TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/25 Ra 2020/11/0221

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Veröffentlicht am 25.01.2022
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung
90/02 Führerscheingesetz

Norm

FSG 1997 §24 Abs1 Z1
FSG 1997 §26 Abs2a
FSG 1997 §7 Abs3 Z3
StVO 1960 §46 Abs4 litb
StVO 1960 §46 Abs4 lite
StVO 1960 §8b Abs1 Z2
StVO 1960 §9 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, die Hofrätinnen Dr. Pollak, Mag. Hainz-Sator und MMag. Ginthör sowie Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Bregenz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 8. Oktober 2020, LVwG-411-43/2020-R10, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (mitbeteiligte Partei: B R in B, vertreten durch Dr. Winfried Mutz, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Kaiserstraße 7), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 8. Juli 2020 entzog die Bezirkshauptmannschaft Bregenz dem Mitbeteiligten gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 und 3 Z 3 sowie § 26 Abs. 2a Führerscheingesetz (FSG) die Lenkberechtigung für näher genannte Klassen für die Dauer von sechs Monaten ab Zustellung des Bescheides. Ferner wurde auf die gemäß § 29 Abs. 3 FSG bestehende Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Entziehungsbescheides hingewiesen und unter einem die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ausgeschlossen.

2        Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg mit dem angefochtenen Erkenntnis insoweit Folge, als es die Dauer der Entziehung der Lenkberechtigung auf drei Monate ab Zustellung des Bescheides vom 8. Juli 2020 herabsetzte und als für die Entziehung der Lenkberechtigung maßgebliche Rechtsgrundlagen die § 7 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit § 24 Abs. 1 Z 1 sowie § 25 Abs. 1 und 3 FSG anführte. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

3        Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg legte seiner Entscheidung folgende Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:

4        Der Mitbeteiligte habe sich mit seinem PKW am 15. Mai 2020 um 16.58 Uhr im „Citytunnel“ in der Nähe der dortigen Nische in Fahrtrichtung Tirol auf einer sehr gut einsehbaren, geraden Strecke von ca. 500 bis 700 m in einem Verkehrsstau befunden. Zwei bis drei Fahrzeuge vor dem Mitbeteiligten sei ein PKW umgekehrt und in Fahrtrichtung Bregenz aus dem Tunnel gefahren. Aufgrund des Aufrückens der vor dem Mitbeteiligten befindlichen Fahrzeuge sei eine Lücke entstanden, die es diesem erlaubt habe, sein Fahrzeug ebenfalls zu wenden und den Tunnel auch in Fahrtrichtung Bregenz zu verlassen. Bei diesem Manöver habe der Mitbeteiligte eine doppelte Sperrlinie überfahren, wobei zu diesem Zeitpunkt kein Gegenverkehr bestanden habe. Erst nach Beendigung des Wendemanövers und neuerlicher Beschleunigung des Fahrzeuges auf der Gegenfahrbahn in Richtung Bregenz sei in dieser Fahrtrichtung (Gegen-)Verkehr aufgetreten. Ein LKW habe aufgrund des Manövers des Mitbeteiligten abbremsen müssen und mit seinen Scheinwerfern aufgeblinkt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Mitbeteiligte aber bereits wieder in Fahrtrichtung Bregenz unterwegs gewesen und habe sein Fahrzeug beschleunigt. Diese Vorgänge seien von Polizeibeamten, die sich ebenfalls in Fahrtrichtung Feldkirch im Stau befunden hätten, beobachtet worden.

