RS Vfgh 2022/3/7 G201/2021 ua (G201/2021-9, G333/2021-7, G345/2021-4)

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Veröffentlicht am 07.03.2022
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Index

43/02 Leistungsrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art9a Abs3
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
StGG Art2
HeeresgebührenG 2001 §31 Abs2 Z2
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Beschränkung der Wohnkostenbeihilfe nach dem HeeresgebührenG auf Eigentümer, Miteigentümer oder Hauptmieter; Ausschluss von Heimbewohnern oder Personen in Wohngemeinschaften außerhalb des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums der Beihilfenregelung; Wohnkostenbeihilfe soll finanziell schwächere Personen unterstützen, insbesondere jüngere Wehrpflichtige verfügen regelmäßig auf Grund ihrer Lebensumstände über keine eigene Wohnung

Rechtssatz

Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "als Eigentümer oder Miteigentümer oder Hauptmieter" in §31 Abs2 Z2 Heeresgebührengesetz 2001 (HGG 2001) idF BGBl I 102/2019. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30.06.2023 in Kraft.

In §31 Abs2 Z2 HGG 2001 in der novellierten Fassung BGBl I 102/2019 hat der Gesetzgeber nun jener Person eine Anspruchsberechtigung zuerkannt, die als Eigentümer oder Miteigentümer oder Hauptmieter die Wohnung, jeweils mit weiteren Personen als Miteigentümer oder Haupt- oder Untermieter oder sonstigen Personen bewohnt, die sich an den Haushaltskosten beteiligen. Eine Person, die in einer Wohngemeinschaft wohnt, aber weder Hauptmieter noch (Mit-)Eigentümer ist, wird hingegen durch §31 Abs2 Z2 leg cit vom Anspruch auf Wohnkostenbeihilfe ausgeschlossen.

Aus Art9a Abs3 B-VG, nach dem jeder männliche Staatsbürger wehrpflichtig ist, ist abzuleiten, dass von einer Verpflichtung des Staates auszugehen ist, die Versorgung der zur Dienstleistung verpflichteten Staatsbürger für die Dauer des Dienstes zu gewährleisten. Es steht dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, das Ausmaß und die Form der Versorgung zu regeln; er hat hiebei aber die ihm von der Bundesverfassung eingeräumten verfassungsrechtlichen Grenzen zu beachten.

Wie der VfGH schon in seinem Erkenntnis VfSlg 14853/1997 zu einer früheren Regelung der Wohnkostenbeihilfe in §33 HGG 1992, BGBl 422, unter Hinweis auf die stRsp des VwGH ausgeführt hat, ist Zweck des Anspruches auf Wohnkostenbeihilfe die Sicherung der Beibehaltung der Wohnung des Wehrpflichtigen; er soll davor bewahrt werden, dass er seiner Wohnung deshalb verlustig geht, weil er mangels eines Einkommens während der Leistung des betreffenden Dienstes das für die Wohnung zu entrichtende Entgelt nicht aufbringen kann.

Der Gesetzgeber hat bei der Novellierung des §31 Abs2 HGG 2001 durch BGBl I 102/2019 ausgeführt, dass die bisherige Rechtslage dazu führte, dass "[...] Wohngemeinschaften und Heimplätze als anspruchsbegründende 'eigene Wohnung' ausscheiden. Dies trifft vor allem junge Wehrpflichtige, die sich auf Grund ihrer Lebensumstände (zB in Berufsausbildung) keine eigene Wohnung leisten können und daher Wohngemeinschaften oder Heimplätze beziehen müssen. In der Praxis gewinnen aber gerade diese Wohnverhältnisse zunehmend an Bedeutung, sodass es - den Intentionen des Gesetzgebers folgend - richtig erscheint, auch diese Wohnverhältnisse als mögliche Grundvoraussetzung für die Zuerkennung einer Wohnkostenbeihilfe anzuerkennen". Der Gesetzgeber wollte somit im Laufe der Zeit entstandenen Problemen in der Praxis entgegenwirken und die Wohnkostenbeihilfe so regeln, dass gerade finanziell schwächere Personen davon profitieren. In den Erläuterungen wird auch ausdrücklich auf Wohngemeinschaften mit Familienmitgliedern hingewiesen, die die Anspruchsberechtigung nicht grundsätzlich ausschließen, bei denen allerdings weitere Ermittlungen gemäß §31 Abs3 leg cit erforderlich sein können.

Nun hat der Gesetzgeber allerdings mit der angefochtenen Wortfolge bestimmte Kategorien der Wohnungsnutzung - nämlich die Nutzung einer Wohnung im Rahmen einer Wohngemeinschaft auf Grund eines Untermietvertrages oder anderer Mitbenützung - von einer Anspruchsberechtigung ausgeschlossen; dies vor dem Hintergrund der von ihm selbst angenommenen Prämisse, dass sich junge Wehrpflichtige auf Grund ihrer Lebensumstände vermehrt keine eigene Wohnung leisten können und daher Wohngemeinschaften beziehen müssen und diese Wohnverhältnisse zunehmend an Bedeutung gewinnen. Selbst wenn mit der Novelle des §31 Abs2 HGG 2001 durch BGBl I 102/2019 das Ziel verfolgt worden wäre, in der Praxis aufgetretene Missbrauchsfälle zu vermeiden, so beschränkt sich die angefochtene Regelung nicht darauf, diesen Fällen entgegenzuwirken; vielmehr wurde damit eine überschießende Regelung getroffen, für die keine sachliche Rechtfertigung besteht.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Militärrecht, Wohnbeihilfe, Heeresgebühren, Wehrpflicht, Rechtspolitik, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Gerichtsantrag, Auslegung historische, Wohnungseigentum, Mietenrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:G201.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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