TE Vwgh Beschluss 2022/2/3 Ra 2021/01/0411

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/01 Sicherheitsrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
SPG 1991 §81 Abs1
VStG §34b
VStG §35
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des W H, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das am 7. Jänner 2021 mündlich verkündete und am 16. Februar 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark, Zl. LVwG 20.3-2598/2020-19, betreffend Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem SPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Steiermark), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Maßnahmenbeschwerde des Revisionswerbers wegen Identitätsfeststellung und Festnahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17. September 2020 an einem näher bezeichneten Ort in G abgewiesen (A.), der Revisionswerber zu näher bezeichnetem Kostenersatz verpflichtet (B.) und eine Revision für unzulässig erklärt (C.).

2        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei, nachdem er sich in eine Amtshandlung gegenüber einer dritten Person eingemischt habe und diese aufgefordert habe, sich nicht auszuweisen und nicht an der Amtshandlung mitzuwirken, von den einschreitenden Beamten zur Identitätsfeststellung nach § 34b VStG aufgefordert worden und, nachdem er die Ausweisleistung trotz mehrmaliger Aufforderung verweigert habe, gemäß § 35 Z 1 VStG festgenommen worden.

3        Die Identitätsfeststellung nach § 34b VStG sei zulässig gewesen, da die einschreitenden Sicherheitsorgane begründet davon hätten ausgehen können, dass möglicherweise eine Verwaltungsübertretung vorliege. Der Revisionswerber habe jedenfalls ein Verhalten - Einmischung in eine Amtshandlung trotz mehrmaliger Aufforderung, dies zu unterlassen - gesetzt, das den Verdacht einer Verwaltungsübertretung habe aufkommen lassen. Der Revisionswerber habe es zu verantworten, dass durch sein Verhalten - unter anderem auch die Aufforderung an die beamtshandelnde Person, sich nicht auszuweisen - möglicherweise die Amtshandlung gestört worden sei und Personen, die den Ort hätten passieren wollen, den Gehsteig hätten verlassen müssen. Es reiche aus, dass das einschreitende Organ wenigstens vertretbarerweise habe annehmen können, dass eine verwaltungsstrafrechtlich „vorhandene“ (gemeint: zu ahndende) Handlung vorliege.

4        Auch die Festnahme nach § 35 Z 1 VStG sei zu Recht ausgesprochen worden, da der Revisionswerber trotz mehrmaliger Aufforderung seine Identität nicht bekannt gegeben habe, obwohl ein Verdacht bestanden habe, dass er eine Verwaltungsübertretung begangen habe. Das Verwaltungsgericht komme auf Grund des Handlungsablaufes zur Auffassung, dass der Revisionswerber mit seinem Verhalten habe provozieren wollen. Die Festnahme sei notwendig und verhältnismäßig gewesen, zumal sie sehr kurz gehalten gewesen sei, da der Revisionswerber von einem Polizisten in der Polizeiinspektion erkannt worden sei und danach sofort freigelassen worden sei.

5        Bei der Darstellung des Verfahrensganges führte das Verwaltungsgericht aus, die Landespolizeidirektion (LPD) habe in ihrer Gegenschrift vorgebracht, der Revisionswerber habe sich in eine Amtshandlung eingemischt und diese gestört. Für die LPD sei eine Störung im Sinne des § 81 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) vorgelegen, da das Verhalten des Revisionswerbers geeignet gewesen sei, eine Menschenansammlung zu bilden, und die Passanten an der vorschriftsmäßigen Benützung des Schutzweges behindert worden seien.

6        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom 27. September 2021, E 203/2021-9, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 4. November 2021, E 203/2021-11, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

7        Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 81 Abs. 1 SPG im Erkenntnis vom 25. November 1991, 91/10/0207, abgewichen. Nach dieser Rechtsprechung sei ex ante anhand eines objektiven Maßstabes zu beurteilen, ob die Involvierung in die Amtshandlung dazu geeignet gewesen sei, ein Ärgernis hervorzurufen. Darüber hinaus müsse eine Störung der öffentlichen Ordnung tatsächlich eingetreten sein. Das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes stelle explizit fest, dass der Tatbestand der genannten Norm nur verwirklicht sei, wenn das Verhalten von anderen Personen als den unmittelbar betroffenen und den intervenierenden Polizeibeamten habe wahrgenommen werden können. Eine Prüfung dieser Sachverhaltselemente sei im Widerspruch zur zitierten Rechtsprechung nicht erfolgt.