5        In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte habe den im angefochtenen Erkenntnis festgestellten Sachverhalt nicht bestritten und es liege eine Verkehrsübertretung vor. Mit Straferkenntnis vom 27. August 2020 sei dem Einspruch des Mitbeteiligten gegen die Strafverfügung „gegen die Strafhöhe“ Folge gegeben worden und die Strafe auf insgesamt € 330,-- herabgesetzt worden. Weder in der Strafverfügung noch in dem dem Verwaltungsgericht vorliegenden Straferkenntnis, mit dem der Mitbeteiligte wegen Verwaltungsübertretungen gemäß § 8b Abs. 1 Z 2 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), BGBl. Nr. 159/1960, § 46 Abs. 4 lit. b StVO 1960 in Verbindung mit „§ 7 Abs. 3 Z 3 FSG“ sowie gemäß § 9 Abs. 1 StVO 1960 bestraft worden sei, fänden sich Ausführungen zu besonders gefährlichen Verhältnissen. Am Ort des Wendemanövers habe gute Sicht bestanden, weil sich der Mitbeteiligte beim Wenden in der langen, geraden Teilstrecke des Tunnels befunden habe und von dort aus den Straßenverlauf weithin habe überblicken können. Er hätte auch frühzeitig von einem allenfalls entgegenkommenden Fahrzeug wahrgenommen werden können, sodass schon insoweit keine Situation vorgelegen sei, die andere Verkehrsteilnehmer hätte gefährden können. Zum Zeitpunkt des Wendemanövers habe auch kein Gegenverkehr bestanden. Die Behörde sei davon ausgegangen, dass „das Fahren auf Autobahnen“ bzw. das Umkehren auf Autobahnen eine besondere Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 3 FSG darstelle. Dies treffe jedoch im vorliegenden Fall nicht zu. Der Citytunnel sei keine Autobahn, zumal in diesem Bereich eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h vorgesehen sei und Gegenverkehr bestehe. Bei einem Wendemanöver gelange das gewendete Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn und könne vorschriftsgemäß aus dem Tunnel fahren, auch wenn beim Wenden eine doppelte Sperrlinie überfahren werden müsse. Der Verwaltungsgerichtshof habe in Fallkonstellationen, in denen auf Autobahnen etwa das Zurückschieben auf dem Pannenstreifen mit niedriger Geschwindigkeit oder das Befahren des Pannenstreifens entgegen der Fahrtrichtung, wenn der Verkehr infolge eines Staus zum Erliegen gekommen sei, in Rede gestanden seien, - ungeachtet der Strafbarkeit des Verhaltens - das Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse verneint (Hinweis: VwGH 21.10.1994, 94/11/0280; 29.10.1996, 94/11/0251).

6        Der Mitbeteiligte sei vor der gegenständlichen Tat und auch danach nie auffällig im Straßenverkehr in Erscheinung getreten, sodass davon auszugehen sei, dass er kein besonders rücksichtsloses Verhalten gesetzt habe; dies auch in Anbetracht des Umstandes, dass in dem Tunnel Stau geherrscht habe und in dem Moment, als der Mitbeteiligte seinen PKW gewendet habe, auf der Gegenfahrbahn keine Fahrzeuge entgegengekommen seien. Auch die Polizeibeamten hätten nie davon gesprochen, dass eine gefährliche Situation bestanden habe, als der LKW im Gegenverkehr „aufgetaucht“ sei, weil der Mitbeteiligte zu diesem Zeitpunkt bereits wieder dabei gewesen sei, sein Fahrzeug zu beschleunigen und aufgrund der langen, geraden Strecke das Wendemanöver schon von Weitem habe wahrgenommen werden können.

7        Der Mitbeteiligte habe die ihm vorgeworfenen Taten zwar begangen, jedoch sei aufgrund der obenstehenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht von besonders gefährlichen Verhältnissen auszugehen. Da das Verhalten des Mitbeteiligten in der Stausituation nicht als verwerflich zu beurteilen sei, sei eine Wertung im Sinn von § 7 Abs. 4 FSG vorzunehmen. Der Mitbeteiligte sei - wie erwähnt - im Straßenverkehr noch nie auffällig in Erscheinung getreten und es lägen keine Vorstrafen „diesbezüglich“ vor. Auch nach diesem Vorfall sei er im Straßenverkehr nicht aufgefallen und habe sich wohlverhalten. Aus diesem Grund sei davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte nach einer dreimonatigen Entziehung der Lenkberechtigung seine Verkehrszuverlässigkeit wiedererlangen werde. Somit sei die Dauer der Entziehung der Lenkberechtigung gemäß § 25 Abs. 3 FSG mit insgesamt drei Monaten festzusetzen gewesen.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, es handle sich bei dem in Rede stehenden Tunnel entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts um ein Teilstück einer Autobahn; es bestehe diesbezüglich auch eine ordnungsgemäße Kundmachung gemäß § 53 Abs. 1 Z 8a StVO 1960. Für die Qualifikation als Autobahn sei es gänzlich unerheblich, ob in dem betreffenden Bereich eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h gelte. Der in Rede stehende Vorfall habe sich in einem zweispurigen Autobahntunnel mit Gegenverkehr ohne Pannenstreifen, ohne Ausweichmöglichkeit und ohne bauliche Fahrbahntrennung ereignet. Die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach fallbezogen nicht von besonderes gefährlichen Verhältnissen im Sinn von § 7 Abs. 3 Z 3 FSG auszugehen sei, stehe in Widerspruch zu näher angeführter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

9        Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       Aus den für ihre Zulässigkeit dargestellten Gründen erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.

