TE Vfgh Beschluss 2021/11/29 G190/2021

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.11.2021
beobachten
merken

Index

60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 lita, Art140 Abs1b
Lohn- und Sozialdumping-BekämpfungsG §27
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Gerichtsantrages auf Aufhebung von Strafbestimmungen des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes betreffend Vereitelungshandlungen im Zusammenhang mit Lohnkontrollen mangels Präjudizialität; keine Anwendung der Bestimmung nach zwischenzeitlicher Novellierung

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, "die Wortfolge 'für jeden Arbeitnehmer' in §27 Abs1 LSD-BG, BGBl Nr 44/2016, in eventu die Wortfolge 'von € 500,00 bis € 5.000,00, im Wiederholungsfall von € 1.000,00 bis € 10.000,00' in der Fassung BGBl I Nr 44/2016, in eventu §27 LSD-BG, BGBl Nr 44/2016, zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben".

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

1. §27 Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG), BGBl I 44/2016, lautet:

"Vereitelungshandlungen im Zusammenhang mit der Lohnkontrolle

§27. (1) Wer die erforderlichen Unterlagen entgegen den §§12 Abs1 Z3 nicht übermittelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jeden Arbeitnehmer mit Geldstrafe von 500 Euro bis 5 000 Euro, im Wiederholungsfall von 1 000 Euro bis 10 000 Euro zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer entgegen den §§14 Abs2 oder 15 Abs2 die Unterlagen nicht übermittelt.

(2) Wer entgegen §12 Abs1 den Zutritt zu den Betriebsstätten, Betriebsräumen und auswärtigen Arbeitsstätten oder Arbeitsstellen sowie den Aufenthaltsräumen der Arbeitnehmer und das damit verbundene Befahren von Wegen oder die Erteilung von Auskünften verweigert oder die Kontrolle sonst erschwert oder behindert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro zu bestrafen.

(3) Wer die Einsichtnahme in die Unterlagen nach den §§21 Abs1 oder 22 verweigert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist für jeden Arbeitnehmer von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro zu bestrafen.

(4) Ebenso ist nach Abs3 zu bestrafen, wer als Arbeitgeber entgegen §14 Abs2 die Einsichtnahme in die Unterlagen verweigert."

2. §27 LSD-BG, BGBl I 44/2016 idF BGBl I 174/2021, lautet:

"Vereitelungshandlungen im Zusammenhang mit der Lohnkontrolle

§27. (1) Wer als Arbeitgeber, Überlasser oder Beschäftiger die erforderlichen Unterlagen entgegen §12 Abs1 Z3 nicht übermittelt, begeht unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 40 000 Euro zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer entgegen den §§14 Abs2 oder 15 Abs2 die Unterlagen nicht übermittelt.

(2) Wer entgegen §12 Abs1 den Zutritt zu den Betriebsstätten, Betriebsräumen und auswärtigen Arbeitsstätten oder Arbeitsstellen sowie den Aufenthaltsräumen der Arbeitnehmer und das damit verbundene Befahren von Wegen oder die Erteilung von Auskünften verweigert oder die Kontrolle sonst erschwert oder behindert, begeht unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 40 000 Euro zu bestrafen.

(3) Wer als Arbeitgeber, Überlasser oder Beschäftiger die Einsichtnahme in die Unterlagen nach den §§21 oder 22 verweigert, begeht unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 40 000 Euro zu bestrafen.

(4) Ebenso ist nach Abs3 zu bestrafen, wer als Arbeitgeber entgegen §14 Abs2 die Einsichtnahme in die Unterlagen verweigert."