12       Zu diesem Vorbringen ist darauf hinzuweisen, dass das von der Revision ins Treffen geführte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1991, 91/10/0207, nicht zu § 81 Abs. 1 SPG sondern zu Art. IX Abs. 1 Z 1 EGVG 1950 ergangen ist. Die vorliegend maßgebliche Bestimmung des § 81 Abs. 1 SPG wurde erst durch die Präventions-Novelle 2016, BGBl. I Nr. 61/2016, in das SPG eingefügt. Auch wenn die Gesetzesmaterialien (AB 1229 BlgNR 25. GP 4) davon sprechen, dass die Formulierung jener des Art. IX Abs. 1 Z 1 EGVG, BGBl. 32/1977 nachgebildet sei, so ist nunmehr der seit dieser Novelle normierte Inhalt des § 81 Abs. 1 SPG maßgeblich. In dieser Hinsicht wird in den zitierten Materialien ausgeführt:

„Derzeit erfordert der Tatbestand der Störung der öffentlichen Ordnung ein besonders rücksichtsloses Verhalten des Täters, um die Schwelle der Strafbarkeit zu erreichen. Aktuelle Geschehnisse - wie etwa das Auftreten von Gruppen, die durch ihr Verhalten einen bedrohlichen bzw. störenden Eindruck auf Anwesende vermitteln - haben jedoch gezeigt, dass nicht auf ein intentional rücksichtsloses Verhalten, sondern auf die grundsätzliche Eignung des Verhaltens, negative Auswirkungen auf die Betroffenen zu zeitigen (berechtigtes Ärgernis), abgestellt werden muss. Weiters muss durch dieses Verhalten auch eine (ungerechtfertigte) Störung der öffentlichen Ordnung, sohin eine Änderung des Ablaufs des äußeren Zusammenlebens von Menschen in wahrnehmbarer Weise erfolgt sein. Beispielsweise kann das aufdringliche Nachgehen bzw. Verfolgen einer Person oder das Verstellen von Geschäftspassagen das Zusammenleben in der Öffentlichkeit nachhaltig beeinträchtigen, weil Betroffene dazu bewogen werden, sich anders zu verhalten, als ohne die Störung.

Zu diesem Zweck soll von der Voraussetzung des besonders rücksichtslosen Verhaltens abgegangen und auf die Eignung des Verhaltens des Täters zur Erregung berechtigten Ärgernisses abgestellt werden. Diese Formulierung ist jener des Art. IX Abs. 1 Z 1 EGVG, BGBl. 232/1977, nachgebildet, der unmittelbaren Vorgängerbestimmung des § 81 Abs. 1. Nicht jedes störende Verhalten soll die Strafbarkeit begründen. Grundvoraussetzung dafür ist, dass das Verhalten die Eignung besitzt, berechtigtes Ärgernis zu erregen. Die Eignung bestimmt sich im Allgemeinen am Gefühl eines Durchschnittsmenschen (vgl. zur Erregung berechtigten Ärgernisses auch Bachner-Foregger in WK-StPO § 189 Rz 13). Das Ärgernis muss objektiv begründet sein. Für die Strafbarkeit soll es demnach nicht ausreichend sein, dass ein einzelner Dritter Ärgernis genommen hat. Das Verhalten soll vielmehr objektiv zur Ärgerniserregung geeignet sein und konkret auch ein solches Ärgernis erregt haben, um eine Ordnungsstörung und damit die Verwaltungsübertretung zu begründen. Ein berechtigtes Ärgernis setzt überdies voraus, dass die Bewertung nicht auf einer höchst subjektiven Auffassung beruhen darf. Am Grundsatz, dass ordnungsstörendes Verhalten dann nicht tatbestandsmäßig ist, wenn es zur Wahrung der Ausübung der Grund- und Freiheitsrechte, wie bspw. des verfassungsgesetzlich geschützten Versammlungsrechts, ausgeübt wird, soll durch die vorgeschlagene Formulierung noch deutlicher zum Ausdruck kommen.“

13       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Festnahme einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 35 VStG voraus, dass die festzunehmende Person „auf frischer Tat betreten“ wird. Das heißt, diese Person muss also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung verüben und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei das erste dieser beiden Erfordernisse bereits erfüllt ist, wenn das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund - und damit vertretbar - annehmen konnte (vgl. VwGH 13.10.2015, Ra 2015/01/0154, und VwGH 23.11.2020, Ra 2020/03/0106, jeweils mwN). Dieses Tatbestandsmerkmal („auf frischer Tat betreten“) findet sich auch in § 34b VStG als Voraussetzung für die Ermächtigung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Identitätsfeststellung.

14       Ausgehend vom Obgesagten kann die Revision mit ihrem weiteren Zulässigkeitsvorbringen, das Verwaltungsgericht sei im angefochtenen Erkenntnis von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ermittlungspflicht abgewichen, weil es keine Feststellungen zur Vertretbarkeit einer Verwaltungsübertretung nach § 81 Abs. 1 SPG getroffen habe, mangels ausreichender Relevanz keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzeigen (vgl. zur notwendigen Relevanz von behaupteten Verfahrensfehlern etwa VwGH 17.11.2021, Ra 2021/01/0355, mwN). Den Feststellungen ist (gerade noch) ausreichend zu entnehmen, dass die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit gutem Grund - und damit vertretbar - annehmen konnten, dass das Verhalten des Revisionswerbers grundsätzlich geeignet war, negative Auswirkungen auf die Betroffenen zu zeitigen, und durch dieses Verhalten eine (ungerechtfertigte) Störung der öffentlichen Ordnung, sohin eine Änderung des Ablaufs des äußeren Zusammenlebens von Menschen, in wahrnehmbarer Weise erfolgte.

15       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 3. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010411.L00

Im RIS seit

01.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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