TE Vwgh Erkenntnis 1962/7/11 2167/60

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Veröffentlicht am 11.07.1962
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §23 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsidenten Dr. Dietmann und die Hofräte Dr. Koprivnikar, Dr. Mathis, Dr. Härtel und Dr. Kadecka als Richter, im Beisein des Sektionsrates Dr. Klein als Schriftführer, über die Beschwerde des Dr. HF in X, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 14. September 1960, Zl. Vd-129/5, betreffend Sozialversicherung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Tiroler Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte in Innsbruck vom 21. Jänner 1960 als verspätet eingebracht zurückgewiesen. In der Begründung ihres Bescheides hat die belangte Behörde ausgeführt, der Bescheid der Tiroler Gebietskrankenkasse sei dem Beschwerdeführer laut Rückschein in seiner Wohnung zugestellt worden. Die Zustellung sei von seiner Mutter, die sich zu diesem Zeitpunkt in seiner Wohnung aufhielt, bestätigt worden. In der Folge habe die Gebietskrankenkasse mit Schreiben vom 28. Jänner 1960 wegen eines ihr unterlaufenen Rechenfehlers eine Berichtigung ihres Bescheides vom 21. Jänner 1960 vorgenommen und den Betrag von S 1.518,29 auf den Betrag von S 1.636,33 richtiggestellt. Die Mutter des Einspruchswerbers habe nachweislich am 23. Jänner 1960 den Bescheid der Tiroler Gebietskrankenkasse entgegengenommen. Dieser hätte also seinen Einspruch spätestens am 23. Februar 1961 durch die Post der Kasse übermitteln müssen. Der Einwand, daß die Frist erst am 30. Jänner 1960 mit dem Tage des Empfanges des Berichtigungsschreibens zu laufen begonnen habe, sei insoweit nicht zu berücksichtigen, als sich ein Einspruch nur gegen einen Bescheid und nicht gegen ein formloses Schreiben wenden könne und der gegenständliche Einspruch tatsächlich nur den Bescheid vom 21.Jänner 1960 betreffe. Zudem erstrecke sich das Berichtigungsschreiben nur auf einen Rechenfehler und berühre das Wesentliche des Bescheides vom 21. Jänner 1960 überhaupt nicht.

Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Das Schreiben vom 28. Jänner 1960, mit welchem die nachzuleistende Beitragssumme von S 1.518,29 auf den Betrag von S 1.636,36 erhöht worden ist, sei als Bescheid anzusehen, auch wenn es sich dabei nur um die Berichtigung eines Rechenfehlers gehandelt hat. Wenn man den berichtigten und den Berichtigungsbescheid als eine Einheit ansieht, müsse man zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen, daß die Frist zur Erhebung des des Einspruches erst mit Zustellung des Berichtigungsbescheides in Lauf gesetzt wurde. Da der Berichtigungsbescheid erst am 30. Jänner 1960 zugestellt worden sei, sei der Einspruch vom 29. Februar 1960 jedenfalls rechtzeitig. Die Zurückweisung des Einspruches sei aber auch deshalb zu Unrecht erfolgt, weil der angefochtene Bescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Die nur zufällig auf Besuch in seiner Wohnung anwesende Mutter des Beschwerdeführers gehöre nicht zu dem Personenkreis des § 23 Abs. 1 AVG 1950, weil sie nicht mit ihm in Hausgemeinschaft lebe und daher nicht die Stellung einer Hausgenossin im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung habe. Es habe daher auf solche Art die Ersatzzustellung nicht wirksam vorgenommen werden können. Es sei auch die Frage, ob die Ersatzzustellung überhaupt zulässig war und ob die Tiroler Gebietskrankenkasse nicht verpflichtet gewesen wäre, im Hinblick darauf, daß der Nachberechnungsbescheid die Vorschreibung einer Geldleistung zum Gegenstand hatte, die Zustellung zu eigenen Handen zu verfügen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

In seinem Erkenntnis vom 8. Dezember 1949, Slg. Nr. 1141/A, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß bei Fehlen einer Norm, die ausdrücklich die Zustellung eines Bescheides zu eigenen Handen anordnet, eine solche Anordnung nach § 24 Abs. 1 AVG in das Ermessen der Behörde gestellt ist und ihr Unterbleiben daher keine Gesetzwidrigkeit zu begründen vermag. Auch in jenem Beschwerdefall war der Bescheid der in seiner Wohnung befindlichen Mutter des damaligen Beschwerdeführers zugestellt worden, doch war zum Unterschied vom vorliegenden Fall unbestritten, daß die Mutter als Hausgenossin im Sinne des § 23 Abs. 1 AVG anzusehen sei. Der Beschwerdeführer hat dies deshalb bestritten, weil seine Mutter mit ihm nicht in Hausgemeinschaft lebe, sondern nur zufällig zu Besuch in seiner Wohnung anwesend gewesen sei. Die belangte Behörde ist dem Tatsächlichen dieses Vorbringens nicht entgegengetreten, sondern hat ihm die Auffassung entgegengehalten, es stehe dem Briefträger nicht zu, jeweils den Empfänger eines Schriftstückes zu fragen, ob er Hausgenosse sei. Es müsse ihm, da sich die Empfängerin mit dem gleichen Namen des Adressaten habe ausweisen können, als selbstverständlich erschienen sein, daß er die Postsendung auszufolgen habe. Die Mutter des Einspruchswerbers sei sohin zweifellos berechtigt gewesen, den für ihren Sohn bestimmten Einschreibebrief entgegenzunehmen.

Diese Auffassung ist aber mit der Vorschrift des § 23 Abs. 1 AVG 1950, wonach, wenn der Empfänger in der Wohnung nicht angetroffen wird, an jeden daselbst befindlichen, dem Zusteller bekannten erwachsenen Angestellten oder zur Familie gehörigen Hausgenossen des Empfängers zugestellt werden kann, nicht vereinbart, weil danach die Anwesenheit eines erwachsenen Familienmitgliedes in der Wohnung des Empfängers für die Ersatzzustellung nicht genügt und die Kenntnis des Zustellers sich auch auf die geforderte Stellung der empfangsberechtigten Person in ihrer Beziehung zum Empfänger „erwachsenen Angestellten oder zur Familie gehörigen Hausgenossen des Empfängers“ zu erstrecken hat (vgl. hiezu Hellblig, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen, I. Band, S. 183 zu § 23 Abs. 1 AVG 1950).

Schon aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 11. Juli 1962

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1962:1960002167.X01

Im RIS seit

04.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

04.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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