11       Das FSG in der Fassung der 19. FSG-Novelle, BGBl. I Nr. 76/2019, lautet [auszugsweise]:

„Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2.   verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1.   die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

3.   als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, sowie jedenfalls Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 90 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 100 km/h, das Nichteinhalten des zeitlichen Sicherheitsabstandes beim Hintereinanderfahren, sofern der zeitliche Sicherheitsabstand eine Zeitdauer von 0,2 Sekunden unterschritten hat und diese Übertretungen mit technischen Messgeräten festgestellt wurden, das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen oder das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen;

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs. 3 Z 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.

...

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1.   die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. Endet die Gültigkeit der Lenkberechtigung vor dem Ende der von der Behörde prognostizierten Entziehungsdauer, so hat die Behörde auch auszusprechen, für welche Zeit nach Ablauf der Gültigkeit der Lenkberechtigung keine neue Lenkberechtigung erteilt werden darf.

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens 3 Monaten festzusetzen.

...

Sonderfälle der Entziehung

§ 26.

...

(2a) Im Falle der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 3 genannten Übertretung hat die Entziehungsdauer mindestens sechs Monate zu betragen, sofern nicht gemäß Abs. 2 eine längere Entziehungsdauer auszusprechen ist. Eine nach Ablauf von zwei Jahren seit der letzten Übertretung begangene derartige Übertretung gilt als erstmalig begangen.“

12       Die StVO 1960 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2020 lautet(e) auszugsweise:

„§ 8b. (1) In Tunneln, die mit einem Straßenverkehrszeichen gemäß § 53 Abs. 1 Z 9g gekennzeichnet sind, ist es verboten,

1.   rückwärts zu fahren und

2.   umzukehren.

(2) Muss wegen einer Panne, in Notfällen oder bei Gefahr angehalten werden, ist das Fahrzeug, soweit möglich, in den durch Hinweiszeichen gemäß § 53 Abs. 1 Z 1c gekennzeichneten Pannenbuchten abzustellen.

...

§ 9. Verhalten bei Bodenmarkierungen.

(1) Sperrlinien (§ 55 Abs. 2) dürfen nicht überfahren, Sperrflächen (§ 55 Abs. 4) nicht befahren werden. Befinden sich eine Sperrlinie und eine Leitlinie nebeneinander, so hat der Lenker eines Fahrzeuges die Sperrlinie dann zu beachten, wenn sie dem von ihm benützten Fahrstreifen näher liegt.

...

§ 46. Autobahnen.

...

(4) Auf der Autobahn ist verboten:

...

b)   umzukehren, ausgenommen im Bereich eines Grenzüberganges auf Anordnung von öffentlichen Organen,

...

e)   außerhalb der durch Hinweiszeichen gekennzeichneten Stellen zu halten oder zu parken.“

13       Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach fallbezogen das Vorliegen von besonders gefährlichen Verhältnissen zu verneinen sei, tritt die Amtsrevision aus den im Folgenden dargelegten Gründen zu Recht entgegen:

14       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt eine bestimmte Tatsache im Sinn von § 7 Abs. 3 Z 3 FSG nicht voraus, dass es zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen ist, sondern es genügt vielmehr, dass der Verstoß gegen Verkehrsvorschriften unter Umständen erfolgte, die das Verhalten des Lenkers so wie in den in § 7 Abs. 3 Z 3 FSG demonstrativ aufgezählten Fällen als an sich geeignet erscheinen lassen, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen (VwGH 15.11.2018, Ra 2018/11/0220).

15       Zunächst ist anhand der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht nachvollziehbar, weshalb der in Rede stehende Straßenverlauf nicht als Autobahn zu qualifizieren wäre. Das Bestehen einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h und die Tatsache, dass es sich um einen Gegenverkehrsbereich handelte, sind in diesem Zusammenhang jedenfalls ohne rechtliche Relevanz (vgl. im Übrigen das Verzeichnis 1 zum Bundesstraßengesetz 1971 sowie die Verordnungen des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend die Bestimmung des Straßenverlaufs bzw. die nähere Beschreibung des Straßenzuges der A 14 Rheintal Autobahn, BGBl. II Nr. 238/2002 und BGBl. II Nr. 261/2004).

