TE Vwgh Beschluss 2022/2/3 Ra 2021/19/0405

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §68 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des S A, vertreten durch Mag. Eva Velibeyoglu, Rechtsanwältin in 1100 Wien, Columbusgasse 65/22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 2021, G305 2164369-2/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte erstmals am 26. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er sei aufgrund seines äußeren Erscheinungsbilds von Milizen bedroht worden. Er trage langes Haar, kleide sich modern und habe als Friseur und für ein Unternehmen gearbeitet, welches Alkohol verkaufe.

2        Mit Erkenntnis vom 27. Februar 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Beschwerdeverfahren den Antrag des Revisionswerbers ab.

3        Am 20. September 2018 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er, unter Anknüpfung an sein bisheriges Fluchtvorbringen, vor, Milizen hätten seinen Bruder misshandelt, weil sie diesen mit dem Revisionswerber verwechselt hätten. Bei einer Rückkehr in den Irak würde er getötet werden.

4        Mit Bescheid vom 1. Oktober 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, und erließ gegen ihn ein befristetes Einreiseverbot.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BVwG der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers hinsichtlich des Einreiseverbotes statt und behob dieses. Im Übrigen wies das BVwG die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit, erkennbar gegen die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz gerichtet, vor, die Zurückweisung des Folgeantrages sei im Hinblick auf die Richtlinie 2013/32/EU und das dazu ergangene Urteil des EuGH vom 9. September 2021, C-18/20, nicht zulässig gewesen. Auch „die gesundheitlichen Aspekte“ - es habe sich während des neuen Verfahrens eine Asthma-Erkrankung „entwickelt“, mit welcher sich das BVwG nicht auseinandergesetzt habe - hätten eine inhaltliche Entscheidung verlangt.

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 27.5.2021, Ra 2021/19/0155, mwN).

11       Diesen Anforderungen wird das wiedergegebene Zulässigkeitsvorbringen der vorliegenden Revision, in dem - auch in Zusammenhang mit dem genannten Urteil des EuGH - weder ein Abweichen von bestehender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dargelegt, noch eine konkrete Rechtsfrage formuliert wird, welche der Verwaltungsgerichtshof noch nicht oder uneinheitlich beantwortet hätte, nicht gerecht.

12       Insoweit sich das Zulässigkeitsvorbringen auf die Begründetheit des (ersten) Asylantrages im Jahr 2015 bezieht, wird eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG, von welcher die Entscheidung über die Zurückweisung des Folgeantrages abhinge, nicht dargelegt.

13       Mit ihrem übrigen Zulässigkeitsvorbringen wendet sich die Revision gegen die Interessenabwägung in Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung und bringt vor, das BVwG habe den sechseinhalb Jahre dauernden Aufenthalt des Revisionswerbers, sowie das Familienleben mit seiner Lebensgefährtin und deren Töchter nicht ausreichend gewürdigt. Weder gehe vom Revisionswerber eine Gefährdung der Sicherheit Österreichs aus, noch habe Österreich wirtschaftliche Nachteile durch seinen Aufenthalt zu erwarten, weil der Revisionswerber als Friseur gearbeitet habe und gute Deutschkenntnisse aufweise.

14       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 30.12.2021, Ra 2021/19/0446, mwN).

15       Bei der Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK begründet, ist auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen abzustellen, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2021/18/0071, mwN).

16       Das BVwG setzte sich mit der Beziehung des Revisionswerbers zu einer asylberechtigten irakischen Staatsangehörigen auseinander, stellte dahingehend jedoch fest, dass der Revisionswerber mit dieser weder im gemeinsamen Haushalt lebe, noch eine eheähnliche Lebensgemeinschaft oder gegenseitige Abhängigkeit persönlicher oder finanzieller Natur bestehe, zumal es sich bei den Kindern dieser Lebensgefährtin nicht um die leiblichen Kinder des Revisionswerbers handle. Dem tritt die Revision nicht substantiiert entgegen. Es ist aber in Fällen wie dem vorliegenden letztlich nur von untergeordneter Bedeutung, ob die genannte Beziehung als „Familienleben“ oder als „Privatleben“ zu qualifizieren ist, weil bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung im Ergebnis die tatsächlich bestehenden Verhältnisse maßgebend sind (vgl. VwGH 7.5.2021, Ra 2021/19/0124, mwN).

17       Das BVwG hat nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung alle entscheidungswesentlichen Umstände bei seiner Interessenabwägung berücksichtigt. Es durfte dabei auch darauf Bedacht nehmen, dass es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte - wie vorliegend - in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. neuerlich VwGH Ra 2021/19/0124, mwN).

18       Die Revision zeigt nicht auf, dass die Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.

19       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 3. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190405.L00

Im RIS seit

01.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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