3. §72 Abs10 LSD-BG, BGBl I 44/2016 idF BGBl I 174/2021, lautet:

"Inkrafttreten

§72. (1) […]

(10) Die §§1 Abs2, 3, 5 bis 9, 2 Abs2, 3 und 4, 3 Abs5 und 7, 12 Abs1 Z3 bis 6, 14 samt Überschrift, 15 Abs2, 19, 21, 22, 24 Abs1 erster Satz, 25a, 26 bis 28 samt Überschriften, 29 Abs1, 33, 34 samt Überschrift, 35 Abs2 und 4 und die Überschrift zu §3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 174/2021 treten mit 1. September 2021 in Kraft und sind auf Entsendungen und Überlassungen anzuwenden, die nach dem 31. August 2021 begonnen haben. Die §§2 Abs3 und 35 Abs6 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 174/2021 treten mit Ablauf des 31. August 2021 außer Kraft und sind auf Sachverhalte anzuwenden, die sich vor dem 1. September 2021 ereignet haben. Die §§2 Abs3 und 3 Abs7 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 174/2021 gelten nicht für Arbeitnehmer im Sinne des §1 Abs9. Die §§11 Abs1 Z3, 20 Abs1 und 2 Z1, 32 Abs1 Z2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 174/2021 treten mit Ablauf des Tages der Kundmachung dieses Bundesgesetzes in Kraft. Die §§26 bis 29 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 174/2021 sind auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmungen anhängigen Verfahren einschließlich von Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof anzuwenden."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit beim Landesverwaltungsgericht Steiermark angefochtenem Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Graz wurde die Inhaberin eines Einzelunternehmens mit Sitz in Österreich in insgesamt fünf Spruchpunkten zu fünf Geldstrafen von jeweils € 500,– bzw 33 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe gemäß §16 VStG sowie € 250,– Verfahrenskosten verurteilt. Ihr wurde jeweils eine Übertretung des §27 Abs1 iVm §14 Abs2 LSD-BG zur Last gelegt, weil sie trotz nachweislicher Aufforderung vom 13. Dezember 2019 die zur Erhebung erforderlichen Unterlagen (Arbeitsverträge oder Dienstzettel, Unterlagen betreffend die Lohneinstufung, Arbeitszeitaufzeichnungen, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen) nicht spätestens bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktages – dies war der 20. Dezember 2019 – an den Träger der Krankenversicherung abgesandt und somit nicht fristgerecht übermittelt habe.

2. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"II. Präjudizialität:

Bei dem im Sachverhalt beschriebenen Anlassfall handelt es sich bei der Beschwerdeführerin um eine österreichische Staatsbürgerin und Inhaberin eines Einzelunternehmens, der aus Anlass eines anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens wegen des Verdachtes von 5 Übertretungen des §27 Abs1 LSD-BG wegen eines Formaldeliktes für die Übertretung des §27 Abs1 LSD-BG Geldstrafen in der Höhe von € 2.500,00, zuzüglich € 250,00 Kosten bzw im Falle der Uneinbringlichkeit 165 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, aufgetragen wurden. Die Bestimmung des §27 LSD-BG ist in diesem Verfahren vom Landesverwaltungsgericht Steiermark anzuwenden.

III. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit:

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegt gegen die gesetzliche Bestimmung des §27 LSD-BG, dessen Aufhebung es beantragt, Bedenken im Hinblick auf das Verbot unverhältnismäßiger Strafen gemäß Art3 EMRK und Art49 GRC sowie insbesondere den Gleichheitssatz gemäß Art7 B-VG und Art2 StGG.

Die einschlägige Bestimmung des §27 LSD-BG lautet in der geltenden Fassung wie folgt:

'(1) Wer die erforderlichen Unterlagen entgegen den §§12 Abs1 Z3 nicht übermittelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jeden Arbeitnehmer mit Geldstrafe von 500 Euro bis 5 000 Euro, im Wiederholungsfall von 1 000 Euro bis 10 000 Euro zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer entgegen den §§14 Abs2 oder 15 Abs2 die Unterlagen nicht übermittelt.

(2) Wer entgegen §12 Abs1 den Zutritt zu den Betriebsstätten, Betriebsräumen und auswärtigen Arbeitsstätten oder Arbeitsstellen sowie den Aufenthaltsräumen der Arbeitnehmer und das damit verbundene Befahren von Wegen oder die Erteilung von Auskünften verweigert oder die Kontrolle sonst erschwert oder behindert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro zu bestrafen.

