TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/8 Ra 2021/04/0112

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Veröffentlicht am 08.02.2022
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Index

50/01 Gewerbeordnung

Norm

GewO 1994 §113 Abs5

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der T GmbH in I, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 22. September 2020, Zl. LVwG-2019/25/1773-13, betreffend Vorschreibung einer Sperrstunde gemäß § 113 Abs. 5 GewO 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtmagistrat Innsbruck), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        1. Mit Bescheid des Stadtmagistrats der Landeshauptstadt Innsbruck (belangte Behörde) vom 12. Juli 2019 wurde gemäß § 113 Abs. 5 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) aufgrund von sicherheitspolizeilichen Bedenken für den von der T GmbH (Revisionswerberin) in der Betriebsart „Diskothek“ an einem näher bezeichneten Standort geführten Gastgewerbebetrieb (jeweils abweichend von der durch die Sperrzeitenverordnung 1995 mit 06.00 Uhr festgesetzten ([Auf]Sperrstunde) eine frühere Sperrstunde, nämlich 04.00 Uhr, sowie eine spätere Aufsperrstunde, nämlich 08.00 Uhr, vorgeschrieben.

2        Die belangte Behörde legte dem Bescheid eine vom Stadtpolizeikommando Innsbruck übermittelte „Vorfallsliste“ zugrunde. Von den 46 im Beobachtungszeitraum 25. Mai 2017 bis 14. April 2019 stattgefundenen und dem Lokal der Revisionswerberin zuordenbaren Vorfällen hätten sich demnach 28 (in der Folge aufgezählte) als sicherheitspolizeilich relevant angesehene Vorfälle nach 04.00 Uhr ereignet. Aus der Beschaffenheit der angezeigten Vorfälle ergäben sich sicherheitspolizeiliche Bedenken, denen wirksam mit einer Vorverlegung der Sperrstunde und der Vorschreibung einer späteren Aufsperrstunde begegnet werden könne.

3        2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. September 2020 wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab. Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für nicht zulässig erklärt.

4        Das Verwaltungsgericht verwies zunächst darauf, dass im Hinblick auf den im Februar 2019 erfolgten Betreiberwechsel ein aktueller Bericht der Landespolizeidirektion Tirol eingeholt worden sei. Dieser Bericht weise für den Zeitraum 3. Februar 2019 bis 12. Jänner 2020 zwischen 04.00 Uhr und 09.00 Uhr elf Vorfälle auf. Die Vertreter der Revisionswerberin hätten - so das Verwaltungsgericht - in der mündlichen Verhandlung zu den seit Februar 2019 registrierten Vorfällen „mit unterschiedlicher Genauigkeit“ Stellung genommen. Diese Stellungnahmen wurden im angefochtenen Erkenntnis zusammengefasst wiedergegeben.

5        In seinen rechtlichen Erwägungen hielt das Verwaltungsgericht fest, es habe - auch wenn die Vorschreibung einer Maßnahme nach § 113 Abs. 5 GewO 1994 nicht aus Gründen erfolge, die in der Person des Gewerbetreibenden lägen - seine Beurteilung anhand der polizeilichen Feststellungen zwischen Februar 2019 und Februar 2020 vorgenommen. Bei der Beurteilung sicherheitspolizeilicher Bedenken komme es nicht darauf an, ob es sich bei den Tätern um Lokalgäste handle bzw. ob dem Gastgewerbetreibenden ein Verschulden an den Vorfällen anzulasten sei. Daher seien auch diejenigen Vorfälle sicherheitspolizeilich relevant, hinsichtlich derer die Revisionswerberin nachvollziehbar dargelegt habe, dass die Auseinandersetzungen mit den Türstehern darauf zurückzuführen seien, dass diese stark alkoholisierten Personen den Zutritt zum Lokal verwehrt hätten.

6        Als sicherheitspolizeilich bedenklich stufte das Verwaltungsgericht ab dem Betreiberwechsel im Februar 2019 fünf zeitlich näher bestimmte Vorfälle ein. Dem Vorbringen der Revisionswerberin, seit dem Betreiberwechsel sei eine drastische Verbesserung der Situation eingetreten, könne nicht zugestimmt werden. Die Voraussetzungen für die bekämpfte Maßnahme seien somit weiterhin gegeben. Soweit die Revisionswerberin auf eine Beruhigung der Lage seit der Schließung zweier (in der Nähe befindlicher) Lokale hingewiesen habe, hielt dem das Verwaltungsgericht entgegen, dass hinsichtlich der Beruhigung der Situation entlang der Viaduktbögen auch die Corona-bedingten Einschränkungen für Nachtlokale zu berücksichtigen seien, die einen geringeren Fußgängerverkehr in diesem Bereich zur Folge hätten.

