TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/12 95/20/0067

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Veröffentlicht am 12.09.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des G in S, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Dezember 1994, Zl. 4.344.624/2-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Dezember 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers (eines irakischen Staatsangehörigen), der am 28. Mai 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 3. Juni 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den seinen Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. Juni 1994 abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hatte in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. Juni 1994 seine Fluchtgründe - zusammengefaßt - wie folgt dargestellt:

Er sei seit 1982 Mitglied der Baath-Partei und seit 1989 in der Telefonvermittlungsstelle der irakischen Botschaft in Prag beschäftigt gewesen. Am 30. März 1994 habe er vom Botschaftssekretär erfahren, daß der Chef des irakischen Geheimdienstes dem Außenministerium in Bagdad mitgeteilt habe, daß der Beschwerdeführer Kontakte zur irakischen Opposition in Prag unterhalte. Dem Beschwerdeführer sei dieses Schreiben gezeigt und eine Ablichtung angefertigt worden. Darin sei auch der Name des in London lebenden Oppositionsführers A angeführt gewesen. Der Geheimdienstchef habe um Weisungen ersucht, um dem Außenministerium weitere Informationen zukommen lassen zu können. Der Beschwerdeführer erklärte weiters, sich tatsächlich seit April 1993 ca. einmal in der Woche mit Oppositionellen in einem Restaurant in Prag getroffen zu haben, welches im Miteigentum des erwähnten Oppositionsführers stehe. Er habe dabei lediglich "über allgemeine Sachen geplaudert, sich aber auch über die Greueltaten Saddam Husseins unterhalten". Der Beschwerdeführer habe bereits am 2. März 1994 über die irakische Botschaft ein Visum für Österreich beantragt, weil er damals beabsichtigt gehabt habe, als Tourist nach Österreich zu kommen. Nach Kenntnis des Schreibens des Geheimdienstchefs sei er zwar weiterhin seiner Arbeit in der irakischen Botschaft nachgegangen, habe jedoch auf das Visum für Österreich gewartet, um legal nach Österreich flüchten zu können. Wäre er in Prag geblieben, so hätte das Schreiben des Geheimdienstchefs zweifellos zu seiner Entlassung, einem Rückreiseauftrag nach Bagdad und zur dortigen Verhaftung und Hinrichtung seiner Person geführt.

Der Chef des irakischen Geheimdienstes in Prag sei im Februar oder März 1994 mit seiner Frau bei ihm in der Wohnung zu Besuch gewesen und habe dabei zufällig eine neben dem Eingang liegende Oppositionszeitung gesehen. Bei einem Besuch des Buchhalters der Botschaft habe auch dieser eine oppositionelle Zeitung bei ihm gesehen. Hätte er den Rückreiseauftrag vor Ausstellung des Visums für Österreich erhalten, hätte der Beschwerdeführer bei der vatikanischen Vertretung in Prag Schutz gesucht.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid versagte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer aus im Bescheid näher dargestellten Erwägungen die Glaubwürdigkeit und führte u.a. weiters aus, selbst bei Zutreffen seiner Angaben sei die subjektive Befürchtung des Beschwerdeführers über das weitere Vorgehen der staatlichen Organe objektiv nicht nachvollziehbar. Die geschilderte mögliche Vorgangsweise des irakischen Geheimdienstes im Hinblick auf einen eventuellen Rückreiseauftrag, der im Falle der Nichtbefolgung eines derartigen Auftrages möglichen Verschleppung und drohenden Hinrichtung im Irak stelle eine bloße Hypothese des Beschwerdeführers dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat die Angaben des Beschwerdeführers über seine Kontakte mit der irakischen Opposition in Prag deshalb als unglaubwürdig eingestuft, weil das irakische Regime die für das Ausland bestimmten Bediensteten einem strengen Selektionsverfahren unterziehe. Es sei also davon auszugehen, daß für eine ausländische Repräsentanz des irakischen Regimes nur die politische Elite und regimetreue Personen zum Einsatz kämen. Es sei daher unglaubwürdig, daß sich der Beschwerdeführer mit Oppositionellen in einem Lokal in Prag treffe und in seiner Wohnung oppositionelle Zeitungen liegen habe. Der Geheimdienst hätte auf regimefeindliche Aktivitäten sofort reagiert und sich nicht mit der Erstattung eines Berichtes über den Beschwerdeführer begnügt. Er sei auch unglaubwürdig, weil der Beschwerdeführer nach Kenntnis des Schreibens des irakischen Geheimchefs sicher nicht weiterhin in der Botschaft tätig gewesen wäre. Ebenso sei nicht nachvollziehbar, daß der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Erteilung eines Visums für Österreich über die irakische Botschaft gestellt habe und davon nur der dritte Botschaftssekretär Kenntnis gehabt hätte. Ein derartiges Verhalten des Botschaftsekretärs - wie vom Beschwerdeführer geschildert - sei angesichts der anzunehmenden strengen Auswahlkriterien für Beschäftigte in einer ausländsichen Vertretung ebenfalls unglaubwürdig.

