TE Vwgh Erkenntnis 1996/7/10 94/15/0114

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Veröffentlicht am 10.07.1996
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Index

21/01 Handelsrecht;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;

Norm

BAO §115 Abs1;
BAO §138 Abs1;
BAO §161 Abs1;
BAO §161 Abs2;
BAO §188 Abs1;
BAO §21 Abs1;
BAO §22 Abs1;
BAO §299 Abs1 litc;
BAO §299 Abs2;
EStG 1988 §23;
HGB §178;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Steiner, Dr. Mizner und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde der W Gesellschaft m.b.H. & Mitgesellschafter

(1. W Gesellschaft m.b.H., 2. Mag. AW), vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 9. Mai 1994, Zl. 69/14-3/94, betreffend Aufhebung gemäß § 299 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 20. Dezember 1990 schlossen die W-GmbH und deren Alleingesellschafter den Vertrag über die Errichtung einer atypischen stillen Gesellschaft. Es wurde die Leistung einer Kapitaleinlage von S 1,500.000,-- durch den Gesellschafter bis zum 31. Dezember 1990 vereinbart. Am Vermögen der Gesellschaft sollte der stille Gesellschafter im Verhältnis seiner fixen Kapitaleinlage zum ausgewiesenen Stammkapital der Gesellschaft (S 500.000,--) beteiligt sein (§ 3 Abs. 3 erster Satz des Vertrages). Der stille Gesellschafter sollte am Jahresergebnis des gesamten Geschäftsjahres 1990 beteiligt sein (§ 5 Abs. 1 letzter Satz). Der Vertrag wurde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen; für die Kündigung wurde eine Frist von sechs Monaten zum Ende eines jeden Geschäftsjahres vereinbart (§ 9 Abs. 1 und 2). Nach § 9 Abs. 4 des Vertrages verzichtete der Geschäftsherr darauf, den Vertrag vor Ablauf des Geschäftsjahres 1997 aufzukündigen; er könne sein Kündigungsrecht aber frühestens dann ausüben, wenn der Totalgewinn des stillen Gesellschafters im Sinne des § 5 einen Betrag von S 150.000,-- übersteige. Ab diesem Stichtag beginne die Kündigungsfrist gemäß § 9 Abs. 2.

Am 21. Dezember 1990 wurde dem Finanzamt vom Vertragsabschluß Mitteilung gemacht und dargelegt, daß "Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorliegen, sodaß wir um Zuteilung einer Steuernummer (Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO, Gewerbesteuer, Einheitswert des Betriebsvermögens) ersuchen".

Über Aufforderung des Finanzamtes wurde der Gesellschaftsvertrag vorgelegt. Für die Jahre 1990 und 1991 wurden von der "W-GmbH und Mitgesellschafter" Erklärungen der Einkünfte abgegeben, die - ausgehend vom Betriebsergebnis der GmbH für die betreffenden (ganzen) Kalenderjahre - Verluste der Mitunternehmerschaft von S 2,108.998,31 (1990) und

S 2,585.441,02 (1991) sowie deren Aufteilung auf die Gesellschafter entsprechend dem Punkt 5. des Vertrages auswies.

Mit Bescheiden vom 12. Mai und 16. September 1993 stellte das Finanzamt die Einkünfte der Mitunternehmerschaft erklärungsgemäß fest.

Auf Grund eines Vorhaltes des Finanzamtes legte Mag. W. u. a. dar, er habe sich zu der in Rede stehenden Zufuhr von Mitteln an die GmbH im Hinblick auf deren Investitionsbedarf entschlossen. Er habe mit einem baldigen Rückfluß des Kapitals gerechnet. Die Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter sei wegen der "Mobilität der Kapitalinvestition" vorteilhafter. Eine Kapitalerhöhung sei nicht in Frage gekommen, weil Überlegungen in Richtung einer Fremdbeteiligung (Mitarbeiterbeteiligung) bestanden hätten. Auch im Konkursfall sei die stille Beteiligung günstiger. Infolge einer Rezession in der zweiten Jahreshälfte 1991 und 1992 sei der erhoffte Ertragseffekt nicht eingetreten, weshalb die investierten Gelder nicht zurückgeflossen seien. Die Regelung über den Kündigungsverzicht des Geschäftsherrn sei getroffen worden, um die Stellung des stillen Gesellschafters abzusichern.

Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde die Bescheide des Finanzamtes vom 12. Mai und 16. September 1993 betreffend die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Jahre 1990 und 1991 gemäß § 299 Abs. 2 und Abs. 1 lit. c BAO wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes und Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Begründend wurde dargelegt, Mag. W. habe als Einmanngesellschafter der GmbH in Vertretung der GmbH mit sich selbst einen Vertrag über die Gründung einer unechten stillen Gesellschaft (Kapitaleinlage S 1,500.000,--) am 20. Dezember 1990 abgeschlossen. Wegen des Vorliegens eines Insichgeschäftes sei der Fremdvergleich geboten. Unter der Sicht des Fremdvergleiches sei zu bemerken, daß kein Fremder sich dem Risiko ausgesetzt hätte, entsprechend dem § 9 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages nach sieben Jahren, wenn sich vielleicht die Gewinnsituation nachhaltig gebessert habe, aber erst S 150.000,-- Totalgewinn erzielt worden seien, von der weiteren Teilnahme am Gewinn ausgeschlossen zu werden. Demnach wäre die unechte stille Gesellschaft nicht anzuerkennen gewesen; Bescheide nach § 188 BAO hätten nicht ergehen dürfen. Darin liege eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes der aufgehobenen Bescheide. Überdies hätte das Finanzamt klären müssen, ob eine Prognose für den Siebdruckmarkt zum Ergebnis geführt hätte, daß sich auch ein fremder Kapitalinhaber zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an einem solchen Unternehmen beteiligt hätte. Es liege daher auch eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor. Was das Jahr 1990 betreffe, liege eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes ferner in der Anerkennung der Beteiligung des stillen Gesellschafters am Jahresergebnis des gesamten Geschäftsjahres 1990.

Außersteuerliche Gründe für diese rückwirkende Ergebnisbeteiligung seien nicht ermittelt worden. Auch darin liege eine Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit den aufgehobenen Bescheiden des Finanzamtes wurden gemäß § 188 BAO die Einkünfte der aus der W-GmbH und ihrem einzigen Gesellschafter gebildeten atypischen stillen Gesellschaft für die Jahre 1990 und 1991 festgestellt. Die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO setzt u.a. die Beteiligung mehrerer Personen an den Einkünften voraus. Für die Gesellschafter einer atypischen stillen Gesellschaft wird die Eigenschaft als Mitunternehmer unter bestimmten Voraussetzungen bejaht (vgl. Stoll, BAO-Kommentar 1990 mwN).

Der angefochtene Aufhebungsbescheid beruht u.a. auf der Auffassung, die aufgehobenen Feststellungsbescheide seien in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig, weil die Voraussetzungen einer einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte zu Unrecht bejaht würden. Die atypische stille Gesellschaft sei aus näher dargelegten Gründen steuerlich nicht anzuerkennen.

Die belangte Behörde gründete ihren Aufhebungsbescheid auf § 299 Abs. 1 lit. c BAO (Verletzung von Verfahrensvorschriften) und § 299 Abs. 2 BAO (Rechtswidrigkeit des Inhaltes). Der Aufhebungsbescheid entspricht in einem solchen Fall schon dann dem Gesetz, wenn sich die Aufhebung aus einem der herangezogenen Aufhebungsgründe als berechtigt erweist (vgl. z. B. das Erkenntnis vom 27. Juli 1994, Zl. 92/13/0058).

Die Abgabenbehörde hatte die steuerlichen Auswirkungen einer Vermögenszuwendung des einzigen Gesellschafters einer überschuldeten GmbH an diese zu beurteilen. In einem solchen Fall ist eine Untersuchung dahin geboten, ob die Zuwendung nach ihrem inneren Gehalt - ungeachtet ihrer zivilrechtlichen Ausgestaltung - ihre Ursache in einer schuldrechtlichen Beziehung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter oder im Gesellschaftsverhältnis hat. Im letzteren Fall ist die Leistung

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ungeachtet einer allfälligen Bezeichnung z.B. als Darlehen oder stille Beteiligung - als verdeckte Einlage anzusehen. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Auffassung, daß die zwingende rechtliche Beurteilung als Gesellschaftseinlage

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etwa im Fall einer gebotenen Kapitalzufuhr an eine überschuldete oder sanierungsbedürftige Gesellschaft - allein durch die Erklärung, der Gesellschaft die erforderlichen Mittel nicht in der Eigenschaft als Gesellschafter der Kapitalgesellschaft, sondern in der Eigenschaft als unechter stiller Gesellschafter (Mitunternehmer) einer mit der Kapitalgesellschaft gegründeten Mitunternehmerschaft zuführen zu wollen, keine Änderung erfahren könne (vgl. das Erkenntnis vom 19. März 1986, Zlen. 83/13/0109, 0139). Auch im Erkenntnis vom 18. Oktober 1989, Zl. 88/13/0180, hat der Gerichtshof die Auffassung vertreten, das Zustandekommen einer atypischen stillen Gesellschaft zwischen der GmbH und deren beherrschendem Gesellschafter sei steuerlich nicht anzuerkennen, wenn die Einlage objektiv nur den wirtschaftlichen Erfolg habe, Eigenkapital der GmbH zu ersetzen und somit an die Stelle einer wirtschaftlich gebotenen Kapitalzuführung träte.

