TE Vwgh Erkenntnis 1996/7/10 94/15/0014

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Veröffentlicht am 10.07.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §147;
BAO §198 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Wetzel und Dr. Steiner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde des F in M, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Steiermark (Berufungssenat) vom 24. November 1993, Zl. B 142-3/93, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1989 und 1990 sowie Sachbescheide hinsichtlich Umsatz- Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1989 bis 1991, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer betreibt seit 1984 in M eine Tabaktrafik. Nach Pensionierung einer langjährig in derselben beschäftigt gewesenen Angestellten im Frühsommer des Jahres 1989 halfen zunächst die damals rund 70 Jahre alten Eltern des Beschwerdeführers im Betrieb aus. Im Frühsommer des Jahres 1990 nahm der Beschwerdeführer zwei 46 Jahre alte und rund 20 Jahre lang nicht beruftstätig gewesene Frauen als Halbtagsangestellte auf. Der Beschwerdeführer selbst ist nicht nur im Verkauf tätig, sondern auch mit den administrativen Arbeiten wie Einkauf, Führung der Aufzeichnungen, Bestellwesen, Auspreisung der Nebenartikel, Abrechnung mit den Zeitungsverlagen und der Glücksspielmonopolverwaltung befaßt gewesen.

Die tägliche Losungsermittlung erfolgte nach Geschäftsschluß durch Abzählen des Geldbestandes (Kassasturzmethode) unter Berücksichtigung des Anfangsbestandes und der tagsüber getätigten Ausgaben. Während der Streitjahre wurde im Verkaufsraum weder eine Registrierkasse noch eine Rechenmaschine verwendet. Einzelposten wurden entweder im Kopf oder auf Paragons zusammengezählt. Die Trennung der Entgelte nach den verschiedenen Steuersätzen erfolgte monatlich im nachhinein und zwar dadurch, daß die Summe der täglichen Einnahmen mittels kalkulatorischer Erlöstrennung in die einzelnen Umsatzteile zerlegt wurde.

Nach Erstellung des Jahresabschlusses für das Jahr 1991, durch welchen zutage getreten war, daß die kalkulatorischen Abgänge gegenüber jenen der Vorjahre angestiegen waren, erstattete der Beschwerdeführer einerseits bei der Polizei Anzeige wegen Diebstahls gegen unbekannte Täter und legte andererseits beim Finanzamt mit den Abgabenerklärungen für das Jahr 1991 eine Sachverhaltsdarstellung sowie eine drei Jahre zurückreichende Nachkalkulation vor. Grundlage für diese Nachkalkulation war die jährlich mit der Bilanz eingereichte Bruttoertragsrechnung, "von welcher mit den angeführten Aufschlagsätzen ausgehend die Abgänge ermittelt wurden".

Anläßlich einer sodann durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung stellte der Prüfer Kalkulationsdifferenzen in der Höhe von S 77.000,-- (für das Jahr 1989), von S 124.000,-- (für das Jahr 1990) und von S 298.000,-- (für das Jahr 1991) fest. Er ermittelte die Abgänge dadurch, daß er zu den Anfangsbeständen der einzelnen Warengruppen laut Inventur des Beschwerdeführers (ohne Umsatzsteuer, einschließlich Rohaufschlag) die in den vorgelegten Rechnungen ausgewiesenen Zukäufe bzw. die von der Austria Tabakwerke AG bekanntgegebenen Tabakverkaufszahlen, multipliziert mit den branchenüblichen oder durch Stichproben ermittelten Aufschlägen, hinzuzählte und diesen Betrag um die wiederum aus den Aufzeichnungen des Beschwerdeführers ersichtlichen Endbestände verminderte. Die Kalkulationsmethode und die Höhe der ermittelten Abgänge waren bei der Prüfung nicht umstritten.

In der Schlußbesprechung führte der Beschwerdeführer die Kalkulationsdifferenzen auf folgende Umstände zurück:

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den Abgang einer langjährig Beschäftigten im April 1989,

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dadurch bedingt die Beschäftigung seiner damals 70-jährigen und damit überforderten Eltern bis Mai 1990,

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danach die Einstellung zweier ungeschulter Verkäuferinnen ab Juni 1990

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und die durch die Öffnung der Ostgrenzen bedingte vermehrte Kleinkriminalität.

Das Finanzamt schloß sich den Feststellungen des Prüfers an, verfügte die Wiederaufnahme der schon abgeschlossenen Verfahren hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1989 und 1990 und erließ Sachbescheide hinsichtlich Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1989 bis 1991.

In der gegen diese Bescheide erhobenen Berufung bestritt der Beschwerdeführer das Vorliegen von Wiederaufnahmsgründen und machte geltend, seine Buchführung weise keinerlei Mängel auf und die festgestellten Kalkulationsdifferenzen lägen weit unter 10 Prozent.

