TE Vwgh Beschluss 2022/3/3 Ra 2020/02/0241

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Veröffentlicht am 03.03.2022
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E1P
E3R E15202000
E3R E19400000
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
10/10 Auskunftspflicht
10/10 Datenschutz
10/10 Grundrechte
19/05 Menschenrechte
24/01 Strafgesetzbuch
40/01 Verwaltungsverfahren
90/01 Straßenverkehrsordnung
90/02 Führerscheingesetz

Norm

DSG
DSG §4 Abs3
EURallg
FSG 1997 §37a
MRK Art6
StGB §32
StGB §33
StGB §33 Abs1 Z2
StGB §34
StGB §35
StVO 1960 §52 lita Z10a
StVO 1960 §96 Abs7
StVO 1960 §99 Abs1
StVO 1960 §99 Abs1a
StVO 1960 §99 Abs1b
StVO 1960 §99 Abs2
VStG §19
VStG §26 Abs1
VStG §44a
VStG §55
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §38
VwGVG 2014 §44
VwGVG 2014 §44 Abs5
VwGVG 2014 §47
VwGVG 2014 §47 Abs4
VwGVG 2014 §48 Abs1
VwRallg
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
32016R0679 Datenschutz-GrundV Art6 Abs1 lite
32016R0679 Datenschutz-GrundV Art6 Abs3
62019CJ0439 Latvijas Republikas Saeima VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des O in W, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 4. September 2020, LVwG-S-2524/003-2019, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Amstetten), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 24. September 2019 wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe am 23. Jänner 2019 um 15:56 Uhr mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten PKW an einem näher genannten Ort die in diesem Bereich kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h (nach Abzug der Messtoleranz) um 46 km/h überschritten. Er habe dadurch § 52 lit. a Z 10a StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 2d StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 350,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 154 Stunden) verhängt wurde.

2        Mit Erkenntnis vom 20. Dezember 2019 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) die dagegen erhobene - auf die Strafhöhe eingeschränkte -Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

3        Mit hg. Erkenntnis vom 21. Juli 2020, Ra 2020/02/0011, hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2019 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, weil das Verwaltungsgericht gegen das Doppelverwertungsverbot verstoßen und sein Erkenntnis entgegen der hg. Judikatur nicht mündlich verkündet habe.

4        Mit Schriftsatz vom 10. August 2020 verzichtete der Revisionswerber auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im zweiten Rechtsgang.

5        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 4. September 2020 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers im zweiten Rechtsgang - ohne Durchführung einer neuerlichen mündlichen Verhandlung - erneut als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

6        Zur Strafbemessung führte das Verwaltungsgericht begründend aus, im Behördenakt befinde sich eine von der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis bekanntgegebene einschlägige Vormerkung vom 22. November 2016, die die belangte Behörde bei der Strafbemessung nicht berücksichtigt habe. Von Unbescholtenheit könne nicht ausgegangen werden, die Vormerkung sei vielmehr erschwerend zu würdigen. Die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h habe ab Km. 133,950 gegolten. Der Tatort sei bei Km. 134,380. Damit sei der Revisionswerber eine Strecke von 430 m mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit im Vergleich zur erlaubten höchstzulässigen Geschwindigkeit von 80 km/h unterwegs gewesen. Beim Tatort habe die gefahrene Geschwindigkeit 126 km/h betragen. Bereits bei Km. 133,697 sei eine Beschränkung der höchstzulässigen Geschwindigkeit auf 100 km/h kundgemacht gewesen. Nach den logischen Denkgesetzen sei davon auszugehen, dass der Revisionswerber zumindest mit der ihm angelasteten Geschwindigkeit (126 km/h) bereits bei Km. 133,697 gefahren sei, wenn nicht sogar noch schneller, da üblicherweise eine Reduktion der gefahrenen Geschwindigkeit durch den Fahrzeuglenker bei Wahrnehmung eines Geschwindigkeitsbeschränkungsverkehrszeichens erfolge. Sei der Revisionswerber aber zumindest mit 126 km/h ab der 100er Tafel (bei Km. 133,697) gefahren, dann sei er bis zum Tatort bei Km. 134,380 rund 680 m mit dieser Geschwindigkeit unterwegs gewesen. Von Unbesonnenheit sei daher nicht auszugehen. § 20 VStG komme nicht zur Anwendung, da kein Milderungsgrund vorliege, sondern im Gegenteil eine einschlägige Vormerkung als Erschwerungsgrund. Weiters sei die generalpräventive Wirkung der verhängten Geldstrafe zu beachten, da im Bereich der verordneten Geschwindigkeitsbeschränkungen aufgrund der Ausleitungen mit einer erhöhten Verkehrsdichte zu rechnen sei. Die verhängte Geldstrafe sei somit unter Berücksichtigung der Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse gerechtfertigt.

