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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Februar 1995, Zl. 4.344.272/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 13. März 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 14. März 1994 Asyl. In einer am 14. März 1994 begonnenen und am 15. März fortgesetzten Niederschrift beschrieb er seine Fluchtgründe im wesentlichen wie folgt:
"Ich habe mich nie politisch interessiert. Ich wurde aber seit 1983 bis heute ständig von der BASIJ-Gruppierung belästigt. Dies ist eine freiwillige und fanatische Gruppierung, bestehend aus jugendlichen Moslems. Sie unterstehen der Ortsmoschee. Sie agieren parallel zu den Revolutionswächtern. Ich wurde öfters festgenommen, nur aufgrund der Tatsache, daß ich eine Blue Jean oder längere Haare trug.
Das erste Mal war das im Jahre 1983. Ich wurde auf der Straße unseres kleinen Dorfes Nalkiasher festgenommen. Ich wurde festgenommen, weil ich eine Blue Jean an hatte. Ich wurde verprügelt, wobei mir die Nase gebrochen wurde. Dann mußte ich zwei Monate im Gendarmeriearrest verbleiben. Ich mußte aus diesem Grunde ein ganzes Schuljahr wiederholen. Ich wurde dann grundlos entlassen. Ein Jahr später wurde ich wieder festgenommen. Es wurde mir vorgeworfen, daß ich Videofilme anschauen würde. In Wirklichkeit hatte ich gar keine Videokassetten, geschweige denn einen Videorecorder. Es wurden mir die Augen verbunden und ich wurde für eine Nacht in einem Gebäude eingesperrt. Dabei wurde ich mit einem Gewehrkolben derart stark auf den Rücken und ins Genick geschlagen, daß ich heute bei starker Kälte noch so starke Schmerzen habe, daß ich eine Woche im Bett liegen muß. Es gibt aber keine sichtbaren Narben. Nach der Nacht wurde ich mit verbundenen Augen auf die Straße gestellt. Die Augen waren die ganze Nacht über verbunden. Das Gebäude war in Langerud, sechs Kilometer von meinem Heimatort entfernt.
Nach diesem Vorfall ging ich für ein Jahr zu meiner Schwester nach Teheran. Ich dachte mir, daß das nach einem Jahr vergessen ist. Außerdem war ich gezwungen, in meinen Heimatort zurückzugehen, da ich mit meinem Bruder den väterlichen Reisanbau fortführen sollte. Als ich zurückkehrte, kamen zwei Motorräder mit BASIJ-Mitglieder. Sie bedrohten mich mit Kalaschnikovs. Ich mußte wieder nach Langerud in das besagte Haus mitkommen. Es wurden mir wieder die Augen verbunden. Ich wurde gefragt, ob ich die Freunde des Masoud RAJAWI kenne. Dieser ist ein Mujaheddin und wohnt nun in Paris. Ich hatte jedoch nie etwas damit zu tun. Ich habe dies auch gesagt. Ich wurde wieder verprügelt. Dann wurde ich in das Revolutionskomitee in Langerud überstellt und wieder verprügelt. Dann wurde ich in den Gendarmeriearrest überstellt. Ich wurde dann zwei Tage festgehalten. Es wurde mir gesagt, daß ich stellungspflichtig sei. Ich sagte, daß ich wegen meiner linken Hand (als Kind bin ich gestürzt und habe seither eine Verkrümmung) untauglich sein müßte. Man sagte mir, daß mein Arzt dies schriftlich bestätigen solle. Ich tat dies auch. Der Arzt schrieb jedoch, daß ich arbeitsunfähig sei, jedoch nicht untauglich. Mit diesem Schreiben ging ich wieder hin. Man sagte mir, daß ich trotzdem einrücken muß. Es wurde mir gesagt, daß ich nun in die Kaserne in RASHT gebracht werde. Ich flüchtete daraufhin aus der Polizeistation und fuhr nach GHAZVIN zu einem meiner Brüder.
Ich hielt mich dort zwei Jahre lang auf. Das war jene Zeit, als der Iran-Irak-Krieg zu Ende ging. Ich arbeitete in dieser Zeit in der Werkstatt meines Bruders. Nach dem Ende des Krieges dachte ich, daß mich das Militär nun in Ruhe lassen wird, und begab mich zurück in meinen Heimatort. Ca. 6 bis 7 Monate nach meiner Rückkehr kamen die Mitglieder der BASIJ zu mir nach Hause und nahmen mich fest. Das war jetzt im Jahre 1988. Ich wurde wieder in das Haus in Langerud gebracht. Ich wurde eine Woche festgehalten. Ich wurde wieder verprügelt und es wurde mir erneut die Nase gebrochen. Ich wurde dann den Revolutionswächtern übergeben. Ich wurde ein paar Tage festgehalten. Ich wurde derart verprügelt, daß ich stundenlang bewußtlos in einem Keller lag.
