TE Lvwg Erkenntnis 2022/1/19 LVwG-2021/40/2744-1

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Veröffentlicht am 19.01.2022
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Entscheidungsdatum

19.01.2022

Index

50/01 Gewerbeordnung

Norm

GewO 1994 §79

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Piccolroaz über die Beschwerde der AA GmbH, Adresse 1, **** Z, vertreten durch die Rechtsanwälte BB, Adresse 2, **** Y, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Y vom 18.08.2021, Zl ***, betreffend die Vorschreibung von zusätzlichen Auflagen nach der Gewerbeordnung 1994,

zu Recht:

1.       Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit E-Mail vom 24.07.2017 teilte die Nachbarin der gegenständlichen Betriebsanlage mit, dass sie bei Aufenthalt auf der Terrasse oder im Garten ein sehr störendes und lautes Geräusch wahrnehmen würden. Dieser Lärm sei seit dem Umbau vom AA bzw seit der Sanierung des Überschwemmungsschadens 2016 aufgefallen. Der Lärm sei vermutlich auf eine Kühl- oder Abluftanlage des AA zurückzuführen. Da in der Vergangenheit ein derart lautes Geräusch nicht wahrnehmbar gewesen sei, würden sie den jetzigen Zustand als äußerst störend empfinden. Der Erholungswert des Gartens, im Besonderen die Terrasse sei dadurch sehr eingeschränkt worden.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 27.07.2017 wurde ein Erhebungsersuchen an den gewerbetechnischen Amtssachverständigen gerichtet.

Mit Eingabe vom 22.08.2018 teilte der gewerbetechnische Amtssachverständige mit, dass eine Beurteilung hinsichtlich der bescheidgemäßen Ausführung aufgrund fehlender Unterlagen nicht vorgenommen werden könne.

Mit neuerliche Eingabe vom 21.09.2018 teilte der gewerbetechnische Amtssachverständige der belangten Behörde mit, dass die Messungen und die Überprüfung ergeben hätten, dass die Kältetechnikanlage und die Lüftungsanlage hinsichtlich ihrer Schallwerte und Ausführung dem bescheidgemäßen Zustand entsprächen. Es sei trotz der bescheidgemäßen Ausführung der Anlagen ein starkes Rauschen im Bereich der Fortluftöffnung vom Unterfertigten wahrnehmbar. Es sei eine starke Änderung der örtlichen Verhältnisse bei den ungünstigst gelegenen Nachbarn gegeben.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 29.10.2018 an die MA CC wurde diese ersucht, vor Ort eine Hörprobe durchzuführen und sodann eine amtsärztliche Stellungnahme abzugeben. Wie wirke sich das Geräusch („starkes Rauschen“) auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen aus? Komme es durch das Geräusch („starkes Rauschen“) bei den Nachbarn zu unzumutbaren Belästigungen bzw zu Gesundheitsgefährdungen?

Mit Eingabe vom 14.01.2019 teilte die Amtsärztin nach Durchführung eines Lokalaugenscheines und einer Hörprobe mit, dass sich die Abluftöffnung in ca 3 m Entfernung von der Grundstücksgrenze (Hecke) an der Rückseite der Firma AA in ca 2 m Höhe befinde. Sie könne vom Garten direkt gesehen werden. An diesem Tag sei sie allerdings ausgeschaltet, daher sei keinerlei Geräusch hörbar.

Mit neuerlicher Stellungnahme der Amtsärztin vom 04.07.2019 teilte diese nach Durchführung eines Lokalaugenscheines und einer Hörprobe mit, dass das Geräusch eindeutig von der Lüftungsanlage stamme. Es werde als lautes, monotones Rauschen von wasserfallähnlichem Charakter wahrgenommen. Es übertöne den Umgebungs-Straßenlärm und werde eindeutig als belästigend empfunden. In der Wohnung bei geschlossenem Fenster sei es leise, aber noch deutlich hörbar. Das von der Lüftungsanlage der Firma AA Adresse 3 erzeugte Geräusch sei so laut, dass von ihm sicherlich eine Gesundheitsbelästigung ausgehe. Die benachbarten Anrainer seien im Sommer bei der Benützung des Gartens und beim Öffnen der Fenster sehr eingeschränkt. Selbst bei geschlossenen Fenstern sei das Geräusch noch deutlich hörbar.

Mit Aktenvermerk der belangten Behörde vom 22.07.2019 wurde festgehalten, dass mit der Amtsärztin telefoniert worden sei. Es sei nachgefragt worden, wie der Begriff „Gesundheitsbelästigung“ zu verstehen sei. Von Seiten der Amtsärztin werde mitgeteilt, dass jedenfalls keine Gesundheitsgefährdung vorliege und mit dem Begriff grundsätzlich eine Belästigung des menschlichen Wohlbefindens gemeint sei. Von Seiten der Amtsärztin werde mitgeteilt, dass das Ergebnis der Stellungnahme präzisiert und per E-Mail übermittelt werde.

Mit weiterem Schreiben des gewerbetechnischen Amtssachverständigen vom 19.05.2020 schlug dieser zwei zusätzliche Auflagen vor.

Mit Eingabe der Beschwerdeführerin vom 01.07.2020 wurde eine Stellungnahme der DD GmbH übermittelt, wonach nach Umsetzen der bisherigen Verbesserungsmaßnahmen die Lärmemissionen der Lüftungsanlage deutlich unterhalb des Bescheides lägen.

Mit weiterer Stellungnahme der Amtsärztin vom 26.05.2021 teilte sie mit, dass bei der neuerlichen Hörprobe am 20.05.2021 um 15.00 Uhr ein starkes Rauschen aus der Lüftungsanlage festgestellt worden sei. Dieses sei für einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen und für ein gesundes, normal empfindendes Kind deutlich hörbar und wirke rund um die Uhr auf das Hörsystem ein. Durch das Geräusch komme es zu einer Belästigung der benachbarten Anrainer, wobei bei jahrelanger Einwirkung eine Gesundheitsgefährdung aufgrund einer dauernden Aktivierung des vegetativen Nervensystems nicht ausschließbar sei.

Mit weiterem Schreiben des gewerbetechnischen Amtssachverständigen vom 27.05.2021 teilte dieser mit, dass bei der Begutachtung der Ausblasöffnung festgestellt worden sei, dass Änderungen an der Ausblasöffnung durchgeführt worden seien. Die Leitbleche seien entfernt und des Weiteren sei ein Blech als Witterungsschutz oberhalb der Ausblasöffnung angebracht worden. Das laute und betriebstypische Rauschen der Lüftungsanlage sei im Bereich der Fortluftöffnung und auch im Bereich der Hörprobe der Amtsärztin (Garten und Terrasse der Beschwerdeführerin) deutlich wahrnehmbar. Aufgrund der geringen Entfernung zwischen Schallquelle (Lüftungsgitter) und Messgerät und der sehr lauten Emission der Anlage würden sich die Umgebungsgeräusche durch den Straßenverkehr, etc, nicht auf die Messwerte auswirken. Die Kontrollmessung habe einen Schalldruckpegel von LA,eq = 64,3 dB in 1,5 m Entfernung (ausgemessen mittels Maßband) von der Ausblasöffnung ergeben. Umgerechnet auf 1 m Entfernung ergebe sich ein Schalldruckpegel von LA,eq = 67,5 dB. Sohin werde mitgeteilt, dass die beschriebenen und durchgeführten Änderungen an der Lüftungsöffnung zu keiner Reduzierung des Schalldruckpegels an der Ausblasöffnung geführt hätten. Es würden weiterhin die gleichen qualitativen und quantitativen Emissionen bei Betrieb der Lüftungsanlage für die Kältetechnik emittiert. Diese dadurch auftretenden Immissionen bei den Nachbarn seien bereits im Zuge des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens auch aus amtsärztlicher Sicht beurteilt worden.

Nach Wahrung des Parteiengehörs teilte die nunmehrige Beschwerdeführerin mit E-Mail vom 16.06.2021 im Wesentlichen zusammengefasst mit, dass der Keilriemen defekt gewesen sei. Dieser sei ausgetauscht und neu eingestellt worden. Die heutige schalltechnische Prüfung der Anlage durch Mitarbeiter der Firma DD GmbH habe bei gleich situierten Messpunkt um 6 dB ruhigere Werte gegenüber der Messung von Herrn EE ergeben.

Mit weiterer Stellungnahme des gewerbetechnischen Amtssachverständigen vom 16.07.2021 teilte dieser im Wesentlichen zusammengefasst mit, dass trotz der Reduktion des Emissionspegels durch den Austausch des Keilriemens weiterhin bei Betrieb der Anlage sich ein Beurteilungspegel von Lr, verringert 57,3 dB (A) ergebe und mit einer starken Änderung (Erhöhung) der örtlichen Verhältnisse bei den Nachbarn von 17 dB (ungünstigster Zeitraum – Nachtkernzeit) zu rechnen sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 18.08.2021, Zl ***, wurden der AA GmbH gem § 79 GewO 1994 zwei zusätzliche Auflagen vorgeschrieben. Begründend wurde dazu im Wesentlichen zusammengefasst festgehalten, dass die Behörde die Auswirkungen der Betriebsanlage auf die Nachbarschaft zu beurteilen hatte und zu prüfen hatte, welche anderen oder zusätzlichen Auflagen erforderlich seien, um Gefährdungen oder im Rahmen des § 79 Abs 2 unzumutbaren Belästigungen der Nachbarn hintanzuhalten. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen sei, dass die gem § 74 Abs 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt seien. Aufgrund der Stellungnahme des gewerbetechnischen Sachverständigen habe auch der zuletzt durchgeführte Austausch des Keilriemens zu keiner wesentlicher Reduzierung des Schalldruckpegels geführt. Es bestünden sohin die gleichen qualitativen und quantitativen Emissionen bei Betrieb der Lüftungsanlage für die Kältetechnik. Die Amtsärztin führe in ihrer Stellungnahme aus, dass die derzeitige Situation eine Gesundheitsgefährdung für die nächstgelegenen Nachbarn ausgehend von der gegenständlichen Betriebsanlage infolge von Lärm darstelle. Somit sei ein hinreichender Schutz gem § 74 Abs 2 Z 1 GewO 1994 nicht gegeben. Aus der schlüssigen und nachvollziehbaren Stellungnahme der Amtsärztin gehe unmissverständlich hervor, dass zum jetzigen Zeitpunkt ein hinreichender Schutz gem § 74 Abs 2 Z 1 aufgrund von gesundheitsschädigendem Lärm ausgehend von gegenständlicher Betriebsanlage nicht gegeben sei.

In der dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerde bringt die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass das Verfahren mangelhaft sei, weil keine weitere Befundaufnahme erfolgt sei und lediglich auf Basis alter Messwerte eine fiktive Dezibelberechnung erfolgt sei, keine objektivierte amtsärztliche Beurteilung vorliege, sondern der Entscheidung nur eine subjektive Hörprobe der Amtsärztin zugrunde liege, die Stellungnahme der Amtsärztin nicht objektiv überprüfbar sei, den Stellungnahmen der Amtsärztin ein Inhalt unterstellt werde, den diese nicht hätten, die Beurteilung der Amtsärztin vor Durchführung der Lärmschutzmaßnahmen und zum Zeitpunkt eines defekten Keilriemens vorgenommen worden sei und sohin nicht repräsentativ sei und die Entscheidung überraschend ergangen sei. Es ergebe sich aus der amtsärztlichen Stellungnahme (ohne Begründung und fachliche Darlegung im Hinblick auf Messergebnisse und objektivierbare Umstände) nur, dass zum Zeitpunkt Juli 2019 sicherlich eine Gesundheitsbelästigung vorliege und im Juni 2021 bei jahrelanger Einwirkung eine Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen werden könne. Die belangte Behörde stütze die ergänzend vorgeschriebenen Auflagen aufgrund der Gesundheitsschädlichkeit allein mit diesen beiden Stellungnahmen der Amtsärztin, welche außerdem noch unrichtig wiedergegeben worden seien. Ein Beweisergebnis, dass von der Anlage eine Gesundheitsfährdung für die nächstgelegenen Nachbarn ausginge oder dass kein hinreichender Schutz gegen gesundheitsschädlichen Lärm vorliegen würde, existiere nicht. Die Stellungnahmen der Amtsärztin seien unabhängig vom Inhalt der Feststellungen nicht geeignet, als Grundlage für einen Bescheid zu dienen. Die belangte Behörde stütze ihre Entscheidung auf § 79 Abs 2 GewO 1994. Gemäß dieser Bestimmung sei es der Gewerbebehörde gestattet, Auflagen vorzuschreiben, wenn dies zur Vermeidung der Gefährdung des Lebens oder der Gefährdung der Gesundheit von Personen notwendig sei. Gegenständlich sei eine Auflage im Sinne des § 79 Abs 2 GewO 1994 nur zulässig, wenn die Betriebsanlage tatsächlich durch die Lärmemission die Gesundheit gefährde. Die Amtsärztin habe das nicht festgestellt und auch von der belangten Behörde sei für die Begründung nur die Darlegungen des Amtssachverständigen herangezogen, wonach ein berechneter Wert an der Grundgrenze mit 52,3 dB(A) vorliege und der ortsübliche Pegel in der Nachtzeit nur 40 dB betrage. Für die Frage, ob ein Schalldruckpegel von 52,3 dB(A) gesundheitsschädlich sei, würden die Beweisergebnisse fehlen. Die Überschreitung der Ortsüblichkeit sei nicht Beurteilungsmaßstab des § 79 Abs 2 GewO 1994. Tatsächlich gemessen seien von der Behörde 67,1 dB in 1 m Entfernung und vor Umsetzung der Lärmreduktionsmaßnahmen durch die Beschwerdeführerin. An der Grundgrenze (angeblich) in 3 m Entfernung sei gar keine Messung durchgeführt und sei der Aufenthalt dort durch die Hecke gar nicht möglich. Es werde daher wohl eine Messung hinter der Hecke durchzuführen sein, dies um eine allfällige gesundheitsschädigende Eigenschaft feststellen zu können und dies auch nur auf Basis der Werte der FF, wohin unabhängig von der Ortsüblichkeit und auch nicht an der Grundgrenze. Selbst die Berechnung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ergebe einen Schalldruckpegel an der Grundgrenze von 52,3 dB, was im Hinblick auf die Toleranz, den Umgebungslärm und der zulässigen Werte im allgemeinen Mischgebiet in der TGHKV nicht gesundheitsschädlich sei. Die Meinung der Amtsärztin auf Basis einer Hörprobe könne daher nicht Grundlage eines Bescheides sein, insbesondere wenn die tatsächliche Immission an der Grundgrenze nicht objektiviert worden sei und darauf basierende keine objektivierte amtsärztliche Stellungnahme erfolgt sei. Sollte die belangte Behörde vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung von Auflagen im Sinne des § 79 Abs 1 GewO 1994 ausgehen, was bestritten bleibe, werde vorgebracht, dass die Nachbarn erst Nachbarn geworden seien, als die Betriebsanlage bereits genehmigt war, sohin eine Auflage nur unter der Voraussetzung des § 79 Abs 2 GewO 1994 zulässig sei. Sollten die Nachbarn bereits vor Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn gewesen sein, so wäre jedenfalls eine Interessensabwägung vorzunehmen. Der Umgebungsgeräuschpegel betrage bereits, dies sei auch der Stellungnahme des Amtssachverständigen zu entnehmen, 45 dB. Schutzweck der Norm sei gesundheitsschädliche Emissionen zu verhindern bzw die Unzumutbarkeit zu beseitigen, jedenfalls aber nicht jegliche Störung der Nachbarn zu verhindern. Die Auflage der Setzung von Maßnahmen, die den Schallpegel in 0,5 m, sohin nicht an der Grenzgrenze und zudem auf einen so geringen Wert (45 dB) reduzieren, sei überschießend und unzulässig.