7        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

8        Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragt.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision zunächst einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des § 44a Z 1 VStG geltend, weil der Spruch des Straferkenntnisses die Fundstelle der herangezogenen Übertretungsnorm nicht enthalte. Zudem habe das Verwaltungsgericht die Entscheidung erneut nicht mündlich verkündet und somit gegen die Bindungswirkung von Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen.

13       Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber die Zulässigkeit der Revision nicht auf.

14       Soweit der Revisionswerber einen Verstoß gegen § 44a Z 1 VStG rügt, lässt er außer Acht, dass infolge der Einschränkung der Beschwerde auf die Bekämpfung der Strafhöhe die Frage der Rechtswidrigkeit des Schuldspruches - auch in Bezug auf die Einhaltung des § 44a VStG - nicht mehr geltend gemacht werden kann (vgl. VwGH 13.7.2020, Ra 2020/02/0022; 30.9.2014, Ra 2014/11/0052 bis 0057, jeweils mwN).

15       Dem Vorbringen des Revisionswerbers, das Verwaltungsgericht habe sein Erkenntnis erneut nicht mündlich verkündet und damit gegen die Bindungswirkung von Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen, ist entgegenzuhalten, dass der Revisionswerber mit Schriftsatz vom 10. August 2020 ausdrücklich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im zweiten Rechtsgang verzichtet hat.

16       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass eine Partei, die in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf die (Erstreckung einer Verhandlung zur) Verkündung des Erkenntnisses verzichtet, durch die Unterlassung der mündlichen Verkündung in ihren Rechten nicht verletzt sein kann (vgl. VwGH 3.5.2021, Ra 2020/03/0146 bis 0147, mwN). Nichts anderes kann gelten, wenn der Revisionswerber schriftlich auf die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung verzichtet.

17       Da durch diesen Verzicht eine Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist, hat das Verwaltungsgericht nicht gegen die Bindungswirkung im Sinn des § 63 Abs. 1 VwGG verstoßen (vgl. dazu etwa VwGH 21.10.2021, Ra 2020/17/0090, Pkt. 4.3).

18       Zur Zulässigkeit der Revision hinsichtlich der Strafbemessung wird vorgebracht, die Ablehnung der Anwendung des § 20 VStG sei unvertretbar, weil die Verhängung einer höheren als der im Gesetz vorgesehenen Mindeststrafe der Anwendung des § 20 VStG entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts nicht entgegenstehe. Auch hätte die laut E-Mail der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis bestehende Vormerkung betreffend eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht als Straferschwerungsgrund herangezogen werden dürfen, weil zum einen dieses E-Mail in der mündlichen Verhandlung nicht verlesen worden sei und zum anderen die Geschwindigkeitsübertretung gemäß § 96 Abs. 7 StVO gar nicht in das Vormerkregister aufgenommen hätte werden dürfen. Da demnach keine gesetzliche Ermächtigung oder Verpflichtung zur Verarbeitung der zu Unrecht in das Vormerkregister aufgenommenen Verwaltungsübertretung bestehe, habe das Verwaltungsgericht damit gegen das Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten im Sinne des § 4 Abs. 3 Datenschutzgesetz (DSG) verstoßen.

19       Gemäß § 19 Abs. 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

20       Bei der Strafbemessung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die nach den vom Gesetzgeber in § 19 VStG festgelegten Kriterien vorzunehmen ist. Vom Verwaltungsgerichtshof ist daher (bloß) zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht von dem ihm eingeräumten Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, das heißt, ob die verhängte Strafe unter Bedachtnahme auf die Strafbemessungsgründe vertretbar erscheint (VwGH 30.7.2018, Ra 2017/02/0140, mwN).

21       § 33 Z 2 StGB bestimmt, dass als Erschwerungsgrund insbesondere zu gelten hat, wenn der Täter schon wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Tat verurteilt worden ist.

