TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/15 Ra 2020/09/0027

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Veröffentlicht am 15.03.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

AuslBG §12a
AuslBG §13
MRK Art6
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §24 Abs4
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des A B in C, vertreten durch Dr. Johannes Wiener, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 28, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. April 2020, L512 2227707-1/6E, betreffend Zulassung als Fachkraft in einem Mangelberuf gemäß § 12a Ausländerbeschäftigungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Braunau), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 11. Dezember 2019 versagte die gemäß § 20d Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) mit dem Antrag des Revisionswerbers, eines kosovarischen Staatsangehörigen, vom 30. Oktober 2019 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte“ befasste vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde die Zulassung als Fachkraft in einem Mangelberuf gemäß § 12a AuslBG.

2        Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die erforderliche Mindestpunkteanzahl gemäß Anlage B zum AuslBG von 55 Punkten nicht erreicht werde, weil (insgesamt) nur 30 Punkte angerechnet werden könnten. Für die Kategorie Qualifikation sowie die ausbildungsadäquate Berufserfahrung wurden keine Punkte vergeben.

3        In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde beantragte der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und brachte unter anderem vor, aus den bereits übermittelten Unterlagen, nämlich dem Diplom der A.B.A. English-School vom 26. Juni 2015 und der vorgelegten Arbeitsreferenz ergebe sich die Ausbildung zum Koch-Kellner in der Dauer von drei Jahren sowie die praktische Tätigkeit in diesem Bereich. Hinzu komme auch der Abschluss einer höheren Mittelschule - Berufsschule.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

5        Das Bundesverwaltungsgericht stellte in seinem Erkenntnis unter anderem fest, dass der 26-jährige Revisionswerber im Kosovo vom Schuljahr 2009/2010 bis 2012/13 vier Jahre eine Wirtschaftsmittelschule, Fachrichtung Wirtschaft, besucht und diese am 24. Juni 2013 erfolgreich mit Diplom abgeschlossen habe. Von 24. September 2012 bis 25. Juni 2015 habe der Revisionswerber eine Sprachschule (Englisch) besucht, welche er mit Erfolg abgeschlossen habe. Von 24. September 2012 bis 25. Juni 2015 sei er als Koch/Kellner angestellt gewesen.

6        Rechtlich beurteilte das Bundesverwaltungsgericht diesen Sachverhalt nach Darstellung maßgeblicher gesetzlicher Bestimmungen und der parlamentarischen Materialien zum Erfordernis einer „einschlägigen abgeschlossenen Berufsausbildung“ dahingehend, dass eine Tätigkeit als Kellner weniger als drei Jahre vorliege. Ein konkreter theoretischer Ausbildungszeitraum bzw. der Besuch einer Berufsschule (duales Ausbildungssystem) neben der bestätigten praktischen Tätigkeit sei nicht ersichtlich, weshalb das vorgelegte Referenzschreiben auch nicht als Nachweis für eine einer dreijährigen Lehrausbildung vergleichbaren Berufsausbildung angesehen werden könne. Die Ausbildungszeit an den Bildenden Höheren Schulen betrage durchwegs fünf Schuljahre, jene des Revisionswerbers jedoch nur vier. Die abgeschlossene Wirtschaftsmittelschule bzw. Ausbildung für Angestellte im Bank- und Versicherungswesen sei für die Beurteilung, ob eine einschlägige Berufsausbildung im Mangelberuf „Kellner“ vorliege, nicht heranzuziehen. Da somit schon die Voraussetzung der Z 1 des § 12a AuslBG nicht erfüllt werden könne, sei in der Folge nicht mehr zu prüfen, ob der Revisionswerber die geforderte Punktezahl nach der Z 2 leg. cit. erreiche.

7        Den Entfall der mündlichen Verhandlung begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich gewesen sei, weil der festgestellte Sachverhalt unstrittig und in der gegenständlichen Entscheidung nur über Rechtsfragen abzusprechen sei. Es habe sich daher keine Notwendigkeit ergeben, den als geklärt erscheinenden Sachverhalt näher zu erörtern.

8        Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht fallunspezifisch mit dem Fehlen grundsätzlicher Rechtsfragen.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

10       Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor.

11       Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

13       Der Revisionswerber sieht die Zulässigkeit seiner Revision unter anderem darin gelegen, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erforderlichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewichen sei. Schon unter diesem Aspekt ist die Revision zulässig und auch begründet.

14       Der vorliegende Fall gleicht sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht in seinen entscheidungswesentlichen Umständen insofern, als es sich beim Verfahren betreffend die Zulassung von Ausländern zu einer Beschäftigung als Schlüsselkraft um ein „civil right“ im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR 27.7.2006, Jurisic und Collegium Mehrerau/Österreich, 62539/00, sowie EGMR 27.7.2006, Coorplan-Jenni GmbH und Hascic/Österreich, 10523/02) handelt und die Parteien bei einer solchen Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen grundsätzlich ein Recht darauf haben, dass ihre Angelegenheit in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird und hier weder ausschließlich rechtliche noch bloß hochtechnische Fragen zu klären waren, jenem Fall, der dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Ra 2015/09/0051, zu Grunde lag und auf dessen Begründung daher zunächst gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird (vgl. auch VwGH 26.2.2021, Ra 2020/09/0046; 24.3.2020, Ra 2019/09/0119, mwN).

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits wiederholt ausgesprochen, dass bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 6 EMRK gebotenen mündlichen Verhandlung keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen ist. Diese zu Art. 6 EMRK entwickelte Rechtsprechung findet in gleicher Weise für das auf Art. 47 GRC gestützte Recht auf mündliche Verhandlung Anwendung (vgl. auch dazu ebenfalls u.a. VwGH 26.2.2021, Ra 2020/09/0046; 24.3.2020, Ra 2019/09/0119; mwN).

16       Ferner hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im Zusammenhang mit den Bestimmungen für Fachkräfte in Mangelberufen ausdrücklich festgehalten, dass die abgeschlossene Berufsausbildung einem Lehrabschluss nur vergleichbar zu sein hat (vgl. VwGH 26.2.2021, Ra 2020/09/0046).

17       Der Revisionswerber brachte - wie er auch in seiner Revision geltend macht - bereits im Beschwerdeverfahren vor, dass er eine Koch-Kellner-Ausbildung von 24. September 2012 bis 25. Juni 2015 an der A.B.A. English-School mit praktischer Tätigkeit bei der Firma X absolviert habe, was sich auch aus den vorgelegten Unterlagen ergebe. Ausgehend von diesem Vorbringen und dem Umstand, dass im Diplom der genannten Schule selbst auf eine vom Revisionswerber bei der Firma X absolvierte Praxis hingewiesen wird, hätte das Bundesverwaltungsgericht aber nicht ohne nähere Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen und Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens zum Inhalt und Umfang der absolvierten Ausbildung von einem geklärten Sachverhalt ausgehen und sohin von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen.

18       Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

19       Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am 15. März 2022

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020090027.L00

Im RIS seit

06.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

26.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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