Nach § 115 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind. In welchen Fällen die Abgabenbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgabe, die Abgabenerklärungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, von Amts wegen Ermittlungen durchzuführen hat, läßt sich den §§ 138, 161 BAO entnehmen. Es sind dies Fälle, in denen Bedenken gegen die Richtigkeit der Abgabenerklärung zu Zweifeln Anlaß geben. Wann dies anzunehmen ist, muß im Einzelfall nach der der Abgabenbehörde zur Zeit ihrer Prüfung erkennbaren Gesamtsituation beurteilt werden (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 17. März 1994, Zl. 91/14/0001).

Im vorliegenden Fall wurde die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte einer atypischen stillen Gesellschaft begehrt, die aus einer GmbH und deren einzigem Gesellschafter gebildet ist, wobei die Widmung der geleisteten Kapitaleinlage zur teilweisen Verlustabdeckung und die Überschuldung der Gesellschaft erkennbar war. Dies hätte für das Finanzamt Anlaß zur Ermittlung in der Richtung geboten, ob die Kapitalzuwendung an die Gesellschaft ihre Wurzel in einer schuldrechtlichen Beziehung oder im Gesellschaftsverhältnis hatte; in letzterem Fall wäre die Kapitalzufuhr als Einlage aufzufassen und eine Mitunternehmerschaft demgemäß nicht anzunehmen gewesen. Die Veranlassung durch eine schuldrechtliche Beziehung hätte nur angenommen werden dürfen, wenn festgestellt worden wäre, daß ein fremder Dritter unter den gleichen Bedingungen eine stille Beteiligung eingegangen wäre (vgl. Zorn, Besteuerung der Geschäftsführung 296 mwN). Ohne entsprechende Ermittlungen durfte das Finanzamt bei dem ihm vorliegenden Sachverhalt nicht vom Bestehen einer Mitunternehmerschaft ausgehen. Vielmehr wäre die weitere Aufklärung des Sachverhaltes geboten gewesen, wobei nicht ausgeschlossen ist, daß die unterlassenen Erhebungen einen anderen Bescheid hätten nach sich ziehen können.

Daran vermag auch der Hinweis der Beschwerde nichts zu ändern, dem Finanzamt seien bei Erlassung der Feststellungsbescheide die Steuererklärungen und der Gesellschaftsvertrag vorgelegen; denn die Einsichtnahme in diese Urkunden konnte Ermittlungen in der oben dargelegten Richtung nicht ersetzen. Ebensowenig ist von Bedeutung, ob die (von der Beschwerde bekämpfte) Auffassung der belangten Behörde zutrifft, das Finanzamt hätte im Rahmen eines Fremdvergleiches unter anderem eine "Prognose für den Siebdruckmarkt" erstellen müssen. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften lag bereits im Unterbleiben von Ermittlungen in der Richtung, ob es sich bei der Zuwendung um eine wirtschaftlich gebotene Kapitalzufuhr durch den Gesellschafter handelte; ob zu den gebotenen Ermittlungen auch die erwähnte "Prognose" zählte, kann bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides auf sich beruhen.

Die belangte Behörde konnte somit wegen des Verstoßes gegen die Ermittlungspflicht vom Vorliegen des Aufhebungsgrundes der Verletzung von Verfahrensvorschriften im Sinne des § 299 Abs. 1 lit. c BAO ausgehen. Ein Aufhebungsbescheid entspricht dem Gesetz, wenn sich die Aufhebung aus einem der herangezogenen Aufhebungsgründe als berechtigt erweist (vgl. das oben bereits erwähnte Erkenntnis vom 27. April 1994). Im Hinblick darauf, daß die belangte Behörde den Aufhebungsbescheid zutreffend auf § 299 Abs. 1 lit. c BAO gründen konnte, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob auch die Voraussetzungen einer Aufhebung der Bescheide des Finanzamtes wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes (§ 299 Abs. 2 BAO) insbesondere im Hinblick auf die Annahme einer "Rückwirkung" der Vereinbarung (vgl. hiezu z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Mai 1983, Zl. 82/14/0277, und vom 23. März 1994, Zl. 93/13/0280, sowie Schuch-Quantschnigg, Einkommensteuer-Handbuch, § 23, Rz 51, 52) vorlagen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994150114.X00

Im RIS seit

07.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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