TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/3 Ra 2020/17/0012

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

E1E
E1P
10/07 Verwaltungsgerichtshof
34 Monopole
40/01 Verwaltungsverfahren
59/04 EU - EWR

Norm

GSpG 1989 §52
GSpG 1989 §52 Abs1 Z1
GSpG 1989 §52 Abs2
VStG §16
VStG §22
VStG §64
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
12010E056 AEUV Art56
12010P/TXT Grundrechte Charta Art49 Abs3
62020CJ0231 M.T. VORAB

Beachte


Vorabentscheidungsverfahren:
* Ausgesetztes Verfahren:
Ra 2020/17/0012 B 24.06.2020
* EuGH-Entscheidung:
EuGH 62020CJ0231 B 14.10.2021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Berger, die Hofrätin Dr. Koprivnikar sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesministers für Finanzen gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 5. November 2019, 1. VGW-002/011/7534/2019-9, 2. VGW-002/011/7535/2019, 3. VGW-002/V/011/2663/2019 und 4. VGW-002/V/011/2664/2019, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien; mitbeteiligte Parteien: 1. I P und 2. N GmbH, beide vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, MBA, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich seines Spruchpunktes A) im Umfang des Ausspruches über die Strafe sowie die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens und des Beschwerdeverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Spruchpunkt A) des angefochtenen Erkenntnisses wurde der Erstmitbeteiligte als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als das gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der Zweitmitbeteiligten der vierfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild Glücksspielgesetz - GSpG schuldig erkannt. In der Straffrage gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde „unter Einbeziehung des Urteils zum Kumulationsverbot des EuGH vom 12.9.2019, verb Rs C 64/18, C 140/18, C 146/18 und C 148/18“ insoweit Folge, als es anstelle der von der belangten Behörde gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG verhängten vier Geldstrafen (für den Fall der Uneinbringlichkeit vier Ersatzfreiheitsstrafen) eine „Gesamtstrafe von EUR 25.000,00 und eine Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Tagen“ verhängte. Ferner wurden (u.a.) die Kosten des Strafverfahrens neu bemessen (§ 64 Abs. 1 und 2 VStG) und es wurde ausgesprochen, dass die „beschwerdeführende Partei“ keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe. Mit Spruchpunkt B) wurde die Beschwerde der Zweitmitbeteiligten gegen einen Bescheid (mit zwei Spruchpunkten) der belangten Behörde, mit dem die Beschlagnahme sowie die Einziehung der Glücksspielgeräte verfügt worden waren, abgewiesen. Weiters wurde jeweils gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

2        Nach der ausdrücklichen Anfechtungserklärung richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Finanzen nur gegen Spruchpunkt A) dieses Erkenntnisses, soweit mit diesem die verhängten Geldstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen als Gesamtstrafe verhängt und neu bemessen sowie soweit mit diesem Spruchpunkt die Kosten bestimmt wurden.

3        Der Erstmitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

4        Mit Beschluss vom 24. Juni 2020 setzte der Verwaltungsgerichtshof das Revisionsverfahren bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-231/20 über die mit Vorlageentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, EU 2020/0002 (Ra 2020/17/0013), vorgelegten Fragen aus.

5        Der EuGH hat über diesen Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichtshofes mit Urteil vom 14. Oktober 2021, MT, C-231/20, Folgendes erkannt:

„1. Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht, das mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer wegen Verstoßes gegen das Glücksspielmonopol verhängten Sanktion befasst ist, in einem Verfahren über die Verhängung von Sanktionen wegen eines solchen Verstoßes speziell prüfen muss, ob die in der anwendbaren Regelung vorgesehenen Sanktionen unter Berücksichtigung der konkreten Methoden für deren Bestimmung mit Art. 56 AEUV vereinbar sind.

2. Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die im Fall der unternehmerischen Zugänglichmachung verbotener Ausspielungen Folgendes zwingend vorsieht:

-    die Festsetzung einer Mindestgeldstrafe für jeden nicht bewilligten Glücksspielautomaten ohne Höchstgrenze der Gesamtsumme der verhängten Geldstrafen, sofern der Gesamtbetrag der verhängten Geldstrafen nicht außer Verhältnis zu dem durch die geahndeten Taten erzielbaren wirtschaftlichen Vorteil steht;

-    die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe für jeden nicht bewilligten Glücksspielautomaten ohne Höchstgrenze der Gesamtdauer der verhängten Ersatzfreiheitsstrafen, sofern die Dauer der tatsächlich verhängten Ersatzfreiheitsstrafe im Hinblick auf die Schwere der festgestellten Taten nicht übermäßig lang ist, und

-    einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafen, sofern dieser Beitrag im Hinblick auf die tatsächlichen Kosten eines solchen Verfahrens weder überhöht ist noch das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf Zugang zu den Gerichten verletzt.“

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6        Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, das Verwaltungsgericht sei von der näher genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beachtung des Kumulationsprinzipes gemäß § 22 VStG abgewichen, als zulässig und begründet.

7        Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 10. Dezember 2021, Ra 2020/17/0013, ausgesprochen hat, sind die Rechtsgrundlagen

i) für die Verhängung von Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz Glücksspielgesetz - GSpG, BGBl. Nr. 620/1989, idF BGBl. I Nr. 13/2014,

ii) für die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 16 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52/1991, im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG und

iii) für die Vorschreibung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens gemäß § 64 Abs. 2 VStG, BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 33/2013,

grundsätzlich mit dem Unionsrecht (insbesondere Art. 56 AEUV und Art. 49 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) vereinbar. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

8        Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG macht sich strafbar, „wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 daran beteiligt“. Im Revisionsfall wurde der Erstmitbeteiligte - rechtskräftig - wegen des näher konkretisierten unternehmerisch Zugänglichmachens verbotener Ausspielungen mit vier Glücksspielgeräten schuldig erkannt. Die Verhängung von Strafen war daher grundsätzlich für jedes einzelne Gerät zulässig und geboten (vgl. zum Kumulationsprinzip im GSpG bereits z.B. VwGH 7.10.2013, 2013/17/0274, mwN).

9        Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Strafe jedoch nicht pro Glückspielgerät, sondern in Form einer Gesamtstrafe (in der Höhe von € 25.000,-- bzw. 6 Tage Ersatzfreiheitstrafe) verhängt, während die belangte Behörde vier Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 20.000,-- sowie Ersatzfreiheitsstrafen in der Höhe von jeweils 7 Tagen verhängt hatte.

10       Da die Verhängung kumulierter Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen bei Übertretungen des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG iVm dem VStG jedoch grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar ist (vgl. erneut VwGH 10.12.2021, Ra 2020/17/0013), verstößt das angefochtene Erkenntnis somit gegen das Kumulationsprinzip des § 22 VStG, dem zufolge über jemanden, der durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat, die Strafen nebeneinander zu verhängen sind.

11       Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang - und damit hinsichtlich des Ausspruchs über die verhängte Gesamtstrafe und hinsichtlich des davon abhängigen Ausspruchs über die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens und des Beschwerdeverfahrens - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 3. Februar 2022

Gerichtsentscheidung

EuGH 62020CJ0231 M.T. VORAB

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020170012.L00

Im RIS seit

14.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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