In seiner abweislichen Berufungsvorentscheidung führte das Finanzamt im wesentlichen aus, Wiederaufnahmsgründe lägen vor, weil ihm erst nach rechtskräftigem Abschluß der wiederaufgenommenen Abgabenverfahren "die Tatsache von Erlösabweichungen" bekannt geworden sei. Die Argumente des Beschwerdeführers gegen die Sachbescheide hätten sich im Verfahren geändert, weil der ursprünglich im Vordergrund gestandene behauptete Ladendiebstahl im sicherheitsbehördlichen Verfahren nur noch eine untergeordnete Rolle eingenommen habe. Das Finanzamt führte weiters aus, auf Grund der von der Betriebsprüfung erfolgten Betriebsbeschreibung seien die verschiedenen Warengruppen so angeordnet, daß nur rund 50 Prozent der Nebenartikel und die Zeitschriften einer gewissen Diebstahlsgefahr ausgesetzt gewesen seien. Die Kalkulationsdifferenz auf diese Warengruppe betrage 11,3 Prozent (im Jahr 1989), 17 Prozent (im Jahr 1990) bzw. 36,8 Prozent (im Jahr 1991). Nicht alle diebstahlsgefährdeten Waren (z.B. Glückwunschkarten und Zeitschriften) erschienen (mangels deutscher Sprachkenntnisse) für die in der Berufung erwähnten Asylanten attraktiv.

Der Beschwerdeführer beantragte hierauf die Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Ergänzend brachte er vor, in seiner alljährlich mit der Bilanz vorgelegten Bruttoertragsrechnung seien alle Grundlagen für eine Nachkalkulation offen ausgewiesen worden, sodaß für das Finanzamt nicht nachträglich Tatsachen neu hervorgekommen seien. Zur Untermauerung seines Arguments, die Warenabgänge seien unter anderem auf Diebstähle durch Asylanten zurückzuführen, verwies der Beschwerdeführer auf einen Kurzartikel in der Kleinen Zeitung, wonach ein Rumäne Parfum im Wert von S 1.140,-- gestohlen hätte. Ausschlaggebend für das hohe Ansteigen der Abgänge im Jahr 1991 sei die Beendigung der Aushilfstätigkeit seiner Eltern und die Anstellung zweier ungeschulter Halbtagskräfte im Jahr 1990 gewesen. Seine Aufklärungsversuche seien nicht wechselhaft, sondern versuchten aufzuzeigen, daß es im Prüfungszeitraum total geänderte Umfeldbedingungen gegeben habe und dadurch Verluste aufgetreten seien. Der Dienstnehmerdiebstahl finde im Berufungsverfahren deswegen keine Erwähnung mehr, weil von der Polizei hiezu keine Feststellungen getroffen worden seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung abgewiesen; dies im wesentlichen mit folgender Begründung:

Die vom Beschwerdeführer bestrittenen Wiederaufnahmsgründe lägen vor, weil aus der seinen Abgabenerklärungen jeweils beigefügten Bruttoertragsrechnung nicht die Erklärung von Warenabgängen zu entnehmen gewesen sei. Die polizeiliche Anzeige des Beschwerdeführers stelle kein hinreichendes Beweismittel für erlittene Diebstähle dar. Zum einen seien in dieser Anzeige weder Tathergang noch andere sachverhaltsbezogene Einzelheiten beschrieben, zum anderen habe der Beschwerdeführer die Anzeige für drei Jahre pauschal im nachhinein erstattet. Ein konkreter Vorfall sei nicht Gegenstand der polizeilichen Anzeige gewesen. Die annähernde Vervierfachung der Warenabgänge im Jahr 1991 im Vergleich zum Jahr 1989 lasse sich auch nicht nur auf den Personalwechsel zurückführen, weil die Warenabgänge auch nach der Einarbeitungszeit der Halbstagsangestellten von einem halben Jahr nicht auf das anzuerkennende Ausmaß des Schwundes von 0,5 Prozent des gesamten Umsatzes zurückgegangen seien. Bestimmte Warengruppen (z. Tabakwaren, Stempelmarken, Toto, Lotto) seien durch den bei diesen Waren erfolgenden Handverkauf völlig der Gefahr des Ladendiebstahls entzogen, weswegen nur die falsche Herausgabe von Wechselgeld als Ursache für einen Abgang in Frage komme. Derart hohe Wechselgeldfehler - im Jahr 1991 wären dies ca. S 1.000,-- pro Tag gewesen - erschienen auch bei einem Umsatz von ca. S 11,3 Mio netto pro Jahr unglaubwürdig. Der Schätzungsgrund bzw. der begründete Anlaß zur Schätzung bestehe in der vom Prüfer bzw. auch vom Beschwerdeführer errechneten nicht unerheblichen Kalkulationsdifferenz. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sei die kalkulatorische Überprüfung des Umsatzes, die nur eine Warengruppe betreffe, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. hiezu das Erkenntnis vom 13. September 1989, Zl. 88/13/0190) zulässig. Auch bei formell ordnungsgemäßer Buchführung sei eine Schätzung durch die Abgabenbehörde gerechtfertigt, wenn sich zweifelsfrei ergebe, daß das ausgewiesene Ergebnis nicht den Tatsachen entspreche und der Unterschied zwischen dem erklärten und dem kalkulatorischen Ergebnis erheblich sei. Von einer Unerheblichkeit der Warenabgänge könne auch im Hinblick darauf nicht gesprochen werden, daß der Abgang von S 77.000,-- im Jahr 1989 auf S 298.000,-- im Jahr 1991 angestiegen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Bedachtnahme auf die weiteren Stellungnahmen des Beschwerdeführers erwogen:

1) Zur Wiederaufnahme des Verfahrens:

Aus der vom Beschwerdeführer seinen Bilanzen beigeschlossenen Aufgliederung der Bruttoumsätze der einzelnen Warengruppen war für die belangte Behörde die Höhe der Warenabgänge in den einzelnen Streitjahren unbestrittenermaßen nicht ohne weiteres erkennbar. Die Beschwerde meint aber, der Abgabenbehörde wäre die mit einem Zeitaufwand von maximal einer Viertelstunde zu bewältigende "kalkulatorische Überprüfung der jeweiligen erklärten Ergebnisse" zuzumuten gewesen.

Im Ergebnis wirft die Beschwerde der belangten Behörde vor, sie habe unberücksichtigt gelassen, daß das Finanzamt daran schuld sei, daß ihm Tatsachen erst nach Abschluß der wiederaufgenommenen Verfahren bekanntgeworden seien.

Damit wird aber keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt, weil auch ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgebenden Tatsachen oder Beweismittel im Erstverfahren eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen nicht von vornherein ausschließt. Selbst wenn also dem Finanzamt wegen des Unterlassens einer Nachkalkulation schon anläßlich der Veranlagung ein Vorwurf zu machen wäre, schließt dies die Wiederaufnahme der abgeschlossen Abgabenverfahren nicht aus (siehe hiezu Stoll, BAO-Kommentar, 2934, und die dort zitierte Rechtsprechung).

2) Zur Schätzung:

Die Beschwerde stellt die Schätzungsberechtigung im vorliegenden Fall deswegen in Abrede, weil die Bücher für die Streitjahre mängelfrei und die ermittelten kalkulatorischen Differenzen gering seien. Die Differenzen fänden in einer geänderten Personalsituation und in sonstigen geänderten Verhältnissen ihre Erklärung. Die belangte Behörde habe auch die Aussage des Betriebsprüfers, daß er persönlich nicht daran glaube, der Beschwerdeführer habe die Kalkulationsdifferenzen "eingesteckt", nicht gebührend gewürdigt.

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck kommende Auffassung der belangten Behörde, die kalkulatorische Überprüfung des nur eine Warengruppe betreffenden Umsatzes sei zulässig. Ausgehend davon hat schon das Finanzamt in seiner als Vorhalt wirkenden Berufungsvorentscheidung Kalkulationsdifferenzen bei der Gruppe der diebstahlsgefährdeten Waren von über 10 Prozent festgestellt. Daran hat auch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid festgehalten, ohne daß der Beschwerdeführer gegen die Kalkulation des Warenabganges bei der Gruppe der diebstahlsgefährdeten Waren im Abgabenverfahren Überzeugendes vorgebracht hätte. Die Sachverhaltsfeststellung der belangten Behörde, bei dieser Gruppe seien Kalkulationsdifferenzen von über 10 Prozent in den einzelnen Streitjahren zutage getreten, entbehrt weder der Schlüssigkeit noch ist der belangten Behörde insofern ein wesentlicher Verfahrensmangel unterlaufen.

Unter diesen Umständen bestand für die Abgabenbehörden aber ein begründeter Anlaß, an der sachlichen Richtigkeit der Buchführung des Beschwerdeführers für die Streitjahre zu zweifeln. Dies begründete die von der Beschwerde bestrittene Schätzungsbefugnis (vgl. hiezu nochmals Stoll, a.a.O., 1924 f und die dort zitierte Rechtsprechung). Eines Nachweises, daß die Buchführung des Beschwerdeführers mit den Wirtschaftsabläufen tatsächlich nicht übereinstimmt, bedurfte es unter diesen Voraussetzungen nicht. Zwar stand dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offen, die sachliche Richtigkeit seiner Aufzeichnungen zu beweisen und damit der ansonsten bestehenden Schätzungsbefugnis entgegenzuwirken (vgl. hiezu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1993, Zl. 91/17/0167, und das dort zitierte Vorerkenntnis), der Verwaltungsgerichtshof kann aber der Feststellung der belangten Behörde, ein solcher Nachweis sei im Beschwerdefall nicht erbracht worden, angesichts des Umstandes, daß die annähernde Vervierfachung des Warenabganges im Jahr 1991 gegenüber dem Jahr 1989 in den festgestellten betrieblichen Umständen keine hinreichende Erklärung findet, nicht entgegentreten. Daß die belangte Behörde auf die in der Beschwerde erwähnte Aussage des Betriebsprüfers im angefochtenen Bescheid nicht näher eingegangen ist, stellt keinen wesentlichen Begründungsmangel dar, weil es nicht auf die Einschätzung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers durch den Betriebsprüfer, sondern auf die der belangten Behörde ankommt.

Auf Grund des Gesagten mußte die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden. Diese Entscheidung konnte gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG im Dreiersenat getroffen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994150014.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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