TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/21 Ra 2021/17/0045

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.02.2022
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
34 Monopole
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §58 Abs2
AVG §60
GSpG 1989 §2 Abs2
GSpG 1989 §52 Abs1 Z1
VStG §24
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §25 Abs6
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §38
VwGVG 2014 §46
VwGVG 2014 §46 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des M H in W, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 9. Dezember 2020, VGW-002/011/5845/2020/E-2, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 17. Dezember 2018 wurde der Revisionswerber als Hauptmieter des Lokals W in W der zweifachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild Glücksspielgesetz - GSpG schuldig erkannt, weil er sich durch die entgeltliche Überlassung (Untervermietung) dieses Lokals an die F Kft. an der Zugänglichmachung verbotener Ausspielungen mit zwei Glücksspielgeräten am 19. Juli 2018 unternehmerisch beteiligt habe. Über den Revisionswerber wurden zwei Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 20.000,-- (sowie Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Weiters wurde ihm ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt.

2        Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde.

3        Mit dem am 5. September 2019 mündlich verkündeten Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der Beschwerde in der Schuldfrage keine Folge. Das Verwaltungsgericht gab der Beschwerde in der Straffrage insoweit Folge, als es die Geldstrafen auf jeweils EUR 6.000,-- und die Ersatzfreiheitsstrafen sowie den Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens herabsetzte. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass der Revisionswerber keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe (Spruchpunkt I.) und dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.).

4        In der mit 23. September 2019 datierten schriftlichen Ausfertigung des verkündeten Erkenntnisses sprach das Verwaltungsgericht darüber hinaus in einem Spruchpunkt IA. aus, dass die im Rahmen der mündlichen Verkündung bemessene und herabgesetzte Geldstrafe nicht pro Eingriffsgegenstand festgesetzt, sondern dass eine Gesamtgeldstrafe von Euro 12.000.-- und eine Gesamtersatzfreiheitsstrafe verhängt werden.

5        Mit Erkenntnis vom 4. Mai 2020, Ra 2019/16/0214, hob der Verwaltungsgerichtshof dieses Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf, weil der Verhängung der Gesamtstrafe in der Ausfertigung vom 23. September 2019 das Hindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegenstand und sowohl das mündlich verkündete Erkenntnis als auch die Ausfertigung einen Widerspruch zwischen Spruch und Begründung aufwiesen.

6        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde in der Schuldfrage neuerlich keine Folge. Es gab der Beschwerde in der Straffrage insoweit Folge, als es die Geldstrafen auf jeweils EUR 5.000,-- und die Ersatzfreiheitsstrafen sowie den Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens herabsetzte. Das Verwaltungsgericht sprach überdies aus, dass der Revisionswerber keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe (Spruchpunkt I.) und dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.).

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, dem Revisionswerber sei die unternehmerische Beteiligung am Zugänglichmachen verbotener Ausspielungen vorgeworfen worden. Dieser Vorwurf erfülle aber keines der Tatbilder des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG, insbesondere nicht das vierte Tatbild der genannten Bestimmung.

9        Nach dem Wortlaut des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 GSpG veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 daran beteiligt. Das vierte Tatbild beschreibt daher eine Handlung, die darin besteht, dass sich jemand an verbotenen Ausspielungen unternehmerisch beteiligt, ohne diese selbst zu veranstalten, zu organisieren oder unternehmerisch zugänglich zu machen. So kann etwa das entgeltliche Überlassen von Glücksspielgeräten wie auch die Vermietung von Räumlichkeiten das vierte Tatbild des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG erfüllen (vgl. dazu etwa VwGH 21.10.2021, Ra 2020/17/0060, mwN). Dass als Empfänger dieser Unterstützungsleistung nur der Veranstalter in Frage komme, ist weder dem Wortlaut der genannten Bestimmung noch der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu entnehmen. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass eine Person, die nicht Veranstalter ist, sich nur in irgendeiner Weise an der Veranstaltung unternehmerisch im Sinn des § 2 Abs. 2 GSpG beteiligt (vgl. z.B. VwGH 5.7.2021, Ra 2019/17/0056, mwN). Das ist bei der dem Revisionswerber vorgeworfenen Beteiligungshandlung (Untervermietung des Lokals) der Fall, sodass von der Erfüllung des vierten Tatbilds des § 52 Abs. 1 Z 1 GspG auszugehen ist.

10       Die Revision bringt weiters vor, es bestehe ein Widerspruch zwischen Spruch und Begründung des angefochtenen Erkenntnisses. Im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses werde eine Übertretung am 19. Juli 2018 sanktioniert. In dessen Begründung werde ihm aber die Erstellung eines Untermietvertrages mit der F Kft. vom 1. Dezember 2017 vorgeworfen.

