TE Vfgh Erkenntnis 2021/11/29 E3695/2021

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Veröffentlicht am 29.11.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen von Myanmar nach Bangladesch geflüchteten Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya; mangelhafte Auseinandersetzung mit der Herkunft des Beschwerdeführers; mangelnde Auseinandersetzung mit dem vorgebrachten Fluchtvorbringen

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer stellte am 11. Februar 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte vor, dass er in Myanmar geboren und mit seiner Familie im Jahr 1993 nach Bangladesch in ein Camp gekommen sei, wo er als Fünfjähriger von einem bengalischen Staatsangehörigen ("Ziehvater") gekauft worden sei. Seinen Antrag begründete er damit, dass er als Angehöriger der Volksgruppe der Rohingya Verfolgung ausgesetzt sei.

2. Mit Bescheid vom 30. Juni 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig ist, erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab und setzte keine Frist zur freiwilligen Ausreise.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 2. September 2021 als unbegründet ab. Der Beschwerdeführer habe keine individuell gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können. Es sei insbesondere nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer ein Rohingya sei. Diese Erwägungen gründet das Bundesverwaltungsgericht auf folgende, auszugsweise wiedergegebene Feststellungen:

"[…] Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Festgestellt wird, dass die Identität des BF nicht geklärt ist.

Festgestellt wird, dass der volljährige BF behauptet[,] in Myanmar geboren zu sein, vermutlich im Oktober 1989, und dass er mit seiner Familie im Jahr 1993 nach Bangladesch in ein Camp gekommen sei. Festgestellt wird, dass die Angabe des konkreten Geburtsdatums (28.10.1989) vom BF frei erfunden wurde.

Der BF legte zum Beweis seiner Abstammung ein Rohingya-Familienbuch vor, welches jedoch die Kennzeichnung einer repatriierten Familie aufweist (UNHCR; Staatendokumentation).

Festgestellt wird, dass das UNHCR zu der Person, dessen Namen der BF vorgibt zu haben, ausführte, dass diese Person am 27.01.1995 nach Myanmar repatriiert wurde.

Festgestellt wird, dass der BF behauptet[,] als Fünfjähriger von einem Bengalen gekauft worden zu sein.

Der BF arbeitete nach seinen Angaben ab 2002 in Bangladesch als Reinigungskraft in einem Restaurant, von 2005 bis 2009 als Riksha-Fahrer, danach betrieb er bis 2016 ein kleines Geschäft auf der Straße, welches illegal war.

Der BF hat nach seinen Angaben keinen Kontakt zu seiner Familie oder zur Ziehfamilie.

[…]

[…] Zum Fluchtvorbringen des BF:

Es wird nicht festgestellt, dass der BF ein Rohingya ist.

Festgestellt wird hingegen, dass der BF unter der Vorlage eines als 'repatriiert' gekennzeichneten Familienbuches (vgl zur angegebenen Person konkrete Auskunft der UNHCR) eine Abstammung aus Myanmar behauptet.

Festgestellt wird, dass Dokumente jeglicher Art, somit auch (repatriierte) Familienbücher von Rohingyas, in Bangladesch ohne Probleme erworben werden können (Länderinformation).

Festgestellt wird, dass der BF nicht glaubhaft darlegen konnte, weshalb er im Besitz des originalen Familienbuches ist, während seine Familie (Eltern, Geschwister), welche angeblich weiterhin im Camp blieben und das Familienbuch für die Unterstützungen (Essen, Kleidung, medizinische Versorgung etc.) im Camp benötigt hätten, nur eine 'Kopie' des Familienbuches besessen hätten.

Festgestellt wird, dass der BF nach seinen Angaben nicht politisch tätig war und keiner Partei angehörte.

Festgestellt wird, dass der BF illegal 'ein Geschäft auf der Straße' betrieb. Festgestellt wird, dass der BF widersprüchliche Angaben hinsichtlich behaupteter Schutzgelderpressungen machte ('verschiedenste Burschen von verschiedenen politischen Parteien', 'die Partei ist nur eine, die Chattro League, soweit ich weiß').

Festgestellt wird, dass der BF regelmäßig – genauso wie andere Bengalen – der Polizei 300 Taka bezahlen musste, wobei nicht feststellbar war, ob dies eine Strafe für den illegalen Straßenhandel war. Festgestellt wird, dass der BF nach seinen Aussagen auch mit Schlagstöcken vertrieben wurde und dabei eine Platzwunde erlitt.

Festgestellt wird, dass der BF sich gegen Schutzgelderpressungen (wegen seiner illegalen Geschäftstätigkeiten) nicht mit einem Anwalt oder einer Anzeige gewehrt hat, welche – nach seinen Vorstellungen – nicht aufgenommen worden wäre.

Festgestellt wird, dass der Ziehvater des BF diesem geraten habe, das Land zu verlassen, weil er mit dem illegalen Straßenhandel keinen wirtschaftlichen Erfolg erwarten könne.

[…]"

Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hält das Bundesverwaltungsgericht für nicht gegeben.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der ua die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, dass das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass er nicht der Volksgruppe der Rohingya angehöre, und nicht ausreichend ermittelt habe, welche Gefahren ihm bei einer Rückkehr nach Bangladesch drohen würden.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Derartige, in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Der Beschwerdeführer hat als Fluchtgrund vorgebracht, dass er auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya in Bangladesch der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt sei. Er sei in Myanmar geboren und anschließend mit seiner Familie nach Bangladesch geflohen, wo sie in einem Camp gelebt hätten. Zum Nachweis seiner Herkunft legte der Beschwerdeführer ein "Familienbuch" vor. Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass er als Fünfjähriger an einen bengalischen Staatsangehörigen verkauft worden sei, bei dem er in der Folge aufgewachsen sei. Dieser Ziehvater habe ihn als Rikshafahrer arbeiten lassen und zum Sammeln von Flaschen angehalten, später habe er auch in einem Restaurant gearbeitet und anschließend habe er ein kleines Geschäft auf der Straße betrieben. Er habe deswegen Schutzgeld bezahlen und der Polizei Geldzahlungen leisten müssen, zusätzlich habe ihn die Polizei auch mit einem Polizeistock geschlagen. Aus diesem Grund habe ihm sein Ziehvater geholfen, das Land zu verlassen. Im Falle einer Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer, wieder in einem Lager leben zu müssen und von der Polizei misshandelt zu werden.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht führt zunächst aus, dass "nicht festgestellt [wird], dass der BF ein Rohingya ist", und begründet dies im Wesentlichen damit, dass das vom Beschwerdeführer vorgelegte "Familienbuch" die Kennzeichnung einer repatriierten Familie aufweise, weshalb es davon ausgehe, dass "sich dieser eine Identität als Rohingya zueignen möchte, welche in eine Lebens- und Fluchtgeschichte passte". Im Widerspruch zur Annahme einer konstruierten Lebens- und Fluchtgeschichte legt das Bundesverwaltungsgericht jedoch wesentliche Aussagen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Herkunft dennoch seinen Feststellungen bzw seinen Ausführungen in der Beweiswürdigung zugrunde. An mehreren Stellen spricht das Bundesverwaltungsgericht vom "Ziehvater des BF" bzw "seine[m] Ziehvater". An einer Stelle übernimmt das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich die Angaben des Beschwerdeführers, wonach "sein Zieh-Vater […] ihm die Reise aus Bangladesch [finanzierte]". Auf Grund dieser widersprüchlichen Ausführungen zur Herkunft des Beschwerdeführers ist für den Verfassungsgerichtshof nicht ersichtlich, von welchen diesbezüglichen Annahmen das Bundesverwaltungsgericht ausgeht.

2.3. Dazu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen in wesentlichen Teilen im Konjunktiv trifft bzw die Aussagen des Beschwerdeführers bloß wiedergibt ("Festgestellt wird, dass der BF behauptet …"). Bei dieser Vorgehensweise ist für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar, ob und welches Vorbringen vom Bundesverwaltungsgericht als glaubhaft erachtet wird und worauf sich in weiterer Folge die Beurteilung dieses Vorbringens als unglaubwürdig stützt.

Das Erkenntnis ist daher einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich und folglich mit Willkür belastet (vgl VfGH 25.2.2021, E2687/2020 mwN).

2.4. Das Bundesverwaltungsgericht hat es weiters unterlassen, sich mit dem vom Beschwerdeführer näher geschilderten Vorbringen, von der Polizei auf Grund des illegalen Betriebes seines Geschäftes geschlagen worden zu sein, auseinanderzusetzen, wenngleich es dies ebenso feststellt wie den Umstand, dass der Beschwerdeführer der Polizei regelmäßig Geldzahlungen leisten habe müssen. Indem das Bundesverwaltungsgericht es unterlassen hat, den ermittelten Sachverhalt einer Beweiswürdigung zu unterziehen, fehlt es an einer schlüssigen Begründung, warum diesbezüglich keine asylrelevante Verfolgung vorliegt (vgl VfGH 22.6.2021, E1690/2021).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3695.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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