TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/18 Ra 2021/03/0331

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.03.2022
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der revisionswerbenden Partei Ö Landesverband in G, vertreten durch die hba Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Rooseveltplatz 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 29. April 2021, Zl. LVwG 41.24-759/2021-2, betreffend Vergütung für Verdienstentgang nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Leibnitz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit einem am 14. Mai 2020 eingebrachten (mit 12. Mai 2020 datierten) Antrag begehrte die revisionswerbende Partei eine Vergütung gemäß § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) für (unter anderem) ihre Dienstnehmerin S., die vom 6. bis 7. April 2020 bescheidmäßig abgesondert war. Dabei wurden für die betroffene Dienstnehmerin die „Personalkosten inkl. SV DG“ mit € 224,87 angegeben und angemerkt, dass es sich dabei um das regelmäßige Entgelt ohne Sonderzahlungsanteil handle.

2        Mit Verbesserungsauftrag der belangten Behörde vom 17. September 2020 wurde die revisionswerbende Partei aufgefordert, den Antrag zu konkretisieren, ein Erhebungsformular auszufüllen und mit näher bezeichneten Unterlegen der Behörde binnen 14 Tagen zu übermitteln. Die revisionswerbende Partei kam diesem Verbesserungsauftrag mit Eingabe vom 29. September 2020 nach, wobei im Berechnungsblatt anteilige Sonderzahlungen angegeben waren.

3        Mit Bescheid der belangten Behörde vom 8. Februar 2021 wurde dem Antrag der revisionswerbenden Partei „teilweise stattgegeben“ und eine Vergütung für den Verdienstentgang in der Höhe von € 215,29 zugesprochen.

4        Die revisionswerbende Partei erhob gegen die Abweisung des Mehrbegehrens, das sich auf die Vergütung der aliquoten Sonderzahlung richtete, Beschwerde an das Verwaltungsgericht, die mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis als unbegründet abgewiesen wurde. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde nicht zugelassen.

5        Das Verwaltungsgericht führte begründend aus, dass es sich beim Verfahren um Zuerkennung einer Vergütung für den Verdienstentgang nach § 32 EpiG um ein antragsbedürftiges Verfahren handle, in welchem der Antragsteller bestimme, was Gegenstand des Verfahrens sei. Behörde und Gericht seien an den Inhalt des Antrags gebunden und es sei der Behörde und dem Gericht auch verwehrt, einseitig von diesem abzuweichen.

6        Dem klaren Wortlaut des Antrags vom 12. Mai 2020 sei unmissverständlich zu entnehmen, dass sich der begehrte Vergütungsbetrag aus dem regelmäßigen Entgelt und dem Dienstgeberbeitrag zur Sozialversicherung, jedoch ohne Sonderzahlungsanteil, zusammensetze. Zwar habe die revisionswerbende Partei mit E-Mail vom 29. September 2020 das ausgefüllte „Erhebungsformular zum Antrag des Arbeitgebers auf Vergütung gemäß § 32 Epidemiegesetz“ samt einem ausgefüllten Berechnungsblatt, in welchem nun auch eine aliquote Sonderzahlung dargestellt sei, übermittelt, jedoch sei damit keine Antragsausdehnung verbunden, zumal diese Unterlagen lediglich als Beilagen zum Antrag anzusehen seien. Eine „verbale Antragsausdehnung“ gegenüber dem ursprünglichen Antrag vom 12. Mai 2020 sei durch bloße Übermittlung dieser Unterlagen nicht verbunden.

7        Gegen dieses Erkenntnis erhob die revisionswerbende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 22. September 2021, E 2361/2021-10, ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof ab.

8        Der Verwaltungsgerichtshof leitete über die daraufhin erhobene außerordentliche Revision das Vorverfahren ein, in dem die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision erstattete.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9        Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit unter anderem geltend, das Verwaltungsgericht sei von - näher bezeichneter - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, da es dem Vorbringen der revisionswerbenden Partei einen Verzicht auf die Geltendmachung anteiliger Sonderzahlungen unterstelle, obwohl die Erklärungen der revisionswerbenden Partei zumindest Zweifel hätten aufkommen lassen und zumindest eine Klarstellung hätte herbeigeführt werden müssen.

10       Die Revision ist im Sinne des Zulässigkeitsvorbringens zulässig; sie ist auch begründet.

11       Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 33 EpiG der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 leg. cit. binnen sechs Wochen vom Tage der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen ist, widrigenfalls der Anspruch erlischt. In Bezug auf diese Frist wurde jedoch mit BGBl. I Nr. 62/2020 eine Sonderbestimmung für die Dauer der Pandemie mit SARS-CoV-2 geschaffen, die in § 49 Abs. 1 EpiG vorsieht, dass abweichend von § 33 EpiG der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges, der aufgrund einer wegen des Auftretens von SARS-CoV-2 ergangenen Maßnahme besteht, binnen drei Monaten vom Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen ist. Bereits vor Inkrafttreten dieser Bestimmung laufende und abgelaufene Fristen sollten gemäß § 49 Abs. 2 EpiG mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 62/2020 (am 8. Juli 2020) neu zu laufen beginnen.

12       Im gegenständlichen Fall begann die Frist zur Geltendmachung der Ansprüche der revisionswerbenden Partei mit Ende der Absonderung der Dienstnehmerin am 7. April 2020 zu laufen. Sie war somit bei Inkrafttreten des § 49 EpiG bereits abgelaufen, begann jedoch gemäß § 49 Abs. 2 EpiG mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 62/2020 (am 8. Juli 2020) in der Dauer von drei Monaten neu zu laufen. Die Frist endete daher am 8. Oktober 2020. Ansprüche, die bis dahin nicht geltend gemacht wurden, waren nach den oben angeführten gesetzlichen Vorgaben erloschen (vgl. VwGH 13.12.2021, Ra 2021/03/0309).

13       Zwar hatte die revisionswerbende Partei in ihrem ursprünglichen, am 14. Mai 2020 eingebrachten Antrag lediglich einen Vergütungsanspruch in der Höhe von € 224,87 geltend gemacht. Sie hat jedoch nach Ergehen des Verbesserungsauftrages das von der belangten Behörde vorgegebene Berechnungsformular ausgefüllt, in dem als Ergebnis in der Rubrik „Verdienstvergütung“ ein Betrag von € 251,17 ausgewiesen wurde. Dieses Berechnungsformular ist bei der belangten Behörde am 29. September 2020 und damit - unstrittig - noch innerhalb der der revisionswerbenden Partei für die Geltendmachung ihrer Ansprüche offenstehenden Frist eingelangt

14       Die belangte Behörde ist auch davon ausgegangen, dass die revisionswerbende Partei einen Anspruch in der Höhe von € 251,17 (inklusive anteiliger Sonderzahlungen) geltend gemacht habe. Die Zuerkennung von bloß € 215,29 wurde von der belangten Behörde nicht mit einer nicht erfolgten (oder allenfalls verspäteten) Antragsausdehnung begründet, sondern mit der Rechtsansicht, dass anteilige Sonderzahlungen nicht zu berücksichtigen seien.

15       Das Verwaltungsgericht hat sich mit dieser Rechtsansicht - die vom Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich abgelehnt wurde (vgl. VwGH 24.6.2021, Ra 2021/09/0094) - nicht auseinandergesetzt, sondern sich ausschließlich darauf gestützt, dass eine „Antragsausdehnung“ durch die Übermittlung des Berechnungsblattes nicht erfolgt sei.

16       Im Revisionsverfahren ist damit ausschließlich strittig, ob die revisionswerbende Partei durch Übermittlung des Berechnungsblattes am 29. September 2020 eine Antragsausdehnung - die (nur) innerhalb offener Frist für die Geltendmachung der Ansprüche zulässig wäre - vorgenommen hat.

17       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wirft die Auslegung eines Schriftstückes oder einer Parteierklärung im Einzelfall keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf, soweit dem Verwaltungsgericht dabei keine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen ist (vgl. etwa VwGH 22.1.2021, Ra 2020/03/0064, mwN).

18       Parteienerklärungen im Verfahren sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen; es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Besondere Vorsicht ist bei der Annahme eines Verzichtes der Partei auf eine in den Verfahrensvorschriften oder im materiellen Recht begründete Rechtsposition geboten; diese Annahme ist nur zulässig, wenn die entsprechenden Erklärungen der Partei keinen Zweifel offenlassen. Gegebenenfalls hat die Behörde (das Verwaltungsgericht) eine Klarstellung durch die Partei herbeizuführen (vgl. VwGH 27.10.1997, 96/10/0255).

19       Im vorliegenden Fall ist dem Verwaltungsgericht eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen:

20       Zunächst ist festzuhalten, dass bereits der ursprüngliche Antrag allgemein auf „Zuerkennung einer Vergütung gemäß § 32 Epidemiegesetz 1950“ gerichtet war. In diesem Antrag war zusätzlich die beantragte Vergütung betragsmäßig angegeben, wobei in einer Anmerkung zu den „Personalkosten“ ausgeführt wurde, dass der genannte Betrag „ohne Sonderzahlungsanteil“ sei.

21       Mit dem von der belangten Behörde erteilten Verbesserungsauftrag wurde der revisionswerbenden Partei ein von ihr auszufüllendes Erhebungsformular mitgesandt, in dem ausdrücklich in den Erläuterungen angegeben war, dass der Vergütungsbetrag ausgehend vom „Bruttoentgelt inkl. anteiliger Sonderzahlung“ zu berechnen sei. Die revisionswerbende Partei hat daraufhin dieses Erhebungsformular und auch das ebenfalls amtlich vorgegebene Berechnungsblatt ausgefüllt, bei dem sowohl „aliquote Sonderzahlungen“ angegeben wurden, als auch ein Endergebnis in der Rubrik „Verdienstvergütung“ eingetragen wurde, welches die Sonderzahlungen anteilig berücksichtigte.

22       Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, wie das Verwaltungsgericht zum Ergebnis kommen konnte, dass das Erhebungsformular und das Berechnungsblatt lediglich als „(ergänzende) Beilagen“ zum ursprünglichen Antrag anzusehen seien und dass eine „verbale Antragsausdehnung“ nicht erfolgt sei, zumal mit Vorlage des ausgefüllten Berechnungsformulars ausdrücklich („verbal“) eine (auch betragsmäßig bestimmte) „Verdienstvergütung“ unter Einbeziehung aliquoter Sonderzahlungen beantragt wurde. Auch die belangte Behörde hat diese Parteierklärung als modifizierten Antrag verstanden und ihrer Entscheidung zugrunde gelegt.

23       Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes ist schon der objektive Erklärungswert des von der revisionswerbenden Partei vorgelegten Berechnungsblattes als Begehren auf Zuspruch der darin betragsmäßig bezifferten „Verdienstvergütung“ (in der anteilige Sonderzahlungen enthalten sind) eindeutig. Aber selbst wenn Zweifel am Inhalt der Erklärung bestünden, wäre dies mit den Verfahrensparteien in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu erörtern gewesen.

24       Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

25       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

26       Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 18. März 2022

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021030331.L00

Im RIS seit

11.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

26.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten