RS Vfgh 2022/3/1 E4229/2021

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Veröffentlicht am 01.03.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
EMRK Art8
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten betreffend eine Staatsangehörige von Bangladesch mangels hinreichender Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation; Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens betreffend die Rückkehrentscheidung mangels hinreichender Auseinandersetzung mit der Trennung von Ehemann und Tochter bzw mit den Folgen einer gemeinsamen Rückkehr

Rechtssatz

Zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:

Aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung ist nicht ersichtlich, von welcher tatsächlichen Rückkehrsituation das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ausgeht. Die Annahme, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr eine Erwerbstätigkeit ausüben könne, steht in offensichtlichem Widerspruch zu der Annahme, dass sie mit ihrer knapp acht Monate alten Tochter zurückkehren werde, die sie betreuen muss. Daran ändert der Hinweis, dass die Beschwerdeführerin bei der Kinderbetreuung durch ihre Verwandten unterstützt werden könne, nichts, weil diese Annahme in Widerspruch dazu steht, dass die Beschwerdeführerin auf eine innerstaatliche Fluchtalternative außerhalb ihrer Heimatregion verwiesen wird. Zur Frage, ob und in welchem Ausmaß die Beschwerdeführerin auch außerhalb ihrer Heimatregion mit familiärer Unterstützung bei der Kinderbetreuung rechnen kann, enthält die Entscheidung des BVwG keinerlei Feststellungen. Schon auf Grund der angesichts der dargelegten Widersprüche unklaren Sachlage hat das BVwG die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht nachvollziehbar begründet.

Zur Rückkehrentscheidung:

Aus den Feststellungen des BVwG ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die knapp acht Monate alte Tochter der Beschwerdeführerin im Fall der Ausreise der Beschwerdeführerin dieser tatsächlich nach Bangladesch folgt. Dessen ungeachtet geht das BVwG jedoch offensichtlich im Rahmen der Rückkehrentscheidung von einer gemeinsamen Rückkehr der Beschwerdeführerin mit ihrer Tochter aus. Sofern das BVwG diese Annahme auf eine Unzumutbarkeit der Trennung der knapp acht Monate alten Tochter von ihrer Mutter - auf Grund der besonderen Bedürfnisse eines Kindes in der ersten Lebensphase - stützt, berücksichtigt es in keiner Weise, dass durch die Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführerin für ihre Tochter, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, ein faktischer Zwang zur Ausreise geschaffen wird. Schon aus diesem Grund liegt keine nachvollziehbare Interessenabwägung nach Art8 EMRK vor.

Im Übrigen geht das BVwG unter der Annahme einer Rückkehr der Beschwerdeführerin mit ihrer Tochter auch in keiner Weise auf die damit verbundene Trennung der Tochter von ihrem Vater, dem Ehemann der Beschwerdeführerin, ein. Mit dem bloßen Hinweis, dass die Beschwerdeführerin die hauptsächliche Bezugsperson der Tochter sei und der Kontakt der Tochter mit ihrem Vater über das Internet oder durch Besuche des Vaters aufrecht erhalten werden könne, hat das BVwG auf die Beziehung zwischen Vater und Kind keinesfalls im erforderlichen Ausmaß Bedacht genommen und insbesondere die Auswirkungen der Entscheidung auf das Kindeswohl im Hinblick auf die Bedeutung der Bindung eines Vaters zum Kind in den ersten Lebensmonaten für die Entwicklung eines Kindes nicht berücksichtigt.

Soweit das BVwG schließlich davon ausgeht, dass (auch) der Ehemann und damit letztlich die gesamte engere Familie der Beschwerdeführerin nach Bangladesch übersiedeln könne, unterlässt es die umfassende Interessenabwägung, die für die Annahme einer - im vorliegenden Fall für die Aufrechterhaltung des Familienlebens zwingenden - Ausreise österreichischer Staatsbürger geboten ist. Das BVwG stützt seine Entscheidung in diesem Zusammenhang ausschließlich darauf, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin die ersten 18 Jahre seines Lebens in Bangladesch verbracht habe, die bengalische Sprache besser als Deutsch spreche und aktuell arbeitslos sei. Damit lässt es sämtliche Aspekte außer Acht, die für einen Verbleib der Familie in Österreich sprechen, und legt keine Argumente vor, die in ihrer Gesamtheit derart schwerwiegend wären, dass sie ohne Weiteres die Zumutbarkeit eines Familiennachzuges von österreichischen Staatsbürgern - dem Ehemann sowie der Tochter der Beschwerdeführerin - in den Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin zu begründen vermögen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Privat- und Familienleben, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E4229.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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