11       Mit dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses wurde der Beschwerde in der Schuldfrage keine Folge gegeben. Dadurch wurde insofern der Spruch des erstinstanzlichen Erkenntnisses übernommen. In diesem Spruch wird dem Revisionswerber - zusammengefasst - vorgeworfen, er habe es durch die entgeltliche Überlassung (Untervermietung) des Lokals der Untermieterin F Kft. ermöglicht, in diesem Lokal am 19. Juli 2018 verbotene Ausspielungen mit zwei Glücksspielgeräten unternehmerisch zugänglich zu machen. Die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses enthält die Feststellung, dass mit der „Erstellung“ (dem Abschluss) des Untermietvertrages vom 1. Dezember 2017 die Tathandlung der unternehmerischen Beteiligung an dem im Straferkenntnis genannten Tatzeitpunkt verwirklicht worden sei. Daraus ergibt sich unzweifelhaft, dass als Tatzeitpunkt jener im Spruch genannte Zeitpunkt anzusehen ist, mag auch der Abschluss des Mietvertrages früher stattgefunden haben. Ein Widerspruch zwischen Spruch und Begründung des Straferkenntnisses ist somit nicht ersichtlich.

12       Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit weiters aus, der Revisionswerber habe im gesamten Verfahren stets vorgebracht, dass das Lokal nicht der F Kft., sondern der I Kft. in Bestand gegeben worden sei. Das Verwaltungsgericht habe den zu diesem Beweisthema gestellten Beweisantrag auf Einvernahme des namentlich genannten Geschäftsführers dieser Gesellschaft zu Unrecht abgewiesen.

13       Das Verwaltungsgericht hat die unterlassene Einvernahme des Geschäftsführers der I Kft. damit begründet, dass es der verfahrensrechtlichen Taktik des Revisionsführers entspreche, die Beweisanträge erst gegen Ende des Beweisverfahrens zu stellen, um derart eine Verzögerung des Verfahrens zu erwirken. Der Geschäftsführer der I Kft. sei erst am Verhandlungstag und ohne Beweisthema bzw. ladungsfähige Adresse genannt worden. Durch das zum Entscheidungszeitpunkt ausreichende Beweismaterial, Beilage B, und das erst am Verhandlungstag vorgelegten Beweismaterial des „vermeintlichen Nachfolge Untermietvertrag vom 1.4.2018, Beilage./A“, sei die „Vorladung“ des Geschäftsführers dieses für das Verfahren irrelevanten Bestandnehmers des zweiten Untermietvertrages als Erkundungsbeweis zu beurteilen und die damit begehrte Vertagung des Verfahrens abzuweisen gewesen.

14       Gemäß § 46 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die zur Entscheidung der Rechtssache erforderlichen Beweise aufzunehmen. Dabei darf es sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und Begründung hinwegsetzen (vgl. z.B. VwGH 30.11.2020, Ra 2020/17/0120, mwN).

15       Ordnungsgemäße Beweisanträge haben neben dem Beweismittel und dem Beweisthema im Fall von Zeugen auch deren aktuelle Adresse anzugeben. Bei Fehlen einer ladungsfähigen Anschrift ist dem Antragsteller (insbesondere auch) eine angemessene Frist zur Bekanntgabe zu setzen; erst nach deren Ablauf darf angenommen werden, dass der Beweis nicht erbracht werden könne (vgl. VwGH 26.9.2016, Ra 2015/08/0211, mwN).

16       Beweisanträge dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Es ist nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Das Vorliegen von - nach Meinung des Verwaltungsgerichtes - ausreichenden und eindeutigen Beweisergebnissen für die Annahme einer bestimmten Tatsache rechtfertigt nicht die Auffassung, die Vernehmung der zum Beweis des Gegenteils geführten Zeugen sei nicht geeignet, zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen (vgl. VwGH 15.10.2015, Ra 2014/20/0052, mwN).

17       Der Rechtsvertreter des Revisionswerbers hat - nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis - in der mündlichen Verhandlung vom 5. September 2019 u.a. unter Vorlage eines Untermietvertrages mit der I Kft. den Antrag auf Einvernahme des Z.M. gestellt, und zwar zum Beweis dafür, dass das gegenständliche Lokal an die I Kft. und nicht an die F Kft. untervermietet gewesen sei.

18       Das Verwaltungsgericht hätte somit den Zeugen Z.M. befragen oder nachvollziehbar begründen müssen, warum es auf dieses Beweismittel nicht ankomme oder dieses untauglich bzw. an sich nicht geeignet sei, über den beweiserheblichen Gegenstand einen Beweis zu liefern. Der bloße Umstand, dass ein Beweisantrag „erst gegen Ende des Beweisverfahrens“ gestellt worden sei, stellt noch keine Rechtfertigung dafür dar, um von einer Ladung eines beantragten Zeugen Abstand zu nehmen. Dasselbe gilt für die Feststellung, es sei keine ladungsfähige Adresse des Zeugen bekanntgegeben worden. Der Revisionswerber hätte daher unter Setzung einer angemessenen Frist aufgefordert werden müssen, eine ladungsfähige Adresse bekannt zu geben. Wenn das Verwaltungsgericht feststellt, der Revisionswerber habe kein Beweisthema genannt, so widerspricht das dem im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Wortlaut der Niederschrift zur Verhandlung vom 5. September 2019, in welcher der Zeuge zum Beweis dafür beantragt wurde, dass das Lokal ausschließlich von der I Kft. betrieben worden sei.

19       Da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, ist das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Es erübrigt sich daher, auf das übrige Revisionsvorbringen einzugehen.

20       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. Februar 2022

Schlagworte

Allgemein Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Beweismittel Zeugen Beweismittel Zeugenbeweis Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel freie Beweiswürdigung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Erheblichkeit des Beweisantrages Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung Antrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021170045.L00

Im RIS seit

23.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten