TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/15 Ro 2019/13/0015

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

EStG 1988 §103
EStG 1988 §22
VwRallg
ZBV 2016 §2
ZBV 2016 §2 Abs1 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, Johannesgasse 5, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 13. November 2018, Zl. RV/7100538/2018, betreffend Antrag auf einen Zuzugsfreibetrag gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988 (mitbeteiligte Partei: Dr. S in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte beantragte im Jahr 2017 die Zuerkennung des pauschalen Zuzugsfreibetrages gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988. In seinem Antrag gab er an, er habe eine Tenure-Track Stelle an einer österreichischen Universität angetreten. Die Stelle ermögliche es ihm, eine eigene Forschungsgruppe aufzubauen und zu leiten. Die Forschungsrichtung entspreche seinen Qualifikationen auf dem Gebiet X. Seine Arbeiten (Publikationen) seien in verschiedenen internationalen Zeitschriften aufgegriffen worden. Durch seine internationale wissenschaftliche Laufbahn habe er ein großes Netzwerk an Kollaborationen aufgebaut, welches er mit seiner Stelle mitbringe und zu neuen Projekten führe. Seine Expertise auf dem Gebiet X sei gefragt, und es würden vielfältige Kollaborationen auf der nationalen Ebene entstehen. Er habe mehr als zwanzig Publikationen in internationalen „Journals“ mit mehr als 3.000 Zitationen insgesamt. Seine Top 5 Publikationen seien alle bei N veröffentlicht. Darüber hinaus habe er externes „Funding“ für seine Forschung bekommen können sowie einige eigene „Forschungs- und Reisegrants“.

2        Der Bundesminister für Finanzen wies den Antrag auf Gewährung des Zuzugsfreibetrages gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988 ab. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Mitbeteiligte laut vorgelegtem Arbeitsvertrag mit der Universität neben der Mitarbeit an Forschungsaufgaben und selbständigen Forschungstätigkeiten auch noch zur Erbringung von Lehr- und administrativen Tätigkeiten verpflichtet sei. Laut Auskunft der Universität liege die Tätigkeit des Mitbeteiligten je zu einem Drittel in Forschung, Lehre und Administration, wobei sich die Administration immer auf Forschung und Lehre beziehe. Damit habe er nicht glaubhaft machen können, dass er eine überwiegend wissenschaftliche Tätigkeit iSd § 2 Abs. 1 Z 1 ZBV 2016 ausübe.

3        In der gegen diesen Bescheid rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wendete der Mitbeteiligte ein, dass er hauptsächlich wissenschaftliche Tätigkeit betreibe. Er beantrage daher eine Neubeurteilung seines Antrages und lege eine detaillierte Begründung und einige Nachweise bei. Begründend führte er aus, dass die im Bescheid angeführte Aufteilung seiner Arbeitszeit auf jeweils ein Drittel Forschung/Lehre/Administration von der Universität ohne sein Wissen und Beweise so angegeben worden sei, aber nicht annähernd dem Vertrag oder seiner tatsächlichen Arbeitsaufteilung entspreche. Darüber hinaus habe er keine administrative Aufgabe innegehabt. Dies bedeute, dass die Forschungsarbeit mindestens 90% seiner Arbeitszeit ausmache.

4        Der Bundesminister für Finanzen legte dem Bundesfinanzgericht die Beschwerde vor. Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde statt, gewährte den Zuzugsfreibetrag für einen Zeitraum von fünf Jahren ab 27. Februar 2017 und erklärte die Revision für zulässig.

5        Das Bundesfinanzgericht stellte fest, der Mitbeteiligte sei Staatsangehöriger von Z und sei im Jahr 2017 als Universitätsassistent Postdoc (Tenure-Track) an eine österreichische Universität berufen worden. Laut seinem Arbeitsvertrag mit der Universität würden seine Aufgaben wie folgt umschrieben:

1)   Mitarbeit bei Forschungsaufgaben, bei Lehr- und Verwaltungsaufgaben, die der Organisationseinheit/Subeinheit, der er zugewiesen ist, obliegen;

2)   Mitarbeit bei Prüfungen;

3)   Mitarbeit an Organisations- und Verwaltungsaufgaben sowie an Evaluierungsmaßnahmen;

4)   Betreuung von Studierenden;

5)   selbständige Forschungstätigkeiten;

6)   selbständige Durchführung von Lehrveranstaltungen, insbesondere Pflichtlehrveranstaltungen in allen Zyklen der einschlägigen Studienrichtungen, und Abhaltung von Prüfungen nach Maßgabe der Beauftragung.

6        Die Personalabteilung der Universität habe in einem Schreiben zum Aufgabenbereich des Mitbeteiligten mitgeteilt, dass die vertraglich verteilten Aufgaben in drei Blöcke eingeteilt werden könnten: Forschung, Lehre, Administration. Die etwas detaillierte Aufzählung im Vertrag habe den Zweck, dass alle drei Bereiche konkretisiert würden und beiden Vertragspartnern klar sei, dass z.B. Lehre nicht auf das Abhalten einer Lehrveranstaltung begrenzt sei, sondern auch die Betreuung von Studierendenarbeiten oder die Abnahme von Prüfungen umfasse. Es sei regelmäßig so, dass die Anteile an Forschung, Lehre und Administration jeweils ein Drittel des Aufgabenbereichs ausmachten, wobei sich die Administration immer auf Forschung und Lehre beziehe.

7        In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht - soweit für den Revisionsfall relevant - aus, dass § 103 EStG 1988 nicht näher konkretisiere, wann der Zuzug einer Person der Förderung von Wissenschaft und Forschung diene und damit im öffentlichen Interesse liege. § 2 Abs. 1 Z 1 Zuzugsbegünstigungsverordnung 2016 (ZBV) statuiere, dass die der Förderung von Wissenschaft und Forschung zu Grunde liegende Tätigkeit der zuziehenden Person überwiegend in einer wissenschaftlichen Tätigkeit bestehen müsse. Eine Tätigkeit sei als wissenschaftlich anzusehen, „wenn sie auf systematische Weise unter Verwendung wissenschaftlicher Methoden mit dem Ziel durchgeführt wird, den Stand des Wissens zu vermehren sowie neue Anwendungen dieses Wissens zu erarbeiten“. Diese Definition der wissenschaftlichen Tätigkeit decke sich mit der Definition von Forschung und experimenteller Entwicklung in der Forschungsprämienverordnung.

8        Im vorliegenden Fall habe der Bundesminister für Finanzen die Gewährung einer Zuzugsbegünstigung gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988 mit der Begründung verwehrt, dass die Tätigkeit des Mitbeteiligten nicht überwiegend eine wissenschaftliche Tätigkeit iSd § 2 Abs. 1 Z 1 ZBV darstelle. Dies ergebe sich zum einen aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag mit der Universität, sowie zum anderen aus der Auskunft der Universität, wonach die Tätigkeit des Mitbeteiligten jeweils zu einem Drittel in Forschung, Lehre und Administration liege. Der Mitbeteiligte wende dagegen ein, dass er hauptsächlich wissenschaftliche Tätigkeit betreibe, da die Forschungsarbeit mindestens 90% seiner Arbeitszeit ausmache.

9        Zu der im gegenständlichen Fall strittigen Frage, ob die Tätigkeit des Mitbeteiligten überwiegend in einer wissenschaftlichen Tätigkeit bestehe, sei zunächst festzustellen, dass nach dem klassischen österreichischen Universitätssystem Forschung und Lehre eine untrennbare Einheit bilden würden. Wissenschaft sei das Streben nach objektiver Erkenntnis, ihr oberstes Ziel das Gewinnen und Bewahren von Erkenntnissen. Dass Wissenschaft sowohl Forschung als auch Lehre umfasse, könne aus den Forderungen des Gewinnens und Bewahrens von Erkenntnis gefolgert werden. Auch die Bestimmung des § 3 Z 1 des Universitätsgesetzes 2002 (UG), BGBl. I Nr. 120/2002, wonach zu den Aufgaben der Universitäten u.a. „Entwicklung der Wissenschaften (Forschung und Lehre), Entwicklung und Erschließung der Kunst sowie die Lehre der Kunst“ gehörten, spreche dafür, dass der Begriff Wissenschaft sowohl Forschung als auch Lehre beinhalte.

10       Die Begriffe „Wissenschaft und Forschung“ in § 2 ZBV bzw. „Wissenschaft, Forschung, ...“ in § 103 EStG 1988 seien nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes so zu verstehen, dass „Forschung“ iSd Zuzugsbegünstigung außeruniversitäre Forschung betreffe, während „Wissenschaft“ aus (universitärer) Forschung und Lehre bestehe. Für dieses Verständnis spreche auch § 2 Abs. 2 Z 1 ZBV, da die an dieser Stelle genannten Universitätsprofessoren im Sinne des § 94 Abs. 2 Z 1 UG gemäß § 97 Abs. 1 UG „für die Forschung oder die Entwicklung und Erschließung der Künste sowie für die Lehre in ihrem Fachgebiet verantwortlich“ seien, die wissenschaftliche Tätigkeit des Universitätsprofessors also Forschung und Lehre umfasse, wobei sich die Wissenschaft als Verbindung von Forschung und Lehre auch aus § 2 Z 2 UG ergebe.

11       Halte man sich die Bestimmung des § 2 Z 2 UG vor Augen („...Forschung und Lehre, Verbindung der Entwicklung und Erschließung der Künste und ihrer Lehre sowie Verbindung von Wissenschaft und Kunst“), so sei zu erkennen, dass sich § 2 Abs. 1 Z 1 ZBV 2016 („in einer wissenschaftlichen Tätigkeit (einschließlich der universitären Erschließung und Entwicklung der Künste)“) an § 2 Z 2 UG anlehne. Selbst wenn § 2 Abs. 1 Z 1 ZBV die wissenschaftliche Lehre nicht ausdrücklich als Bestandteil der wissenschaftlichen Tätigkeit anführe, sondern lediglich die Definition der Forschungsprämienverordnung übernehme, sei daher bei der Definition der wissenschaftlichen Tätigkeit davon auszugehen, dass dazu neben wissenschaftlicher Forschung unweigerlich auch die Vermittlung der Wissenschaft an andere zum Zwecke der Erweiterung ihres Wissensstandes (wissenschaftliche Lehre) gehöre.

12       Da die Tätigkeit des Mitbeteiligten sowohl laut Vertrag als auch laut Auskunft der Universität jeweils zu einem Drittel aus Forschung, Lehre und Administration bestehe, sei im Hinblick darauf, dass die wissenschaftliche Lehre als Teil der wissenschaftlichen Tätigkeit anzusehen sei, von einer überwiegenden (zu rund 2/3) wissenschaftlichen Tätigkeit des Mitbeteiligten auszugehen.

13       Die Revision ließ das Bundefinanzgericht zu, weil zur Definition der wissenschaftlichen Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Zuzugsbegünstigung gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988 keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorhanden sei.

14       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision des Bundesministers für Finanzen, die zu ihrer Begründung ausführt, § 2 Abs. 1 Z 1 ZBV statuiere, dass die der Förderung von Wissenschaft und Forschung zu Grunde liegende Tätigkeit der zuziehenden Person überwiegend in einer wissenschaftlichen Tätigkeit bestehen müsse. Was als wissenschaftliche Tätigkeit anzusehen sei, werde von der Verordnung definiert und entspreche der Definition von Forschung und experimenteller Entwicklung in der Forschungsprämienverordnung. Das Bundesfinanzgericht gehe in Anlehnung an die Judikatur zum allgemeinen Wissenschaftsbegriff des EStG 1988 davon aus, dass wissenschaftliche Tätigkeiten iSd § 2 Abs. 1 Z 1 ZBV 2016 auch die wissenschaftliche Lehre umfasse. Das Gericht verkenne dabei jedoch, dass in der ZBV eine Legaldefinition vorliege, die vom allgemeinen Wissenschaftsbegriff des EStG 1988 abweiche.

15       Der Mitbeteiligte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

16       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

17       § 103 EStG 1988 in der im Revisionsfall anwendbaren Fassung, BGBl. I Nr. 117/2016, lautete:

„(1) Bei Personen, deren Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft, Forschung, Kunst oder Sport dient und aus diesem Grunde im öffentlichen Interesse gelegen ist, kann der Bundesminister für Finanzen für die Dauer des im öffentlichen Interesse gelegenen Wirkens dieser Personen steuerliche Mehrbelastungen bei nicht unter § 98 fallenden Einkünften beseitigen, die durch die Begründung eines inländischen Wohnsitzes eintreten. Dabei kann auch die für eine Begünstigung in Betracht kommende Besteuerungsgrundlage oder die darauf entfallende Steuer mit einem Pauschbetrag festgesetzt werden.

(1a) Bei Personen, deren Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft oder Forschung dient und aus diesem Grunde im öffentlichen Interesse gelegen ist, kann der Bundesminister für Finanzen, unabhängig von der Gewährung einer Begünstigung gemäß Abs. 1 aufgrund des Zuzugs für einen Zeitraum von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt des Zuzugs einen Freibetrag in Höhe von 30% der zum Tarif besteuerten Einkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit festsetzen. Wird der Freibetrag gewährt, können daneben keine weiteren Betriebsausgaben, Werbungskosten oder außergewöhnliche Belastungen, die im Zusammenhang mit dem Zuzug stehen, geltend gemacht werden.

(2) Abs. 1 ist auf Personen, die den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen aus Österreich wegverlegt haben, nur dann anzuwenden, wenn zwischen diesem Wegzug und dem Zuzug mehr als zehn Jahre verstrichen sind. Für Abs. 1a ist eine Frist von fünf Jahren maßgeblich.

(3) Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, das Verfahren betreffend die Erteilung der Zuzugsbegünstigung im Sinne des Abs. 1 und des Abs. 1a mit Verordnung zu regeln. Dabei ist auch näher zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft, Forschung, Kunst oder Sport dient und aus diesem Grunde im öffentlichen Interesse gelegen ist. Ebenso kann die Verordnung den sachlichen Umfang und die Dauer von Zuzugsbegünstigungen im Sinne des Abs. 1 regeln. In dieser Verordnung kann festgelegt werden, dass die Beseitigung der steuerlichen Mehrbelastung im Sinne des Abs. 1 in Form der Anwendung eines Durchschnittssteuersatzes, der sich aus der tatsächlichen Steuerbelastung vor dem Zuzug ergibt, erfolgt. Dieser Steuersatz darf 15% nicht unterschreiten.“

18       Die Bestimmung des § 103 Abs. 1a EStG 1988 wurde mit dem Steuerreformgesetz 2015/2016, BGBl. I Nr. 118/2015, eingefügt. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (684 BlgNR 25. GP 24 ff) wurde dazu u.a. ausgeführt:

„Begünstigt ist - ebenso wie bisher in Abs. 1 - der Zuzug von ausländischen Spitzenkräften aus den Bereichen von Wissenschaft und Forschung, also von Personen, deren Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft und Forschung dient und aus diesem Grund im öffentlichen Interesse gelegen ist.

Dieses Tatbestandselement wird so verstanden, dass

[...]

die Förderung von Wissenschaft und Forschung eine unmittelbare sein muss, was in der Regel eine wissenschaftliche Tätigkeit im universitären Bereich bzw. im Hochschulbereich oder prämienbegünstigte Forschung (§ 108c EStG 1988) voraussetzt, wobei die bloße Möglichkeit, dass eine Tätigkeit im Einzelfall auch zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen führt, nicht ausreicht,

[...]

Auf Grund des oben genannten Grunderfordernisses der unmittelbaren Förderung von Wissenschaft und Forschung kann beispielsweise eine ausschließliche bzw. überwiegende Lehrtätigkeit (z.B. Universitätslektorat), selbst wenn sie aus einkommensteuerlicher Sicht eine wissenschaftliche Tätigkeit darstellt, generell (weder Abs. 1 noch Abs. 1a) keine Zuzugsbegünstigung vermitteln.

[...]

Eine Tätigkeit ist nicht schon dann wissenschaftlich, wenn sie auf Erkenntnissen der Wissenschaft aufbaut, diese verwertet und sich wissenschaftlicher Methoden bedient, sondern erst, wenn sie ausschließlich oder nahezu ausschließlich der Forschung, somit dem Erringen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, oder/und der Lehre, somit der Vermittlung einer Wissenschaft an andere (Lernende) zum Zwecke der Erweiterung ihres Wissensstandes dient. Bei Auswertung einer wissenschaftlichen Tätigkeit zu wirtschaftlichen Zwecken ist Voraussetzung, dass die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und nicht deren wirtschaftliche Verwertung den Schwerpunkt der betreffenden Tätigkeit darstellt (z.B. VwGH 28.10.1997, 93/14/0146).

[...]

Wie eingangs zu § 103 EStG 1988 ausgeführt begründet nicht jedweder wissenschaftliche Beruf (z.B. Universitätslektorin) einen Anspruch auf eine Zuzugsbegünstigung nach Abs. 1 bzw. Abs. 1a, da ein besonderes öffentliches Interesse Österreichs am jeweiligen Zuzug vorauszusetzen ist.“

19       § 2 Zuzugsbegünstigungsverordnung 2016, BGBl. II Nr. 261/2016, lautet:

„(1) Der Zuzug hochqualifizierter Personen aus dem Ausland dient der Förderung von Wissenschaft und Forschung und ist aus diesem Grund im öffentlichen Interesse gelegen, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

1.   Die Tätigkeit der zuziehenden Person im Bereich der Wissenschaft und Forschung besteht überwiegend in einer wissenschaftlichen Tätigkeit (einschließlich der universitären Erschließung und Entwicklung der Künste). Eine Tätigkeit ist als wissenschaftlich anzusehen, wenn sie auf systematische Weise unter Verwendung wissenschaftlicher Methoden mit dem Ziel durchgeführt wird, den Stand des Wissens zu vermehren sowie neue Anwendungen dieses Wissens zu erarbeiten (Forschung und experimentelle Entwicklung).

2.   Die Tätigkeit im Bereich der Wissenschaft und Forschung liegt maßgeblich im öffentlichen Interesse Österreichs.

3.   Die Förderung von Wissenschaft und Forschung würde ohne Zuzug nicht in diesem Ausmaß eintreten und erfolgt unmittelbar.

4.   Die hohe wissenschaftliche Qualifikation des Antragstellers ist hinreichend dokumentiert.

(2) Ein der Förderung der Wissenschaft und Forschung dienender Zuzug aus dem Ausland liegt in folgenden Fällen jedenfalls im öffentlichen Interesse:

1.   Der zuziehende Wissenschaftler wird als Professorin/Professor im Sinne des § 94 Abs. 2 Z 1 Universitätsgesetz 2002 (UG), BGBl. I Nr. 120, tätig oder des § 12 Abs. 1 Bundesgesetz über das Institute of Science and Technology - Austria, BGBl. I Nr. 69/2006 in Verbindung mit § 94 Abs. 2 Z 1 UG.

2.   Der zuziehende Wissenschaftler wird in seinem Habilitationsfach oder einem an sein Habilitationsfach angrenzenden wissenschaftlichen oder künstlerischen Fach tätig, und zwar an einer

a)   Universität im Sinne des § 4 UG oder § 1 Bundesgesetz über die Universität für Weiterbildung Krems (DUK-Gesetz 2004), BGBl. I Nr. 22/2004, an einer

b)   Privatuniversität im Sinne des § 1 Privatuniversitätengesetz (PUG), BGBl. I Nr. 74/2011, an einer

c)   Fachhochschule im Sinne des § 8 Fachhochschul-Studiengesetz (FHStG), BGBl. Nr. 340/1993, in einer

d)   wissenschaftlichen Einrichtung im Sinne des Forschungsorganisationsgesetzes (FOG), BGBl. Nr. 341/1981, in einer

e)   Körperschaft, die kraft Gesetzes eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Staates, mit dem eine umfassende Amtshilfe besteht, im Wesentlichen der Forschung dient, oder in einer

f)   nach § 71 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 zertifizierten Forschungseinrichtung.

Die Forschung und experimentelle Entwicklung muss in einem inländischen Betrieb, einer inländischen Betriebsstätte oder einer anderen inländischen wirtschaftlich selbständigen Einheit dieser Forschungseinrichtung erfolgen. Bei Personen, die nicht ausschließlich in Forschung und experimenteller Entwicklung tätig sind, müssen dabei die der Forschung und experimentellen Entwicklung (einschließlich der universitären Erschließung und Entwicklung der Künste) dienenden Tätigkeiten im Kalenderjahr überwiegen.

3.   Die dem zuziehenden Wissenschaftler zu bezahlenden Vergütungen (Löhne, Gehälter, Honorare) stellen Aufwendungen (Ausgaben) im Sinne des § 108c Abs. 1 EStG 1988 dar und betragen mindestens das für die Blaue Karte EU erforderliche Bruttojahresgehalt. Z 2 letzter Satz gilt entsprechend.“

20       § 103 EStG 1988 in der im Revisionsfall anwendbaren Fassung iVm der ZBV ermöglichte es dem Bundesminister für Finanzen, hochqualifizierten Wissenschaftern und Forschern eine Zuzugsbegünstigung u.a. in Form eines Freibetrages zu gewähren.

21       Nicht strittig ist im Revisionsfall die wissenschaftliche Qualifikation der mitbeteiligten Partei. Strittig ist, ob die wissenschaftliche Lehre unter den Begriff der wissenschaftlichen Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 ZBV fällt.

22       Das Bundesfinanzgericht ist davon ausgegangen, dass im Rahmen der Zuzugsbegünstigung der Begriff Forschung die außeruniversitäre Forschung betreffe und der Begriff Wissenschaft die universitäre Forschung und Lehre. Im österreichischen Universitätssystem seien Forschung und Lehre eine untrennbare Einheit, weshalb die Lehre als Teilbereich der Wissenschaft auch die Voraussetzungen für die Zuzugsbegünstigung erfülle.

23       Sowohl § 103 EStG 1988 als auch § 2 ZBV verwenden Wissenschaft und Forschung als zwei voneinander trennbare Begriffe, weshalb davon auszugehen ist, dass die Inhalte dieser beiden Bezeichnungen nicht deckungsgleich sind.

24       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 22 EStG 1988 versteht man unter einer wissenschaftlichen Tätigkeit eine solche, die ausschließlich oder nahezu ausschließlich der Forschung, somit dem Erringen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, oder (und) der Lehre, somit der Vermittlung einer Wissenschaft an andere (Lernende) zum Zweck der Erweiterung ihres Wissensstandes dient (vgl. VwGH 31.3.2000, 95/15/0066, mwN).

25       Dem Bundesfinanzgericht ist daher zuzustimmen, dass der Begriff der „Wissenschaft“ nicht nur die Forschung, sondern auch die wissenschaftliche Lehre erfasst.

26       Das Bundesfinanzgericht übersieht jedoch, dass in § 2 Abs. 1 Z 1 bis 4 ZBV definiert wird, wann der Zuzug eines Wissenschaftlers oder Forschers im öffentlichen Interesse gelegen ist. Nach Z 1 dieser Bestimmung liegt das nur dann vor, wenn die Zuziehenden überwiegend eine wissenschaftliche Tätigkeit ausüben. Diese erforderliche Tätigkeit wird in der ZBV eigens definiert, nämlich als eine solche, die auf systematische Weise unter Verwendung wissenschaftlicher Methoden mit dem Ziel durchgeführt wird, den Stand des Wissens zu vermehren sowie neue Anwendungen dieses Wissens zu erarbeiten (Forschung und experimentelle Entwicklung). Diese Definition umfasst nicht die Lehre. Dass dies den Intentionen des Gesetzgebers widersprechen würde, ist nicht ersichtlich, weil ausweislich der Erläuterungen zu § 103 EStG 1988 eine ausschließliche bzw. überwiegende Lehrtätigkeit, selbst wenn sie aus einkommensteuerlicher Sicht eine wissenschaftliche Tätigkeit darstellt, keine Zuzugsbegünstigung vermitteln soll.

27       Das Bundesfinanzgericht ist daher zu Unrecht davon ausgegangen, dass auch die wissenschaftliche Lehre bei der Beurteilung zu berücksichtigen ist, ob überwiegend eine wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne der ZBV ausgeübt wird.

28       Das Bundesfinanzgericht hat festgestellt, dass die Personalabteilung der Universität angegeben habe, dass es „regelmäßig so sei“, dass die Anteile an Forschung, Lehre und Administration jeweils ein Drittel des Aufgabenbereichs ausmachten, wobei sich die Administration immer auf Forschung oder Lehre beziehe. Dass sich die Universität bei dieser Beurteilung auf die konkreten Verhältnisse des Mitbeteiligten bezogen hat, ist aus der Formulierung nicht zu entnehmen. Die Formulierung deutet vielmehr darauf hin, dass die Universität bei diesen Angaben von Erfahrungswerten ausgegangen ist.

29       Die mitbeteiligte Partei hat im Verfahren stets vorgebracht, dass die Angaben der Universität unzutreffend seien und sie überwiegend Forschungstätigkeiten ausübe. Mit diesem Vorbringen hat sich das Bundesfinanzgericht in Verkennung der Rechtslage nicht auseinandergesetzt.

30       Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesfinanzgericht aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse zu beurteilen haben, ob überwiegend eine wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne der ZBV ausgeübt wurde. Dabei ist zu beachten, dass administrative Tätigkeiten, die in untrennbarem Zusammenhang mit der Forschungstätigkeit stehen, dieser zuzurechnen sind.

31       Das Bundesfinanzgericht hat sein Erkenntnis daher (prävalierend) mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 15. Dezember 2021

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2019130015.J00

Im RIS seit

02.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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