TE Vwgh Beschluss 2022/2/21 Ra 2022/01/0041

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Veröffentlicht am 21.02.2022
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

AVG §45 Abs2
AVG §47
StbG 1985 §27 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2022/01/0042

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision 1. der F G und 2. des M G, beide in W, beide vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Senefeldergasse 11/1E, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 29. November 2021, Zlen. 1. VGW-152/062/11188/2021-22, 2. VGW-152/062/11189/2021, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache gemäß § 42 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) festgestellt, dass die revisionswerbenden Parteien die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG durch Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit mit 4. März 1998 verloren haben und nicht österreichische Staatsbürger sind (1.I. und 2.I.). Die Revision wurde jeweils für nicht zulässig erklärt (1.II. und 2.II.).

2        Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, den revisionswerbenden Parteien sei mit Bescheid der belangten Behörde vom 8. August 1996 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden; am 10. Februar 1997 hätten revisionswerbenden Parteien „die Entlassung“ aus dem türkischen Staatsverband vom 6. Februar 1997 vorgelegt.

3        Mit Beschluss des [türkischen] Ministerrates vom 4. März 1998 hätten sie die türkische Staatsangehörigkeit „aufgrund einer Antragstellung“ wieder erworben, ohne dass ihnen zuvor die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft bewilligt worden wäre.

4        Der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit ergebe sich eindeutig aus den beiden türkischen Personenstandsregisterauszügen vom 22. November 2021, die von den revisionswerbenden Parteien „wie aufgetragen“ online erworben worden seien. Diese Eintragungen hätten den Charakter einer öffentlichen Urkunde; es komme ihnen ein erheblicher Beweiswert zu. Die revisionswerbenden Parteien hätten in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sie im Zuge der Entlassung aus dem türkischen Staatsverband am türkischen Konsulat in Wien mehrere Formulare bzw. Schriftstücke unterzeichnet hätten. Daraus könne gefolgert werden, dass darunter auch das Antragsformular auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gewesen sei, zumal der Wiedererwerb nach der türkischen Rechtslage (Art. 8 und 11 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 vom 11. Februar 1964) eindeutig auf einer Antragstellung beruhe. Dass der Wiedererwerb kein Thema beim Gespräch mit dem Konsularbeamten gewesen sei, werde daher - in Zusammenhalt mit den vorgelegten Personenstandsregisterauszügen - als Schutzbehauptung gewertet.

5        Weiters führte das Verwaltungsgericht - näher begründet aus - dass der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft für die revisionswerbenden Parteien „insgesamt nicht als unverhältnismäßig anzusehen“ sei.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen (Hinweis auf VwGH 19.2.2009, 2006/01/0884). Die von den revisionswerbenden Parteien „mit der Unterzeichnung der Austrittsdokumente“ abgegebene Willenserklärung habe sich primär auf ein anderes Ziel gerichtet, nämlich auf die Bestätigung des Austritts aus dem türkischen Staatsverband. Es liege ein Irrtum der revisionswerbenden Parteien über den Inhalt der unterzeichneten Urkunden vor.

11       Dieses Vorbringen führt nicht zur Zulässigkeit der Revision.

12       Die Bestimmung des § 27 Abs. 1 StbG soll klarstellen, dass der Verlust der Staatsbürgerschaft nur eintritt, wenn der Staatsbürger eine auf den Erwerb der fremden Staatsbürgerschaft gerichtete - “positive“ - Willenserklärung abgibt. Eine primär auf ein anderes Ziel gerichtete Willenserklärung (z.B. Antritt eines Lehramtes an einer ausländischen Hochschule, Eheschließung) bewirkt nicht den Verlust der Staatsbürgerschaft, auch wenn dem Betroffenen bekannt ist, dass damit der Erwerb der fremden Staatsbürgerschaft verbunden ist (vgl. VwGH 19.2.2009, 2006/01/0884, mwN).

13       Die Revision bestreitet nicht, dass die revisionswerbenden Parteien - durch Unterfertigung diesbezüglicher Formulare - auf den (Wieder)Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gerichtete Willenserklärungen abgegeben haben.

14       Mit dem Vorbringen, dies sei jedoch „irrtümlich“ - nämlich in der Annahme, damit lediglich den Austritt aus dem türkischen Staatsverband zu bestätigen - erfolgt, zeigt die Revision ein Abweichen von der erwähnten Rechtsprechung (VwGH 2006/01/0884; vgl. aus jüngerer Zeit etwa VwGH 22.3.2021, Ra 2020/01/0293, 0384-0385) nicht auf: Diese Rechtsprechung bezieht sich nämlich auf jene Fälle, in denen die Abgabe der Willenserklärung nicht „irrtümlich“ erfolgte, sondern primär auf ein anderes Ziel als den Erwerb der Staatsangehörigkeit gerichtet war (und mit der Erreichung dieses Ziels der Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit - ex lege - einherging).

15       Dieser Fall liegt hier nicht vor.

16       Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht das Vorbringen der revisionswerbenden Parteien im Verfahren, wonach der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit „kein Thema im Gespräch mit dem Konsularbeamten“ gewesen sei, in jedenfalls vertretbarer Beweiswürdigung als „Schutzbehauptung“ gewertet.

17       Schließlich ist darauf zu verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung (vgl. VwGH 10.7.2018, Ra 2018/01/0094; 25.9.2018, Ra 2018/01/0364) wiederholt den erheblichen Beweiswert von Ausfertigungen bzw. Auszügen aus dem türkischen Personenstandsregister (nüfus kütügü) für die Frage des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG durch den (Wieder)Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit hervorgehoben hat. Demnach haben Eintragungen im türkischen Personenstandsregister den Charakter einer öffentlichen Urkunde (resmi belge). Sie und ihre Ausfertigungen bzw. Auszüge gehören nach türkischem Recht zu den „Strengbeweismitteln“ (kesin delil) in Bezug auf den dokumentierten Sachverhalt, sind allerdings dem Gegenbeweis zugänglich.

18       Auf dieser Grundlage kann die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts zur Feststellung, dass den revisionswerbenden Parteien am 4. März 1998 auf ihren Antrag die türkische Staatsangehörigkeit wieder verliehen wurde, nicht als in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen (vgl. zum Prüfungsmaßstab in Bezug auf die Beweiswürdigung eines Verwaltungsgerichtes im Revisionsmodell etwa VwGH 21.7.2021, Ra 2021/01/0223-0224, mwN) beurteilt werden.

19       In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 21. Februar 2022

Schlagworte

Beweismittel Urkunden

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022010041.L00

Im RIS seit

25.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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