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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M in Y, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Februar 1995, Zl. 4.345.695/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 1. November 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 7. November 1994 Asyl. Im schriftlichen Asylantrag gab er an insgesamt fünf Stellen an, "Mitglied der PKK" gewesen und deshalb verhaftet, bedroht und mißhandelt worden zu sein. Zuletzt sei er wegen Nichteinrückens zum Militärdienst und aufgrund seiner "weiteren Tätigkeiten als Mitglied der PKK" gesucht worden. Wenn man ihn gefunden und verhaftet hätte, hätte er mit einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis drei Jahren zu rechnen gehabt.
Am 30. November 1994 wurde der Beschwerdeführer zu seinem Asylantrag einvernommen. Er gab an, er sei "nie Mitglied einer politischen Partei oder bewaffneten Gruppierung" und im besonderen nie Mitglied der DEP oder der PKK gewesen, und beantwortete die Frage nach dem Grund seiner Flucht wie folgt:
"Ich bin Kurde und wurde aus diesem Grund in der Türkei diskriminiert. Außerdem lebt meine gesamte Familie in Österreich und ich sollte zum Militär einrücken."
Im Zuge einer ausführlichen Befragung gab er weiters an, der Einberufungsbefehl sei Verwandten zugestellt worden, die das Papier nicht an ihn weitergeleitet hätten. Von denselben Verwandten habe der Beschwerdeführer auf dem Weg über andere Verwandte jedoch ein Schreiben der Staatsanwaltschaft an die Wehrdienstbehörde erhalten. Nach dem Inhalt dieses Schreibens - das der Beschwerdeführer vorlegte - habe er sich beim Wehrdienstamt zu melden gehabt, widrigenfalls er mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren zu rechnen gehabt habe. Im weiteren Verlauf der Befragung erläuterte der Beschwerdeführer, daß er den Wehrdienst nicht ableisten wolle, weil er mit einem Einsatz in der Osttürkei rechnen müsse. Die türkische Armee foltere und unterdrücke dort die Kurden. Bei den Kämpfen mit den Kurden würden auch viele Soldaten getötet. Der Beschwerdeführer wolle weder töten noch getötet werden. Weiters beschrieb der Beschwerdeführer seine Einstellung zur DEP und zur PKK und gab an, er sei in den Jahren 1991 und 1993 sowie im Jänner 1994 jeweils festgenommen und dabei zum Teil auch geschlagen und verletzt worden. Die Behauptung im schriftlichen Asylantrag, er sei nicht nur Sympathisant, sondern Mitglied der PKK und als solches politisch tätig gewesen, begründete er mit einem Übersetzungsfehler bei der Informationsaufnahme durch den Rechtsanwalt, der den Antrag verfaßt habe. Der Beschwerdeführer habe bis Ende 1993 an Seminaren und Versammlungen der DEP teilgenommen und Geld gespendet. Was die PKK anlange, so habe er lediglich deren verbotene Zeitschriften gelesen. Wenn er in der Türkei geblieben wäre, hätte er mit einer Bestrafung durch das Militärgericht rechnen müssen, weil er dem Einberufungsbefehl nicht Folge geleistet habe. Er müsse mit einer Strafe von etwa drei Jahren rechnen. Da er Kurde sei, würde er diese Haft wahrscheinlich nicht überleben, weil Kurden in Militärgefängnissen nicht wie Menschen behandelt würden. Kurden würden in der Haft gefoltert. Die Höhe der Strafe sei für alle gleich, doch würden Kurden in der Haft schlechter behandelt als Menschen türkischer Abstammung. Das wisse er sowohl aus verbotenen als auch aus erlaubten kurdischen Zeitungen. Daß der Einberufungsbefehl Verwandten zugestellt worden sei und nicht stattdessen versucht worden sei, den Beschwerdeführer ausfindig zu machen, habe seine Ursache im Fehlen einer zentralen Datensammlung in der Türkei. Warum sich der Staatsanwalt so schnell eingeschaltet habe, könne er nicht erklären. Er kenne die diesbezügliche Praxis nicht.
Das Bundesasylamt ließ das vom Beschwerdeführer vorgelegte Schreiben übersetzen und vom Übersetzer auch feststellen, welche Rechtschreib-, Formulierungs- und Grammatikfehler darin enthalten seien.
Mit Bescheid vom 28. Dezember 1994 wies das Bundesasylamt den Asylantrag ab. Begründend führte es (unter Wiedergabe der in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Asylgesetzes 1991, 270 Blg NR 18. GP, Seite 13, erwähnten Glaubwürdigkeitskriterien) aus, die Angaben des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründen seien zur Gänze unglaubwürdig. Es verwies dazu auf Teile der Aussage, die widersprüchlich oder objektiv unglaubwürdig seien, sowie im besonderen darauf, daß das vorgelegte Schreiben der Staatsanwaltschaft wegen seiner äußeren Form und der zahlreichen darin enthaltenen Fehler offensichtlich gefälscht sei. Darüber hinaus nahm es - ohne nähere Feststellungen zum Fluchtweg - die Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in "europäischen Ländern" an, "welche die Flüchtlingskonvention ratifizierten und auch Mitgliedsstaaten im Europarat sind".
In der Berufung führte der Beschwerdeführer aus, er habe der Unterdrückung, der er wegen seiner kurdischen Abstammung ausgesetzt gewesen sei, entkommen wollen. Ein weiterer Grund für seine Flucht bestehe darin, daß er nicht kämpfen, nicht sterben und nicht getötet werden wolle. Im Anschluß daran beschrieb der Beschwerdeführer Einzelheiten der Unterdrückung der Kurden durch den türkischen Staat. Er wiederholte, daß er selbst wegen seiner kurdischen Abstammung dreimal festgenommen und menschenunwürdigen Behandlungen ausgesetzt worden sei, fügte hinzu, daß er wegen seiner Abstammung auch die Schule zwei Jahre später als vorgesehen abgeschlossen habe, und wies darauf hin, daß er im Falle seiner Einziehung zum Militärdienst in Kurdistan stationiert werden würde. Dort würde er auf Befehl der zuständigen Kommandanten das kurdische Volk foltern und gegen die PKK kämpfen müssen. Im Falle seiner Rückkehr würde er festgenommen, vor einem Militärgericht angeklagt und zur Verbüßung der Strafe in ein Militärgefängnis eingeliefert werden. Es gebe derzeit tausende Kurden, von denen man nach ihrer Einlieferung in ein türkisches Militärgefängnis nichts mehr gehört habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Sie übernahm - ohne Einschränkung - "die Sachverhaltsfeststellung und auch die zutreffende rechtliche Beurteilung" des erstinstanzlichen Bescheides und fügte für den als "kontrafaktisch" bezeichneten Fall, daß die Behauptungen des Beschwerdeführers bescheinigt seien, hinzu, der staatlichen Erzwingung des Militärdienstes fehle die erforderliche Verfolgungsmotivation. Das Vorbringen des Beschwerdeführers habe keine Anhaltspunkte dafür enthalten, daß die Einberufung mit seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner politischen Gesinnung im Zusammenhang gestanden und damit eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen sei. Die Unterdrückung der kurdischen Volksgruppe als solcher vermöge die Gewährung von Asyl nicht zu rechtfertigen. Was die vom Beschwerdeführer beschriebenen Maßnahmen gegen ihn persönlich betreffe, so könne aus den drei Festnahmen keine aktuelle Verfolgungsgefahr abgeleitet werden, was sich vor allem aus dem zeitlichen Abstand zwischen der letzten Festnahme und der Flucht des Beschwerdeführers ergebe. Die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sei auch wegen des Widerspruchs zwischen seinem schriftlichen Asylantrag und seinen Angaben bei der Einvernahme in der Frage, ob er auch wegen seiner "Tätigkeit als Mitglied der PKK" gesucht werde, zu verneinen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides behauptet der Beschwerdeführer mit der Begründung, die Behörde hätte aufgrund seines durch keine gegenteiligen Beweisergebnisse widerlegten Vorbringens dem Asylantrag "bei richtiger rechtlicher Beurteilung" Folge geben müssen. Der angefochtene Bescheid sei "bereits insoweit" inhaltlich rechtswidrig.
Dem steht entgegen, daß die belangte Behörde den Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen in Übernahme der diesbezüglichen Ausführungen des Bundesasylamtes und unter Hinzufügung eines zusätzlichen Argumentes (Widerspruch in der Frage der Verfolgung wegen "Tätigkeit als Mitglied der PKK") die Glaubwürdigkeit abgesprochen hat. Mit der Behauptung, der Inhalt des Vorbringens hätte "bei richtiger rechtlicher Beurteilung" zur Asylgewährung führen müssen, vermag der Beschwerdeführer daher keine inhaltliche Rechtswidrigkeit aufzuzeigen. Eine derartige Behauptung wäre nur geeignet, die Relevanz aufgezeigter Unschlüssigkeiten in der Beweiswürdigung darzutun.
In seinen Ausführungen zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit wendet sich der Beschwerdeführer weiters gegen die Ansicht der belangten Behörde, seine behauptete Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung sei asylrechtlich irrelevant. Die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen sind insofern nicht unzutreffend, als die belangte Behörde - wenn sie die erwähnte Verfolgung als bescheinigt angesehen hätte - sich über ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid hinaus mit der Behauptung des Beschwerdeführers, bei der Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung würde er im Militärgefängnis als Kurde nicht wie ein Mensch behandelt, sondern gefoltert werden, sodaß er die Haft wahrscheinlich nicht überleben würde, auseinanderzusetzen gehabt hätte (vgl. dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377). Daß die belangte Behörde dies verkannt hat, betrifft aber nicht die tragende, sondern nur eine Eventualbegründung des angefochtenen Bescheides.
Als Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer, es fehlten konkrete Sachverhaltsfeststellungen zu der Frage, "inwieweit Kurden in der Türkei beim Militär schlechter behandelt werden als Türken", obwohl der Beschwerdeführer "diesbezüglich konkrete Tatsachenbehauptungen aufgestellt hat". Hätte die belangte Behörde "entsprechende Feststellungen" getroffen, so würde sie erkannt haben, "daß tatsächlich Kurden in der Türkei beim Militär erheblich schlechter behandelt werden als Türken und daher die Weigerung der Erfüllung der Wehrpflicht" durch den Beschwerdeführer und die damit verbundene Verfolgungssituation asylrelevant sei.
Mit diesem Vorbringen macht der Beschwerdeführer erstmals geltend, daß er im Fall der Befolgung seines Einberufungsbefehles nicht nur gezwungen gewesen wäre, in der Osttürkei gegen Kurden zu kämpfen, sondern auch (in nicht näher bezeichneter, gemeint aber offenbar: anderer Weise) "schlechter behandelt" worden wäre als Türken. Das ist einerseits eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht zulässige Neuerung und andererseits zu unbestimmt, um erkennen zu lassen, inwiefern die nun behauptete "schlechtere Behandlung" das Ausmaß asylrelevanter Verfolgung erreicht haben würde. Der Beschwerdeführer hatte bei seiner Einvernahme sogar angegeben, daß er zur Ableistung des Militärdienstes bereit wäre, wenn er in der Westtürkei eingesetzt würde. Das könne ihm aber "niemand garantieren". Schließlich wird auch mit dem hier behandelten Beschwerdeargument nicht berücksichtigt, daß die Behauptung des Beschwerdeführers, er werde wegen Wehrdienstverweigerung verfolgt, von der Behörde nicht als glaubwürdig angesehen wurde.
Als Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer weiters, die belangte Behörde habe wesentliche Punkte der erstinstanzlichen Bescheidbegründung ohne nähere argumentative Auseinandersetzung übernommen. Dem folgt die nicht näher begründete Behauptung, die belangte Behörde wäre sonst zu einem für den Beschwerdeführer "positiven Asylbescheid" gelangt.
Diesem Argument ist entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer die tragenden - seine Glaubwürdigkeit betreffenden - Teile des erstinstanzlichen Bescheides in der Berufung nicht konkret in Frage gestellt hatte. Die Übernahme der erstinstanzlichen Ausführungen, welche die belangte Behörde ohnehin noch durch eigene Überlegungen zur Rechtsfrage und zur Beweiswürdigung ergänzte, begründet unter diesen Umständen keinen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften. Mit der bloßen Behauptung, ein anderes Vorgehen hätte zu einem "positiven Asylbescheid" geführt, wird auch die Relevanz des behaupteten Begründungsmangels nicht ausreichend dargetan.
Einen Versuch, die vor allem auf den Vorwurf, das vorgelegte Schreiben sei erkennbar gefälscht gewesen, gestützte und im vorliegenden Fall entscheidende Beweiswürdigung der Behörden erster und zweiter Instanz als unschlüssig zu widerlegen, unternimmt die Beschwerde nicht. Der bloße in der Rechtsrüge enthaltene Hinweis auf das Fehlen "gegenteiliger Beweisergebnisse" geht angesichts der Inhalte dieser Beweiswürdigung ins Leere. Nach § 41 Abs. 1 VwGG ist der angefochtene Bescheid aufgrund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes zu überprüfen, sodaß die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörden nur in eingeschränktem Maße der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof unterliegt. Eine amtswegig aufzugreifende Unschlüssigkeit ist in den Schlußfolgerungen, die dem angefochtenen Bescheid hinsichtlich der vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunde und des Widerspruches zwischen den Angaben im Asylantrag und bei der Einvernahme zugrunde liegen, nicht erkennbar. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Beweiswürdigung verfehlen jedoch die die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers betreffenden Beschwerdeargumente - wie schon dargestellt - ihr Ziel.
Fehlt es an der Flüchtlingseigenschaft, so kommt es auf das Vorliegen von Asylversagungsgründen nach § 2 Abs. 2 Asylgesetz 1991 nicht an. Die Beschwerde war daher, ohne daß auf die in ihr noch enthaltene Kritik an der Annahme der Verfolgungssicherheit in "europäischen Ländern" einzugehen gewesen wäre, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200164.X00Im RIS seit
20.11.2000