TE Vwgh Beschluss 2022/2/22 Ra 2021/21/0357

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Veröffentlicht am 22.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §33 Abs1
VwGG §46 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des S C, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13. Jänner 2021, L502 2228009-1/19E, betreffend Erlassung eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), und über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist, den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Die Revision wird zurückgewiesen.

II. Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird eingestellt.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein 1985 geborener türkischer Staatsangehöriger, reiste im April 2013 legal nach Österreich ein, nachdem er am 31. Oktober 2012 in der Türkei eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet hatte. Ihm wurden in der Folge Aufenthaltstitel als Familienangehöriger, zuletzt gültig bis 3. Juli 2019, erteilt; am 27. Juni 2019 hatte er fristgerecht einen Verlängerungsantrag gestellt. Der Ehe entstammt ein am 29. September 2015 geborener Sohn, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Die Ehefrau des Revisionswerbers hat zwei Kinder aus einer früheren Ehe, und zwar eine am 31. Dezember 1998 geborene Tochter und einen am 12. August 2002 geborenen Sohn.

2        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 14. April 2015 wurde der Revisionswerber wegen der im Zeitraum vom Oktober 2013 bis Dezember 2013 an seiner damals vierzehnjährigen Stieftochter verübten Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 erster Fall StGB, der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 erster Fall StGB und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 Z 1 StGB, der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt. Der Revisionswerber befand sich deshalb vom 16. Dezember 2013 bis 30. Juli 2014 und von Mitte Jänner 2016 - mit einer Unterbrechung von Anfang Dezember 2016 bis Ende September 2018 - bis zu seiner nach einer Gesamtdauer von zwei Jahren erfolgten bedingten Entlassung am 18. März 2019 in Haft.

3        Schließlich verhängte das Landesgericht Linz mit rechtskräftigem Urteil vom 5. August 2019 über den Revisionswerber wegen der am 13. Juni 2019 an seiner Ehefrau begangenen Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und nach § 83 Abs. 2 StGB sowie der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten.

4        Angesichts dessen erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 22. Oktober 2019 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und verband damit ein befristetes Einreiseverbot, dessen Dauer im Spruch jedoch (irrtümlich) nicht zum Ausdruck gebracht wurde. Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei zulässig sei. Des Weiteren wurde gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

5        In Erledigung der dagegen erhobenen Beschwerde erließ das BFA mit Bescheid vom 23. Dezember 2019 eine Beschwerdevorentscheidung, in der die Spruchpunkte des Bescheides vom 22. Oktober 2019 betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung - nunmehr allerdings gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG unter Einräumung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab deren Rechtskraft - und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung wiederholt und in Bezug auf das auf § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gestützte Einreiseverbot die Dauer mit sechs Jahren bestimmt wurde.

6        Infolge eines fristgerechten Vorlageantrages entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 3. März 2020 dahin, dass die Beschwerde „mit der Maßgabe“ als unbegründet abgewiesen werde, dass die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt A.1.) und das Einreiseverbot mit zehn Jahren befristet werde (Spruchpunkt A.2.). Dabei sah es von der in der Beschwerde und im Vorlageantrag ausdrücklich beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab, weil der Sachverhalt aufgrund der Aktenlage und des Inhalts der Beschwerde im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt sei.

7        Am 28. Juni 2020 wurde der Revisionswerber in die Türkei abgeschoben. Über seine außerordentliche Revision wurde die Entscheidung des BVwG vom 3. März 2020, soweit sie die Erlassung eines Einreiseverbotes bestätigte und dessen Dauer erhöhte, mit dem Erkenntnis VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0371 (auch: Vorerkenntnis), wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. In Bezug auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung samt Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise wurde die Revision zurückgewiesen. Die Aufhebung begründete der Verwaltungsgerichtshof damit, dass eine maßgebliche Verlängerung der Dauer des Einreiseverbotes um vier Jahre, also „beinahe eine Verdoppelung“ (so die Revision), auf das in diesem Fall gesetzlich höchstzulässige Ausmaß und die dafür erforderliche Annahme einer über die Beurteilung des BFA deutlich hinausgehenden Gefährdungsprognose nicht ohne vorhergehende mündliche Verhandlung und Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber hätte erfolgen dürfen.

