TE Vwgh Erkenntnis 1996/6/26 95/20/0681

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Veröffentlicht am 26.06.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §2 Abs3;
AsylG 1991 §2 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des U in S, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. September 1995, Zl. 4.329.346/13-III/13/95, betreffend Asylgewährung bzw. Wiederaufnahme eines Asylverfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 7. Dezember 1991 in das Bundesgebiet ein und stellte am darauffolgenden Tag den Asylantrag. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 18. April 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle. Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. März 1995 wurde (im zweiten Rechtsgang) die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und ausgesprochen, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 18. April 1996, Zl. 95/20/0271, als unbegründet abgewiesen.

Mit Eingabe vom 18. Mai 1995 stellte der Beschwerdeführer einen (zweiten) Asylantrag, den er im wesentlichen damit begründete, die politischen Verhältnisse in der Türkei betreffend die Verfolgung ethnischer Kurden hätten sich erheblich verschärft, der Konflikt zwischen der türkischen Regierung und der PKK sei zu einem offenen Krieg ausgewachsen. Der Beschwerdeführer habe zu dem Zeitpunkt seiner Flucht aus seiner Heimat den Militärdienst noch nicht abgeleistet gehabt, er habe damit das Vergehen der "Musterungsdesertion" nach dem türkischen Militärstrafgesetz begangen und habe im Falle seiner Rückkehr mit strafgerichtlich erheblicher Verfolgung zu rechnen. Insbesondere drohe ihm eine wesentlich strengere Bestrafung als türkischen Musterungsdeserteuren. Außerdem drohe ihm im Falle der Rückkehr eine sofortige zwangsweise Einziehung zur türkischen Armee. In kurdischen Kreisen werde darüber berichtet, daß Kurden, welche derzeit vom Militär zwangsweise eingezogen würden, vielfach getötet würden oder einfach verschwinden oder auch in Kriegsgebiete abkommandiert würden, wo sie gezwungen würden, gegen eigene kurdischen Brüder und Schwestern mit militärischer Gewalt vorzugehen. Im Fall des Zuwiderhandelns drohe Folter, unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Mit diesem Vorbringen stellte der Beschwerdeführer unter einem auch einen - an das Bundesasylamt gerichteten - Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens.