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt steht bereits aufgrund der Aktenlage fest. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

II.      Sachverhalt:

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 19.11.2012, Zl ***, wurde der AA GmbH die gewerbebehördliche Genehmigung für die Änderung der bereits bestehenden Betriebsanlage am Standort Adresse 3 in **** Y unter Vorschreibung von Auflagen und Bedingungen erteilt. Der Betriebsbeschreibung zufolge befindet sich der Technikraum sowie Lagerflächen und Kühlzelle im Kellergeschoss. Es ist der Einsatz einer elektro-vollautomatischen Kühlanlage mit automatischer Be- und Entlüftungsanlage des Maschinenraums mit Bodenabsaugung vorgesehen. Das Gerät weist einen Schalldruckpegel von 68 dB in 5 m Entfernung ohne Reflextion auf. Der Aufstellungsort des Axialverflüssigers befindet sich im Maschinenraum im ersten Untergeschoss. Die Abführung der Motorabstrahlwärme der Verdichter erfolgt über einen bestehenden Abluftventilator mit 1400 m³/Stunde, davon mindestens 900 m³/Stunde bodennah im Maschinenraum. Der Schalldruckpegel im Maschinenraum beträgt 85 dB.

Mit E-Mail vom 24.07.2017 ersuchten die Nachbarn um Überprüfung der Betriebsanlage bezüglich Lärm. Der Lärm sei vermutlich auf eine Kühl- oder Abluftanlage zurückzuführen.

Überprüfungen durch den gewerbetechnischen Amtssachverständigen der belangten Behörde haben ergeben, dass die Kältetechnikanlage und die Lüftungsanlage hinsichtlich ihrer Schallwerte und Ausführung dem bescheidgemäßen Zustand entsprechen. Der Beurteilungspegel bei den ungünstigt gelegenen Nachbarn wurde mit Lr, verringert 57,3 dB (A) ermittelt. Durch das Geräusch kommt es zu einer Belästigung der benachbarten Anrainer, wobei bei jahrlanger Einwirkung eine Gesundheitsgefährdung aufgrund einer dauernden Aktivierung des vegetativen Nervensystems nicht ausschließbar ist.

III.     Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde, insbesondere aus dem vorgelegten Bescheid vom 19.11.2012 und den Stellungnahmen des gewerbetechnischen Amtssachverständigen bzw der Amtsärztin der belangten Behörde.

IV.      Rechtslage:

Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl Nr 194/1994 idF BGBl I Nr 65/2020 lauten:

§ 74

„Betriebsanlagen

(1) Unter einer gewerblichen Betriebsanlage ist jede örtlich gebundene Einrichtung zu verstehen, die der Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit nicht bloß vorübergehend zu dienen bestimmt ist.

