TE Vwgh Erkenntnis 1955/6/14 1236/54

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Veröffentlicht am 14.06.1955
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §10 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Werner und die Räte Dr. Borotha, Dr. Karniak, Dr. Hrdlitzka und Dr. Krzizek als Richter, im Beisein des Ministerialoberkommissärs Dr. Hezina als Schriftführer, über die Beschwerde des JG in F, gegen den Bescheid des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung vom 23. Februar 1954, Zl. 3 - 393 Ga 9/5 - 1954, betreffend Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Übertretung der Straßenpolizeiordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft Murau hatte auf Grund einer vom Gendarmerieposten T erstatteten Anzeige mit Strafverfügung vom 25. März 1952 über den im Jahre 1922 geborenen Beschwerdeführer wegen Übertretung nach § 31 Straßenpolizeiordnung, BGBl. Nr. 59/1947, (StPolO) gemäß § 72 Straßenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 46/1947, (StPolO) eine Geldstrafe von 100 S (Ersatzarreststrafe 2 Tage) verhängt. Gegen diese Strafverfügung hatte „MG für JG“ Einspruch erhoben. Zufolge der Einbringung dieses Einspruches hatte die Bezirkshauptmannschaft Murau die Strafverfügung als gemäß § 49 Abs. 3 VStG außer Kraft getreten angesehen. In dem daraufhin eingeleiteten ordentlichen Verfahren hatte sie den Beschwerdeführer mit Straferkenntnis vom 29. April 1952 der Übertretung nach § 31 StPolO schuldig erkannt und über ihn gemäß § 72 StPolG eine Arreststrafe von 3 Tagen verhängt. Als erwiesen wurde angenommen, daß der Beschwerdeführer am 3. März 1952 mit einem Lastkraftwagen auf der Landstraße von T nach M gefahren sei, obwohl diese Straße für Fahrzeuge mit einer Gesamtlast von über 3 Tonnen gesperrt gewesen sei. Gegen dieses Straferkenntnis hatte der Beschwerdeführer Berufung eingebracht und in ihr unter anderem ausgeführt, er habe seinem Vater MG zur Erhebung des Einspruches gegen die Strafverfügung keine Vollmacht erteilt; dieser habe den Einspruch ohne seine Ermächtigung, ja sogar ohne sein Wissen, somit auf eigene Faust erhoben. Mit Bescheid vom 18. April 1953 hatte das Amt der Steiermärkischen Landesregierung namens des Landeshauptmannes der „hinsichtlich des Strafausmaßes eingebrachten Berufung bzw. dem damit verbundenen Ansuchen um Umwandlung der Arreststrafe in eine Geldstrafe“ Folge gegeben und die Strafe mit 500 S (Ersatzarreststrafe 7 Tage) bemessen. Diesen Bescheid hatte der Verwaltungsgerichtshof auf Grund einer vom Beschwerdeführer eingebrachten Beschwerde mit Erkenntnis vom 26. Oktober 1953, Zl. 1222/53, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben, weil der Landeshauptmann mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Zuständigkeitsverteilung in den Angelegenheiten der Straßenpolizei zur Ahnung der auf einer Landstraße zweiter Ordnung begangenen Verwaltungsübertretung nicht zuständig gewesen war. In weiterer Folge hatte das Amt der Steiermärkischen Landesregierung der seinerzeit vom Beschwerdeführer gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Murau vom 29. April 1952 eingebrachten Berufung namens der Steiermärkischen Landesregierung mit Bescheid vom 23. Februar 1954 Folge gegeben und die verhängte Strafe von 3 Tagen Arrest in eine Geldstrafe von 500 S (Ersatzstrafe 7 Tage Arrest) umgewandelt. Gegen diesen Bescheid hatte der Beschwerdeführer neuerlich beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde erhoben, in der er Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machte, weil der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkte (Feststellung der Bevollmächtigung des MG zur Erhebung des Einspruches) einer Ergänzung bedürfe. Über diese Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 AVG und § 24 VStG können sich die Parteien im Verwaltungsstrafverfahren durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen. Eine solche Vertretung setzt voraus, daß der Bevollmächtigte die Befugnis besitzt, die erforderlichen Prozeßhandlungen mit rechtlicher Wirksamkeit für den Vertretenen vorzunehmen. Diese Befugnis zur Vertretung wird, falls sie nicht aus dem Gesetz oder der Anordnung einer Behörde fließt (§ 1034 ABGB), durch Rechtsgeschäft begründet. Über dieses Rechtsgeschäft hat sich der Bevollmächtigte vor der Behörde in der Regel durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen. Die Vollmacht ist, wenn sie schriftlich gegeben wurde, eine vom Vollmachtgeber dem Bevollmächtigten gegenüber ausgestellte Urkunde (§ 1005 ABGB), welche die Einräumung der Vertretungsmacht zum Gegenstand hat. Nach § 10 Abs. 4 AVG kann die Behörde jedoch von der Vorlage einer ausdrücklichen Vollmacht absehen, wenn es sich um die Vertretung durch amtsbekannte Familienmitglieder handelt und Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis nicht obwalten. Da, wie die Verwaltungsvorschrift besagt, Zweifel über den Bestand der Vertretungsbefugnis nicht obwalten dürfen, ist der Bestand der Vertretungsbefugnis Voraussetzung der Vertretung auch dann, wenn die Behörde von der Vorlage einer ausdrücklichen Vollmacht absieht. Im vorliegenden Falle hatte die Bezirkshauptmannschaft Murau, wie sich aus einem Amtsvermerk ergibt, keine Zweifel über den Bestand der Vertretungsbefugnis des amtsbekannten MG, der für JG den Einspruch gegen die Strafverfügung vom 25. März 1952 erhoben hatte, weshalb sie von der nachträglichen Beibringung der Vollmachtsurkunde abgesehen hatte. Da sie von dem aufrechten Bestand eines Vertretungsverhältnisses zwischen JG und MG ausging, hatte sie die gegen den Beschwerdeführer erlassene Strafverfügung als gemäß § 49 Abs. 3 VStG durch den nach ihrem Dafürhalten rechtsgültig erhobenen Einspruch außer Kraft getreten angesehen, gegen den Beschwerdeführer das ordentliche Verfahren eingeleitet und das Straferkenntnis vom 29. April 1952 erlassen. Allein, wie schon gesagt, ist § 10 Abs. 4 AVG nicht etwa dahin zu verstehen, daß ein Beteiligter wider seinen Willen eine von ihm nicht bestellte Person als seinen Bevollmächtigten gelten lassen müsse. Der volljährige und - wie unbestritten angenommen werden konnte - auch eigenberechtigte Beschwerdeführer war daher durchaus nicht gehindert, das gegen ihn erlassene Straferkenntnis aus dem Grunde zu bekämpfen, weil nach seiner Auffassung die seinerzeitige Strafverfügung in Rechtskraft erwachsen war und die Behörde gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ verstoßen würde, wenn sie eine neuerliche Strafe gegen ihn festsetzte. Daher hatte der Beschwerdeführer die Berufung ergriffen und in dieser - nunmehr rechtsanwaltlich vertreten - vorgebracht, daß er seinem Vater MG niemals die Befugnis zu seiner Vertretung erteilt hatte. Die Vertretungsbefugnis war aber Voraussetzung für die rechtliche Wirksamkeit der vom MG gesetzten Prozeßhandlung des Einspruches gegen die seinerzeitige Strafverfügung und damit auch für die gesetzmäßige Erlassung des Straferkenntnisses vom 29. April 1952. Denn wenn der Beschwerdeführer - sei es nun persönlich oder durch einen bevollmächtigten Vertreter - den Einspruch nicht erhoben hätte, dann wäre das ordentliche Verfahren nicht einzuleiten gewesen. Der angefochtene Bescheid würde des weiteren an einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes leiden, weil die belangte Behörde im Berufungsverfahren diesen Mangel nicht aufgegriffen, vielmehr das erstinstanzliche Straferkenntnis bestätigt hatte. Die belangte Behörde war unter solchen Umständen zur Klarstellung der Rechtslage verpflichtet gewesen, die Vertretungsbefugnis des MG zu untersuchen. Sie hatte aber zu dieser Frage überhaupt nicht Stellung genommen, sodaß der angefochtene Bescheid auf eine unzulängliche, weil mangelhafte Begründung gestützt ist. Das Vorhandensein einer solchen Begründungslücke verhindert die Nachprüfung des Bescheides auf seine inhaltliche Gesetzmäßigkeit. Die belangte Behörde hat sohin zufolge der unzulänglichen Begründung ihrer Entscheidung Verfahrensvorschriften (§ 60 AVG) verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid mußte aus diesen Erwägungen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z 3 VwGG 1952 aufgehoben werden.

Wien, am 14. Juni 1955

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1955:1954001236.X01

Im RIS seit

05.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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