(3) Wer die Einsichtnahme in die Unterlagen nach den §§21 Abs1 oder 22 verweigert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist für jeden Arbeitnehmer von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro zu bestrafen.

(4) Ebenso ist nach Abs3 zu bestrafen, wer als Arbeitgeber entgegen §14 Abs2 die Einsichtnahme in die Unterlagen verweigert.'

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegt aus folgenden Erwägungen im Hinblick auf das aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbare Sachlichkeitsgebot Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der im Spruch angeführten Wortfolge des §27 Abs1 LSD-BG:

§27 Abs1 LSD-BG stellt für jeden Arbeitnehmer eine eigene Strafdrohung auf.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 12.09.2019, Maksimovic, C-64/18, ua, in Fällen von Bestrafungen nach §7i Abs4 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) und §28 Abs1 Z1 lita AuslBG in Folge grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung entschieden, dass der die Dienstleistungsfreiheit gewährleistende Art56 AUV nationalen Regelungen wie den genannten, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen und auch die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen die Verhängung von Geldstrafe vorsehen, die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden, zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20% der verhängten Strafe hinzutritt und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden, entgegensteht.

Diese Rechtsprechung wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union seitdem auch auf das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) übertragen (EuGH 19.12.2019, NE/Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld, C-645/18; 19.12.2019, EX, C-140/19, ua), und in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen Art20 der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15.05.2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems ('IMI-Verordnung) konstatiert.

Der Verwaltungsgerichtshof judiziert im Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 12.09.2019, Maksimovic, C-64/18 ua, folgend in Fällen grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung seither, dass die Wortfolge 'für jede/n Arbeitnehmer/in' in §7i Abs4 AVAG unangemeldet zu bleiben hat (VwGH 15.10.2019, Ra 2019/11/0033, 0034), und entsprechend des für §28 LSD-BG (VwGH 18.02.2020, Ra 2019/11/0195) in einem Anwendungsverfahren des Unionsrechts sieht auch der Verfassungsgerichtshof in seiner dazu ergangenen Rechtsprechung (VfGH 27.11.2019, E2047-2049/2019; E2893-2896/2019, E3530- 3531/2019; 26.06.2020, E4329/2019 [VwGH Ra 2020/09/0077]).

Liegt ein rein innerstaatlicher Sachverhalt vor, kommt es zu keiner Verdrängung nationalen Rechts durch das Unionsrecht. Im gegenständlichen Fall bedeutet das somit, dass die Beschwerdeführerin 5 Geldstrafen bzw Ersatzfreiheitsstrafen nach dem LSD-BG erhält, während bei einem gleichgelagerten Fall, wo das Unternehmen den Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat aus Österreich gehabt hätte, nur eine einzige Geldstrafe im Rahmen von € 500,00 bis € 5.000,00 bezahlt werden müsste und die Ersatzfreiheitsstrafe zur Gänze entfallen müsste.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Schlechterstellung österreichischer Staatsbürger im Verhältnis zu Ausländern ein Gleichheitssatz zu messen und bedarf daher einer sachlichen Rechtfertigung. Diesen Gedanken hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf die 'doppelte Bindung' des Gesetzgebers bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht auch auf die sogenannte 'Inländerdiskriminierung' übertragen. Wenn es dabei auch nicht um Diskriminierungen nach dem Kriterium der Staatsbürgerschaft geht, soll man um die Benachteiligung rein innerstaatlicher Sachverhalte im Verhältnis zu Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug, so sind inländische Staatsbürger davon doch meist besonders betroffen. Dies gilt bei Fällen, in denen bereits die österreichischen Normen zwischen rein innerstaatlichen Sachverhalten und solchen mit Gemeinschaftsbezug differenzieren, wie für Fälle, wenn sich eine Solche Differenzierung erst aus dem Anwendungsvorhalt des Gemeinschaftsrechts ergibt (vgl zum Ganzen VfGH 08.06.2005, G159/04, ua, VfSlg 17.554 [VwGH Ra 2020/09/0077]).