7        3. Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG, deren Behandlung der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 10. März 2021, E 3921/2020, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

8        In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision erhoben.

9        Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       4. Die Revisionswerberin verweist in ihrem Zulässigkeitsvorbringen auf näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der zufolge sicherheitspolizeiliche Bedenken durch entsprechende Sachverhaltsfeststellungen gedeckt sein müssten. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Die bloße Wiedergabe der von der Landespolizeidirektion erstellten Auflistung sei nicht hinreichend; dies betreffe insbesondere die Zuordnung der Vorfälle zur Betriebsanlage der Revisionswerberin sowie deren Beschaffenheit. Die Anzahl von fünf Vorfällen in 13 Monaten spreche für sich genommen nicht für die Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken.

11       Die Revision erweist sich als zulässig und auch als begründet.

12       4. § 113 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl. Nr. 194 in der Fassung BGBl. I Nr. 96/2017, lautet auszugsweise:

Sperrstunde und Aufsperrstunde

§ 113. (1) Der Landeshauptmann hat den Zeitpunkt, zu dem gastgewerbliche Betriebe geschlossen werden müssen (Sperrstunde), und den Zeitpunkt, zu dem sie geöffnet werden dürfen (Aufsperrstunde), für die einzelnen Betriebsarten der Gastgewerbe durch Verordnung festzulegen; [...]

[...]

(5) Wenn die Nachbarschaft wiederholt durch ein nicht strafbares Verhalten von Gästen vor der Betriebsanlage des Gastgewerbebetriebes unzumutbar belästigt wurde oder wenn sicherheitspolizeiliche Bedenken bestehen, kann die Gemeinde eine spätere Aufsperrstunde oder eine frühere Sperrstunde vorschreiben. Vor der Beurteilung, ob eine unzumutbare Belästigung im Sinne des ersten Satzes vorliegt, ist Beweis durch Sachverständige aufzunehmen. Diese Vorschreibung ist zu widerrufen, wenn angenommen werden kann, dass der für die Vorschreibung maßgebende Grund nicht mehr gegeben sein wird. In Gebieten von Gemeinden, für die Landespolizeidirektionen zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz sind, haben die Gemeinden vor einer Entscheidung diese Behörden zu hören. Nachbarn, die eine Verkürzung der Betriebszeit des Gastgewerbebetriebes bei der Gemeinde angeregt haben, sind Beteiligte im Sinne des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991.

[...]“

13       5. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Erfüllung des Tatbestandsmerkmales „sicherheitspolizeiliche Bedenken“ gemäß § 113 Abs. 5 erster Satz GewO 1994 das Bestehen von durch entsprechende Sachverhaltsfeststellungen gedeckten konkreten Bedenken, aus deren Art sich schlüssig erkennen lässt, dass ihnen durch die Vorschreibung einer früheren Sperrstunde wirksam begegnet werden kann, wobei sowohl die Anzahl als auch die Beschaffenheit von angezeigten Vorfällen sicherheitspolizeiliche Missstände zum Ausdruck bringen können, die der Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken eine ausreichende Grundlage geben (vgl. VwGH 8.8.2019, Ra 2019/04/0078, Rn. 7, mwN).

14       Der Verwaltungsgerichtshof hat weiter zum Ausdruck gebracht, dass der Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken eine fallbezogene Beurteilung zugrunde liegt und dass das Vorliegen einer bestimmten Anzahl von Vorfällen für diese Annahme nicht erforderlich ist (vgl. erneut VwGH Ra 2019/04/0078, Rn. 8, mwN). Was die konkrete Anzahl der Vorfälle angeht, hat der Verwaltungsgerichtshof auch festgehalten, dass § 113 Abs. 5 GewO 1994 ein Durchschnittskalkül (gemessen an der jeweiligen Betriebsart des Gastgewerbes) nicht kennt (vgl. VwGH 18.2.2015, Ra 2015/04/0007).

15       Sicherheitspolizeiliche Bedenken sind nicht davon abhängig, dass es zu gerichtlichen Verurteilungen oder Vorerhebungen gekommen ist. Ebenso müssen die sicherheitspolizeilichen Bedenken nicht auf Vorkommnisse in der gastgewerblichen Betriebsanlage selbst zurückzuführen sein. Schließlich ist auch nicht entscheidungsrelevant, inwiefern dem Gastgewerbetreibenden ein Verschulden am Eintritt von Sachverhaltsumständen anzulasten ist, welche die Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken rechtfertigen (vgl. zu allem VwGH 22.3.2019, Ra 2018/04/0089, Rn. 27 und 30, mwN).