Diese Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers erscheint jedoch von der Warte der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden allgemeinen Schlüssigkeitsprüfung aus nicht stichhältig. Das Argument, der Beschwerdeführer müsse angesichts des strengen Auswahlverfahrens für Beschäftigte einer Botschaft eine völlig regimetreue Person sein, weshalb die von ihm geschilderten Kontakte mit Oppositonellen unglaubwürdig seien, steht im Widerspruch dazu, daß der Beschwerdeführer jedenfalls seine Tätigkeit für die irakischen Behörden aufgegeben hat und nach Österreich geflüchtet ist. Abgesehen davon können auch bei einem anzunehmenden strengen Auswahlverfahren für Angehörige der Vertretungsbehörde im Ausland dennoch Personen mit einer politisch differenzierten Einstellung zum Einsatz kommen, kann sich doch die im Zeitpunkt des Auswahlverfahrens gegebene Regimetreue und politische Einstellung im Laufe der Zeit (etwa aufgrund von Berichten über erhebliche Menschenrechtsverletzungen durch das herrschende Regime) ändern. Warum der irakische Geheimdienst "sofort" auf die Kontakte des Beschwerdeführers zu Oppositionellen in Prag reagiert und sich nicht mit der vorläufigen Beschattung des Beschwerdeführers begnügt hätte, sowie in welcher Weise der Geheimdienst nach Kenntnis von derartigen Kontakten nach Auffassung der belangten Behörde Reaktionen gezeigt hätte, ist im angefochtenen Bescheid begründungslos geblieben. Da der Beschwerdeführer angegeben hatte, seinen Visumantrag für Österreich ursprünglich nur zu Besuchszwecken gestellt zu haben, was damit in Übereinstimmung zu bringen ist, daß der Beschwerdeführer vom Schreiben des irakischen Geheimdienstes erst Ende März 1994 erfahren habe, spricht der Umstand, daß er dies über die irakische Botschaft getan hatte, nicht gegen seine Glaubwürdigkeit. Die Argumentation der belangten Behörde, es sei unwahrscheinlich, daß von diesem Visumantrag nur der dritte Botschaftssekretär gewußt habe, läßt sich ohne nähere Kenntnis der Organisation und des Personalstandes dieser Vertretungsbehörde sowie des internen Erledigungsablaufes von Akten nicht nachvollziehen. Die weitere Begründung, daß der dritte Botschaftssekretär aufgrund des strengen Auswahlverfahrens für derartige Positionen eine regimetreue Person sein müsse und deshalb dem Beschwerdeführer den Inhalt eines Briefes des Geheimdienstes kaum mitteilen würde, erweist sich aus den schon oben dargelegten Erwägungen als nicht schlüssig.

Die Beschwerde weist zutreffend darauf hin, daß die Gewährung asylrechtlichen Schutzes nicht ausschließlich an das Vorliegen von bereits gesetzten Verfolgungsmaßnahmen knüpft. Das Asylgesetz 1991 sieht die Asylgewährung bereits dann vor, wenn ein Asylwerber "aus wohlbegründeter Furcht, ... verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen" (§ 1 Z. 1 AsylG 1991). Eine Furcht ist dann wohlbegründet, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziebar ist. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht im engsten Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.

Die belangte Behörde ging in ihrem Bescheid selbst davon aus, daß Angehörige einer Vertretungsbehörde im Ausland besonders rigorosen Kriterien entsprechen müßten und nur in diesem Falle ("insbesondere für einen Staat wie den Irak") in einer Botschaft tätig sein könnten. Die belangte Behörde nahm weiters an, daß der irakische Geheimdienst bei Wahrnehmung von Kontakten der Botschaftsangehörigen mit irakischen Oppositionellen jedenfalls reagieren und sich nicht (jedenfalls nicht auf Dauer) mit "der Beschattung" begnügen werde. Warum dann der Beschwerdeführer angesichts der Mitteilung des irakischen Geheimdienstes an die Heimatbehörden nicht wohlbegründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung haben, sondern ein vom Beschwerdeführer befürchteter Rückreiseauftrag verbunden mit allfällig gewaltsamen Druck zur Befolgung "bloße Hypothese" sein sollte, ist nicht schlüssig begründet.

Richtig ist, daß der Beschwerdeführer noch für die Dauer von zwei Monaten weiter seiner Arbeit nachging und auf die Erteilung eines Visums für Österreich wartete, um legal ausreisen zu können. Während dieser Zeit wurden gegen den Beschwerdeführer keine Verfolgungshandlungen gesetzt. Der Beschwerdeführer hatte auch bis zu seiner legalen und von den Organen des irakischen Geheimdienstes unbehelligten Einreise in das Bundesgebiet keinen Rückreiseauftrag in den Irak erhalten.

Der Beschwerdeführer hat dazu aber auch angegeben, daß er davon habe ausgehen können, daß der irakische Geheimdienst nicht wußte, daß er Kenntnis von dem Bericht über seine Kontakte zur Opposition erlangt habe. Deshalb habe er auch damit rechnen können, daß der Geheimdienst seinen Österreichaufenthalt nur als Urlaub werten und seine Rückkehr erwarten würde. Da die belangte Behörde aufgrund einer unzulänglichen Begründung die Unglaubwürdigkeit sämtlicher Aussagen des Beschwerdeführers angenommen hat, hat sie sich mit dieser Aussage nicht auseinandergesetzt, sodaß auch insoweit die Begründung mangelhaft geblieben ist.

Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200067.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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