22       Gemäß § 96 Abs. 7 StVO hat die Behörde ein Verzeichnis aller Personen zu führen, die in ihrem örtlichen Wirkungsbereich den Hauptwohnsitz haben und innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer Übertretung nach § 99 Abs. 1 bis 2 oder § 37a FSG bestraft worden sind. Hat eine Person ihren Hauptwohnsitz nicht innerhalb des örtlichen Wirkungsbereiches der Behörde, die das Strafverfahren durchführt, so hat diese die Bestrafung nach Rechtskraft der Behörde des Hauptwohnsitzes bekanntzugeben.

23       Insoweit der Revisionswerber behauptet, dass die von der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten mitgeteilte Geschwindigkeitsübertretung rechtswidrigerweise in das Verwaltungsvormerkungsregister nach § 96 Abs. 7 StVO eingetragen worden sei, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, zumal im vorliegenden Fall die Bezirkshauptmannschaft Amstetten lediglich bei der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis angefragt hat, ob einschlägige Verwaltungsvorstrafen dort bekannt seien und diese Daten der Bezirkshauptmannschaft Amstetten dann im Wege der Amtshilfe weitergeleitet wurden. Von einer Eintragung in ein nach § 96 Abs. 7 StVO eingerichtetes zentral geführtes Verwaltungsstrafregister oder einer Abfrage aus einem solchen war dagegen nie die Rede und lag eine solche auch nicht vor. Die damit in Zusammenhang stehenden Ausführungen gehen somit ins Leere.

24       Dass gemäß § 96 Abs. 7 StVO die Behörden ein Verzeichnis lediglich über Bestrafungen nach § 99 Abs. 1 bis 2 StVO (sowie jene nach § 37a FSG) zu führen haben, steht der Berücksichtigung sonstiger Verstöße gegen Straßenverkehrsvorschriften bei der Strafbemessung gemäß § 19 VStG nicht entgegen (vgl. in diesem Sinne bereits VwGH 10.11.1998, 97/11/0281, betreffend die Berücksichtigung sonstiger nicht von § 96 Abs. 7 StVO erfasster Verwaltungsübertretungen bei der Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG [BGBl. Nr. 267/1967 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 120/1997]).

25       Soweit der Revisionswerber behauptet, eine „ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung oder Verpflichtung iSd § 4 Abs. 2 Z 2 DSG“ liege nicht vor, ist diesem Vorwurf schon deshalb der Boden entzogen, weil es die genannte Bestimmung im DSG nicht gibt.

26       Eine in diesem Sinne angesprochene Datenschutzverletzung war nicht gegeben, weil es für die Bezirkshauptmannschaft aufgrund einer Reihe von einfachgesetzlichen Bestimmungen (§ 26 Abs. 1 VStG, § 19 VStG, § 55 VStG) eine Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung im Zuge der Führung der Verwaltungsstrafverfahren in ihrem Zuständigkeitsbereich gegeben hat. § 26 VStG sieht die Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörden für die Führung von Verwaltungsstrafverfahren vor. Dabei haben diese gemäß § 19 VStG die Strafbemessung unter Berücksichtigung der in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe und unter sinngemäßer Anwendung der §§ 32 bis 35 StGB vorzunehmen; demnach sind sie gesetzlich verpflichtet, Daten zu einschlägigen Vorstrafen zu berücksichtigen. Aus § 55 VStG ergibt sich zur Wahrnehmung der darin determinierten Aufgabe (Tilgung und ihrer Rechtsfolgen, insbesondere Nichtberücksichtigung einer getilgten Verwaltungsstrafe bei der Strafbemessung) die Verpflichtung zu einer ordnungsgemäßen Aufzeichnung der Daten der Verwaltungsstrafverfahren.

27       Die Verarbeitung der Daten war demnach für die Wahrnehmung der sich aus den Erfordernissen des Verwaltungsstrafverfahrens ergebenden Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt, erforderlich (Art. 6 Abs. 1 lit. e iVm Abs. 3 DSGVO). Dass die Strassenverkehrssicherheit eine iSd Art. 6 Abs. 1 lit. e DSGVO im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe ist, hat auch der EuGH in einem Urteil vom 22. Juni 2021 bestätigt (Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima, C-439/19, Rn. 108; s.a. VwGH 7.9.2021, Ra 2020/11/0213). Von einem unrechtmäßigen Eingriff in das Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten durch die im Wege der Aktenführung erfolgte Datenverarbeitung im Zuge der Führung der Verwaltungsstrafverfahren im eigenen Zuständigkeitsbereich kann somit nicht die Rede sein.