Aus Sicht des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark besteht bei Vorliegen eines vergleichbaren Sachverhaltes keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass der Übertreter der angefochtenen Norm sich einer unterschiedlich hohen Strafdrohung gegenübersieht, je nachdem ob er seinen Sitz im Inland oder in einem anderen Mitgliedsstaat hat. Im ersten Fall ist für jeden Arbeitnehmer – ohne Begrenzung der Gesamtstrafen – eine Geldstrafe zu verhängen, im anderen Fall nur eine in der Höhe begrenzte Gesamtstrafe bei gleichzeitigen Wegfall einer Ersatzfreiheitsstrafe. Durch Aufhebung der angefochtenen Bestimmung könnten auch diese innerstaatlichen Sachverhalte so behandelt werden, wie es für Fälle mit Unionsbezug unionsrechtlich geboten ist.

Mit der Aufhebung der im Hauptantrag angeführten Wortfolge würde die Verfassungswidrigkeit der Regelung im dargelegten Sinn beseitigt, ohne dass der verbleibende Rest der gesetzlichen Bestimmung unverständlich, unanwendbar oder eine Veränderung seiner Bedeutung erfahren würde. Es würde aber auch nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden, als Voraussetzung für den Anlassfall ist.

Der erste Eventualantrag wird für den Fall erstellt, dass der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis gelangt, dass der Entfall der Untergrenze bei Beibehaltung einer Strafdrohung für jeden Arbeitnehmer besser geeignet ist, die Verfassungswidrigkeit zu beseitigen.

Sofern der Verfassungsgerichtshof jedoch der Ansicht sein sollte, dass die Sank-tionsnorm des §27 Abs1 LSD-BG insgesamt den europarechtlichen Vorgaben widerspricht und daher zur Beseitigung einer Inlanddiskriminierung die gesamte Bestimmung zu entfernen ist, wird der zweite Eventualantrag gestellt.

Aus den dargelegten Gründe beantragt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, das §27 LSD-BG zur Gänze oder zumindest teilweise aufzuheben ist." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

3. Die Bundesregierung nahm mit Verweis auf den Beschluss des Nationalrates vom 7. Juli 2021 (BNR 943 BlgNR 27. GP) betreffend die in der Folge mit BGBl I 174/2021 kundgemachte Novelle des LSD-BG von einer meritorischen Äußerung Abstand.

4. Die belangte Behörde und die Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark haben als beteiligte Parteien jeweils eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes anschließen.

IV. Erwägungen

Der Antrag ist unzulässig:

1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

2. Während des Gesetzesprüfungsverfahrens wurde mit BG BGBl I 174/2021 (kundgemacht am 9. September 2021) unter anderem die vom antragstellenden Gericht als verfassungswidrig erachtete Bestimmung des §27 LSD-BG, BGBl I 44/2016, novelliert (s II.2.). Zufolge der ausdrücklichen Anordnung des §72 Abs10 LSD-BG, BGBl I 44/2016 idF BGBl I 174/2021, (s II.3.) ist §27 leg cit auf alle zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens (i.e. 1. September 2021) anhängigen Verfahren anzuwenden.

3. Diese Gesetzesänderung bewirkt, dass das antragstellende Landesverwaltungsgericht §27 LSD-BG, BGBl I 44/2016, auf den sich seine Bedenken beziehen, bei der Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten nicht mehr anzuwenden hat.

4. Es ist somit – was der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung als Voraussetzung für die Zurückweisung eines gerichtlichen Antrages auf Gesetzesprüfung ansieht (vgl zB VfSlg 8524/1979, 18.487/2008; VfGH 8.3.2016, G480/2015; 17.6.2021, G174/2019, V65/2019) – offenbar ausgeschlossen, dass die angefochtene Bestimmung als eine Voraussetzung für die Entscheidung des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes nunmehr in Betracht kommen kann.

5. Der Antrag ist daher mangels der auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes noch erforderlichen Präjudizialität der zur Aufhebung beantragten Norm als unzulässig zurückzuweisen (vgl VfSlg 18.487/2008; VfGH 8.3.2016, G480/2015; 17.6.2021, G174/2019, V65/2019).

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G190.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten