TE Vwgh Erkenntnis 1996/8/6 96/17/0325

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Veröffentlicht am 06.08.1996
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E3R E03103000;
E3R E03705000;
E6J;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
55 Wirtschaftslenkung;

Norm

11992E177 EGV Art177;
31994R3108 Übergangsmassnahmen Handel mit landw Erzeugnissen Art4;
61977CJ0106 Simmenthal 2 VORAB;
61988CJ0143 Zuckerfabrik Süderdithmarschen Soest VORAB;
61993CJ0465 Atlanta Fruchthandelsgesellschaft mbH VORAB;
AMA-Gesetz 1992 §21i idF 1994/664;
AMA-Gesetz 1992 §29 Abs3;
AMA-Gesetz 1992 §3 Abs2;
BAO §212a;
BAO §236;
BAO §243;
EURallg;
MOG 1985 §105 Abs1 idF 1994/664;
MOG 1985 §105 idF 1994/664;
MOG 1985 §94 idF 1994/664;
ÜberschußbestandsV 1995 §3 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde der M KG in D, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 28. März 1996, Zl. 17.711/21-I A 7/96, betreffend Aussetzung der Einhebung der Abgabe auf Überschußbestände an Reis gemäß § 212a BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich II der Marktordnungsstelle Agrarmarkt Austria (AMA) vom 31. Juli 1995 wurde der Beschwerdeführerin gemäß §§ 105 und 114 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. Nr. 210, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 664/1994 in Verbindung mit §§ 2 und 9 der Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft über die Einhebung einer Abgabe auf bestimmte Überschußbestände (überschußbestands-Verordnung), BGBl. Nr. 1103/1994, eine Abgabe auf den Überschußbestand an Reis zum 1. Jänner 1995 in der Höhe von S 317.974,28 vorgeschrieben.

Die Beschwerdeführerin erhob mit Schriftsatz vom 24. August 1995 Berufung gegen die Abgabenvorschreibung und verband mit dieser Berufung den Antrag gemäß § 212a BAO, die Einhebung der mit dem bekämpften Bescheid vorgeschriebenen Abgabe zur Gänze auszusetzen. Begründet wurde dieser Antrag damit, daß die Berufung nach Lage des Falles erfolgversprechend sei, der Bescheid in allen Punkten angefochten worden sei und das Verhalten der Berufungswerberin nicht auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabe gerichtet sei.

Mit Bescheid vom 20. November 1995 erließ der Vorstand für den Geschäftsbereich II der Agrarmarkt Austria einen Bescheid an die Beschwerdeführerin, welcher in seinem Spruch wie folgt lautet:

"Gemäß § 254 BAO wird Ihrer Berufung gegen den Bescheid der Agrarmarkt Austria vom 24.08.1995, mit dem Abgaben auf den Überschußbestand an Reis des KN-Codes 1006 40 auf Grund der Überschußbestands-VO, BGBl. Nr. 1103/1994, zur Zahlung vorgeschrieben wurden, die aufschiebende Wirkung nicht erteilt."

(Die Bezugnahme auf das Datum 24.8.1995 beruht offenbar auf einer Verwechslung mit dem Datum der Abfassung der Berufung.)

In der Begründung dieses Bescheides wird ausdrücklich auf den in der Berufung vom 24. August 1995 gestellten Antrag Bezug genommen; der Antrag wird allerdings als Antrag "auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung" gedeutet und in der Folge die Begründung für diesen Antrag wiedergegeben.

Begründet wird der Bescheid lediglich mit der knappen Wiedergabe des Inhalts des § 254 BAO und einem Hinweis auf ein Schreiben der Europäischen Kommission, dem zufolge die auf Grund der Verordnung der EG Nr. 3108/94 über die auf Grund des Beitritts Österreichs, Finnlands und Schwedens zu treffenden Übergangsmaßnahmen für den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen einzuhebenden Abgaben unverzüglich zu erheben seien, unabhängig davon, ob Berufung eingelegt worden sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde unter Spruchpunkt 1 der "gegen den Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich II der Agrarmarkt Austria, GZ ..., vom 20. November 1995 rechtzeitig erhobenen

Berufung ... gemäß § 289 BAO" statt, wies aber unter

Spruchpunkt 2 den in der Berufung vom 24. August 1995 gestellten Antrag gemäß § 212a BAO "gemäß Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 3108/94 der Kommission vom 19. Dezember 1994 über die auf Grund des Beitritts Österreichs, Finnlands und Schwedens zu treffenden Übergangsmaßnahmen für den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Verbindung mit den §§ 4, 5, 7, 8 und 9 der Überschußbestandsverordnung, BGBl. Nr. 1104/1994" ab.