Mit seinem (zweiten) Antrag vom 20. Juni 1995 begehrte der Beschwerdeführer neuerlich, nunmehr gegenüber der belangten Behörde, die Wiederaufnahme des mit Bescheid der belangten Behörde vom 28. März 1995 rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens gemäß § 69 Abs. 1 und 4 AVG und brachte diesbezüglich vor, nach Beendigung des ersten Asylverfahrens hätten sich neue Tatsachen und Beweismittel ergeben, die im ersten Asylverfahren ohne Verschulden des Asylwerbers nicht hätten geltend gemacht werden können. Dem Asylwerber sei nämlich erstmals am 11. Mai 1995 durch eine Mitteilung des ihn vertretenden Rechtsanwaltes zur Kenntnis gelangt, daß in seiner türkischen Heimat die Gefahr für ihn bestehe, als Musterungsdeserteur nach dem türkischen Militärstrafgesetz verfolgt zu werden. Dieser Sachverhalt sei ihm bisher nicht bekannt gewesen. Als neuer Asylgrund werde daher jene Verfolgungsgefahr geltend gemacht, die dem Beschwerdeführer deshalb drohe, weil er in seiner Heimat seiner gesetzlichen Verpflichtung, den Wehrdienst abzuleisten und sich dazu der Musterung zu stellen, nicht entsprochen habe.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. Juni 1995 wurde der (zweite) Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG (Spruchpunkt I) sowie den Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 und 4 AVG (Spruchpunkt II) ab. Nach Darstellung des Verfahrensganges und Darlegung der geltenden Rechtslage führte die belangte Behörde aus, das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß der Beschwerdeführer bereits einen Asylantrag gestellt habe und dieser Antrag abgewiesen worden sei. Die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 4 Asylgesetz 1991 komme nicht zur Anwendung, weil keine Neuerungen vorgetragen worden seien. Aus seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 15. September 1995 habe sich ergeben, daß der Sachverhalt bezüglich der Wehrpflicht dem Beschwerdeführer bereits zum Zeitpunkt seiner Einreise nach Österreich bekannt gewesen sei und daher keinen neu hervorgekommenen Umstand darstelle, der nach rechtskräftiger Abweisung seines (ersten) Asylantrages eingetreten sei. Seinem Vorbringen anläßlich dieser Einvernahme, er sei "seit heute" Musterungsdeserteur, dies sei "neu", könne jedenfalls nicht gefolgt werden, und es stünde im Widerspruch zu den übrigen Ausführungen, er habe sich "nicht getraut", bei seinem ersten Asylantrag etwas über seine Einberufung zu sagen. Daran ändere auch nichts die Vorlage eines "Dokumentes" des Dorfgemeindevorstandes. Auch die Verschlimmerung der Kurdensituation sei nicht relevant, da der Beschwerdeführer mit dieser Argumentation keine konkret gegen ihn selbst gerichteten Handlungen des türkischen Staates dargetan habe. Die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens begründete die belangte Behörde darüber hinaus auch damit, es seien keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht hätten werden können und die allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Die zweite Voraussetzung sei jedenfalls nicht gegeben. Gewährung von Asyl wäre auch dann ausgeschlossen gewesen, wenn das nunmehrige Vorbringen der Entscheidung zugrunde gelegt hätte werden können, könne doch aus einer möglichen Einberufung zur Militärdienstleistung eine Verfolgungsabsicht des Staates nicht abgeleitet werden, zumal auch keinerlei Anhaltspunkte dem Vorbringen zu entnehmen seien, daß diese Einberufung mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe oder politischen Gesinnung im Zusammenhang gestanden oder auch nur Diskriminierung beabsichtigt gewesen wäre. Daß dem Beschwerdeführer im Rahmen einer Militärdienstleistung möglicherweise Aufgaben anbefohlen würden, die seinen persönlichen Meinungen widersprächen, stelle jedenfalls keine Verfolgung dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zu Spruchpunkt I (Asylantrag):