28       Daher trifft der Vorwurf, wonach das Verwaltungsgericht durch die Verwertung der von der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis übermittelten Daten zu einer einschlägigen Übertretung bei der Vornahme der Strafbemessung gegen das Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten nach dem DSG verstoßen habe, weil die Verarbeitung personenbezogener Daten nur rechtmäßig sei, soweit sie gesetzlich vorgesehen und für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich und verhältnismäßig sei, schon deshalb nicht zu, weil das Verwaltungsgericht zur Berücksichtigung einschlägiger Verwaltungsvorstrafen zur Ermittlung der Strafzumessungsgründe im Rahmen des von ihm zu führenden Beschwerdeverfahrens im Sinne der obigen Ausführungen gehalten war.

29       Darüber hinaus ist selbst die Berücksichtigung von Beweisergebnissen, die auf gesetzwidrige Weise gewonnen wurde, zur Ermittlung der materiellen Wahrheit nur dann unzulässig, wenn das Gesetz dies anordnet oder wenn die Verwertung des betreffenden Beweisergebnisses dem Zweck des durch seine Gewinnung verletzten Verbotes widerspräche (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/09/0006, mwN). Dies trifft im vorliegenden Revisionsfall nicht zu und wurde in der Revision auch nicht aufgezeigt.

30       Soweit der Revisionswerber weiters rügt, das E-Mail der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis betreffend die Geschwindigkeitsübertretung sei in der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2019 nicht verlesen worden, übergeht er den Umstand, dass - wie sich aus dem unbestrittenen Verhandlungsprotokoll ergibt - der Revisionswerber trotz rechtzeitiger ordnungsgemäßer Ladung und ohne einen Grund geltend zu machen, der für das Verwaltungsgericht eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht hätte, nicht an der Verhandlung teilgenommen hat. Mit diesem Verhalten hat der Revisionswerber zu erkennen gegeben, dass er von dem von einem Verhandlungsantrag umfassten Begehren, die Argumente zur Verteidigung gegen den erhobenen strafrechtlichen Vorwurf mündlich vorzutragen und die Erhebungsergebnisse mündlich zu erörtern, Abstand nimmt, womit er in konkludenter Weise auf die Verlesung der Verfahrensakten oder Aktenstücke im Sinne des § 48 Abs. 1 VwGVG verzichtet hat (vgl. VwGH 7.7.2021, Ra 2020/17/0078).

31       Wenn daher die Verlesung von Verfahrensakten in der Verhandlung am 19. Dezember 2019 unterblieben ist, so ist nicht zu erkennen, dass der Revisionswerber dadurch unzulässigerweise in der Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte unter dem Blickwinkel des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) beeinträchtigt worden wäre. Derartiges legt die Revision auch nicht dar. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass im zweiten Rechtsgang der Revisionswerber auf die Durchführung der für den 15. September 2020 angesetzten mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz seines rechtsfreundlichen Vertreters vom 10. August 2020 ausdrücklich verzichtet hat.

32       Die Berücksichtigung der genannten Vorstrafe bei der Strafbemessung erweist sich nach dem eben Gesagten daher nicht als rechtswidrig.

33       Auch der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles eine außerordentliche Milderung der Strafe nach § 20 VStG gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. VwGH 6.8.2021, Ra 2020/02/0030, mwN). Dass das Verwaltungsgericht dabei von einer unvertretbaren Rechtsansicht ausgegangen wäre, trifft entgegen dem Revisionsvorbringen nicht zu. Das Verwaltungsgericht begründete das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Unterschreitung der Mindeststrafe nämlich damit, dass keine Milderungsgründe, sondern vielmehr eine Vorstrafe als Erschwerungsgrund vorliege und nicht - wie der Revisionswerber vermeint - damit, dass die belangte Behörde eine die Mindeststrafe übersteigende Geldstrafe verhängt habe.

34       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

35       Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 3. März 2022

Gerichtsentscheidung

EuGH 62019CJ0439 Latvijas Republikas Saeima VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Verordnung Strafverfahren EURallg5/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtsgrundsätze Verzicht Widerruf VwRallg6/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020020241.L00

Im RIS seit

04.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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