(2) Gewerbliche Betriebsanlagen dürfen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1.       das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen oder des nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen eingetragenen Partners, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch die im § 2 Abs. 1 Z 4 lit. g angeführten Nutzungsrechte,

2.       die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen,

…“

§ 77

„(1) Die Betriebsanlage ist zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, daß überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden. Die nach dem ersten Satz vorzuschreibenden Auflagen haben erforderlichenfalls auch Maßnahmen für den Fall der Unterbrechung des Betriebes und der Auflassung der Anlage zu umfassen; die Behörde kann weiters zulassen, daß bestimmte Auflagen erst ab einem dem Zeitaufwand der hiefür erforderlichen Maßnahmen entsprechend festzulegenden Zeitpunkt nach Inbetriebnahme der Anlage oder von Teilen der Anlage eingehalten werden müssen, wenn dagegen keine Bedenken vom Standpunkt des Schutzes der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen bestehen.

(2) Ob Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 zumutbar sind, ist danach zu beurteilen, wie sich die durch die Betriebsanlage verursachten Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen auswirken.

…“

§ 79

„(1) Ergibt sich nach Genehmigung der Anlage, daß die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, so hat die Behörde die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben; die Auflagen haben gegebenenfalls auch die zur Erreichung dieses Schutzes erforderliche Beseitigung eingetretener Folgen von Auswirkungen der Anlage zu umfassen; die Behörde hat festzulegen, daß bestimmte Auflagen erst nach Ablauf einer angemessenen, höchstens drei Jahre, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen (zB bei Betriebsübernahmen) höchstens fünf Jahre, betragenden Frist eingehalten werden müssen, wenn der Inhaber der Betriebsanlage nachweist, daß ihm (zB wegen der mit der Übernahme des Betriebes verbundenen Kosten) die Einhaltung dieser Auflagen erst innerhalb dieser Frist wirtschaftlich zumutbar ist, und gegen die Fristeinräumung keine Bedenken vom Standpunkt des Schutzes der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen bestehen. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem, wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen.

(2) Zugunsten von Personen, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 geworden sind, sind Auflagen im Sinne des Abs. 1 nur soweit vorzuschreiben, als diese zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen notwendig sind. Auflagen im Sinne des Abs. 1 zur Vermeidung einer über die unmittelbare Nachbarschaft hinausreichenden beträchtlichen Belastung durch Luftschadstoffe, Lärm oder gefährliche Abfälle sind, sofern sie nicht unter den ersten Satz fallen, zugunsten solcher Personen nur dann vorzuschreiben, wenn diese Auflagen im Sinne des Abs. 1 verhältnismäßig sind.

…“

V.       Erwägungen:

Unstrittig ist im gegenständlichen Fall, dass es sich bei der in Rede stehenden gewerblichen Betriebsanlage um eine genehmigte Betriebsanlage handelt und der gewerbetechnische Amtssachverständige auch keine Abweichung vom Genehmigungsbescheid feststellen hat können. Dennoch haben sich die unmittelbaren Nachbarn bereits mit E-Mail vom 24.07.2017 an die belangte Behörde wegen eines Lärmproblems gewandt.

Die belangte Behörde stützt den nunmehr bekämpften Bescheid auf § 79 GewO 1994, ob dies nun auf Abs 1 und Abs 2 gestützt wird, ist weder dem Spruch noch der Begründung zu entnehmen. So sieht § 79 Abs 1 GewO 1994 eine zwingend vorzunehmende Interessensabwägung vor, während § 79 Abs 2 zusätzliche Auflagen zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit zugunsten von Nachbarn vorsieht, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn geworden sind. Gerade hier liegt jedoch der Prüfmaßstab für die belangte Behörde!

§ 79 Abs 1 sieht die „Anpassung“ eines rechtskräftigen Genehmigungsbescheides für den Fall vor, dass die gem § 74 Abs 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung vorgeschriebener Auflagen nicht hinreichend geschützt sind. Abs 2 enthält Sonderregelungen für Auflagen zum Schutz „nachträglich zugezogener Nachbarn“ (vgl Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, GewO, 4. Auflage RZ 1 zu § 79).

