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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des E in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. März 1995, Zl. 4.346.015/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. März 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 2. Februar 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 3. Februar 1995 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. Februar 1995 abgewiesen.
Der Beschwerdeführer gab anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 7. Februar 1995 an, er sowie die gesamte Bevölkerung seines Dorfes seien Aleviten und deshalb verfolgt worden. Die Aleviten unterschieden sich von den Sunniten dadurch, daß es für Aleviten eigene Geschäfte gebe und es nicht erlaubt sei, in anderen Geschäften einzukaufen. Aleviten seien keine Partei, sondern eine Volksgruppe. Sie würden keine Angehörigen anderer Volksgruppen ehelichen. Hinsichtlich der Religion bestünden insofern Unterschiede, als die Sunniten ihre Gebete in der Moschee mittels Auf- und Abbewegen des Körpers verrichteten, was die Aleviten nicht täten. Manche ältere Aleviten gingen aus Tradition in die Moschee, die jüngeren nicht. Die Aleviten würden die REFAH-Partei nicht wählen und nicht fasten.
Als Verfolgungshandlungen gab der Beschwerdeführer an, sein Bruder sei vor zwei Jahren auf der Straße zusammengeschlagen worden. Er persönlich sei dreimal auf der Straße geschlagen und verjagt worden. Dies sei bei bzw. in der Nähe einer Schule am Wege zum Dorf geschehen. Es hätten ihn zwei Personen geschlagen, die zwar ihn gekannt hätten, die er aber nicht kenne. Es seien alle Dorfbewohner seit 1993 immer bei der Schule von verschiedenen Männern geschlagen worden. Die Dorfbewohner hätten nichts unternommen, denn sie hätten nicht gewußt, wen man anzeigen solle, wenn die Täter weglaufen. Die Dorfbewohner hätten nie zur Selbsthilfe gegriffen und seien immer alleine gegangen. Als Problem mit Militär, Polizei oder Behörden nannte der Beschwerdeführer nur, daß er keinen Reisepaß bekommen habe.
Das Bundesasylamt sprach dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit ab und ergänzte, daß selbst dann, wenn der behauptete Sachverhalt der Wahrheit entspräche, die Gefahr der Verfolgung nicht im gesamten Gebiet des Heimatstaates des Beschwerdeführers bestanden habe.
In der dagegen erhobenen Berufung wendete sich der Beschwerdeführer dagegen, daß ihm die Glaubwürdigkeit abgesprochen wurde. Als Verfahrensmangel rügte er, daß es entscheidend gewesen wäre, in Erfahrung zu bringen, warum der Beschwerdeführer als Angehöriger einer "ethnischen" Gruppe verfolgt worden sei und wie genau diese Verfolgungshandlungen beschaffen gewesen wären. Zudem seien Aleviten in der ganzen Türkei "Schikanemaßnahmen sowie Verfolgungshandlungen" ausgesetzt.
Daraufhin erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid, in welchem sie einerseits den Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides übernahm, andererseits aber ergänzte, daß das Vorbringen des Beschwerdeführers, auch wenn man es als bescheinigt gelten ließe, die Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen vermöge. Die behaupteten Beeinträchtigungen und Belästigungen, die sich aus der allgemeinen Situation aus seinem Heimatdorf ergäben und jedermann hätten treffen können, seien einerseits nicht als vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen anzusehen und stellten andererseits allgemeine soziale Schwierigkeiten sowie "atmosphärische Diskriminierungen" dar, aus denen die erforderliche Eingriffsintensität im Sinne des Asylgesetzes 1991 keinesfalls abgeleitet werden könne. Das Asylrecht schütze Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität - die Nichtausstellung eines Reisepasses stelle keinen derart gravierenden Eingriff dar - in Verfolgungsabsicht vorgegangen werde. Auch im Berufungsvorbringen habe der Beschwerdeführer lediglich auf die allgemeine Situation der alevitischen Glaubensgemeinschaft in seiner Heimat verwiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der Beschwerdeführer rügt die Übernahme des Inhaltes des erstinstanzlichen Bescheides mit dem Vorbringen, daß er in der Berufung Verfahrensmängel aufgezeigt habe. Ihm ist zu entgegnen, daß er in der Berufung nicht gerügt hat, daß der Inhalt der mit dem Beschwerdeführer am 7. Februar 1995 aufgenommenen Niederschrift unrichtig sei. Insoferne er in der Berufung - offenbar im Hinblick auf § 16 Asylgesetz 1991 - eine