Gemäß § 2 Abs. 3 Asylgesetz 1991 wird Fremden kein Asyl gewährt, die bereits einen Asylantrag in Österreich oder einem anderen Staat, der die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention beachtet, gestellt hatten und deren Antrag abgewiesen wurde. Nach Abs. 4 leg. cit. findet Abs. 3 auf Fremde keine Anwendung, die nach rechtskräftiger Abweisung ihres Asylantrages in ihren Heimatstaat oder, sofern sie staatenlos sind, in den Staat, in dem sie ihren früheren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, zurückgekehrt sind und einen Asylantrag auf Umstände stützen, die nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind. Danach können Umstände, mit denen der Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung begründet und die erst während des Aufenthaltes in Österreich eingetreten sind (sogenannte "Nachfluchtgründe"), zur Asylgewährung führen, wenn sie nicht mit der Absicht des § 2 Abs. 2 Z. 2 Asylgesetz 1991 vom Asylwerber selbst herbeigeführt worden sind. Wie bereits in den hg. Erkenntnissen vom 25. April 1995, Zl. 94/20/0258, und vom 19. Mai 1994, Zl. 94/19/0052, ausführlich begründet, vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, daß § 2 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 Asylgesetz 1991 nicht ausschließt, daß durch den Eintritt von Tatsachen, die sich nach der rechtskräftigen Abweisung eines Asylantrages ergeben, die Flüchtlingseigenschaft im Sinn des Asylgesetzes 1991 entstehen kann und die erwähnten Bestimmungen der Gewährung von Asyl insoweit nicht entgegenstehen, auch wenn eine Rückkehr in den Heimatstaat zwischenzeitlich nicht erfolgt ist (vgl. zu diesem Thema u.a. die hg. Erkenntnisse vom 31. Jänner 1996, Zl. 94/01/0682, und vom 10. Oktober 1995, Zl. 94/20/0227). In diesem Sinne ist lediglich - wie in jedem anderen Asylverfahren auch - zu überprüfen, ob die geltend gemachten Umstände die Annahme einer "wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung" rechtfertigen. Dies ist im vorliegenden Fall zu verneinen. Voraussetzung der Nichtanwendung des § 2 Abs. 3 Asylgesetz 1991 ist, daß der (zweite) Asylantrag auf Umstände gestützt wird, die - ohne daß sie einen Wiederaufnahmegrund bilden - nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens über den (vorangegangenen) Asylantrag eingetreten sind (vgl. hiezu das bereits zitierte Erkenntnis vom 25. April 1995, Zl. 94/20/0258). Als "neuer" Umstand in diesem Sinn ist jedoch nur ein Umstand zu sehen, der nicht nur "neu hervorgekommen", sondern "neu entstanden" ist. Weder aus dem (zweiten) Asylantrag noch aus seinen Angaben anläßlich seiner diesbezüglichen Vernehmung läßt sich eine den Beschwerdeführer konkret selbst betreffende Änderung der Verhältnisse entnehmen. Sowohl die Tatsache, daß er im Zeitpunkt seiner Flucht seinen Militärdienst noch nicht abgeleistet habe, als auch die Tatsache, daß er im Falle der Aufforderung zur Musterung wegen seines Aufenthaltes außerhalb seines Heimatlandes "Musterungsdeserteur" wäre und deswegen mit - allenfalls strengerer gegenüber türkischen Musterungsdeserteuren angewendeten - Bestrafung zu rechnen hätte, sind nicht "neu". Daß er anläßlich seines ersten Asylverfahrens sich "nicht getraut" hätte, von diesen Tatsachen den österreichischen Asylbehörden Mitteilung zu machen, ist - sofern nicht unglaubwürdig - unbeachtlich, kommt es doch lediglich auf das objektive Vorliegen der behaupteten Tatsache an. Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer selbst die Kenntnis dieser Umstände bei seiner Vernehmung nicht bestritt, ist die gegenteilige Behauptung in der Beschwerde nicht nachvollziehbar.

Zu Spruchpunkt II (Wiederaufnahme):

Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Voraussetzung für die Wiederaufnahme in diesem Sinn ist das

1)

Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel, die

2)

ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und

3)

für die Entscheidung kausal sein können.

Nach Abs. 2 leg. cit. muß der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich vom Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, eingebracht werden.

Nach Abs. 4 leg. cit. steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.

Mit seinem am 20. Juni 1995 bei der belangten Behörde eingebrachten Wiederaufnahmeantrag machte der Beschwerdeführer jedoch geltend, erstmals am 11. Mai 1995 durch eine Mitteilung seines Rechtsvertreters Dr. M zur Kenntnis gelangt zu sein, daß in seiner türkischen Heimat die Gefahr für ihn bestehe, als Musterungsdeserteur nach dem türkischen Militärstrafgesetz verfolgt zu werden, welcher Sachverhalt ihm bisher nicht bekannt gewesen sei.

Tatsachen und Beweismittel können nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluß des seinerzeitigen Verfahrens (hier der 28. März 1995) schon vorhanden gewesen sind, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich geworden ist, nicht aber, wenn es sich erst um nach Abschluß des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen oder Beweismittel handelt (vgl. VwSlg. Nr. 7721/A). Unkenntnis der Gesetzeslage (sei es im Heimatstaat, sei es im Aufenthaltsstaat) stellt weder eine neue Tatsache noch ein neues Beweismittel in diesem Sinne dar.

Aus den genannten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200681.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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