16       Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht festgehalten, dass der Mitbeteiligte gegen eine im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Vorfall ergangene Strafverfügung lediglich hinsichtlich der Strafhöhe Einspruch erhoben habe und wegen des gegenständlichen Wendemanövers auch einer Verwaltungsübertretung gemäß § 46 Abs. 4 lit. b StVO 1960 schuldig erkannt worden sei. Angesichts des lediglich gegen die Strafhöhe gerichteten Einspruchs gegen die Strafverfügung hatte das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung in Bindung an den (folglich) rechtskräftigen Schuldspruch dieser Strafverfügung zugrunde zu legen, dass der Mitbeteiligte die betreffenden Tathandlungen gesetzt hatte und somit mit seinem Fahrzeug auf einer Autobahn umgekehrt hatte (zur Bindungswirkung rechtskräftiger Strafverfügungen siehe z.B. VwGH 13.6.2019, Ra 2019/02/0015; 21.8.2014, Ra 2014/11/0027).

17       Ferner ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Mitbeteiligte in einem Straßentunnel erheblicher Länge im Gegenverkehrsbereich mit zwei voneinander durch eine doppelte Sperrlinie getrennten Richtungsfahrbahnen sein Fahrzeug gewendet habe. Somit ist fallbezogen in Anbetracht der vorliegenden konkreten Umstände (Wendemanöver mit einem mehrspurigen Kraftfahrzeug auf einer Autobahn in einem Tunnel im Gegenverkehrsbereich unter Missachtung einer doppelten Sperrlinie) und des Zusammentreffens mehrerer schwerwiegender Verstöße gegen Bestimmungen der StVO 1960, die evidentermaßen der Vermeidung gravierender Beeinträchtigungen der Verkehrssicherheit dienen, das Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse im Sinn von § 7 Abs. 3 Z 3 FSG nicht von der Hand zu weisen (vgl. zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung in einem Tunnel VwGH 6.9.2001, 98/03/0146, 0147; zu vorschriftswidrigen Fahrmanövern mit einem Motorrad, die zum Teil in einem Tunnel stattfanden, VwGH 15.11.2018, Ra 2018/11/0220).

18       Vorliegend fällt ins Gewicht, dass im Tunnelbereich bei einem Verkehrsunfall besonders schwerwiegende Folgen (u.a. Explosionsgefahr) zu befürchten sind (siehe VwGH 6.9.2001, 98/03/0146, 0147); in der konkret gegebenen Situation, in der sich in dem Autobahntunnel aufgrund eines Verkehrsstaus mehrere Fahrzeuge in unmittelbarer Nähe befanden, waren dieser Gefahr zudem zahlreiche Personen potentiell ausgesetzt. Überdies zählt schon grundsätzlich zur Verkehrssicherheit, dass sich auf den Fahrstreifen der Autobahnen nach Möglichkeit keine Hindernisse in Form von (anhaltenden, wendenden oder) erst anfahrenden Fahrzeugen befinden (VwGH 23.7.1999, 99/02/0111; vgl. auch § 46 Abs. 4 lit. e StVO 1960); insbesondere für den Straßenverlauf in Tunneln spiegelt sich dies in § 8b Abs. 2 StVO 1960 wider.

19       Der vom Verwaltungsgericht maßgeblich zu Gunsten des Mitbeteiligten gewichtete Umstand, dass der gegenständliche Straßenverlauf im Tunnel über mehrere hundert Meter geradlinig gewesen und aus diesem Grund gut einsehbar gewesen sei, vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Dass das plötzliche Auftreten von Gegenverkehr nicht ausgeschlossen werden konnte, belegt schon die Feststellung des Verwaltungsgerichts, wonach ein LKW auf der entgegengesetzten Richtungsfahrbahn sich unmittelbar nach Abschluss des Wendemanövers der betreffenden Stelle näherte und abbremsen musste. Hinzu kommt, dass Fahrzeuglenker auf der entgegengesetzten Richtungsfahrbahn mit einem Wendemanöver in dem gegenständlichen Straßenbereich, der erlaubterweise mit verhältnismäßig hohen Geschwindigkeiten befahren werden kann, keinesfalls zu rechnen hatten (dazu etwa VwGH 21.10.1994, 94/11/0280). Eine konkret aufgetretene Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ist hingegen nach der eingangs wiedergegebenen hg. Rechtsprechung nicht erforderlich. Somit ist es auch nicht entscheidend, dass der Lenker des herannahenden LKW - wie im angefochtenen Erkenntnis ausgeführt - den Mitbeteiligten rechtzeitig wahrgenommen und abgebremst habe und dieser zu diesem Zeitpunkt bereits wieder dabei gewesen sei, seinen PKW zu beschleunigen.

20       Aus den dargelegten Erwägungen belastete das Verwaltungsgericht, indem es das Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse im Revisionsfall abweichend von den in der hg. Rechtsprechung zu § 7 Abs. 3 Z 3 FSG entwickelten Grundsätzen verneinte, das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 25. Jänner 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020110221.L00

Im RIS seit

24.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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