16       Weiters hat es der Verwaltungsgerichtshof für rechtskonform erachtet, dass sich die Behörde auf konkrete Sachverhaltsfeststellungen in vorgelegten „Vorfallslisten“ gestützt hat, mit deren Erstellung sich die Behörde in der angefochtenen Entscheidung detailliert auseinandergesetzt hat (vgl. VwGH 25.9.2012, 2012/04/0114). In einem Fall mit 21 einem Betrieb zurechenbaren Vorfällen über einen Zeitraum von 41 Monaten hat der Verwaltungsgerichtshof schließlich festgehalten, dass eine Häufigkeit von einem Vorfall in zwei Monaten nicht per se für das Vorliegen sicherheitspolizeilicher Bedenken spreche, und dementsprechend nähere Feststellungen zu den einzelnen Vorfällen (Zeitpunkt, Art und Schwere der Taten) als erforderlich angesehen, um die Rechtmäßigkeit der Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken zu überprüfen (siehe VwGH 20.5.2010, 2009/04/0300).

17       6. Ausgehend davon ergibt sich für den vorliegenden Fall Folgendes:

18       Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung den Zeitraum Februar 2019 bis Februar 2020 zugrunde gelegt und in diesem Zeitraum fünf näher bezeichnete Vorfälle (alle als Körperverletzungen ausgewiesen, eine davon als schwere Körperverletzung) als sicherheitspolizeilich bedenklich eingestuft. Dafür hat es sich - in dem Grunde nach nicht zu beanstandender Weise - auf eine näher dargestellte „Vorfallsliste“ gestützt, der Angaben zu Ort, Zeitpunkt und Kategorie des Vorfalls zu entnehmen waren.

19       Da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine bestimmte Anzahl an Vorfällen vorliegen muss, ist es zwar nicht ausgeschlossen, die Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken auf fünf Vorfälle innerhalb von 13 Monaten zu stützen. Allerdings wären in einem solchen Fall (vgl. dazu VwGH 2009/04/0300) ausreichende, die Überprüfbarkeit der Beurteilung durch das Verwaltungsgericht ermöglichende Feststellungen zur Beschaffenheit und Schwere der Vorfälle und fallbezogen insbesondere zur Zurechenbarkeit der Vorfälle zur Betriebsanlage der Revisionswerberin erforderlich gewesen. Das Verwaltungsgericht hat zwar die Aussagen der Revisionswerberin zu den in Rede stehenden Vorfällen in zusammengefasster Form wiedergegeben. Darin wurde zu zwei Vorfällen vor der Betriebsanlage (darunter der Vorfall betreffend die schwere Körperverletzung) vorgebracht, dass die Täter keine Lokalgäste, sondern Passanten gewesen seien. Der Verwaltungsgerichtshof hat es zwar nicht als erforderlich erachtet, dass sich zurechenbare Vorfälle innerhalb der Betriebsanlage ereignen. Das bedeutet umgekehrt aber nicht, dass jegliche Vorkommnisse in einem örtlichen Nahebereich zur Betriebsanlage dieser zuzurechnen sind. Da durch die Vorschreibung einer früheren Sperrstunde das Ziel verfolgt wird, derartige Vorfälle in Zukunft hintan zu halten, müssen die Vorkommnisse mit dem Betrieb des Gastgewerbes (und somit dem Umstand, dass das Lokal geöffnet war) in Zusammenhang stehen. Eine nähere (beweiswürdigende) Auseinandersetzung mit dem dies bestreitenden Vorbringen der Revisionswerberin lässt sich dem angefochtenen Erkenntnis jedoch nicht entnehmen. Daran vermag der Hinweis des Verwaltungsgerichtes auf die Auseinandersetzungen mit den Türstehern nichts zu ändern, weil sich (zumindest) den in der angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen Aussagen der Revisionswerberin keine Beteiligung der Türsteher an den beiden in Rede stehenden Vorfällen entnehmen lässt. Nähere Ausführungen dazu wären fallbezogen angesichts der hier zugrunde gelegten Anzahl an Vorfällen, die für sich allein die Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken nicht jedenfalls zu rechtfertigen vermögen, aber geboten gewesen.

20       7. Da sich die Annahme sicherheitspolizeilicher Bedenken somit einer nachvollziehbaren Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 3 Z 2 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

21       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 8. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021040112.L00

Im RIS seit

14.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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