TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/15 Ra 2018/22/0156

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Veröffentlicht am 15.02.2022
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19104000
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §59 Abs1
EURallg
NAG 2005 §20 Abs1
NAG 2005 §49 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwRallg
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art8

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Gnilsen, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien gegen das am 22. November 2017 mündlich verkündete und mit 13. April 2018 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/011/10287/2017-11, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: K M, vertreten durch Dr. Sebastian Lenz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Laurenzerberg 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1.1. Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger der Vereinigten Staaten von Amerika, stellte am 23. Februar 2017 einen Erstantrag auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit“ gemäß § 49 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Er legte im Zuge der Antragstellung einen - in Form einer Karte mit Datum 24. September 2015 und Gültigkeit bis 22. September 2025 ausgestellten - tschechischen Aufenthaltstitel („povolení k pobytu“) vor, auf dem bezüglich der Art des Titels „trvalý pobyt/permanent residence“ (übersetzt: Daueraufenthalt) angeführt war.

1.2. Mit Bescheid vom 21. Juni 2017 wies der Landeshauptmann von Wien (im Folgenden: Behörde) den Antrag des Mitbeteiligten ab. Für die Ausübung der EU-Mobilität müsse - so die wesentliche Begründung - ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ im Sinn der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen vorhanden sein. Ausschließlich dieser - aufgrund der Richtlinie 2003/109/EG ausgestellte und nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 des Rates vom 13. Juni 2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatsangehörige in Übereinstimmung mit den von der Europäischen Kommission übermittelten Musterdokumenten des jeweiligen Mitgliedstaats gestaltete - Aufenthaltstitel berechtige zur Ausübung der EU-Mobilität. Gegenständlich handle es sich bei dem vorgelegten Aufenthaltstitel nach Rücksprache mit den tschechischen Behörden nicht um einen Titel im Sinn der Richtlinie 2003/109/EG, sondern um einen nationalen unbefristeten Aufenthaltstitel, der nicht zur Ausübung der EU-Mobilität im Sinn des Vorgesagten berechtige. Im Hinblick darauf sei der Antrag abzuweisen (gewesen).

1.3. Der Mitbeteiligte erhob gegen den Bescheid Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, er habe mittlerweile die Stellung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ durch die tschechischen Behörden in die Wege geleitet (wobei ein Ergebnis noch nicht vorliege).

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, behob den bekämpften Bescheid und sprach aus, dass dem Mitbeteiligten „als Inhaber eines Aufenthaltstitels ‚Daueraufenthalt EU der Tschechischen Republik‘“ der beantragte „Aufenthaltstitel ‚Niederlassung von langfristig Aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen eines anderen EU-Mitgliedstaates‘ gemäß § 49 Abs. 1 NAG erteilt“ werde. Das Verwaltungsgericht führte begründend im Wesentlichen aus, der im Zuge der Antragstellung vorgelegte tschechische Aufenthaltstitel sei einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ für Drittstaatsangehörige eines anderen EU-Mitgliedstaats „gleichzuhalten“, sodass die Voraussetzungen der Richtlinie 2003/109/EG erfüllt seien. Entgegen der Ansicht der Behörde könnten länderspezifische Ausprägungen bei der Ausgestaltung eines „permanent resident“ nicht zulasten der Normunterworfenen gehen. Da zudem die Voraussetzungen des 1. Teils erfüllt seien und auch das Fehlen eines Quotenplatzes nicht behauptet worden sei, sei der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen (gewesen).

2.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende - außerordentliche Revision, in der ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den nachstehend erörterten Punkten behauptet wird.

3.2. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurück- bzw. Abweisung der Revision.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist aus den geltend gemachten (im Folgenden näher behandelten) Gründen zulässig und auch berechtigt.

5.1. Die Behörde releviert einerseits, das Verwaltungsgericht habe über den Zeitraum, für den der Aufenthaltstitel erteilt werde, keine Aussage getroffen. Die Gültigkeitsdauer ergebe sich auch nicht aus § 20 Abs. 1 NAG, weil nicht einmal klar sei, ob der Titel befristet (oder unbefristet) erteilt worden sei, und aus der genannten Bestimmung auch nicht abzuleiten sei, dass bei fehlendem Ausspruch über die Dauer der Titel als für zwölf Monate erteilt zu gelten habe.