Es wurde mir vorgeworfen, daß ich mit einem SIAHKAL zusammengearbeitet hätte. Dies ist ein linksgerichteter Oppositioneller. Dies ist jedoch nicht wahr. Ich mußte eine Erklärung unterschreiben, daß ich mit verschiedenen Oppositionsgruppen zusammenarbeite und daß ich den iranischen Staat um Gnade bitte. Da dies jedoch alles nicht stimmte, weigerte ich mich, zu unterschreiben. Ich mußte noch eine Nacht in Haft bleiben. Am nächsten Tag wurde ich erneut aufgefordert, das zu unterschreiben. Ich verweigerte wieder. Es wurde mir gesagt, daß nun nach mir ganz groß recherchiert werden würde und ich wurde freigelassen.
Ich begab mich dann zu meiner Schwester nach Teheran. Ich hielt mich dann bis zu meiner Flucht nach Österreich vor ca. zehn Tagen bei meiner Schwester auf. Ich habe nichts gearbeitet. Meine Geschwister haben mich ernährt. Ich hatte in Teheran keine Probleme und wurde auch nicht verfolgt."
An diese Darstellung schloß sich eine nähere Befragung des Beschwerdeführers, die wie folgt verlief:
"Frage: Warum sind Sie dann ausgereist?
Antwort:
Ich wollte nicht wieder festgenommen werden.
Frage: Was gab es hierfür für Hinweise?
Antwort:
Meine Mutter wurde öfters von den Behörden zu meinem
Aufenthaltsort befragt.
Frage: Wann war das das letzte Mal?
Antwort:
Meine Mutter wurde ein paar Monate nach meiner Reise nach Teheran befragt. Dann hörte man nie wieder etwas von den Behörden.
Frage: Nachdem man nichts mehr hörte, warum sind Sie dann
geflüchtet?
Antwort:
Es war die Ungewißheit.
Frage: Was gab es für Anzeichen für diese Ungewißheit?
Antwort:
Wenn ich in mein Dorf zurückgekehrt wäre, hätte man mich wieder erkannt.
Frage: Warum sind Sie nicht in Teheran geblieben?
Antwort: Ich wollte nicht länger bei verschiedenen Geschwistern leben.
Frage: Was gab es nach der letzten Befragung Ihrer Mutter
für Anzeichen von Verfolgungshandlungen?
Antwort: Keine.
Frage: Wieso ist gerade 1994 die Ungewißheit zu groß
geworden?
Antwort:
Ich habe schon immer den Gedanken zur Flucht. Es dauerte solange, das Geld für die Flucht zusammensparen. Meine Mutter hat meine Erbstücke verkauft.
Ich möchte nur dann in meine Heimat zurückkehren, wenn das derzeitige Regime eines Tages gestürzt sein sollte.
Andere Gründe habe ich bezüglich meines Asylantrages nicht anzugeben.
Ich habe den Dolmetsch einwandfrei verstanden.
Mir wurde der Inhalt der Niederschrift vom Dometsch zur Kenntnis gebracht und ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen."
Mit Bescheid vom 17. März 1994 wies das Bundesasylamt den Asylantrag ab, wobei es davon ausging, daß Menschenrechtsverletzungen und staatliche Willkür den iranischen Alltag prägten, die den Beschwerdeführer betreffenden Vorfälle aber schon zu lange zurücklägen, um asylrelevant zu sein. Der Beschwerdeführer habe seine Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.
In seiner Berufung führte der Beschwerdeführer aus, länger zurückliegende Verfolgungshandlungen seien (gemeint: nur) dann nicht mehr als Fluchtgründe anzuerkennen, WENN INFOLGE GEÄNDERTER UMSTÄNDE zur Zeit des Verlassens des Heimatlandes eine Furcht vor Verfolgung nicht als wohlbegründet anzusehen sei. Die erstinstanzliche Behörde habe es unterlassen, Berichte von Menschenrechtsorganisationen bzw. des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen heranzuziehen, aus denen hervorgehe, daß sich die Situation im Iran seit 1988 nicht verbessert habe. Aus den erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers gehe hervor, daß er den Iran nicht aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Hätte die erstinstanzliche Behörde Berichte über den Iran eingeholt, hätte sie sehr wohl zu dem Schluß kommen müssen, daß die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung eine wohlbegründete sei. Dieses Vorbringen verband der Beschwerdeführer mit dem Beweisanbot "Bericht des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen vom 2. Februar 1994, Spezialberichte von Amnesty International, Befragung eines besonders informierten Vertreters von Amnesty International".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Sie stützte dies u.a. darauf, daß vom Bestehen eines fundamentalistischen Regimes alle Bürger gleichermaßen betroffen seien und die gegen den Beschwerdeführer gerichteten Maßnahmen schon zu lange zurücklägen, um daraus für den Zeitpunkt der Ausreise eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung abzuleiten. Für die letzten sechs Jahre habe der Beschwerdeführer keine Umstände glaubhaft gemacht, die die Annahme einer derartigen Furcht rechtfertigen würden. Die bloß subjektive Vermutung, vielleicht abermals verhaftet zu werden, reiche nicht aus. Der Beschwerdeführer habe darüber hinaus angegeben, in Teheran keine Probleme mit den Behörden gehabt zu haben. Die Furcht vor Verfolgung müsse sich aber auf das gesamte Gebiet des Heimatstaates beziehen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei wegen ihm zu Unrecht unterstellter politischer Tätigkeiten verfolgt, verhaftet und mißhandelt worden und habe bis zum Tag seiner Ausreise nicht sicher sein können, daß er nicht wiederum menschenunwürdiger Behandlung durch seinen Heimatstaat ausgesetzt sein würde. Die Notwendigkeit des Untertauchens bei anderen Familienmitgliedern zeige bereits auf, daß ihm keine freie Gestaltung des eigenen Lebens möglich gewesen sei. Daß "die staatlichen Behörden" des Beschwerdeführers während der Zeit seines Aufenthalts bei seiner Schwester "nicht habhaft wurden", ermögliche nicht den Schluß, daß er mit weiteren Verfolgungshandlungen nicht zu rechnen hatte. Daß die Furcht "wohlbegründet" sein müsse, beziehe sich nur auf das (gemeint: vom Betroffenen) für wahrscheinlich gehaltene Übel in dem Sinn, daß es objektiv als solches gelten können müsse. Eine weitergehende Objektivierung des Maßstabes "für Furcht als rein subjektives Element" sei "mit dem Wesen des Phänomens Furcht nicht in Übereinklang zu bringen". Ein Verfahrensfehler liege darin, daß die in der Berufung angebotenen Beweise nicht aufgenommen worden seien, widrigenfalls sich ergeben haben würde, daß sich die Situation im Iran "seit 1989" nicht gebessert habe. Wenn die in der Berufung genannten Berichte auch allgemeiner Natur seien, so "unterstützten" sie doch die bis 1989 gegen den Beschwerdeführer gesetzten Verfolgungshandlungen, weil solche Handlungen gegen bereits mehrfach inhaftierte und mißhandelte Personen nicht nur wahrscheinlicher, sondern mit Sicherheit anzunehmen seien.
Dem ist vorweg entgegenzuhalten, daß der Begriff der "wohlbegründeten" Furcht nicht nur in bezug auf das befürchtete Übel, sondern auch in bezug auf die Befürchtung seines Eintrittes eine Objektivierung bedeutet (vgl. zu diesem Fragenkreis Kälin, Grundriß des Asylverfahrens, Seite 143 ff). Im Detail ist darauf nicht einzugehen, weil der Beschwerdeführer - entgegen den Beschwerdebehauptungen - im Verwaltungsverfahren nicht dargetan hat, daß er Teheran aus Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Die von ihm beschriebene Furcht, "wieder festgenommen" zu werden, und die diesbezügliche "Ungewißheit" bezogen sich, wie der weitere Verlauf der Befragung klar ergab, auf den Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Heimatdorf. Was Teheran anlangt, so gab der Beschwerdeführer an, er habe in dieser Stadt, wo er "keine Probleme" gehabt habe und "nicht verfolgt" worden sei, nicht bleiben wollen, weil er "nicht länger bei verschiedenen Geschwistern leben" wollte. In Verbindung mit den behaupteten, stets von derselben lokalen Gruppe ausgegangenen Verfolgungshandlungen wegen nur fälschlicherweise unterstellter Oppositionstätigkeiten des seinen eigenen Angaben nach politisch uninteressierten Beschwerdeführers rechtfertigt diese Darstellung den Schluß der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer Teheran, wo er zuletzt etwa sechs Jahre lang unbehelligt leben konnte, nicht aus den im § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Gründen verlassen mußte. Daß etwa - wie die Beschwerde anzudeuten versucht - auch in Teheran nach dem Beschwerdeführer gesucht worden sei, sodaß er dort "untertauchen" mußte, wäre eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 Abs. 1 VwGG unbeachtliche Neuerung.
Bei dieser Sach- und Rechtslage kommt es auf eine Besserung der allgemeinen Situation im Iran nicht an. Von einer solchen Besserung ist die belangte Behörde nicht ausgegangen, weshalb die Rüge, die Beweisanbote in der Berufung seien übergangen worden, ins Leere geht. In bezug auf den Betroffenen, dessen Situation im Asylverfahren zu beurteilen ist, bedeutet ein Ortswechsel, durch den er sich der Bedrohung dauerhaft entziehen konnte, eine Änderung der Umstände, die zu berücksichtigen ist. Daß auch die bloße Möglichkeit eines solchen Ortswechsels - im Sinne einer inländischen Fluchtalternative - der Asylgewährung entgegenstehen könnte, steht dazu nicht im Widerspruch.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200163.X00Im RIS seit
20.11.2000