TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/12 95/20/0296

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Veröffentlicht am 12.09.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. April 1995, Zl. 4.315.410/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. April 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 12. November 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 13. November 1990 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. Mai 1991, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen und ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.

Der Beschwerdeführer hatte in seinem schriftlichen Asylantrag vom 13. November 1990 ausgeführt: Er sei Kurde und käme aus dem Dorf K, welches in einer Region liege, in der die kurdische Befreiungsorganisation sehr unterstützt würde. Er habe dieser Organisation nie angehört, diese aber durch Beistellung von Nahrungsmitteln und Gewährung von Unterkunft an deren Mitglieder sowie auch ideell unterstützt. Vor Monaten sei er durch die Behörden aufgefordert worden, als Dorfschütze zu fungieren, mit Waffen gegen die Befreiungsorganisation zu kämpfen und der Organisation "Hayri Kazukca Oglu" beizutreten, was er trotz immer intensiverer Aufforderung abgelehnt, bzw. die Mitwirkung als Dorfschütze verweigert habe. In der letzten Zeit vor seiner Ausreise seien Beamte und auch Soldaten jeden Tag zu ihm gekommen, wobei sie verlangt hätten, daß der Beschwerdeführer eine Waffe annehme. In immer kürzeren Abständen seien Hausdurchsuchungen in seiner Wohnung durchgeführt worden. Es sei eine allgemeine Ausgangssperre von 17.00 bis 8.00 Uhr verhängt worden und auf alle, die sich während dieser Zeit im Freien aufgehalten hätten, geschossen worden. Daher sei es ihm unmöglich gewesen, seine Landwirtschaft weiter zu betreiben, wodurch er seinen Beruf nicht mehr weiter habe ausüben können. Der Behördenterror sei immer schlimmer geworden. So habe er sich, da die täglichen Repressalien wie Hausdurchsuchungen, psychischer Zwang, die Waffen gegen seine Landsleute zu erheben, und die Ausgangssperre unerträglich geworden seien, entschlossen, seine Heimat zu verlassen.

Anläßlich der niederschriftlichen Einvernahme am 8. Mai 1991 kam hervor, daß im türkischen Reisepaß des Beschwerdeführers auf Seite 59 türkische Ausreisestempel vom 21. September 1990, 29. September 1990 und 26. Oktober 1990, auf Seite 35 ein bulgarischer Einreisestempel vom 26. Oktober 1990, auf Seite 31 ein bulgarischer Ausreisestempel vom 22. September 1990 und ein rumänischer Grenzkontrollstempel vom 22. September 1990 ersichtlich seien. Zu seinen Fluchtgründen befragt, verwies der Beschwerdeführer im wesentlichen auf den schriftlichen Asylantrag vom 13. November 1990 und führte ergänzend dazu an: Angehörige der kurdischen Bevölkerungsgruppe in der Türkei würden seit 1982 von den türkischen Soldaten unterdrückt. Er helfe den Freischärlern und gebe ihnen Lebensmittel, obwohl er selbst nicht viel habe. Die Soldaten wüßten, daß die Geschwister und die Mutter des Beschwerdeführers in Österreich seien und vermuteten, daß er nur deshalb in der Türkei bleibe, damit er die PKK-Kämpfer unterstützen könne. Aus diesem Grunde würden sie den Beschwerdeführer schlagen, obwohl er ein gebrechlicher Mensch sei. In der Nähe des Dorfes gebe es einen Posten der Spezialtruppen der türkischen Armee, von diesen sei er in den letzten Jahren fünf- bis sechsmal festgenommen und auf den Posten gebracht worden. Dort sei er immer geschlagen worden. Er habe mit Urin vermischtes Wasser trinken und die Soldaten auf seinem Rücken tragen müssen, wobei er ständig zu Boden gefallen sei. Im Oktober 1990 hätten ihn die Soldaten dreimal festgenommen. Sie hätten ihn aufgefordert, das Gebiet endgültig zu verlassen, deshalb habe es der Beschwerdeführer nicht mehr ausgehalten und sei geflüchtet.

In der Berufung gegen den - formularmäßig abgefaßten - Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. Mai 1991 wiederholte der Beschwerdeführer mit anderen Worten das erstinstanzliche Vorbringen.

Die belangte Behörde erließ daraufhin den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie begründete, daß der Beschwerdeführer im gesamten Verwaltungsverfahren keine Umstände glaubhaft gemacht habe, die objektiv die Annahme rechtfertigen könnten, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde und nicht gewillt sei, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen. Soweit er seinen Asylantrag mit der bloßen Behauptung, "in den letzten fünf Jahren fünf- bis sechsmal" festgenommen und geschlagen worden zu sein, begründe, werde diesen Angaben die Glaubwürdigkeit versagt. Aufgrund der Eintragungen in seinen nationalen Reisepaß, ausgestellt in B am 5. September 1990, ergebe sich, daß er am 21. September 1990 aus seiner Heimat nach Rumänien und Bulgarien ausgereist sei, anschließend offensichtlich freiwillig in die Türkei zurückgekehrt sei und am 29. September 1990 abermals sein Heimatland verlassen habe. Auch nach dieser Ausreise sei er offensichtlich freiwillig in die Türkei zurückgekehrt, da er sein Heimatland erst am 26. Oktober 1990 endgültig verlassen habe. Es sei nach allgemeiner Erfahrung nicht nachvollziehbar, daß eine Person, die individuell konkret gegen sie gerichtete Verfolgung erdulden hätte müssen, freiwillig eben dorthin zurückkehre, wo sie diese auch in Zukunft befürchten müsse.

Den Behauptungen, im Oktober 1990 dreimal festgenommen worden zu sein, komme keine Glaubwürdigkeit zu, weil der Beschwerdeführer diese Umstände nicht ausreichend substantiiert dargestellt habe. Er habe lediglich angegeben, im Zuge dieser behaupteten Anhaltungen aufgefordert worden zu sein, die Türkei zu verlassen. Auch seien keine weiteren neuen - nach der letzten Rückkehr in das Heimatland entstandenen - Indizien für die behauptete Verfolgungsmotivation des angeblichen "Verfolgerstaates" dargetan worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Überlegungen der belangten Behörde halten der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anzustellenden Schlüssigkeitsprüfung nicht stand. Zwar ist der belangten Behörde zuzustimmen, daß es der allgemeinen Erfahrung grundsätzlich widerspricht, daß eine Person, die individuell konkret gegen sie gerichtete Verfolgung hätte erdulden müssen, angesichts der Gefahr der Wiederholung solcher Ereignisse freiwillig in den Verfolgerstaat zurückkehrt. Doch übersieht die belangte Behörde, daß die dem Beschwerdeführer bis zum Zeitpunkt seines zweimaligen Verlassens und der zweimaligen Rückkehr in die Türkei widerfahrenen höchstens FÜNF- BIS SECHSMALIGEN VERHAFTUNGEN INNERHALB MEHRERER JAHRE (im Verfahren wurde nicht geklärt, ob in dieser Zahl nicht auch die drei Verhaftungen im Oktober 1990 enthalten sind und wie lange die Anhaltungen jeweils dauerten) und die dabei erfolgten Übergriffe gegen seine Person aufgrund des Umstandes, daß die jeweiligen Anhaltungen möglicherweise nur kurzfristig waren und sich über mehrere Jahre verteilten, trotz der hiebei behaupteten Übergriffe aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht eine solche Intensität erreicht hatten, daß er nicht habe zurückkehren wollen; der Beschwerdeführer wurde im Verfahren auch nicht dazu befragt, aus welchen Gründen er in die Türkei zurückgekehrt ist. Aus der zweimaligen Ausreise, unter anderem nach Rumänien und Bulgarien, und der Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Heimatland im September 1990 ist daher der Schluß nicht zulässig, daß sein Vorbringen betreffend die Verhaftungen und Übergriffe vor der Ausreise vom 21. September 1990 zur Gänze unglaubwürdig sei.

Die Wertung der behaupteten dreimaligen Verhaftungen im Oktober 1990 durch die belangte Behörde als unglaubwürdig ist deshalb unschlüssig, weil der Beschwerdeführer in seinem Vorbringen keine zuvor abgeschlossenen "Indizien für die behauptete Verfolgungsmotivation des angeblichen Verfolgerstaates" dargetan hat, sondern eine Dauersituation (materielle und ideelle Unterstützung der Freiheitskämpfer, Weigerung, die Stellung als Dorfschütze anzunehmen), sodaß ein eventueller asylrechtlich relevanter Zusammenhang, insbesondere eine unterstellte politische Gesinnung aufgrund der Unterstützung der Freiheitskämpfer auch im Oktober 1990 nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden kann. Der belangten Behörde ist auch darin entgegenzutreten, daß sie dem Beschwerdeführer vorwirft, er habe diese Festnahmen im Oktober 1990 "nicht ausreichend substantiiert" dargestellt, zumal aus der niederschriftlichen Einvernahme nicht ersichtlich ist, daß der Beschwerdeführer aufgefordert worden wäre, Details und nähere Umstände dieser Verhaftungen darzulegen. Angesichts des Umstandes, daß eine dreimalige Inhaftierung während eines so kurzen Zeitraumes (Oktober 1990 bis zur Ausreise am 26. Oktober 1990) im Sinne der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung der Situation des Beschwerdeführers - das heißt zusammen mit den früheren Verhaftungen und Übergriffen der Soldaten - zu sehen ist, sind im erstinstanzlichen Vorbringen des Beschwerdeführers hinreichend deutliche Hinweise auf einen konkreten Sachverhalt enthalten, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt. Denn im Gesamtzusammenhang ist nicht auszuschließen, daß NUNMEHR eine derartige Verfolgungsintensität erreicht wäre, welche aus objektiver Sicht die Furcht vor Verfolgung glaubhaft erscheinen lassen könnte. Die belangte Behörde wäre daher gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 verpflichtet gewesen, auf eine Konkretisierung dieser Angaben zu dringen.

Ohne nähere Ermittlungen der belangten Behörde kann daher weder dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der behaupteten Verhaftungen und Übergriffe vor dem September 1990, noch seinem die Verhaftungen im Oktober 1990 betreffenden Vorbringen die Glaubwürdigkeit versagt werden.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Das Mehrbegehren war abzuweisen, da als Barauslagen für die Bescheidabschrift nur S 90,-- entstanden sind und entrichtet wurden.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200296.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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