TE Vfgh Erkenntnis 1994/6/24 B2066/92

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Veröffentlicht am 24.06.1994
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
RAO §26

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Bescheides betreffend eine Weisung zur Anpassung des Kanzleibriefpapiers von Rechtsanwälten an die Gesetzeslage wegen Anlaßfallwirkung der Aufhebung einer präjudiziellen Norm durch den VfGH und wegen Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; keine Zuständigkeit des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten sowie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, den Beschwerdeführern die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Erledigung vom 3. November 1992 richtete der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien an die Beschwerdeführer mit näherer Begründung die Weisung, ihr Kanzleibriefpapier an die Gesetzeslage anzupassen. Die Weisung stützt sich der Sache nach jedenfalls zu Punkt III A Z2 und B Z2 auf §25 RL-BA 1977; die Bestimmung war daher von der belangten Behörde anzuwenden.

2. Gegen diese, als Bescheid gewertete, Erledigung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung mehrerer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und einer gesetzwidrigen Verordnung geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher er beantragt, der Beschwerde keine Folge zu geben.

4.1. Aus Anlaß dieses Beschwerdefalles hat der Verfassungsgerichtshof die Gesetzmäßigkeit des §25 RL-BA 1977 von Amts wegen geprüft.

4.2. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, V61/94, V72/94, hat der Verfassungsgerichtshof §25 RL-BA 1977 als gesetzwidrig aufgehoben.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (vgl. dazu das eben zitierte Erkenntnis V61/94, V72/94) - Beschwerde erwogen:

5.1 Die belangte Behörde hat, wie sich aus dem zitierten Erkenntnis ergibt, jedenfalls in den in Punkt 1 genannten Abschnitten des angefochtenen Bescheides eine gesetzwidrige Verordnung angewendet.

Die Beschwerdeführer wurden also insofern durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10303/1984, 10515/1985).

5.2. Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid aber auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Dieses Recht ist nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes auch dann verletzt, wenn durch die Übergehung der zuständigen Behörde erster Instanz der gesetzlich vorgesehene Instanzenzug unvollständig geblieben ist und durch eine solche unzulässige Verkürzung des Instanzenzuges die Rechtsverfolgungsmöglichkeit behindert wird (vgl. VfSlg. 7508/1975 und 8188/1977).

Dieser Fall liegt vor.

§26 Abs2 RAO normiert:

"Besteht der Ausschuß aus mindestens 10 Mitgliedern, so sind

die im §... aufgezählten Aufgaben, ferner die Aufsicht über

Rechtsanwälte ... in Abteilungen zu erledigen. ..."

Gemäß §26 Abs5 leg.cit. kann binnen 14 Tagen nach Zustellung des Beschlusses der Abteilung Vorstellung an den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer erhoben werden. Diese Bestimmung richtet also einen Instanzenzug ein (vgl. VfGH 7.3.1990 B1389/89) und schafft eine Rechtsschutzmöglichkeit.

Daran, daß die bekämpfte Weisung vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien unmittelbar erlassen wurde, kann ebensowenig ein Zweifel bestehen wie daran, daß der Ausschuß mit ihr im Rahmen seiner Pflicht zur Aufsicht über die Rechtsanwälte tätig geworden ist.

Da der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien aus mehr als zehn Mitgliedern besteht (§26 Abs1 RAO iVm der Zahl der in die Liste der Rechtsanwaltskammer Wien eingetragenen Rechtsanwälte) war in erster Instanz die dazu vom Gesetz berufene und vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer betraute Abteilung zuständig. Zur unmittelbaren Erlassung des angefochtenen Bescheides war der Ausschuß nach dem klaren Wortlaut des §26 RAO im Hinblick auf die Zahl der in die Liste der Rechtsanwaltskammer Wien eingetragenen Rechtsanwälte nicht zuständig; die dagegen vorgebrachten Argumente der belangten Behörde vermögen den Verfassungsgerichtshof schon deshalb nicht zu überzeugen, da §26 RAO Abteilungen keineswegs nur zur Entlastung des Ausschusses einrichtet, sondern eine spezifische Rechtsschutzmöglichkeit schafft.

Der Bescheid war daher aus diesem Grund, und demnach im Ergebnis insgesamt, aufzuheben.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz und Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

7. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Prozeßkosten sind S 2.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall, Behördenzuständigkeit, Rechtsanwälte, Berufsrecht Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B2066.1992

Dokumentnummer

JFT_10059376_92B02066_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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