5.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist über den Zeitraum bzw. die Dauer eines Anspruchs bzw. einer Pflicht eindeutig bestimmbar abzusprechen. Im Zusammenhang mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels ist daher im Spruch der Entscheidung im Zusammenhalt mit den zu seiner Auslegung heranzuziehenden Gründen zum Zeitraum, für den ein beantragter Aufenthaltstitel erteilt wird, eine Aussage zu treffen, zumal sich die Gültigkeitsdauer auch nicht unmittelbar aus § 20 Abs. 1 NAG ergibt. Da der Zeitraum, für den der Aufenthaltstitel erteilt wird, nicht vom Umstand der Titelerteilung an sich getrennt werden kann, belastet eine diesbezügliche fehlende Bestimmtheit die Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (vgl. etwa VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0010 bis 0014, und 21.9.2017, Ra 2016/22/0068).

5.3. Vorliegend wird im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses zum Zeitraum, für den der beantragte Aufenthaltstitel erteilt wird, keine Aussage getroffen. Auch den als Auslegungshilfe heranzuziehenden Entscheidungsgründen sind keine diesbezüglichen Anhaltspunkte zu entnehmen. Die Gültigkeitsdauer, für die der beantragte Aufenthaltstitel erteilt wird, ergibt sich - wie die Behörde im Einklang mit der (oben aufgezeigten) Rechtsprechung hervorhebt - auch nicht aus § 20 Abs. 1 NAG, ebensowenig aus anderen fallbezogen einschlägigen Rechtsgrundlagen. Infolge der fehlenden Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit der Gültigkeitsdauer des erteilten Aufenthaltstitels ist daher das angefochtene Erkenntnis schon deshalb mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.

6.1. Die Behörde macht andererseits geltend, das Verwaltungsgericht habe den beantragten Aufenthaltstitel gemäß § 49 Abs. 1 NAG erteilt, obwohl der Mitbeteiligte über keinen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ im Sinn der Richtlinie 2003/109/EG verfüge, der zur EU-Mobilität berechtige. Auf einem solchen Titel müsste nämlich (laut den Musterdokumenten der Europäischen Kommission) die Art des Titels „Daueraufenthalt - EU“ in der jeweiligen Landessprache vermerkt sein, was hier nicht der Fall sei. Im Hinblick darauf seien jedoch die Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels nicht erfüllt.

6.2. Gemäß § 49 Abs. 1 NAG kann Drittstaatsangehörigen, die einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ eines anderen Mitgliedstaats besitzen, eine „Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit“ erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teils erfüllen und ein Quotenplatz vorhanden ist.

Laut den Gesetzesmaterialien zum Fremdenrechtspaket 2005 (vgl. ErläutRV 952 BlgNR 22. GP 135 und 140) werden in den §§ 49 f NAG - bedingt durch die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht - neue Regelungen über die Niederlassung von langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen eines anderen EU-Mitgliedstaats und ihren Familienangehörigen in Österreich normiert. § 49 NAG regelt dabei die Fälle, in denen Inhaber eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EG“(nunmehr „Daueraufenthalt - EU“) eines anderen EU-Mitgliedstaats im Rahmen der ihnen nach Kapitel III der Richtlinie 2003/109/EG zukommenden „Mobilität“ nach Österreich kommen.

In Kapitel III der Richtlinie 2003/109/EG ist in Art. 14 Abs. 1 geregelt, dass ein langfristig Aufenthaltsberechtigter das Recht erwirbt, sich länger als drei Monate im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten als demjenigen, der ihm die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat, aufzuhalten, sofern die in diesem Kapitel festgelegten Bedingungen erfüllt sind. Nach Art. 15 („Bedingungen für den Aufenthalt in einem zweiten Mitgliedstaat“) Abs. 4 sind dem diesbezüglichen Antrag des langfristig Aufenthaltsberechtigten vom nationalen Recht zu bestimmende Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass die betreffenden Personen die einschlägigen Bedingungen erfüllen, sowie ihre langfristige Aufenthaltsberechtigung und ein gültiges Reisedokument oder beglaubigte Abschriften davon beizufügen.

Nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109/EG stellen die Mitgliedstaaten (bei Erfüllung der Voraussetzungen nach Art. 4 ff) langfristig Aufenthaltsberechtigten eine „langfristige Aufenthaltsberechtigung - EG“ aus. Nach Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109/EG kann eine solche Aufenthaltsberechtigung in Form eines Aufklebers oder eines besonderen Dokuments ausgestellt werden. Sie wird nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 des Rates vom 13. Juni 2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatsangehörige ausgestellt. Im Eintragungsfeld „Art des Aufenthaltstitels“ fügen die Mitgliedstaaten die Bezeichnung „Daueraufenthalt - EG“ ein.

6.3. Nach dem Vorgesagten setzt § 49 Abs. 1 NAG in Verbindung mit der Richtlinie 2003/109/EG somit (unter anderem) voraus, dass ein Antragsteller als langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger eines anderen EU-Mitgliedstaats einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ (vormals „Daueraufenthalt - EG“) besitzt. Dem Antragsteller muss daher im anderen EU-Mitgliedstaat eine entsprechende Rechtsstellung zuerkannt worden sein und er muss dies im Zuge seiner Antragstellung im zweiten Mitgliedstaat durch Vorlage einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung - EU (im Sinn des Art. 8 der Richtlinie 2003/109/EG) entsprechend nachweisen. Vom Vorliegen eines derartigen Nachweises kann freilich nur dann ausgegangen werden, wenn auf dem betreffenden Aufenthaltstitel des anderen Mitgliedstaats (insbesondere) zur Art des Aufenthaltstitels die Bezeichnung „Daueraufenthalt - EG“ bzw. (nunmehr) „Daueraufenthalt - EU“ vermerkt ist. Fehlt es daran, so kann - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt hat - nicht vom Vorliegen einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung - EU im Sinn der Richtlinie 2003/109/EG ausgegangen werden (vgl. VwGH 9.9.2014, Ro 2014/22/0024; 12.10.2015, Ra 2015/22/0116).

6.4. Gegenständlich legte der Mitbeteiligte im Zuge der Antragstellung bei der Behörde einen tschechischen Aufenthaltstitel („povolení k pobytu“) vor, auf dem bezüglich der Art des Titels „trvalý pobyt/permanent residence“ (Daueraufenthalt) angeführt war. Ein solcher Titel stellt freilich - mangels einer Anmerkung, dass es sich um einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ im Sinn der Richtlinie 2003/109/EG handle - keine Aufenthaltsberechtigung im Sinn der Richtlinie dar (vgl. auch die Ausgabe der Richtlinie in tschechischer bzw. englischer Sprache, wo die langfristige Aufenthaltsberechtigung in Art. 8 mit „povolení k pobytu pro dlouhodobè pobývajícího rezidenta - ES“ bzw. „long-term resident`s EC residence permit“ bzw. „long-term resident - EC“ bezeichnet wird).

Im Hinblick darauf ist jedoch fallbezogen vom Vorliegen lediglich einer nationalen (Dauer)Aufenthaltsberechtigung - nicht einer unionsrechtlichen Berechtigung im Sinn der Richtlinie - auszugehen, die - wie die Behörde im antragsabweisenden Bescheid zutreffend erkannte - nicht geeignet ist, den Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 49 Abs. 1 NAG zu begründen. Dies räumte im Grunde auch der Mitbeteiligte ein, wenn er im Beschwerdeverfahren vorbrachte, er habe mittlerweile die Stellung eines entsprechenden Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“ durch die tschechischen Behörden in die Wege geleitet. Ungeachtet dessen gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde statt und erteilte - aufgrund seiner (im Übrigen nicht näher begründeten) unzutreffenden Rechtsansicht, der vorgelegte tschechische Aufenthaltstitel sei einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ im Sinn der Richtlinie 2003/109/EG „gleichzuhalten“ - den beantragten Aufenthaltstitel. Es hat daher auch insofern die Rechtslage verkannt und sich über die (bereits erörterte) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hinweggesetzt.

6.5. Dem vermag der Mitbeteiligte auch in der Revisionsbeantwortung nichts Stichhältiges entgegenzusetzen. Insbesondere kann eine angeblich nicht den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechende Praxis der tschechischen Behörden bei der Ausstellung von Aufenthaltstiteln an langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige zu keiner gegenteiligen Beurteilung führen.

7. Das Verwaltungsgericht hat daher das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Die Entscheidung war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 15. Februar 2022

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Inhalt des Spruches Diverses Spruch und Begründung Trennbarkeit gesonderter Abspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2018220156.L00

Im RIS seit

18.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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