegt ein Dienstvertrag vor) oder ob er die Herstellung eines Werkes gegen Entgelt übernimmt (in diesem Fall liegt ein Werkvertrag vor), wobei es sich im zuletzt genannten Fall um eine im Vertrag individualisierte und konkretisierte Leistung, also eine in sich geschlossene Einheit handelt, während es beim Dienstvertrag primär auf die rechtlich begründete Verfügungsmacht des Dienstgebers über die Arbeitskraft des Dienstnehmers, also auf die Bereitschaft des Letzteren zur Erbringung von Dienstleistungen für eine bestimmte Zeit, ankommt. Der Werkvertrag begründet in der Regel ein Zielschuldverhältnis. Die Verpflichtung besteht darin, die genau umrissene Leistung - in der Regel bis zu einem bestimmten Termin - zu erbringen. Mit der Erbringung der Leistung endet das Vertragsverhältnis. Das Interesse des Bestellers und die Vertragsverpflichtung des Werkunternehmers sind lediglich auf das Endprodukt als solches gerichtet (vgl. grundlegend VwGH 20.5.1980, 2397/79; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 29.1.2020, Ra 2018/08/0028, mwN).

12       Im vorliegenden Fall hat sich die Erstmitbeteiligte nach den unbestrittenen, u.a. auf Grundlage des schriftlichen Vertrages getroffenen, Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes verpflichtet, Betreuungs- und Qualitätsvisiten durchzuführen. Bei dieser Art von Tätigkeit entspricht die vom Bundesverwaltungsgericht getroffene Beurteilung, es liege eine Vereinbarung der Verrichtung von Dienstleistungen und kein Werkvertrag vor, der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

13       Entgegen dem Revisionsvorbringen handelt es sich bei der von der Erstmitbeteiligten übernommenen Leistung nicht um ein Endprodukt im genannten Sinn, im abgeschlossenen Vertrag wird mit der Vereinbarung der Durchführung von „Betreuungsvisiten“ gerade keine individualisierte und konkretisierte Leistung festgelegt (vgl. VwGH 10.10.2018, Ra 2015/08/0130, mwN). Ebenso wenig ist ein Maßstab ersichtlich, nach welchem für den Werkvertrag typische Gewährleistungsansprüche bei Nichtherstellung oder mangelhafter Herstellung des Werkes beurteilt werden sollten. Ein der für den Werkvertrag essenziellen Gewährleistungsverpflichtung entsprechender Erfolg der Tätigkeit ist weder vertraglich festgelegt noch messbar, weshalb von einem individualisierbaren „Werk“ nicht die Rede sein kann (vgl. VwGH 25.6.2018, Ra 2017/08/0079, mwN).

14       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 11. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020080151.L00

Im RIS seit

11.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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