TE Vwgh Erkenntnis 1996/8/8 96/14/0043

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Veröffentlicht am 08.08.1996
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Index

61/01 Familienlastenausgleich;

Norm

FamLAG 1967 §2 Abs1 litc;
FamLAG 1967 §8 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Karger und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde des E in H, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 2. Jänner 1996, 365/3-8/Nw-1995, betreffend erhöhte Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Finanzamtes vom 22. Juni 1995 wurde der am 23. Dezember 1994 eingelangte Antrag des Beschwerdeführers auf Bezug erhöhter Familienbeihilfe für seine am 9. Oktober 1974 geborene Tochter ab 1. November 1993 abgewiesen.

In der Begründung wurde ausgeführt, vom zuständigen Amtsarzt sei nicht bescheinigt worden, daß die Tochter des Beschwerdeführers voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er unter anderem ausführte, aus den angeschlossenen Beilagen ergebe sich eine wesentliche Verschlechterung im Krankheitsbild seiner Tochter. Die Voraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe lägen vor.

Der Berufung war unter anderem ein Schreiben des Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrums Linz (BBRZ) vom 30. Mai 1995 angeschlossen, aus dem hervorgeht, daß die Tochter des Beschwerdeführers seit 28. November 1994 "Maßnahmen zur Arbeitserprobung" im Rahmen der geschützten Werkstätte des BBRZ absolviere. Diese Maßnahmen seien auf Grund der problematischen gesundheitlichen Situation der Tochter des Beschwerdeführers derzeit unterbrochen. Sie habe auf Grund der massiv aufgetretenen epileptischen Anfälle nicht in das ursprünglich vorgesehene Arbeitsgebiet übernommen werden können.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab.

In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Inhaltes des § 2 Abs. 1 lit. c und des § 8 Abs. 5 und 6 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (im folgenden: FLAG) aus, sie habe das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Oberösterreich um Erstattung eines Gutachtens ersucht. Dieses Amt habe das Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie eingeholt. Diesem Gutachten vom 21. September 1995 sei zu entnehmen, daß bei der Tochter des Beschwerdeführers ein cerebrales Anfallsleiden (fokal gesteuertes Anfallsleiden) mit stark wechselnder Anfallfrequenz und ein leichtgradiges organisches Psychosyndrom vorlägen und der Grad der Behinderung 70 % betrage.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Oberösterreich habe vom Sachverständigen mit Schreiben vom 28. September 1995 eine "Stellungnahme zur Erwerbsunfähigkeit zu Abl. 1 erbeten".

Der betreffende Facharzt habe in seiner Stellungnahme dazu ausgeführt, daß eine endgültige Prognose derzeit noch nicht möglich sei. Unter einigermaßen geschützten Bedingungen, wobei vor allem auch ein gewisses Entgegenkommen des Arbeitgebers notwendig wäre (Toleranz von cerebralen Anfällen, die am Arbeitsplatz auftreten), sei eine Berufstätigkeit in voraussichtlich etwas eingeschränktem Ausmaß auf längere Sicht durchaus denkbar.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Oberösterreich habe dazu am 9. Oktober 1995 bemerkt: "Nu 2a". Nach einem Telefonat der belangten Behörde mit dem genannten Amt sei die neuerliche Stellungnahme des leitenden Arztes vom 25. Oktober 1995 übermittelt worden mit dem Inhalt: "Derzeit nicht imstande NU 2a"

Für die Zeit ab 1. November 1993 lägen die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe für die Tochter des Beschwerdeführers, die im Oktober 1993 das 19. Lebensjahr vollendet habe und auch keine Berufsausbildung oder Berufsfortbildung absolviere, nicht vor, weil nach dem ärztlichen Gutachten eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht gegeben sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG besteht ein Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG (in Verbindung mit Art. 33 §§ 1 und 10 des Arbeitsmarktservice-Begleitgesetzes BGBl. Nr. 314/1994) ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung eines inländischen Amtsarztes, einer inländischen Universitätsklinik, einer Fachabteilung einer inländischen Krankenanstalt oder eines Mobilen Beratungsdienstes der Bundesämter für Soziales und Behindertenwesen nachzuweisen. Kann auf Grund dieser Bescheinigung die erhöhte Familienbeihilfe nicht gewährt werden, hat das Finanzamt einen Bescheid zu erlassen. Zur Entscheidung über eine Berufung gegen diesen Bescheid hat die Finanzlandesdirektion ein Gutachten des nach dem Wohnsitz des Berufungswerbers zuständigen Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen einzuholen. Benötigt das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hiefür ein weiteres Sachverständigengutachten, sind die diesbezüglichen Kosten aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.

