TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/3 Ra 2020/10/0122

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

L92003 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Niederösterreich
L92053 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Niederösterreich
L92103 Behindertenhilfe Rehabilitation Niederösterreich
L92603 Blindenbeihilfe Niederösterreich
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
67 Versorgungsrecht

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
MSG NÖ 2010 §9 Abs3
SHG AusführungsG NÖ 2020 §12 Abs1 Z2
SHG AusführungsG NÖ 2020 §12 Abs4
Sozialhilfe-GrundsatzG 2019 §3 Abs5
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Derfler, über die Revision der Niederösterreichischen Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 30. Juni 2020, Zl. LVwG-AV-442/001-2020, betreffend Leistungen nach dem Niederösterreichischen Sozialhilfe-Ausführungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya; mitbeteiligte Partei: S K in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit über Leistungen zur Deckung des Wohnbedarfs abgesprochen wird, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen - somit hinsichtlich der zuerkannten Leistungen für den allgemeinen Lebensunterhalt - wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 30. Juni 2020 wurden der mitbeteiligten Partei Geldleistungen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und zur Befriedigung des Wohnbedarfs für den Zeitraum von 1. Jänner 2020 bis 30. April 2020 in jeweils näher bestimmter Höhe zuerkannt. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2        Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, der mitbeteiligten Partei stünden grundsätzlich Leistungen der Sozialhilfe zu. Für sie käme der Richtsatz für Alleinstehende gemäß § 14 Abs. 1 Z 1 Niederösterreichisches Sozialhilfe-Ausführungsgesetz (NÖ SAG) zur Anwendung. Demnach betrage der Richtsatz an monatlichen Geldleistungen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhaltes für alleinstehende Personen € 550,41, während sich der Richtsatz an Sachleistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfes für Alleinstehende auf grundsätzlich bis zu € 366,94 belaufe. Die mitbeteiligte Partei habe einen tatsächlichen Anspruch an Wohnbedarf von € 271,63 (Bruttomiete minus Wohnzuschuss) für die Monate Jänner bis März 2020. Im April 2020 habe die mitbeteiligte Partei keinen Wohnzuschuss erhalten, da sie keinen beantragt habe. Für diesen Monat erhöhe sich daher ihr Wohnbedarf um € 78 und betrage € 349,63. Unter Berücksichtigung des jeweiligen monatlichen Einkommens der mitbeteiligten Partei seien die im Spruch angeführten Beträge zuzusprechen gewesen.

3        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Niederösterreichischen Landesregierung.

4        Die belangte Behörde schloss sich in ihrer Revisionsbeantwortung den Ausführungen der Amtsrevision an.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5        Die in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision angesprochene Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen die Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs nach dem NÖ SAG als Geld- statt als Sachleistung zu gewähren seien, wurde mittlerweile vom Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 5. Oktober 2021, Ra 2020/10/0134, beantwortet. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen. Demnach sind nach § 12 Abs. 4 zweiter Satz NÖ SAG Leistungen für den Wohnbedarf, sofern dies nicht unwirtschaftlich oder unzweckmäßig ist, in Form von Sachleistungen zu gewähren. Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ist daher zunächst davon auszugehen, dass Leistungen zur Deckung des Wohnbedarfs als Sachleistungen zugesprochen werden müssen. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn Umstände hervorkommen, die zur Beurteilung führen, dass Sachleistungen unwirtschaftlich oder unzweckmäßig sind. Die Abweichung vom Grundsatz des Vorrangs von Sachleistungen ist daher vom Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen.

6        Im vorliegenden Fall hat sich das Verwaltungsgericht, das die einschlägige Norm des § 12 Abs. 4 NÖ SAG nicht erwähnt hat, mit diesen Voraussetzungen jedoch nicht auseinandergesetzt. Weder wurden diesbezügliche Feststellungen getroffen, noch wurde begründet, warum der Wohnbedarf im konkreten Fall als Geldleistung anstelle einer Sachleistung zu gewähren war.

7        Ausgehend von der unzutreffenden Annahme, dass Geldleistungen zur Deckung des Wohnbedarfs zugesprochen werden können, ohne die Unwirtschaftlichkeit oder Unzweckmäßigkeit des Zuspruchs von Sachleistungen zu prüfen und zu begründen, inwiefern eine solche vorliegt, ist das Verwaltungsgericht somit von der genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Die Revision erweist sich daher insofern als zulässig und begründet (vgl. zu Konstellationen, in denen die grundsätzliche Rechtsfrage vom Verwaltungsgerichtshof nach Einbringung der Revision nicht im Sinne der vom Verwaltungsgericht getroffenen Beurteilung geklärt wurde, etwa VwGH 9.9.2021, Ra 2021/09/0127, mit Verweis auf VwGH 28.2.2019, Ra 2018/12/0002; 1.10.2019, Ro 2019/01/0001; 23.10.2019, Ro 2019/19/0012).

8        Das angefochtene Erkenntnis war daher - soweit es sich auf die Zuerkennung von Leistungen zur Deckung des Wohnbedarfs bezieht - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen näher einzugehen war. Der Vollständigkeit halber ist allerdings darauf hinzuweisen, dass dem angefochtenen Erkenntnis auch keine Begründung zu entnehmen ist, weshalb eine Verfolgung des Anspruchs auf Wohnzuschuss für den Monat April 2020 im Sinne des § 8 Abs. 3 NÖ SAG als offenbar aussichtslos oder unzumutbar anzusehen gewesen wäre.

9        Da sich die Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision ausschließlich gegen die Zuerkennung von Leistungen zur Deckung des Wohnbedarfs wendet, erweist sich die Revision hinsichtlich der zuerkannten Leistungen für den allgemeinen Lebensunterhalt insoweit als unzulässig. Sie war in diesem Umfang daher zurückzuweisen (vgl. nochmals VwGH 5.10.2021, Ra 2020/10/0134).

Wien, am 3. Februar 2022

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020100122.L00

Im RIS seit

10.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

22.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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