Begründend führt die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens (Abgabenbescheid, Berufung und Antrag gemäß § 212a BAO, Abweisung des Antrags gemäß § 254 BAO durch den Vorstand für den Geschäftsbereich II der Agrarmarkt Austria) aus, daß der Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich II der AMA zu beheben gewesen sei, da sich der Antrag der Beschwerdeführerin auf die Aussetzung der Einhebung der Abgabe gemäß § 212a BAO bezogen habe. In der Folge wird unter Hinweis auf § 105 Abs. 1 MOG in der Fassung BGBl. Nr. 664/1994 (Anwendung der BAO auf Abgaben auf Marktordnungswaren, die im Rahmen von Regelungen im Sinne des § 94 Abs. 2 MOG erhoben werden) ausgeführt, daß die belangte Behörde über die Berufung der Beschwerdeführerin zu entscheiden gehabt habe. Daran anschließend wird unter Hinweis auf den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ausgeführt, daß unmittelbar geltende Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane zur Folge hätten, daß allein durch ihr Inkrafttreten jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar werde. Darüber hinaus werde ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert, als diese mit Gemeinschaftsnormen unvereinbar wären. Würde nämlich staatlichen Gesetzgebungsakten, die auf den Bereich übergreifen, in dem sich die Rechtssetzungsgewalt der Gemeinschaft auswirkt, oder die sonst mit den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts unvereinbar seien, irgendeine rechtliche Wirksamkeit zuerkannt, so würde insoweit die Effektivität der Verpflichtungen, welche die Mitgliedstaaten nach dem Vertrag vorbehaltlos und unwiderruflich übernommen hätten, verneint und die Grundlagen der Gemeinschaft selbst würden auf diese Weise in Frage gestellt. Aus all dem folge, daß jeder im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene staatliche Richter verpflichtet sei, das Gemeinschaftsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es dem einzelnen verleihe, zu schützen, indem er jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Gemeinschaftsnorm ergangen sei, unangewendet lasse. Aus diesen vom Europäischen Gerichtshof formulierten Rechtsgrundsätzen (Hinweis auf das Urteil des EuGH 1978, Rs 106-77) ergebe sich, daß dem Gemeinschaftsrecht soweit Vorrang zukomme, als jede nationale Bestimmung, die die Einhebung der Abgabe hinauszögere, nicht zur Anwendung kommen dürfe. Aus diesem Grund hätte dem Antrag auf Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO nicht stattgegeben werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung im einfach gesetzlich gewährleisteten subjektiven Recht auf Aussetzung der Einbringung der Abgabe gemäß § 212a BAO geltend gemacht wird und Rechtswidrigkeit des Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in der Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird, insbesondere zu der vom Verwaltungsgerichtshof aufgeworfenen Frage der Zuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 289 BAO zur Entscheidung über den Antrag gemäß § 212a BAO Stellung genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Der Beschwerdefall gleicht in allen wesentlichen Sachverhaltselementen jenen Beschwerdefällen, die dem hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1996, Zlen. 96/17/0232, 0233 und 0235 zugrunde lagen. Auch in diesen Beschwerdefällen hatten die Beschwerdeführerinnen mit der Berufung gegen die Festsetzung der Abgabe auf den Überschußbestand an Reis den Antrag verbunden, die Einhebung der Abgabe gemäß § 212a BAO zur Gänze auszusetzen. Die Entscheidung des Vorstandes für den Geschäftsbereich II der AMA über diese Berufungen war wortgleich der oben wiedergegebenen Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin. Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis mit näherer Begründung ausgeführt hat, ist der Bescheid vom 20. November 1995 als Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung gemäß § 212a BAO zu verstehen, sodaß die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über den Antrag gemäß § 212a BAO in der Sache auf Grund der Berufung gegen den Bescheid vom 20. November 1995 gegeben war. Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis weiters ausgeführt hat, ist auf Grund der maßgeblichen Vorschriften des MOG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 664/1994, und des AMA-Gesetzes, BGBl. Nr. 376/1992, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 664/1994, davon auszugehen, daß gegen Entscheidungen der Organe der AMA mangels ausdrücklichen Ausschlusses eines Rechtsmittels oder einer ausdrücklichen anders lautenden Regelung des Instanzenzuges die Berufung an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft zulässig ist. Die belangte Behörde war daher einerseits zuständig, über die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die Entscheidung des Vorstandes für den Geschäftsbereich II der AMA zu entscheiden, und konnte andererseits im Rahmen dieser Entscheidung in der Sache über den Antrag, die Einhebung der Abgabe gemäß § 212a BAO auszusetzen, absprechen.

2. Zur Frage des Vorrangs der Gemeinschaftsrechts und der Anwendung des § 212a BAO:

Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem oben genannten Erkenntnis vom 25. Juni 1996 dargelegt hat, kann der Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht in der Weise verstanden werden, wie dies die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid getan hat. Auch der Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts steht einer Anwendung von Verfahrensvorschriften des nationalen Abgaben(verfahrens)rechts über die Aussetzung der Einhebung einer Abgabe, die auf EU-Recht basiert, nicht grundsätzlich entgegen. Unter Beachtung der vom Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis unter Hinweis auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes (vgl. insbesondere die Urteile in der Rechtssache Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Soest, Rs C-143/88 und C-92/89, sowie in der Rechtssache Atlanta Fruchthandelsgesellschaft m.b.H., Rs C-465/93 vom 9. November 1995) dargestellten Einschränkungen und Grenzen ist vielmehr die Gewährung provisorischen Rechtsschutzes auch im Falle der Einhebung von EU-Abgaben zulässig (und nach der Judikatur des EuGH zum Teil sogar gemeinschaftsrechtlich geboten).

Die Abweisung des Antrages der Beschwerdeführerin auf Aussetzung der Einhebung der Abgabe gemäß § 212a BAO ausschließlich mit der Begründung, der Vorrang des Gemeinschaftsrechtes erfordere die Nichtanwendung des § 212a BAO, ohne näher auf die Frage einzugehen, ob und inwieweit die Voraussetzungen für die Aussetzung vorlagen und ob bzw. inwieweit im Rahmen der gemeinschaftsrechtskonform auszulegenden Aussetzungshindernisse des § 212a Abs. 2 lit. a und lit. c BAO unter Bedachtnahme auf die erwähnte Rechtsprechung des EuGH auch die angemessene Berücksichtigung der Interessen der Gemeinschaft geboten ist, belastet den angefochtenen Bescheid daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Auf die in der Beschwerde aufgeworfene Frage, inwieweit im Falle einer Baugesetzwidrigkeit EU-Vorschriften, die zu einer derartigen Baugesetzwidrigkeit führen würden, als nichtig angesehen werden könnten, ist daher im Zusammenhang des vorliegenden Beschwerdefalles nicht näher einzugehen, weil jedenfalls die nach den vorstehenden Ausführungen gebotene angemessene Berücksichtigung von Gemeinschaftsinteressen eine Baugesetzwidrigkeit der Rechtslage nicht erkennen läßt.

3. Die Beschwerde erweist sich damit als begründet und der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft zuviel verzeichneten Stempelaufwand.

5. Im Hinblick auf die Entscheidung in der Sache erübrigt sich ein Abspruch des Berichters über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Gerichtsentscheidung

EuGH 688J0143 Zuckerfabrik Süderdithmarschen Soest VORAB;
EuGH 677J0106 Simmenthal 2 VORAB;
EuGH 693J0465 Atlanta Fruchthandelsgesellschaft mbH VORAB;
EuGH 677J0106 Simmenthal 2 VORAB;
EuGH 688J0143 Zuckerfabrik Süderdithmarschen Soest VORAB;
EuGH 693J0465 Atlanta Fruchthandelsgesellschaft mbH VORAB;

Schlagworte

Organisationsrecht Instanzenzug VwRallg5/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996170325.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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