TE Vfgh Erkenntnis 2022/3/1 E3916/2021

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Veröffentlicht am 01.03.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
Genfer Flüchtlingskonvention Art1 Abschnitt A
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Bangladesch; Zuerkennung des Asylstatus auf Grund staatliche zu verantwortender Verfolgung wegen Homosexualität - trotz Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten - geboten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird in diesem Umfang aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er stellte am 12. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 30. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig ist, und setzte eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 11. Jänner 2021 als unbegründet ab, im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten deswegen, weil es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine in seinem Herkunftsstaat bestehende konkrete Bedrohungssituation "aus politischen oder homosexuellen Gründen für seine Person" glaubhaft zu machen.

4. Der Verfassungsgerichtshof hob diese Entscheidung mit Erkenntnis vom 22. Juni 2021, E641/2021, auf. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes verletzte den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973). Das Bundesverwaltungsgericht unterließ eine nähere Prüfung der Situation des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat im Hinblick auf Verfolgungshandlungen gegenüber Menschen mit homosexueller Orientierung, dadurch blieb seine Begründung vor dem Hintergrund der vom Bundesverwaltungsgericht selbst getroffenen Feststellungen widersprüchlich und die Entscheidung aus der Begründung nicht nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang hielt der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich fest, dass sich "das Bundesverwaltungsgericht des Näheren mit der Frage auseinanderzusetzen gehabt [hätte], ob – weil für die Gewährung von Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht nur jene Gründe maßgeblich sind, die den Antragsteller zum Verlassen des Herkunftsstaates bewogen haben, sondern auch jene, die zum Entscheidungszeitpunkt eine asylrelevante Verfolgung begründen können (siehe zur Verfolgung von Homosexuellen in Bangladesch VwGH 23.2.2021, Ra 2020/18/0500) – dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung drohe, oder ob eine solche Verfolgung gegebenenfalls im Hinblick auf Art2 und 3 EMRK bei der Prüfung, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei, aufzugreifen sei (s VfGH 7.6.2021, E959/2021)".

5. Mit dem nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren der Beschwerde "insoferne stattgegeben als die Spruchpunkte II bis VI aufgehoben werden und [dem Beschwerdeführer] der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch zuerkannt wird".

In der Begründung stellt das Bundesverwaltungsgericht zunächst unter anderem folgenden Sachverhalt fest:

"Es wird festgestellt, dass der BF homosexuell ist.

Festgestellt wird, dass dem BF auf Grund seiner behaupteten sexuellen Orientierung im Fall der Rückkehr nach Bangladesch eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung droht."

Im Zuge der Beweiswürdigung hält das Bundesverwaltungsgericht dazu Folgendes fest:

"Auf Grund der in Österreich offensichtlich gelebten Homosexualität ist jedoch [F]olgendes zu berücksichtigen:

Laut den aktuellen Länderfeststellungen (Stand Juni 2021) wird §377 Strafgesetzbuch von Bangladesch zwar nicht aktiv angewandt, es aber als Vorwand benutzt, um LGBTI-Personen zu schikanieren. Ein offenes Bekenntnis zur Homosexualität ist in Bangladesch gesellschaftlich unmöglich und führt einerseits zur Ausgrenzung durch die dortige Gesellschaft und gesellschaftlichen Diskriminierungen. Jedes Jahr wird über dutzende Angriffe auf Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft berichtet. Dem BF, welcher Diskriminierungshandlungen im Falle seiner Rückkehr erwartet, droht daher in Bangladesch aufgrund seiner sexuellen Orientierung eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung."

6. Gegen diese Entscheidung – im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten – richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Das Bundesverwaltungsgericht verkenne, dass auf Grund seiner eigenen Ausführungen, wonach dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Bangladesch eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung drohe, dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen wäre.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer groben Verkennung der Rechtslage (zB VfSlg 19.838/2013).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 GFK droht. Maßgeblich für die Gewährung von Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention sind – wie auch in §3 Abs2 AsylG 2005 zum Ausdruck kommt – nicht nur jene Gründe, die den Beschwerdeführer zum Verlassen des Herkunftsstaates bewogen haben, sondern auch jene, die zum Entscheidungszeitpunkt eine asylrelevante Verfolgung begründen können (vgl zB VfGH 7.6.2021, E4359/2020 ua; 21.9.2020, E4288/2019 mwN).

2.2. Vor dem Hintergrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 22. Juni 2021, E641/2021, hatte sich das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren (auch) mit der Frage auseinanderzusetzen, ob dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat auf Grund seiner homosexuellen Orientierung asylrelevante Verfolgung droht.

Das Bundesverwaltungsgericht stellt im fortgesetzten Verfahren fest, "dass dem BF auf Grund seiner behaupteten sexuellen Orientierung im Fall der Rückkehr nach Bangladesch eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung droht". Diese Feststellung begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass durch seine "in Österreich offensichtlich gelebte[...] Homosexualität" dem Beschwerdeführer "in Bangladesch aufgrund seiner sexuellen Orientierung eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung" drohe. Dass das Bundesverwaltungsgericht dennoch dem Beschwerdeführer nicht den Status eines Asylberechtigten, sondern (nur) den eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennt, begründet es damit, dass "es dem BF mit seinem Vorbringen nicht gelungen [ist], eine in seinem Herkunftsstaat bestehende konkrete Bedrohungssituation aus politischen oder homosexuellen Gründen aus früheren Ereignissen für seine Person glaubhaft zu machen", womit "keine Umstände vorliegen, wonach es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass der BF in seiner Heimat aus vergangenen Geschehnissen in asylrelevanter Weise bedroht wäre".

Damit verkennt das Bundesverwaltungsgericht, dass eine Person, deren Leben oder Freiheit von staatlichen Behörden bzw von einer Privatperson oder privaten Gruppierungen, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (siehe ua VwGH 14.4.2021, Ra 2020/18/0126 mwN), wegen Vorliegens eines in Art1 Abschnitt A Z2 GFK genannten Konventionsgrundes bedroht wird, als Flüchtling (auch) dann anzuerkennen und ihr gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist, wenn derartige Gründe zum Entscheidungszeitpunkt eine asylrelevante Verfolgung begründen können.

2.3. Indem das Bundesverwaltungsgericht daher den Beschwerdeführer, der nach den Feststellungen und der Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes wegen seiner sexuellen Orientierung einer konkret gegen seine Person gerichteten staatlich zu verantwortenden Verfolgung ausgesetzt ist (zur Asylrelevanz einer derartigen Verfolgung siehe abermals VwGH 14.4.2021, Ra 2020/18/0126 sowie UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz Nr 9 vom 23. Oktober 2012, Rz 40), nicht als Flüchtling im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 GFK anerkannt hat, hat es im Hinblick auf §3 Abs1 AsylG 2005 die Rechtslage grob verkannt (vgl VfGH 16.12.2021, E1999/2021). Das Erkenntnis ist daher bereits aus diesem Grund im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten aufzuheben.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Völkerrecht, Auslegung völkerrechtlicher Verträge

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E3916.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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