Das in dieser Gesetzesstelle genannte Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, das die Finanzlandesdirektion einzuholen hat, ist - ebenso wie die in dieser Gesetzessstelle genannten ärztlichen Bescheinigungen - ein der Würdigung durch die Behörde unterliegendes Beweismittel. Dem um die Erstattung des Gutachtens ersuchten Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen kommt die Befugnis zu Entscheidung (Zuerkennung oder Abweisung) über den Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe nicht zu (siehe das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 1994, 94/14/0013). Das von ihm zu erstattende Gutachten hat den Befund und die daraus abgeleiteten fachlichen Schlüsse (Gutachten im engeren Sinn) in nachvollziebarer Weise darzustellen.

Diesen Anforderungen genügt das von der belangten Behörde eingeholte Gutachten nicht. Die oben wiedergegebenen Äußerungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen Oberösterreich sind unverständlich, da es sich dabei im wesentlichen um Abkürzungen handelt, die nicht allgemein gebräuchlich sind. Auch wenn man unterstellt, das genannte Amt habe sich mit den verwendeten Abkürzungen die Ausführungen in dem von ihm eingeholten fachärztlichen Gutachten zu eigen gemacht, mangelt es an der erforderlichen Schlüssigkeit des Gutachtens. Das fachärztliche Gutachten enthält keine Ausführungen zu der aktenkundigen Tatsache, daß die Tochter des Beschwerdeführers zuletzt auf Grund der Häufigkeit ihrer Anfälle sogar "Maßnahmen zur Arbeitserprobung" im Rahmen einer geschützten Werkstätte unterbrechen mußte, sodaß an eine Erwerbstätigkeit offenbar derzeit nicht zu denken ist. Es bedürfte daher entsprechender Auführungen über den voraussichtlichen Verlauf des Anfallsleidens auch unter Bedachtnahme auf allfällige Therapiemöglichkeiten, um die Annahme rechtfertigen zu können, die Tochter des Beschwerdeführers werde voraussichtlich einen Beruf ausüben können, der es ihr gestattet, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Daneben bedürfte es fundierter Ausführungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, ob - trotz des Ausmaßes ihres aus dem ärztlichen Gutachten sich ergebenden Anfallsleidens - für die Tochter des Beschwerdeführers eine realistische Möglichkeit besteht, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, m.a.W. ob mit dem im fachärztlichen Gutachten für eine Berufstätigkeit der Tochter des Beschwerdeführers vorausgesetzten Entgegenkommen von Arbeitgebern gerechnet werden kann.

Die dargelegte Unschlüssigkeit des von der belangten Behörde eingeholten Gutachtens führt gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Im Hinblick auf entsprechende Ausführungen in der Gegenschrift ist für das fortzusetzende Verfahren festzuhalten, daß die belangte Behörde verpflichtet ist, das von ihr eingeholte Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen dem Beschwerdeführer vor Erlassung ihres Bescheides gemäß § 183 Abs. 4 BAO zur Kenntnis zu bringen. Die Auffassung der belangten Behörde, die Bekanntgabe des Gutachtens des genannten Bundesamtes sei vor Erlassung des Berufungsbescheides nicht erforderlich, ist verfehlt. Die belangte Behörde kann sich zur Stützung ihres Standpunktes auch nicht mit Erfolg auf das hg. Erkenntnis vom 20. September 1995, 95/13/0134, berufen. Im Gegenteil, das Unterbleiben der Bekanntgabe des Gutachtens wurde in diesem Erkenntnis ausdrücklich als Verfahrensmangel bezeichnet, der allerdings im konkreten Fall mangels Darlegung der Relevanz nicht zur Aufhebung des Bescheides geführt hat.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996140043.X00

Im RIS seit

01.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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