8        Mit dem hierauf erlassenen, nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 13. Jänner 2021 wies das BVwG die Beschwerde gegen den noch offenen Spruchpunkt betreffend die Erlassung eines Einreiseverbotes als unbegründet ab, ohne eine Änderung seiner vom BFA mit sechs Jahren festgesetzten Dauer vorzunehmen.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist verbundene, außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

10       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

12       Unter diesem Gesichtspunkt macht der Revisionswerber geltend, dass das BVwG zu Unrecht von der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen habe. Das Unterbleiben der Verhandlung habe bereits im ersten Rechtsgang dazu geführt, dass das Einreiseverbot vom Verwaltungsgerichtshof „dem Grunde als auch der Höhe nach“ aufgehoben worden sei, weshalb die nunmehrige Bestätigung des Einreiseverbotes selbst ohne Erhöhung seiner Dauer den Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofes im Vorerkenntnis nicht gerecht werde. Im Hinblick auf das Familienleben des Revisionswerbers habe das BVwG überdies die Ermittlung des aktuellen Sachverhaltes unterlassen. Außerdem habe das BVwG die Auswirkungen einer dauerhaften Trennung des Sohnes von seinem Vater nicht ausreichend berücksichtigt.

13       Bei diesem Revisionsvorbringen wird außer Acht gelassen, dass der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis - gemäß § 63 Abs. 1 VwGG für das weitere Verfahren bindend - festhielt, das BVwG habe aufgrund der den beiden strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers zugrundeliegenden Tathandlungen das Vorliegen der für die Erlassung eines Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erforderlichen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung annehmen dürfen. Entgegen den dort erstatteten Revisionsausführungen könne - selbst wenn man die behauptete Versöhnung des Revisionswerbers mit seiner Ehefrau und die Wiederaufnahme der Haushaltsgemeinschaft einbeziehe - von einem mittlerweile eingetretenen Wegfall dieser Gefährdung nicht die Rede sein, sei doch die Entlassung aus der Strafhaft erst etwa ein Jahr vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses erfolgt, wobei sich der Revisionswerber in diesem Zeitraum auch nicht wohlverhalten habe, sondern wiederum gegen eine Familienangehörige, nunmehr gegen seine Ehefrau, gewalttätig geworden sei. Angesichts des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung derartiger Straftaten sei es auch nicht rechtswidrig gewesen, dass das BVwG die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG zu Lasten des Revisionswerbers vorgenommen und die Verhängung eines Einreiseverbotes dem Grunde nach für dringend geboten erachtet habe.

14       An dieser Beurteilung kann der mittlerweile zwischen dem Erkenntnis vom 3. März 2020 und dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis vom 13. Jänner 2021 verstrichene Zeitraum von etwa zehn Monaten nichts ändern. Vor diesem Hintergrund ist angesichts der vom BVwG zutreffend als besonders verwerflich gewerteten Straftaten nicht nur die in der Revision hervorgehobene Trennung des Revisionswerbers von seinem Sohn grundsätzlich in Kauf zu nehmen, sondern auch die Annahme des BVwG nicht zu beanstanden, dass für eine positive Zukunftsprognose ein längerer als der bislang verstrichene Zeitraum des Wohlverhaltens notwendig wäre. Der Revisionswerber zeigt auch nicht konkret genug auf, welche seit dem Erkenntnis vom 3. März 2020 eingetretenen Umstände zu einer anderen Prognoseentscheidung hätten führen müssen und inwiefern der vom BVwG festgestellte Sachverhalt nicht aktuell sei, zumal das BVwG auch den Zeitraum eines gemeinsamen Haushaltes mit seiner Ehefrau, seinem Stiefsohn und dem gemeinsamen Sohn vom Februar 2020 bis Juni 2020 den Feststellungen zugrunde legte, aber diesem Umstand zu Recht kein solches Gewicht beimaß, dass deswegen die vom BFA verhängte Dauer des Einreiseverbotes zu reduzieren gewesen wäre.

15       Was das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung betrifft, wird in der Revision der Inhalt der diesbezüglichen, in Rn. 7 wiedergegebenen Begründung des Verwaltungsgerichtshofes im Vorerkenntnis insofern missverstanden, als sie sich nur auf die Erhöhung der Einreiseverbotsdauer auf das höchstzulässige Ausmaß von zehn Jahren bezog. Nachdem das BVwG eine Erhöhung der Dauer des Einreiseverbotes im zweiten Rechtsgang als nicht mehr geboten erachtete, war es vertretbar, dass es angesichts der erwähnten Umstände des vorliegenden Falles bei Bestätigung des nicht unangemessen mit sechs Jahren befristeten Einreiseverbotes insoweit von einem eindeutigen Fall im Sinne der zu § 21 Abs. 7 BFA-VG ergangenen Rechtsprechung ausging, der es ausnahmsweise erlaubte, von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber abzusehen (zu dieser Rechtsprechung vgl. etwa VwGH 7.10.2021, Ra 2021/21/0289, Rn. 13, mwN).

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen. Angesichts dieses Ergebnisses war das Verfahren über den Wiedereinsetzungsantrag einzustellen (vgl. VwGH 27.2.2015, Ra 2015/06/0009, mwN; siehe aus jüngerer Zeit etwa auch VwGH 25.6.2021, Ra 2021/05/0038, Rn. 11, mwN).

17       Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 22. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021210357.L00

Im RIS seit

01.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

12.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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