In diesem Zusammenhang hat es die belangte Behörde unterlassen zu prüfen, ob die Nachbarn, welche eine Überprüfung der gegenständlichen Betriebsanlage bereits mit E-Mail vom 24.07.2017 angeregt haben, vor oder nach Genehmigung der in Rede stehenden Betriebsanlage Nachbarn im Sinne des § 75 Abs 2 und 3 geworden bzw gewesen sind. Zudem stünde den betroffenen Nachbarn auch Parteistellung im dementsprechenden Verfahren zu, was ebenfalls seitens der belangten Behörde nicht beachtet wurde (vgl § 79a GewO 1994).

Das durchgeführte Ermittlungsverfahren der belangten Behörde hat weder eine unzumutbare Belästigung noch eine Gesundheitsgefährdung der betroffenen Nachbarn zweifelsfrei ergeben.

Die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin moniert einerseits eine unzureichende Lärmmessung bei den nächstgelegenen Nachbarn, welche jederzeit möglich gewesen wäre, noch eine schlüssige und nachvollziehbare medizinische Begründung bezüglich einer Unzumutbarkeit des Lärms bei den nächstgelegenen Nachbarn noch einer Gesundheitsgefährdung.

In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 19.12.2013, 2011/03/0160, 21.12.2011, 2010/04/0046 uva) wurde der Grundsatz entwickelt, dass der Durchführung von Messungen, soweit diese möglich sind – grundsätzlich der Vorrang vor lärmtechnischen Berechnungen einzuräumen ist. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der gewerbetechnische Amtssachverständige eine Messung am Betriebsgrundstück durchgeführt hat und eine Ausbreitungsberechnung vorgenommen hat. Der Sachverständige hat diesbezüglich schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, welche Immissionsbelastung am Grundstück der nächstgelegenen Nachbarn vorherrscht. Eine unzureichende Lärmerhebung des Ist-Zustandes kann sohin nicht erblickt werden.

Der Beurteilungspegel bei den ungünstigt gelegenen Nachbarn wurde vom gewerbetechnischen Amtssachverständigen mit Lr, verringert 57,3 dB (A) nach Ansicht des erkennenden Gerichtes korrekt ermittelt.

Die Amtsärztin hat sich mit diesem Lärmwert in ihren Stellungnahmen in keinster Weise auseinandergesetzt. Die Amtsärztin kommt in ihrer Stellungnahme lediglich aufgrund einer Hörprobe zum Ergebnis, dass es zu einer Belästigung der benachbarten Anrainer kommt (ob diese Belästigung zumutbar oder unzumutbar ist, bleibt trotz eindeutiger Fragestellung der belangten Behörde offen) wobei bei jahrelanger Einwirkung eine Gesundheitsgefährdung nicht ausschließbar sei. Diese Stellungnahme ist jedoch nicht geeignet, eine Gesundheitsgefährdung oder eine unzumutbare Belästigung der betroffenen Nachbarn in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise darzulegen.

Da sohin das Verfahren vor der belangten Behörde über weite Teile mangelhaft geblieben ist (welcher Prüfmaßstab ist anzulegen) und das amtsärztliche Gutachten keine ausreichende Begründung für die Vorschreibung von anderen oder zusätzlichen Auflagen gem § 79 Abs 1 oder 2 GewO 1994 darstellt, war spruchgemäß zu entscheiden.

Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass bei Vorliegen von entsprechenden schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten und Klärung der Frage, zu welchem Zeitpunkt die antragstellenden Nachbarn Nachbarn im Sinne des § 75 Abs 2 und 3 geworden sind, die vorliegende Entscheidung einer neuerlichen Vorschreibung von anderen oder zusätzlichen Auflagen durch die belangte Behörde nicht entgegensteht.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Mag. Piccolroaz

(Richter)

 

Schlagworte

Zusätzliche Auflagen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2022:LVwG.2021.40.2744.1

Zuletzt aktualisiert am

02.03.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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