Unvollständigkeit der Niederschrift insofern rügt, daß nicht in Erfahrung gebracht worden sei, warum der Beschwerdeführer als Angehöriger einer "ethnischen" Gruppe verfolgt worden sei und wie genau diese Verfolgungshandlungen beschaffen gewesen wären, ist er auf den Inhalt der niederschriftlichen Einvernahme zu verweisen. Der Beschwerdeführer hat darin behauptet, aus religiösen Gründen verfolgt zu werden. Träfe dies zu, wäre es rechtlich unerheblich, welche Motive seitens der Verfolger der Verfolgung aus religiösen Gründen zugrunde lägen. Des weiteren wurde der Beschwerdeführer in der Einvernahme befragt, unter welcher Verfolgung er zu leiden habe und ein weiteres Mal, was ihm persönlich geschehen sei. Hierauf gab der Beschwerdeführer lediglich an, er sei dreimal von zwei unbekannten Personen geschlagen und von der Straße verjagt worden. Auf die Frage, welche Probleme der Beschwerdeführer mit staatlichen Behörden gehabt habe, antwortete der Beschwerdeführer lediglich, er habe keinen Reisepaß bekommen. Damit ist der Behörde - aufgrund ihrer Fragen - kein Vorwurf zu machen, sie hätte nicht zu ermitteln versucht, wie die Verfolgungshandlungen beschaffen gewesen wären. Daß der Beschwerdeführer auf diese Fragen keine hinreichend deutlichen Hinweise auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, vorgebracht hat, geht zu seinen Lasten. Aus § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 kann eine Verpflichtung der Behörde, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln, nicht abgeleitet werden (vgl. zB die hg. Erkenntnisse vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800 bis 0803, und vom 25. April 1995, Zl. 95/20/0112).
Wie die belangte Behörde auch in ihren ergänzenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid in rechtmäßiger Weise begründet, könnte das Geschlagen- und Verjagtwerden von der Straße durch zwei unbekannte Privatpersonen - abgesehen von der mangelnden Eingriffsintensität - nur dann asylrechtliche Relevanz erlangen, wenn es dem Heimatstaat in der Weise zuzurechnen wäre, daß der Heimatstaat nicht in der Lage oder nicht gewillt sei, die von anderen Stellen ausgehenden Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1996, Zlen. 95/19/0062, 0079). Eine derartige mittelbare staatliche Verfolgung durfte die belangte Behörde zu Recht deshalb verneinen, weil der Beschwerdeführer selbst angegeben hat, daß er die unbekannten Täter nicht angezeigt habe, somit gar nicht versucht hat, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Insbesondere hat der Beschwerdeführer nicht angedeutet, daß ihm eine etwa beanspruchte Hilfe nicht zuteil geworden wäre, weshalb die Behörde auch diesbezüglich nicht gehalten war, Ermittlungen anzustellen. Das nunmehrige Beschwerdevorbringen, welches allgemeine Ausschreitungen von islamischen Fundamentalisten gegen die Religionsgemeinschaft der Aleviten, welche auch durch die Unterstützung der offiziellen türkischen Behörden möglich gewesen wären, behauptet, zeigt einerseits nur die allgemeine Situation auf, nicht jedoch die individuelle Situation des Beschwerdeführers, und unterliegt andererseits dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot.
Die belangte Behörde ist aber auch im Recht, wenn sie die Nichtausstellung des Reisepasses als asylrechtlich nicht relevant beurteilt hat, denn unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt nur dann vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in den Aufenthaltsstaat zu begründen. Der Verweigerung der Ausstellung eines Reisepasses ermangelt jedenfalls dieser Eingriffintensität.
Da sohin die vom Beschwerdeführer behaupteten Verfahrensmängel nicht vorliegen, erfolgte jedenfalls die Übernahme der im erstinstanzlichen Bescheid wiedergegebenen niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers durch den angefochtenen Bescheid zu Recht. Die eigenständige rechtliche Beurteilung der belangten Behörde dieser eventualiter auch für wahr zu haltenden Angaben steht mit der Rechtslage im Einklang - wobei auf die obigen Ausführungen hingewiesen wird -, sodaß sich eine Befassung mit der von der belangten Behörde übernommenen Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung des erstinstanzlichen Bescheides (Glaubwürdigkeit, innerstaatliche Fluchtalternative) sowie mit dem hiegegen erstatteten Beschwerdevorbringen erübrigt.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der von dem Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200275.X00Im RIS seit
20.11.2000